Eliezer Ben-Jehuda
Eliezer Ben-Jehuda [ɛli'ʕɛzeʁ bɛn jɛhu'da] (hebräisch אֱלִיעֶזֶר בֶּן־יְהוּדָה, gebürtig Eliezer Jitzchak Perlman; * 7. Januar 1858 in Luschki, Russisches Kaiserreich; † 16. Dezember 1922 in Jerusalem) war Journalist und Autor des ersten modernen hebräischen Wörterbuchs. Er gilt als die wichtigste Kraft bei der Vervollständigung und Verbreitung des modernen Ivrit, vor allem als gesprochener Sprache. Damit hat er das Hebräische als Muttersprache wiederbelebt, welches seit etwa dem Jahre 200 n. Chr. fast nur noch als Sakralsprache im Torastudium verwendet worden war.
Leben
Aufwachsen in Europa
Kindheit in Russland
Er wurde als Eliezer Jitzchak Perlman in Luschki (im heutigen Weißrussland), einer kleinen im Gouvernement Wilna gelegenen Stadt (damals Russisches Kaiserreich), in eine arme, jüdisch-orthodoxe Familie geboren. Sein Vater Jehuda Leib starb, als Eliezer fünf Jahre alt war. Seine Mutter Feige Perlman heiratete wieder, die Ehe wurde wenige Jahre später geschieden und Eliezer wurde aus wirtschaftlichen Gründen zu seinem Onkel mütterlicherseits, David Wolfson, gegeben. Nach seiner Bar Mitzwa im Alter von 13 Jahren schickte ihn sein Onkel auf eine Jeschiwa des Rabbiners Joseph Blücker in Polazk, wo er Talmudunterricht erhielt, in der Hoffnung, er würde eine Laufbahn als Rabbiner einschlagen. Ein Rabbiner, bei dem Eliezer Unterricht erhielt, weihte ihn jedoch in die jüdische Aufklärung, die Haskala ein, welche ihn sehr beeindruckte und seinem Leben eine andere Richtung gab. Er wandelte sich zum Freidenker und rasierte seine Schläfenlocken, widmete sich dem kulturellen Leben und begann, weltliche Literatur zu lesen.
Nachdem solche Bücher bei ihm gefunden worden waren, musste er die Jeschiwa verlassen. Dies verärgerte seinen Onkel schwer, der ihn von nun an nicht mehr unterstützte und ihn zum Verlassen des Hauses aufforderte. Der 14-jährige Eliezer wurde nach einer kurzen Zeit des Umherwanderns von einer jüdischen Familie in Glubokoje bei Wizebsk aufgenommen, die seine weltlichen Ansichten teilte. Schlomo Jonas, Vater der Familie und wohlhabender Unternehmer, war beeindruckt von Eliezer und ermutigte ihn in seiner Entwicklung. Debora, die älteste Tochter der Familie, die er später heiratete, gab ihm die folgenden zwei Jahre Sprachunterricht in Französisch, Deutsch und Russisch, was ihm den Weg auf das Gymnasium in Daugavpils (dt. Dünaburg) ebnete. Im selben Jahr, in dem er das Gymnasium abschloss, begann der Russisch-Osmanische Krieg von 1877–78, in dem er viel Enthusiasmus für die Balkanvölker aufbrachte, deren Unabhängigkeit erkämpft werden sollte.
Paris und Hinwendung zum Zionismus
Er begann, die Idee der nationalen Befreiung auf das jüdische Volk auszudehnen: ein eigenes Land, eine eigene Sprache. Dafür stehen exemplarisch folgende Zitate:
„Es war, als ob sich die Himmel plötzlich geöffnet hätten, ein helles, weißglühendes Licht flammte vor meinen Augen auf und eine mächtige innere Stimme dröhnte in meinen Ohren: die Wiedergeburt Israels auf dem Boden seiner Ahnen.“
„Je mehr das nationale Konzept in mir wuchs, desto mehr kam mir zu Bewusstsein, was eine gemeinsame Sprache für eine Nation bedeutet…“
Auf diesem Wege wurde er zum überzeugten Zionisten. 1878 ging er zunächst nach Paris, um an der Sorbonne Medizin zu studieren.
Im dortigen intellektuellen Umfeld und in vielen Gesprächen erwuchs die Idee, Hebräisch nicht mehr darauf zu beschränken, religiöse Themen zu diskutieren, sondern es zu einer Alltagssprache und Muttersprache zu wandeln. Erstmals unter dem Pseudonym Eliezer Ben-Jehuda veröffentlichte er in der von Peretz Smolenskin herausgegebenen, für die Haskala sehr wichtigen hebräischen Zeitschrift Haschachar (dt. Die Morgenröte) einen Essay über seine politischen Vorstellungen. Hauptsächlich rief er darin zur Immigration nach Palästina auf. Ferner setzte er sich dafür ein, dort ein nationales und spirituelles Zentrum für die Juden aufzubauen. Auch erklärte er Hebräisch als gemeinsame Sprache zur Grundvoraussetzung für eine nationale Einheit des Judentums. In Paris traf er unter anderem auf einen jüdischen Journalisten, der ihm davon berichtete, dass er auf seinen Reisen durch Afrika und Asien mit den dortigen Juden Hebräisch gesprochen habe, die Sprache also keineswegs eine tote Sprache sei, was Ben-Jehuda in seinen Bemühungen motivierte.
Im Winter 1878 erkrankte Ben-Jehuda an Tuberkulose und musste deshalb sein Studium abbrechen. Das wärmere Klima suchend reiste er nach Algier. Während eines Aufenthaltes in einer Heilanstalt[2] traf er auf den Jerusalemer Gelehrten Abraham Moses Luncz, der mit ihm sephardisches Hebräisch sprach. Von ihm erfuhr Ben-Jehuda, dass die Mitglieder der verschiedenen jüdischen Jerusalemer Gemeinden mit ihren unterschiedlichen Muttersprachen lediglich auf Hebräisch miteinander kommunizieren konnten, was ihn in seinem Vorhaben nochmals bestärkte.
Zurück in Paris schrieb er weiterhin politische Artikel und besuchte ein Seminar der Alliance Israélite Universelle, wo er zum Ausbilder für eine Landwirtschaftsschule geschult wurde. Auch traf er dort auf den Dozenten Joseph Halévy, einen frühen Befürworter des Prägens neuer hebräischer Wörter für Begriffe, die in den religiösen Schriften nicht vorkommen.
Er wurde zum starken Verfechter des Aufbaus und der Besiedlung Palästinas und entschied sich, dort zu leben. Er benachrichtigte seinen ehemaligen Gastvater Schlomo Jonas von seinem Vorhaben, welcher ihm daraufhin anbot, seine Tochter Debora zu heiraten. Ben-Jehuda willigte unter der Voraussetzung ein, deren kommende Kinder lediglich auf hebräisch zu erziehen. Sie trafen sich daraufhin auf dem Weg nach Palästina in Wien und heirateten, bevor sie 1881 per Schiff in Jaffa landeten.
Jerusalem – Palästina
Angekommen in Jerusalem, übernahmen sie den Kleidungsstil und die Bräuche der dortigen religiösen Juden in der Hoffnung, ihren Einfluss auf die dortige Bevölkerung zu vergrößern und das Hebräische wiederzubeleben. Ben-Jehuda ging von nun an zur Synagoge, Debora bedeckte ihr Haar. Auch wenn der größte Teil der jüdischen Bevölkerung Jerusalems Hebräisch konnte, fand die Kommunikation meist in der jeweiligen Muttersprache statt. Lediglich in den sephardischen Gemeinschaften gab es die Tradition Hebräisch zu sprechen, wenngleich mit sehr begrenztem Wortschatz.
Ben-Jehuda nahm eine Lehrstelle in der Alliance Israélite Universelle an, der ersten Schule, in der einige Fächer auf das beharrliche Drängen Ben-Jehudas hin auf Hebräisch unterrichtet wurden. Auch begann er, für die wöchentlich erscheinende, hebräische Literaturzeitschrift Ḥabatseleth (dt. Die Lilie) als Redaktionsassistent zu schreiben. In der zweiten Ausgabe von 1882 beschwert er sich, dass die Alliance Israélite Universelle russisch-jüdische Emigranten ermuntere und ihnen noch dabei Hilfe leiste, in die Vereinigten Staaten von Amerika zu emigrieren, welche er als die „endgültige Begräbnisstätte des Judaismus“ betitelte.
Der erste Sohn Deboras und Ben-Jehudas, Ben-Zion (später änderte er seinen Namen in Itamar Ben-Avi), wurde 1882 geboren und war wahrscheinlich zugleich das erste Kind seit sehr langer Zeit, dessen einzige Muttersprache Hebräisch war.[3]
Ben-Jehuda begann seine Forschung an der hebräischen Sprache und der Kreation neuer Wörter, um eine alltägliche Kommunikation zu ermöglichen. Ab 1884 gab er die hebräische Zeitung HaTzewi (dt. Der Hirsch) heraus, die 30 Jahre später, zu Beginn des Ersten Weltkrieges, aufgrund der offenen Forderung nach einem jüdischen Staat vom Osmanischen Reich verboten werden sollte. In seiner Zeitung verwendete er die von ihm neu eingeführten Wörter, die durch Adoption ihren Weg in andere Publikationen und so in den sich entwickelnden Sprachgebrauch fanden. Viele europäisch-zionistische Einwanderer, die hauptsächlich außerhalb Jerusalems siedelten, wurden von Jehuda inspiriert, Hebräisch zu sprechen.
Zu einem Bruch mit den orthodoxen Einwohnern Jerusalems kam es beim herannahenden Sabbatjahr, in dem es nach biblischem Brauch verboten ist, die Felder zu bearbeiten oder etwas von Juden zu kaufen, die diesem Gebot nicht nachkommen. In Anbetracht der Schwierigkeiten, in denen die Landwirtschaft ohnehin steckte, zeigte sich Jehuda in seiner Ablehnung sehr stur gegenüber den Rabbinern und verspielte damit seinen Ruf in der Jerusalemer Öffentlichkeit. Er und seine Zeitung wurden von der religiösen Gemeinschaft geächtet. Die Familie Ben-Jehuda sah sich daraufhin nicht mehr in der Pflicht, die religiöse Kleiderordnung einzuhalten, und es kam zum Bruch mit allen bisherigen religiösen Freunden.
Im Jahre 1890 gründete Ben-Jehuda als deren Vorsitzender den Vorläufer der noch heute existierenden Akademie für die Hebräische Sprache, den „Wa’ad HaLaschon“. Er arbeitete dort in späteren Jahren bis zu 18 Stunden täglich, um sein „Vollständiges Wörterbuch des alten und modernen Hebräisch“ zu vollenden.
Im Jahre 1891 starb Eliezers erste Frau Debora an Tuberkulose. Sie hinterließ ihm sieben Kinder. Sechs Monate später besuchte ihn die 14 Jahre jüngere Paula, die Schwester der verstorbenen Debora. Die beiden heirateten, woraufhin Paula ihren nicht-hebräischen Namen zu Hemda änderte. Durch die Heirat wurden die Antipathien zwischen Ben-Jehuda und der Jerusalemer Gemeinde noch verstärkt. Sie riefen bei ihm eine starke Abneigung gegen die religiösen Führer hervor, die er später der Unterschlagung von Spendengeldern für ihren persönlichen Gebrauch beschuldigte.
Drei Jahre später, im Jahre 1894, veröffentlichte Ben-Jehuda einen Artikel seines Schwiegervaters, in dem die Formulierung „lasst uns unsere Kräfte bündeln und voranschreiten“ zu finden war. Das dem Zionismus abgeneigte Osmanische Reich sah aufgrund einer Fehlinterpretation in diesem Satz einen Aufruf zur Rebellion und ließ Ben-Jehuda inhaftieren.[5] Daraufhin kam er lediglich durch Bestechung und internationale Intervention wieder frei, mit der Auflage, für ein Jahr keine Zeitungen mehr zu verlegen. Er begann nun mit hoher Intensität die Arbeit an einem modernen hebräischen Wörterbuch.
Theodor Herzl, der als Präsident des Zionistischen Weltkongresses 1903 in Basel für das Britische Uganda-Programm warb, fand in Ben-Jehuda einen Anhänger dieser Idee, was Ben-Jehuda und seiner Zeitung viel Missgunst der jüdischen Einwanderer in Palästina einbrachte. Nachdem Herzl 1904 verstorben war, entschied der Kongress schließlich 1905, das britische Angebot abzulehnen. Ben-Jehuda wandte sich wieder seinem Wörterbuch zu, unter großer Mithilfe seiner Frau.
Für seine Forschungen arbeitete er in Nationalbibliotheken und Museen in verschiedenen europäischen Hauptstädten. Ab 1910 erschienen schließlich die ersten sechs Bände des Wörterbuches in der „Langenscheidtschen Verlagsbuchhandlung“ in Berlin. Die Zeit während des Ersten Weltkrieges verbrachte Ben-Jehuda mit seiner Familie in den Vereinigten Staaten (1915 bis 1919). Auch dort arbeitete er an seinem Wörterbuch. Zurückgekehrt nach Jerusalem, gelang es ihm am 29. November 1922, Herbert Samuel, den Hochkommissar des britischen Mandats für Palästina, davon zu überzeugen, Hebräisch neben Arabisch und Englisch zur offiziellen Amtssprache zu erheben.[6]
Eliezer Ben-Jehuda starb im folgenden Monat, am 16. Dezember 1922 in Jerusalem und wurde am Ölberg bestattet.
Nach seinem Tod führten seine Witwe und sein Sohn Ehud die Veröffentlichung des Manuskriptes fort. Die komplette Veröffentlichung aller 17 Bände konnte 1959 abgeschlossen werden. Heute tragen Straßen in zahlreichen Orten Israels seinen Namen.
Ben-Jehuda-Haus in Jerusalem
Das Haus, das Ben Yehuda im südlichen Vorort Talpiot bauen ließ und in dem seine Witwe lebte, wird heute von der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste als Länderzentrale und als internationale Begegnungsstätte (Beit Ben Yehuda) genutzt. Der Ort ist zu einem Treffpunkt zwischen Deutschen und Israelis geworden, da die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste dort eine Jugendherberge eröffnet hat und Hebräischsprachkurse anbietet.
Literatur
- Literatur von und über Eliezer Ben-Jehuda im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Jewish Encyclopedia: Ben Judah, Eliezer (Memento vom 4. November 2012 im Internet Archive) (um 1901, englisch)
- Jack Fellman: Revival of a Classical Tongue: Eliezer Ben Yehuda and the Modern Hebrew Language in „Contributions to the Sociology of Language“ No. 6; Walter De Gruyter, 1973, ISBN 90-279-2495-3
- Robert St. John: Tongue of the Prophets: The Life Story of Eliezer Ben Yehuda. Greenwood Press, 1972, ISBN 0-8371-2631-2 (deutsche Ausgabe: Robert St. John: Die Sprache der Propheten. Lebensgeschichte des Elieser Ben-Jehuda, des Schöpfers der neuhebräischen Sprache. Gerlingen 1985.)
- Englischsprachige Literatur von und über Eliezer Ben-Jehuda
- Malka Drucker: Eliezer Ben Yehuda: Father of Modern Hebrew
Weblinks
- Eliezer Ben Jehuda (1858–1922)
- Eliezer Ben-Yehuda and the Revival of Hebrew (englisch)
- Beit Ben Yehuda Jerusalem
- Eliezer Ben Yehuda and the Resurgence of the Hebrew Language (englisch)
- Vater des modernen Hebräisch (Matthias Bertsch)
Einzelnachweise
- ↑ http://jafi.jewish-life.de/zionismus/people/Eliezer_Ben_Jehuda.html Eliezer Ben Jehuda (1858-1922)
- ↑ entweder noch in Paris oder bereits in Algier (die Angaben in der Literatur sind hierzu nicht eindeutig)
- ↑ Momentous Century; Teil 8: Ittamar Ben Avi, the “Guinea Pig Infant” of Modern Spoken Hebrew, Tells How He Uttered His First Word in Hebrew (1885) S. 51; ISBN 0-8453-4748-9
- ↑ http://www.jnul.huji.ac.il/dl/newspapers/hazevi/html/hazevi-18991218.htm (Memento vom 6. Juli 2015 im Internet Archive)
- ↑ Über den eigentlichen Grund der Gefangennahme gibt es in der Literatur keine Einigkeit. Manche sind der Meinung, sie sei auf Mitglieder der ultraorthodoxen Gemeinde zurückzuführen, die den osmanischen Behörden gezielt die Falschübersetzung „Sammeln wir eine Armee und marschieren wir ostwärts“ vorlegten.
- ↑ Eliezer Ben-Yehuda and the Revival of Hebrew (1858-1922). Abgerufen am 9. Januar 2022.
Personendaten | |
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NAME | Ben-Jehuda, Eliezer |
ALTERNATIVNAMEN | Jitzchak Perlman, Eliezer |
KURZBESCHREIBUNG | jüdischer Journalist und Autor, Erneurer der Hebräischen Sprache |
GEBURTSDATUM | 7. Januar 1858 |
GEBURTSORT | Luschki, Russisches Kaiserreich |
STERBEDATUM | 16. Dezember 1922 |
STERBEORT | Jerusalem |