Elektroakustische Musik

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Elektroakustische Musik bezeichnet Neue Musik, die sich Verfahren der elektronischen Klangproduktion bedient oder elektronisch transformiert wurde. Der Terminus stellt einen Sammelbegriff verschiedener musikalischer Konzeptionen dar, der im Laufe einer fortschreitenden kompositorischen Entwicklung und unterschiedlicher ästhetischer Ausdifferenzierung als Oberbegriff globale Verbreitung und institutionelle Etablierung erfuhr. Zu den musikalischen Konzeptionen gehören unter anderem die Musique concrète, die Kölner Elektronische Musik und die Akusmatische Musik.

Etymologie

Iannis Xenakis im Jahr 1970

Der Terminus Elektroakustische Musik entstand in den 1950er Jahren für eine über Lautsprecher wiedergegebene Musik im Gegensatz zur Instrumental- oder Vokalmusik. Iannis Xenakis bezeichnete im Kontext seiner Tonbandkompositionen die Musik zunächst als musique electro-magnetique und präferierte damit auf das spezifische Trägermedium des Tonbands.[1]

Pierre Henry im Jahr 2008

Pierre Henry stellte 1956 den Begriff musique electro-acoustique zur Diskussion, um die Rolle der elektronischen Klangtransformation und apparativen musikalischen Verarbeitung zu akzentuieren.[2] Dieser Begriff wurde zu Beginn der 1960er Jahre von Antoine Golea und Olivier Messiaen erneut aufgegriffen und konstatiert. Aufgrund der gemeinsamen Grundlage – Verwendung elektronischer Apparaturen und das Festhalten auf einem Tonband – vereinte der Begriff zunächst die elektronische Musik und die Musique concrète.[2] Seit den 1970er Jahren ist es mit Blick auf die Live-Elektronik jedoch umstritten, ob Musik jeglicher elektronischer Klangtransformation ebenso elektroakustische Musik ist. Einerseits ist es eine Musik, die sich der Verfahren der elektronischen Klangproduktion bedient, und andererseits ist es nicht mehr Musik, die in einem Studio zusammengestellt und komponiert wird und schließlich zu einem Tonband führt, auf dem das Werk festgehalten wird. 1974 wurde als weitere Kategorie der elektroakustischen Musik die Idee der Akusmatik eingebracht.[3]

Geschichte

Karlheinz Stockhausen im Jahr 1980

Die Entstehungsmomente der elektroakustischen Musik lassen sich auf die Pariser Anfänge der Musique concrète 1948 mit Pierre Schaeffer, dem bald darauf Pierre Henry sich 1949 anschloss, und auf die Kölner Etablierung der Elektronischen Musik zwischen 1951 und 1953 mit Herbert Eimert und Werner Meyer-Eppler sowie den ersten Studiomitarbeitern Karlheinz Stockhausen und Gottfried Michael Koenig zurückführen. Ebenso die mittlerweile kaum noch rezipierte New Yorker music for tape fand ihrerzeit durchaus Publizität.[4] 1974 präsentierte François Bayle erstmals ein elaboriertes Plädoyer für den Begriff der Akusmatik mit den konstitutiven Bestimmungsmerkmalen einer Überschreitung der klanglichen Indizes und instrumentalen Ursachen zu Gunsten eines aktiven, an Wirkung und Sinn der Musik interessierten Hörens. Neben Bayle als Wegbereiter der Akusmatik in Frankreich kann Francis Dhomont als Hauptverantwortlicher für die akusmatische Musik in Kanada angesehen werden.[4] Als weitere Entwicklungen innerhalb der elektroakustischen Musik werden die Algorithmische Komposition und die Computermusik angesehen.

Die Transkription dieser Musik ist im musikwissenschaftlichen Diskurs nach wie vor nicht eindeutig definiert.[5] Einen umfassenden Versuch der Notation der elektroakustischen Musik stellt die 2013 veröffentlichte Abhandlung Extended notation von Christian Dimpker dar.[6]

Weltweit gibt es Verbände zur Förderung und Organisation dieses Genres, wie beispielsweise in Deutschland die Deutsche Gesellschaft für Elektroakustische Musik. Die Internationale Dokumentation Elektroakustischer Musik enthält umfassende Informationen zu Werken, Autoren, Medien, Labels und Studios.

Rezeption

Einige Komponisten und Musiktheoretiker wie André Ruschkowski verwenden den Begriff weiter und sehen darin auch eine Erweiterung der klassischen Definition von elektronischer Musik, insbesondere einen „Hinweis auf die gleichberechtigte Verwendung ‚elektronischen’ und ‚akustischen’ Materials als Kompositionsgrundlage.“ Die These, dass man akustisch hochwertige Musik und damit verbunden auch die Wiedereinführung von akustischen Instrumenten betonen wollte, ist angesichts der seit etwa den 1970er Jahren vorherrschenden Aufführungspraxis, in der die mechanischen Musikinstrumente gegenüber der Live-Elektronik und gegenüber vorher bereitetem und aufgezeichnetem Klangmaterial dominieren, nicht von der Hand zu weisen. Es gibt auch die These, dass mit dem Namenswechsel eine Richtungsänderung weg von der sehr radikalen Ausrichtung der frühen elektronischen Musik verdeutlicht werden sollte. Dabei war besonders das Fehlen des Interpreten in dieser Musik eine große Hürde für die Anerkennung als Musik überhaupt, was die Wiedereinführung der althergebrachten Instrumentalisten stark motivierte.

Die Tendenzen einer elektroakustischen Musik werden von einigen als reaktionär kritisiert, weil bereits vollzogene Entwicklungsschritte negiert würden, aber nichts Weiterführendes dafür eingetauscht werde. Entsprechend wird behauptet, dass die resultierenden Ausdrucksformen wesentlich mit denen der neuen Instrumental- oder Vokalmusik identisch seien oder sogar auf Früheres zurückfallen. Befürworter wenden ein, dass insbesondere im Bereich der Improvisationsmusik durch die verstärkte Einbeziehung elektronischer Instrumente und von Sampling neue musikalische Verknüpfungen und Musizierweisen entstanden seien, die über die bisherige Kompositions- und Interpretationspraxis hinauswiesen.

Von der Wortbedeutung her ist der Begriff sehr problematisch. Jede Musik ist notwendig akustisch. Fast alle Musik – und gerade die Unterhaltungsmusik, von der man sich unterscheiden will – wird heutzutage mit elektronischen und elektroakustischen Verfahren hervorgebracht.

Bekannte Komponisten

Literatur

  • Christoph von Blumröder: Musique concrète – Elektronische Musik – Akusmatik. Konzeptionen der elektroakustischen Musik. In: Tobias Hünermann, Christoph von Blumröder (Hrsg.): Topographien der Kompositionsgeschichte seit 1950 = Signale aus Köln. Beiträge zur Musik der Zeit, Band 16. Verlag Der Apfel, Wien 2011.
  • ders.: Die elektroakustische Musik. Eine kompositorische Revolution und ihre Folgen = Signale aus Köln. Beiträge zur Musik der Zeit, Band 22. Verlag Der Apfel, Wien 2017, ISBN 978-3-85450-422-1.
  • Thomas Dézsy, Stefan Jena, Dieter Torkewitz (Hrsg.): Zwischen Experiment und Kommerz. Zur Ästhetik elektronischer Musik. Mille Tre, Wien 2007, ISBN 978-3-900198-14-5.
  • Marcus Erbe: Klänge schreiben: Die Transkriptionsproblematik elektroakustischer Musik = Signale aus Köln. Beiträge zur Musik der Zeit, Band 15. Verlag Der Apfel, Wien 2009.
  • Max Gaertner: ELEKTROAKUSTISCH. Zur performativen Verbindung von Perkussion und (Live-)Elektronik. Are Verlag, Bochum 2021, ISBN 978-3-924522-84-1.
  • Hans Ulrich Humpert, Herbert Eimert: Lexikon der elektronischen Musik. Bosse, Regensburg 1973, ISBN 3-7649-2083-1.
  • Werner Jauk: Elektroakustische und elektronische Musik. In: Oesterreichisches Musiklexikon. Online-Ausgabe, Wien 2002 ff., ISBN 3-7001-3077-5; Druckausgabe: Band 1, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2002, ISBN 3-7001-3043-0.
  • André Ruschkowski: Elektronische Klänge und musikalische Entdeckungen. Reclam, Ditzingen 1998, ISBN 978-3-15-009663-5.
  • Bruno Spoerri (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit dem ICST (Institute for Computer Music and Sound Technology Zürich): Musik aus dem Nichts. Die Geschichte der elektroakustischen Musik in der Schweiz. Chronos Verlag, Zürich, ISBN 978-3-0340-1038-2.
  • Martin Supper: Elektroakustische Musik & Computermusik. Wolke Verlag, Hofheim 1997, ISBN 978-3-923997-77-0.
  • Elena Ungeheuer (Hrsg.): Elektroakustische Musik. Handbuch der Musik im 20. Jahrhundert 5. Laaber-Verlag, Laaber 2002, ISBN 978-3-89007-425-2.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Christoph von Blumröder: Musique concrète – Elektronische Musik – Akusmatik. Konzeptionen der elektroakustischen Musik. In: Tobias Hünermann, Christoph von Blumröder (Hrsg.): Topographien der Kompositionsgeschichte seit 1950 = Signale aus Köln. Beiträge zur Musik der Zeit, Band 16. Verlag Der Apfel, Wien 2011, S. 198ff.
  2. a b Christoph von Blumröder, S. 199
  3. François Bayle: Die akusmatische Musik oder die Kunst der projizierten Klänge. In: Komposition und Musikwissenschaft im Dialog IV (2000–2003). François Bayle. Klangbilder. Technik meines Hörens. Zweisprachige Edition Französisch und Deutsch. = Imke Misch, Christoph von Blumröder (Hrsg.): Signale aus Köln. Beiträge zur Musik der Zeit, Band 8. Zweite, korrigierte und erweiterte Auflage. LIT Verlag, Berlin 2007, S. 153.
  4. a b Christoph von Blumröder, S. 196
  5. Marcus Erbe: Klänge schreiben: Die Transkriptionsproblematik elektroakustischer Musik = Signale aus Köln. Beiträge zur Musik der Zeit, Band 15. Verlag Der Apfel, Wien 2009.
  6. Christian Dimpker: Extended notation. The depiction of the unconventional. LIT Verlag, Wien / Zürich / Berlin / Münster 2013, ISBN 978-3-643-90302-0, S. 210–326.