Pflichtlager
Pflichtlager sind in der Schweiz ein rechtlich geregeltes System der wirtschaftlichen Landesversorgung zur Haltung von Notvorräten, um die Versorgungssicherheit in Krisen wahren zu können.
Im Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL), Teil des Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) ist die Sektion Pflichtlager die verantwortliche Behörde.
Geschichte
Durch die Kontinentalsperre von 1806 wurden die eidgenössischen Behörden erstmals mit Versorgungsengpässen bei Baumwolle und Kolonialwaren konfrontiert. Das System der Schweizer Pflichtlager wurde wegen der Nahrungsmittelknappheit nach dem Ersten Weltkrieg begründet. Der Bund errichtete Ende der 1920er Jahre als Reaktion erstmals einen Vorrat an Brotgetreide. Die Pflichtlagerpolitik war während längerer Zeit auf Kriegsereignisse ausgerichtet.
Seit den 1980er Jahren und dem Mauerfall stehen Naturkatastrophen, Bioterror, Epidemien, Streiks oder technische und wirtschaftliche Schwierigkeiten im Vordergrund der Planungen und der darauf beruhenden Bedarfsabschätzungen. Die Hochwasser im Jahr 1999 führten zur Sperrung der Rheinschifffahrt und zeigten, wie schnell sich die Versorgung mit Mineralölen verschlechtern kann.
Ab 2004 wurde die Bevorratung von Seife, Waschmittel, Schmieröl, Kakaobohnen und Saatgut aufgegeben und die Bevorratung von Lebensmitteln auf vier Monate gekürzt. Die Kosten der Lagerhaltung halbierten sich damals auf 130 Millionen Franken, etwa 18 Franken je Einwohner, im Jahr.[1] Gelagert werden Produkte, die in der Schweiz nicht oder nicht in genügender Menge vorhanden sind, um bestimmte Krisenszenarien zu überstehen, wie z. B. Versorgungsunterbrechungen.
Die Lager werden in einer vom Staat festgelegten Menge von der Privatwirtschaft vorgehalten. Die Kosten der Vorratshaltung werden über eine Umlage auf die Preise der Güter aufgeschlagen. Zum Pflichtlager gehören insbesondere Lebensmittel, Heilmittel und Erdölprodukte.
Wichtige Zusammenschlüsse der Industrie zur Erfüllung der Pflichten werden in den folgenden Abschnitten erläutert.[2]
Das Parlament will wieder ein Pflichtlager für Ethanol einführen (siehe auch: Schweizer Ethanolimport).[3]
réservesuisse genossenschaft
Die private réservesuisse genossenschaft[4], entstanden 2004 aus dem Zusammenschluss der Treuhandstelle der Schweizerischen Lebensmittelimporteure (TSL) und der Treuhandstelle der Schweizerischen Getreidepflichtlagerhalter (TSG), verwaltet das Pflichtlager für Lebensmittel und Futtermittel.
Vorgehalten werden[5][6] für den durchschnittlichen Bedarf der Schweizer Bevölkerung
- von drei Monaten: Zucker und Kaffee
- von vier Monaten: Reis, Speiseöle/-fette, Brotgetreide, Hartweizen
sowie als Energie- und Proteinträger zur menschlichen Ernährung als auch zu Futterzwecken
- Energieträger (Durchschnittsbedarf für 3 Monate)
- Proteinträger (Durchschnittsbedarf für 2 Monate)
Agricura
Die Genossenschaft Agricura bevorratet Düngemittel.[7][8] Das WBF hat am 20. Dezember 2021 per Verordnung eine Pflichtlagerfreigabe für Düngemittel genehmigt. Die Verordnung trat am 15. Januar 2022 in Kraft.[9] Die heutige Landwirtschaft in der Schweiz ist nahezu zu 100 Prozent auf Düngerimporte angewiesen.[10]
Helvecura
Die ebenfalls als Genossenschaft organisierte Helvecura, die Treuhandstelle der Schweizerischen Heilmittel-Pflichtlagerhalter, bevorratet Medikamente, vor allem Antibiotika und antivirale Mittel.[11]
Aber auch Insulin für 2 Monate wird vorgehalten.[6]
Carbura
Die Carbura wurde 1932 gegründet und ist die Pflichtlagerorganisation der schweizerischen Mineralölwirtschaft.[12]
Diese muss Vorräte vorhalten, die den Bedarf der Schweiz an Autobenzinen, Dieselöl, Heizölen für 4,5 Monate sowie den für Flugpetrol für drei Monate abdecken.[13] Die vorgeschriebenen Mindestreserven können bei besonderen Ereignissen, wie etwa durch einen tiefen Pegelstand des Rheins (z. B. während der Dürre und Hitze in Europa 2018 oder 2022) auch unterschritten werden.[14]
Die Pflichtlager für Mineralölprodukte wurden zuletzt in den Jahren 2005, 2010, 2019 und 2022 freigegeben. Im Jahr 2022 war eine globale Energiekrise der Grund für die Freigabe.[15]
Eines der Tanklager befindet sich in Häggenschwil, das grösste in Mellingen.
Weblinks
- Andreas Bellwald-Roten, Marco Jorio: Wirtschaftliche Landesversorgung. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- Website des Bundesamtes für wirtschaftliche Landesversorgung
- Bericht zur wirtschaftlichen Landesversorgung 2013–2016 (PDF)
- Roland Wermelinger, Wie funktioniert ein Pflichtlager?, srf.ch, 22. Juni 2019
Einzelnachweise
- ↑ Larisse Bieler: Schweizer Pflicht
- ↑ NZZ vom 16. Oktober 2005: Schweizer Pflicht. Im Auftrag des Staates horten Firmen in Schweizer Pflichtlagern Reis und Kaffee, Heizöl und Tamiflu im Wert von über fünf Milliarden Franken. Wenn's brenzlig wird, werden die Lager angezapft.[1]
- ↑ Neu: Ethanol aus Schweizer Zuckerrüben. In: Schweizer Bauer. 22. Februar 2021, abgerufen am 22. Februar 2021.
- ↑ ReserveSuisse
- ↑ Verordnung über die Pflichtlagerhaltung von Nahrungs- und Futtermitteln
- ↑ a b Samuel Jaberg: Wie die Schweiz im Krisenfall überlebt. In: swissinfo.ch. 24. April 2019, abgerufen am 1. April 2020.
- ↑ Meldeportal der Agricura
- ↑ Agricura
- ↑ Mit Pflichtlagerfreigabe soll Versorgungsengpass beim Dünger aufgefangen werden. In: admin.ch. Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung, 20. Dezember 2021, abgerufen am 26. Mai 2022.
- ↑ Versorgung. In: admin.ch. Bundesamt für Landwirtschaft, 1. April 2022, abgerufen am 26. Mai 2022.
- ↑ Helvecura
- ↑ Zweck und Aufgaben der CARBURA. In: carbura.ch. Abgerufen am 2. Januar 2020.
- ↑ Pflichtlagersortiment. In: bwl.admin.ch. 9. September 2016, abgerufen am 27. April 2019.
- ↑ Trockenheit beeinträchtigt Mineralölversorgung der Schweiz. In: wbf.admin.ch. Generalsekretariat WBF, Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung, 22. Juli 2022, abgerufen am 24. Juli 2022.
- ↑ Besitzer von Zweistoffanlagen - Bundesrat empfiehlt Umschaltung auf Öl. In: srf.ch. 23. September 2022, abgerufen am 23. September 2022.