Joachim Krase

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist die aktuelle Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 21. August 2022 um 00:02 Uhr durch imported>Charkow(3624104) (→‎Kindheit, Wehrmacht, frühe Nachkriegszeit).
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Joachim Krase (* 1925 in Neubrandenburg; † 24. Juli 1988 in Rheinbach) war ein deutscher Offizier in Wehrmacht und Bundeswehr, zuletzt im Dienstgrad eines Obersts, Angehöriger des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) und zugleich inoffizieller Mitarbeiter (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR.

Leben

Beförderungen

Kindheit, Wehrmacht, frühe Nachkriegszeit

Joachim Krase wurde als Sohn eines technischen Betriebsleiters geboren. Er besuchte die Volks- und Mittelschule, die er im Frühjahr 1943 abschloss. Ende 1942 hatte er die Aufnahmeprüfung für die Offizierslaufbahn bestanden. Für sechs Monate wurde Krase zunächst zum Reichsarbeitsdienst (RAD) eingezogen, ins heimatnahe RAD-Lager in Neddemin in Mecklenburg. Dort, am „Führergeburtstag“ 20. April 1943, trat er in die NSDAP, mit oder ohne sein Wissen ist unklar. Danach wurde Krase zur Panzeraufklärungs-Abteilung 3 in Bad Freienwalde eingezogen. Er wurde zum Panzeraufklärer ausgebildet und war in den letzten Kriegsjahren meist an Schulen wie die Panzertruppenschule II in Krampnitz bei Potsdam kommandiert. Erste Fronterfahrung sammelte Krase in Italien als Fahnenjunker-Unteroffizier in der Panzeraufklärungsabteilung 190, wo er auch verwundet wurde. Zum Kriegsende war er als Leutnant und im Alter von 19 Jahren Kompanieführer einer gemischten Schützenkompanie in der Panzerkampfgruppe Krampnitz in Mecklenburg. Es folgten vier Monate britische Kriegsgefangenschaft.[1]

Nach dem Krieg lernte Krase den Beruf des Maurers. Die Gesellenprüfung bestand er im September 1947. Danach volontierte er in einem Architekturbüro und in einem kaufmännischen Büro. 1954 eröffnete er eine eigene Kohlen- und Baustoffhandlung in Glinde bei Hamburg. 1956 bewarb er sich jedoch bei der neu aufgestellten Bundeswehr und wurde im Herbst 1956 als Oberleutnant beim am 16. Juli 1956 aufgestellten Panzeraufklärungslehrbataillon 3 in Lingen (Ems) eingestellt, welches heute in Lüneburg stationiert ist. Kurz darauf wurde er nach Bremen zum Panzeraufklärungslehrbataillon Bremen-Grohn versetzt, aus dem das Panzeraufklärungsbataillon 7 hervorging.[1]

Dienst im MAD

Bereits im April 1957 wurde Krase aus unbekannten Gründen zur MAD-Gruppe im Wehrbereich I nach Kiel versetzt. Im zehnten Dienstjahr wurde er 1965 nach bestandenen Stabsoffizierlehrgang zum Major ernannt und knapp fünf Jahre später, Oberstleutnant. Er wechselte zur damaligen Zentrale des MAD, dem Amt für Sicherheit der Bundeswehr (ASBw), wurde aber im April 1973 aus Fürsorgegründen wieder nach Kiel versetzt, weil seine erste Ehefrau schwer erkrankt war. 1974 wurde Krase Leiter der MAD-Stelle 11 in Hamburg und im Oktober 1975 zum Oberst ernannt und die Versetzung zur MAD-Gruppe S in Bonn als deren Leiter. Im Herbst 1977 wechselte Krase erneut ins ASBw, diesmal als Abteilungsleiter Spionageabwehr. Eineinhalb Jahre später wurde er Chef des Stabes und stellvertretender Amtschef des ASBw. Dieser Dienstposten war für Offiziere im Generalstabsdienst vorgesehen und wurde mit Krase besetzt, obwohl Krase den Lehrgang für den Generalstabsdienst nicht besucht hatte.[1]

Im Zuge der Kießling-Affäre tauschte der neue Leiter des MAD, Hubertus Senff, ohne Rücksicht auf individuelles Fehlverhalten zahlreiche Führungspersonen aus. Krase wurde auf einen Dienstposten „zur besonderen Verwendung“ ins „Stabs- und Versorgungsbataillon BMVg“ versetzt und sollte, auf Wunsch von Staatssekretär Günter Ermisch, für die MAD-Neuorganisation beratend tätig sein. Im März 1985 wurde Krase, mit Erreichen der besonderen Altersgrenze, in den Ruhestand versetzt. Aufgrund einer schweren Krebserkrankung verstarb er 1988.[1]

Spionagetätigkeit

In der Neujahrsnacht 1969 hat Krase auf der Lübecker Halbinsel Priwall einen Posten der Grenztruppen der DDR angesprochen und um ein Gespräch mit einem Abwehroffizier gebeten. Er bot sich als Doppelagent selbst an. Zu dieser Zeit war Krase Major und stellvertretender Dezernatsleiter in der MAD-Gruppe I in Kiel. Als IM „Günter Fiedler“ wurde er überwiegend von Wolfgang Lohse geführt.[2] Nachweislich bereits am 17. Januar 1969 übergab er Informationen zu Doppelagenten, die unter anderem zur Verhaftung von zwei Quellen des Landesamtes für Verfassungsschutz Schleswig-Holstein (LfV SH) führten. 1978 äußerte die 66th U.S. Army Intelligence Group einen Verdacht gegen Krase, der aber nicht belegt werden konnte und zu keinen weiteren Ermittlungen führte.[1]

Krases Führungsoffizier Lohse versuchte nach dessen Tod, Krases Sohn anzuwerben. Dieser vertraute sich jedoch dem damaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Gerhard Boeden, einem Freund der Familie Krase, an. Im November 1988 leitete der MAD daraufhin Untersuchungen ein. Im Jahr 1990 erhärtete sich der Verdacht durch Aussagen von Überläufern und ehemaligen Führungsoffizieren. Am 19. Oktober 1990 veröffentlichte das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) eine Pressemitteilung,[1] die die deutschen Medien aufgriffen.[3]

Als Motive für seine Tat werden Geldbedarf im Zuge seiner Spielsucht, aber auch berufliche Frustration genannt, weil er nicht zum Offizier im Generalstabsdienst ausgebildet wurde, was er als erheblichen Karriereknick empfand.[1]

Krase stand auch im Verdacht, maßgeblich an der Kießling-Affäre beteiligt gewesen zu sein.[4] Einige Publikationen sahen das als erwiesen an.[5] Helmut R. Hammerich bewertet dies jedoch als unwahrscheinlich: Das MfS hätte dafür seine Spitzenquelle nicht gefährdet.[1]

Nach Einschätzung von Jürgen Reichardt hat Krase der Bundeswehr „immensen Schaden“ zugefügt und zu den erfolgreichsten Agenten des Kalten Kriegs gehört.[2] Es ist davon auszugehen, dass Krase spätestens in seinen Dienststellungen als Abteilungsleiter und stellvertretender Amtschef im MAD größere Spionageerfolge zu verhindern wusste. Gelangen Spionageoperationen, weil Krase nicht informiert war, mussten sich die Verantwortlichen anschließend bei ihm melden und einen seiner gefürchteten Wutausbrüche ertragen.[6]

Auszeichnungen

Literatur

  • Helmut R. Hammerich: „Stets am Feind!“ – Der Militärische Abschirmdienst (MAD) 1956–1990. 1. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, ISBN 978-3-525-36392-8, S. 356–374 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche – Das Teilkapitel ist die erweiterte Fassung des Beitrags in „Spione und Nachrichtenhändler“).
  • Helmut R. Hammerich: Joachim Krase (1925-1988). Ein „unscheinbarer grauer Oberst“: Der MAD-Vize als IM der Stasi. In: Helmut Müller-Enbergs und Armin Wagner (Hrsg.): Spione und Nachrichtenhändler. Geheimdienst-Karrieren in Deutschland 1939-1989. Ch. Links Verlag, Berlin 2016, ISBN 978-3-86153-872-1, S. 269–297.
  • Helmut R. Hammerich: Ein DDR-Spion in der Spitze des MAD: Oberst Joachim Krase. In: Militärgeschichte. Nr. 2, 2016, S. 10–13 (stark gekürzte Fassung des Beitrags in „Spione und Nachrichtenhändler“).
  • Gestorben: Joachim Krase. In: Der Spiegel. Nr. 32, 1988, S. 158 (online).
  • MAD-Spion enttarnt. In: Der Spiegel. Nr. 43, 1990, S. 14 (online).
  • Petra Schäfter, Ivo Thiemrodt: Strafjustiz und DDR-Unrecht: Dokumentation, Band 4, Teil 2. De Gruyter, Berlin 2004, ISBN 3-89949-081-9, S. 631 f.

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h Helmut R. Hammerich: „Stets am Feind!“ – Der Militärische Abschirmdienst (MAD) 1956–1990. 1. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, ISBN 978-3-525-36392-8, S. 356–374 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche – Das Teilkapitel ist die erweiterte Fassung des Beitrags in „Spione und Nachrichtenhändler“).
  2. a b Helmut Müller-Enbergs, Armin Wagner (Hrsg.): Spione und Nachrichtenhändler: Geheimdienst-Karrieren in Deutschland 1939-1989 Verlag Ch. Links Verlag, 2016, ISBN 9783861538721, Seiten 25, 272, 294
  3. Schlimme Schlappe. In: Der Spiegel. Nr. 44, 1990 (online).
  4. Wolfgang Wiedemeyer: Vom Morast in den abgrundtiefen Sumpf. Deutschlandfunk, 3. Januar 2009, abgerufen am 30. September 2017.
  5. Friedrich Kuhn: Kießling-Affäre erschütterte die Republik. 28. August 2009, abgerufen am 22. August 2022.
  6. Helmut R. Hammerich: „Stets am Feind!“ – Der Militärische Abschirmdienst (MAD) 1956–1990. 1. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, ISBN 978-3-525-36392-8, S. 315 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  7. a b Helmut R. Hammerich: „Stets am Feind!“ – Der Militärische Abschirmdienst (MAD) 1956–1990. 1. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, ISBN 978-3-525-36392-8, S. 364 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).