Sinaida Wiktorowna Kobylezkaja

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Sinaida Wiktorowna Kobylezkaja (auch: Zinaida Viktorovna Kobylezkaya; geboren im November 1880 in Resina, Bessarabien; gestorben 1957 in Leningrad) war eine russische Malerin und Porzellankünstlerin. Sie ist eine der bekanntesten Herstellerinnen von sowjetischem Revolutionsporzellan, sogenanntem Agitationsporzellan.

Leben und Wirken

Ausbildung

Kobylezkaja studierte an der Schule für Zeichnen der Gesellschaft zur Förderung der Künste in Sankt Petersburg Keramik und Porzellanmalerei. 1910 beendete sie diese mit einem Diplom.[1] Bis 1912 lernte sie an Porzellan-Manufakturen in Dänemark, Schweden, Frankreich und Deutschland.[2][3]

Karriere

Von 1912 bis 1914 und von 1918 bis 1923 arbeitete Kobylezkaja an der Kaiserlichen Porzellanmanufaktur in Sankt Petersburg. 1924 entwarf sie Dekors für die Porzellanfabrik Wolchow in der Nähe von Nowgorod. Von 1926 bis 1932 kehrte Kobylezkaja wieder an die Lomonossow-Porzellanmanufaktur zurück.[1][2][3] Die Lomonossow-Porzellanmanufaktur wurde in den Jahren 1918 bis 1923 mit ihren beiden Werkstätten für Malerei und Plastik zu einem wichtigen künstlerischen Zentrum für Agitationsporzellan, dem die sowjetische Regierung eine wichtige Rolle bei der kulturellen Umgestaltung des Landes zuwies. Die Künstlerinnen und Künstler – neben Kobylezkaja auch Rudolf Wilde, Sergei Wassiljewitsch Tschechonin, Wassilij Kusnezow, Natalja Jakowlewna Danko, Alexandra Wassiljewna Schtschekotichina-Potozkaja, Marija Lebedewa und Jelena Danko – trugen durch ihre Kunst dazu bei, die Ideen der Russischen Revolution und neue ästhetische Konzeptionen zu verbreiten.[4][5]

Ab 1932 zeichnete Kobylezkaja botanische Illustrationen für die Verlagsabteilung der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Hierbei gestaltete sie unter anderem Publikationen wie Flora der UdSSR und Flora von Tadschikistan.[1][2][3]

Ab 1945 bis zu ihrem Tod im Jahr 1957 arbeitete Kobylezkaja wieder für die Lomonossow-Porzellanmanufaktur.[1][3]

Werk

Agitationsporzellan

Kobyletskaja zählt – neben Künstlerinnen und Künstlern wie Sergei Wassiljewitsch Tschechonin, Alexandra Wassiljewna Schtschekotichina-Potozkaja, Natan Issajewitsch Altman, Wassilij Kusnezo, Natalia Yakovlevna Danko-Alekseenko und Nikolai Michailowitsch Suetin – zu den bekanntesten Herstellerinnen und Herstellern von Agitationsporzellan.[6]

Porzellan als Propagandainstrument

Als die Kaiserliche Porzellanmanufaktur nach der Oktoberrevolution im Jahr 1917 verstaatlicht wurde, hatten die sowjetischen Führer die Idee, die dortige Produktion des Porzellans für propagandistische Zwecke einzusetzen. Insbesondere Tschechonin trug dazu bei, revolutionäre Symbole und Texte in die Porzellanherstellung einzubringen. Unter seiner Leitung wurden viele der charakteristischen Entwürfe entwickelt.[7][8] Die Kompositionen fungierten hierbei als Propagandainstrument. Sie dienten zur Verbreitung der revolutionären Ideen und neuen ästhetischen Konzeptionen des jungen Sowjetrussland, wobei die Künstlerinnen und Künstler ihre eigenen Stile und Techniken einbrachten.[4][9][10][6] Die Kompositionen der Manufaktur wurden jedoch – unter anderem aufgrund von mangelnden Produktionskapazitäten – oft nur in kleinen Serien hergestellt oder blieben Einzelstücke.[7] Sie waren dem Volk meist nur durch Ausstellungen zugänglich.[11]

Stil und Technik

Die Künstlerinnen und Künstler der Lomonossow-Porzellanmanufaktur konnten aus den Beständen der Kaiserlichen Porzellanmanufaktur auf einen Vorrat an unbemaltem, stilistisch neutralem Porzellan zurückgreifen.[9] Neben der neuen Marke der Manufaktur findet sich deshalb auf den Entwürfen oft der alte kaiserliche Stempel, manchmal auch übermalt.[4] Durch die einfachen und glatten Formen ließen sich die Objekte unkompliziert bemalen. Später wurden die Stücke glasiert und gebrannt.[9][12] Häufig umfasste die Bemalung auch Vergoldungen und Gravierarbeiten auf Gold.[11]

Der leuchtend-bunte Dekorationsstil des Agitationsporzellans weist starke Variationen auf. So finden sich eindeutig marxistische, von Symbolen der neuen Republik begleitete Schlagwörter, aber auch Einflüsse des Klassizismus, der Ikonenkunst und der russischen Bauern- und Folkloretradition.[10] Die damals neuen, sowjetischen Symbole (fünfzackiger Stern, Hammer und Sichel), Parolen, politische Losungen, Embleme und damals populäre Aphorismen stehen in direktem Bezug zu den Agitationstexten der Plakate. Auch festliche Themen (wie Jahrestage der Revolution, Straßenfeste und Kongresse), Bezüge zu Themen und Bildern der Vergangenheit und Darstellungen von Anführern und Helden der Revolution schmücken das Porzellan.[4][9][7][11] Die Embleme und Schriftzüge sind meist eingebunden in ein abstrahiertes Formenrepertoire wie dekorative Blumenarrangements, Früchte, Bänder oder figürliche Darstellungen, die als Umrahmung dienen.[4][13]

Kobylezkaja stand Tschechonin sehr nahe. Die enge Zusammenarbeit an der Lomonossow-Porzellanmanufaktur schärfte ihre malerische Pinselführung.[14] Ihre Werke zeichnen sich durch eine malerische Darstellungsweise, einen präzisen Pinselstrich und auffällige, leuchtende Aufglasurfarben in Verbindung mit einem Unterglasurkobalt aus. Letzteres schätze Kobylezkaja für seine Tiefe und Expressivität. Ihr bevorzugtes Motiv waren vielfältige Blumenornamente, aber auch Früchte, Blätter und Gräser, die den Arbeiten eine lyrische Note verleihen und ihnen den ausschließlich politisch-agitativen Charakter nehmen.[15]

Werke in Sammlungen

Kobylezkajas Werke sind insbesondere in Museen der Russischen Föderation vertreten – darunter über 60 im Staatlichen Russischen Museum in Sankt Petersburg und etwa 200 in der Staatlichen Eremitage in Sankt Petersburg. Letztere sind teilweise in der Online-Sammlung des Museums veröffentlicht.[16] Über 300 Objekte sind im elektronischen Katalog des Staatlichen Museumsfonds der Russischen Föderation verfügbar.[17]

Ein Teeservice Kobylezkajas aus den 1920er Jahren, das in großer Stückzahl produziert wurde, befindet sich außerdem in der Sammlung des Berliner Bröhan-Museums. Eine Zuckerdose mit Deckel aus emailliertem Porzellan (von 1920 bis 1925), ein Porzellanteller mit Darstellung der Geschichte der Oktoberrevolution (von 1921) sowie ein Krug mit Deckel aus emailliertem Porzellan (von 1920 bis 1925) bewahrt das Cooper Hewitt Smithsonian Design Museums in New York.[18]

Ausstellungen und Ehrungen

Kobylezkajas Werke wurden zeitlebens in zahlreichen Ausstellungen gezeigt, die während der 1920er und 1930er Jahre in der Sowjetunion stattfanden.[2][19] International stellte Kobylezkaja außerdem in Paris, Lyon, Riga und New York aus.[3] Bei der Weltausstellung für Kunstgewerbe und Industriedesign in Paris 1925 wurde sie mit einem Ehrendiplom ausgezeichnet. Bei der Internationalen Ausstellung der Künste in Industrie und Kunstgewerbe in Monza 1927 erhielt sie eine Goldmedaille.[2][3]

Übersicht Ausstellungen (Auswahl)

  • Ansehen! Kunst und Design von Frauen 1880-1940, Bröhan-Museum, Berlin, 23. Juni bis 4. September 2022
  • The Voice of the Time. Soviet Porcelain: Art and Propaganda, Eremitage, Sankt Petersburg, 23. Dezember 2017 bis 1. April 2018
  • Mit voller Kraft. Russische Avantgarde 1910-1934, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, Februar bis Juni 2001
  • Die große Utopie. Die russische Avantgarde 1915-1932, Solomon R. Guggenheim Museum, New York, September 1992 bis Januar 1993, Stedelijk Museum, Amsterdam, Juni 1992 bis August 1992, Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main, März 1992 bis Mai 1992
  • Das Leben zur Kunst machen. Arbeiten auf Papier von Frauen der russischen Avantgarde – Stoffe, Porzellan aus der jungen Sowjetunion, Helmhaus, Zürich, Juni 1989 bis Juli 1989
  • 100 Years of Russian Art, 1889-1989. From Private Collections in the USSR, Barbican Art Gallery, London, 27. April bis 9. Juli 1989, Museum of Modern Art, Oxford, 30. Juli bis 17. September 1989, City Art Gallery, Southampton, 28. September bis 12. November 1989
  • Weltausstellung, New York, 1939
  • Weltausstellung, Paris, 1937
  • Künstler der RSFSR aus den letzten 15 Jahren, Sankt Petersburg 1932
  • Internationale Ausstellung der Künste in Industrie und Kunstgewerbe, Monza, 1927
  • Weltausstellung für Kunstgewerbe und Industriedesign, Paris, 1925
  • Ausstellung von Waren aus der Staatlichen Porzellanfabrik und von Edelstein- und Glasarbeiten aus der Nationalen Peterhof-Manufaktur, Petrograd 1919

Literatur

  • Tobias Hoffmann, Anna Grosskopf (Hrsg.): Ansehen! Kunst und Design von Frauen 1880-1940, Ausst.-Kat. [Bröhan Museum, Berlin, 23. Juni bis 4. September 2022]. Berlin 2022.
  • Klaus Klemp, Karl Weber (Hrsg.): Fragile. Die Tafel des Zaren und das Porzellan der Revolutionäre. Porzellan als Kunst und Instrument in Diplomatie, Wirtschaft und Gesellschaft. Die russische Tafelkultur des 18. bis 20. Jahrhunderts, Ausst.-Kat. [Museum für Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 12. April bis 31. August 2008, Schloss, Bad Homburg, 12. April bis 31. August 2008]. Regensburg 2008.
  • Wilhelm Hornbostel (Hrsg.): Mit voller Kraft: Russische Avantgarde 1910-1934, Ausst.-Kat. [Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, 23. Februar bis 10. Juni 2001]. Heidelberg 2001.
  • Solomon R. Guggenheim Museum (Hrsg.): The great utopia: the Russian and Soviet avant-garde, 1915-1932, Ausst.-Kat. [Schirn Kunsthalle, Frankfurt, 1. März bis 10. Mai 1992, Stedelijk Museum, Amsterdam, 5. Juni bis 23. August 1992, Solomon R. Guggenheim Museum, New York, 25. September bis 15. Dezember 1992]. New York 1992.
  • Irmela Franzke (Hrsg.): Russisches und sowjetisches Porzellan im Umbruch 1895-1935 aus Leningrader Museen und Schloss Peterhof, dem Museum für Angewandte Kunst Köln und dem Badischen Landesmuseum Karlsruhe: mit einem Überblick über die heutige Produktion der Leningrader Lomonossow-Porzellanmanufaktur, Ausst-Kat. [Badisches Landesmuseum, Karlsruhe, 21. September bis 1. Dezember 1991, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, 24. Januar bis 15. März 1992]. Karlsruhe 1991.
  • Nina Lobanov-Rostovsky: Revolutionskeramik: sowjetisches Porzellan 1917-1927. Basel 1990.
  • Bettina-Martine Wolter (Hrsg.): Die große Utopie: die russische Avantgarde 1915-1932, Ausst.-Kat. [Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main, 1. März bis 10. Mai 1992]. Frankfurt am Main 1992.
  • David Elliott, Valery Dudakov (Hrsg.): 100 Years of Russian Art: 1889-1989. From Private Collections in the USSR, Ausst-Kat. [Barbican Art Gallery, London, 27. April bis 9. Juli 1989, Museum of Modern Art, Oxford, 30. Juli bis 17. September 1989, City Art Gallery, Southampton, 28. September bis 12. November 1989]. London 1989.
  • Ursula Traffelet (Hrsg.): Das Leben zur Kunst machen: Arbeiten auf Papier von Frauen der russischen Avantgarde. Stoffe und Porzellan aus der jungen Sowjetunion, Ausst.-Kat. Helmhaus, Zürich, 1. Juni bis 2. Juli 1989. Zürich 1989.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d Bettina-Martine Wolter: Die große Utopie: die russische Avantgarde 1915-1932. Frankfurt am Main 1992, S. 747.
  2. a b c d e Nina Lobanov-Rostovsky: Revolutionskeramik: sowjetisches Porzellan 1917-1927. Basel 1990, S. 144.
  3. a b c d e f Klaus Klemp, Karl Weber: Fragile. Die Tafel des Zaren und das Porzellan der Revolutionäre. Porzellan als Kunst und Instrument in Diplomatie, Wirtschaft und Gesellschaft. Die russische Tafelkultur des 18. bis 20. Jahrhunderts. Regensburg 2008, S. 376.
  4. a b c d e Jelena I. lwanowa: Sowjetisches Porzellan und sowjetische Textilien 1917-1930. In: Ursula Traffelet (Hrsg.): Das Leben zur Kunst machen: Arbeiten auf Papier von Frauen der russischen Avantgarde. Stoffe und Porzellan aus der jungen Sowjetunion. Zürich 1989, S. 80–81.
  5. Marianna Alexandrowna Bubtschikowa: Entwurf des neuen Alltagslebens – Sowjetisches Porzellan der 1920er bis Anfang 1930er Jahre. In: Wilhelm Hornbostel (Hrsg.): Mit voller Kraft: Russische Avantgarde 1910-1934. Heidelberg 2001, S. 197.
  6. a b Valery Dudakov: An Introduction to the Exhibition. In: David Elliott, Valery Dudakov (Hrsg.): 100 Years of Russian Art: 1889-1989. From Private Collections in the USSR. London 1989, S. 37.
  7. a b c Jelena Iwanowa: Die Tradition der Avantgarde und Russisches Porzellan. In: Irmela Franzke (Hrsg.): Russisches und sowjetisches Porzellan im Umbruch 1895-1935 aus Leningrader Museen und Schloss Peterhof, dem Museum für Angewandte Kunst Köln und dem Badischen Landesmuseum Karlsruhe: mit einem Überblick über die heutige Produktion der Leningrader Lomonossow-Porzellanmanufaktur. Karlsruhe 1991, S. 21–23.
  8. Nina Lobanov-Rostovsky: Revolutionskeramik: sowjetisches Porzellan 1917-1927. Basel 1990, S. 15.
  9. a b c d Nina Lobanow-Rostowsky: Sowjetisches Porzellan der zwanziger Jahre als Propagandainstrument. In: Bettina-Martine Wolter (Hrsg.): Die große Utopie: die russische Avantgarde 1915-1932. Frankfurt am Main 1992, S. 236–238.
  10. a b Nina Lobanov-Rostovsky: Revolutionskeramik: sowjetisches Porzellan 1917-1927. Basel 1990, S. 11.
  11. a b c Larissa Karagodina: Wir bauen unsere neue Welt! Agitationsporzellan und das Porzellan der Stalinzeit. Hrsg.: Klemp, Weber. 2008, S. 262–263.
  12. Nina Lobanov-Rostovsky: Revolutionskeramik: sowjetisches Porzellan 1917-1927. Basel 1990, S. 18.
  13. Irmela Franzke: Russisches und sowjetisches Porzellan im Umbruch 1895-1935 aus Leningrader Museen und Schloss Peterhof, dem Museum für Angewandte Kunst Köln und dem Badischen Landesmuseum Karlsruhe: mit einem Überblick über die heutige Produktion der Leningrader Lomonossow-Porzellanmanufaktur. Karlsruhe 1991, S. 63.
  14. Jelena I. lwanowa: Sowjetisches Porzellan und sowjetische Textilien 1917-1930. Hrsg.: Traffelet. 1989, S. 84.
  15. Larissa Karagodina: Wir bauen unsere neue Welt! Agitationsporzellan und das Porzellan der Stalinzeit. Hrsg.: Klemp, Weber. 2008, S. 280–282.
  16. Staatliches Eremitage Museum: Collection Online. Staatliches Eremitage Museum, abgerufen am 23. Juni 2022.
  17. Museumsfond der Russischen Föderation: Staatlicher Katalog des Museumsfonds der Russischen Föderation. Museumsfond der Russischen Föderation, abgerufen am 23. Juni 2022.
  18. Cooper Hewitt Smithsonian Design Museum: Collection: Zinaida Viktorovna Kobyletskaya. Cooper Hewitt Smithsonian Design Museum, abgerufen am 21. Juni 2022.
  19. Valery Dudakov: Artists' Biographies and List of Works. Hrsg.: Elliott, Dudakov. 1989, S. 53.