Anna Tieke

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Anna Tieke, geborene Wittenburg (* 11. November 1897 in Rixdorf; † 15. Januar 1938 in Leningrad, UdSSR), war eine deutsche Kommunistin, die Opfer der Stalinschen Säuberungen wurde.

Leben

Sie erlernte den Beruf einer Koloristin. Politisch geprägt durch die Eltern, die aktive SPD- und später USPD-Mitglieder sind, und durch ihre ebenfalls politisch aktiven Brüder (Bruder Rudolf Wittenburg ist ab 1933 aktiv im Widerstand gegen das Nazi-Regimes), findet sie früh zur Arbeiterbewegung. Ab 1911 in der Arbeiterjugend organisiert, ab 1916 Mitglied der USPD, ab 1925 KPD. Sie ist Mitglied im Roten Frauen- und Mädchenbund (RFMB) und im Einsatz für den AM-Apparat der KPD. Mit dem Dreher und Kommunisten Rudolf Tieke (*19. Oktober 1887 in Altglienicke; = 8. März 1989 in Berlin) verheiratet seit 1916, hat sie drei Kinder (Rudolf *1916, Günter *1918, Ursula *1921). Die Familie lebt bis zu ihrer Ausreise in die Sowjetunion in Berlin-Baumschulenweg. Im Oktober 1931 fährt die Familie im Auftrag der KPD nach Moskau. Von dort aus nach Chosta (heute zugehörig zu Sotschi) im Kaukasus. Dort arbeiten Anna und Rudolf Tieke in einer von deutschen Kommunisten betriebenen landwirtschaftlichen Kommune. Nach der Auflösung der Kommune kommt die Familie 1935 nach Leningrad und wohnt in einem Gemeinschaftshaus für ausländische Arbeiter. Im Zuge der sogenannten „Deutschen Operation“ werden der Ehemann Rudolf Tieke im September 1937 vom NKWD verhaftet, Anna Tieke und der älteste Sohn Rudolf Tieke im Oktober 1937. Alle drei werden unter anderem beschuldigt, Angehörige einer antisowjetischen Spionageorganisation zu sein. Am 21. Oktober 1937 erfolgt durch das Reichsministerium des Innern die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit für alle Familienmitglieder wegen schwerer Verletzung der Treuepflicht gegen Volk und Staat, zur Verhinderung der Rückkehr nach Deutschland und zum Schutz der deutschen Volksgemeinschaft.[1] Am 1. Dezember 1937 werden Anna und Rudolf Tieke wegen ihrer Verhaftung in einem formalen Akt vom Politbüro des ZK der KPD aus der Partei ausgeschlossen.[2] Am 10. Januar 1938 werden Anna Tieke und ihr Sohn Rudolf nach § 58-6 und 58-11 des Strafgesetzbuches der RSFSR zum Tod durch Erschießen verurteilt. Das Urteil wird am 15. Januar 1938 in Leningrad vollstreckt. Wahrscheinlich werden sie  mit den anderen 93 Personen, die mit ihnen gemeinsam an diesem Tag erschossen werden, im geheimen Waldstück in der Siedlung Lewaschowo bei Leningrad in einem Massengrab verscharrt.

Familie

Rudolf Tieke sen., dessen von den Sowjetbehörden beabsichtigte Ausweisung nach Deutschland durch den Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft nicht realisiert werden kann, wird 1940 zu 8 Jahren Arbeitslager im Archangelsker Gebiet verurteilt. Nach Verbüßung der Haftzeit wird er nach Sibirien verbannt. Dort wird er im Oktober 1949 erneut verhaftet und „auf ewig“ ins Krasnojarsker Gebiet verbannt. Sohn Günter Tieke wird 1942 in die Arbeitsarmee rekrutiert und nach Beendigung des Krieges nach Baschkirien verbannt. Tochter Ursula Tieke wird 1942 nach Karaganda (Kasachstan) verbannt. Sie heiratet dort 1950 einen jüdischen Emigranten und ehemaligen GULAG-Häftling. 1956 erhalten Rudolf Tieke und seine Tochter Ursula mit  Ehemann und zwei Kindern die Genehmigung für eine Ausreise nach Ostberlin. Sohn Günter bleibt mit Ehefrau und drei Töchtern in der Sowjetunion.

Ehrung

Gedenktafel für die deutschen Emigranten aus der Detskaja Ul. 3, Opfer des großen Terrors, aufgestellt in Lewaschowo 2011

Anna Tieke und ihr Sohn Rudolf werden am 15. Januar 1958 auf Beschluss des Militärtribunals des Leningrader Gebiets postum und nicht öffentlich rehabilitiert. Erst im Jahr 1992 erfährt Tochter Ursula die Wahrheit über das Schicksal von Mutter und Bruder. In dem Waldstück in Lewaschowo mit den Massengräbern bringt sie eine Gedenktafel für ihre Mutter und ihren Bruder an. 2022 wird eine Tafel für Anna und Rudiolf Tieke jun. und weitere Mitbewohner des Gemeinschaftshauses für ausländische Arbeiter in Lewaschowo aufgestellt

Auf dem nunmehr offiziellen Gedenkfriedhof Lewaschowo stellt die Familie 2015 einen Gedenkstein für Anna und Rudolf Tieke jun. auf. In der Familie werden die Originalbriefe, die Anna Tieke von 1931 bis zu ihrer Verhaftung 1937 an ihre Eltern nach Berlin schrieb, aufbewahrt. Sie bilden die Grundlage der umfassenden Darstellung der Familiengeschichte, die die Enkeltochter Anna Tiekes 2016 im Dietz Verlag veröffentlicht hat:„...verhaftet und erschossen“. Eine Familie zwischen Stalins Terror und Hitlers Krieg.

Gedenkstätte für deutsche Opfer des Stalinismus auf dem Lewaschowo-Gedenkfriedhof, darunter Gedenkstein für Anna und Rudolf Tieke

Literatur

  • Anja Schindler: „...verhaftet und erschossen“. Eine Familie zwischen Stalins Terror und Hitlers Krieg. Karl Dietz Verlag Berlin 2016, ISBN 978-3-320-02322-5
  • Tieke, Anna. In: Hermann Weber, Andreas Herbst: Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945. 2., überarb. und stark erw. Auflage. Karl Dietz Verlag Berlin, Berlin 2008, ISBN 978-3-320-02130-6.
  • Wladislaw Hedeler, Inge Münz-Koenen (Hrsg.): »Ich kam als Gast in euer Land gereist…«. Deutsche Hitlergegner als Opfer des Stalinterrors. Familienschicksale 1933–1956. Lukas Verlag, 2013. ISBN 978-3-86732-177-8, S. 241.
  • Anja Schindler: Unbegründet verhaftet und erschossen. In: Ulla Plener (Hrsg.): Leben mit Hoffnung in Pein. Frauenschicksale unter Stalin. Frankfurter Oder-Editionen, Frankfurt/Oder 1997, ISBN 978-3-86557-209-7, S. 13–34.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes 000132, R 100074
  2. SAPMO/BA I2/3/82