Jürg Nänni

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Jürg Nänni (* 9. Mai 1942 in Herisau, Kanton Appenzell Ausserrhoden; † 28. Januar 2019 in Penestanan, Bali) war ein Schweizer Physiker, Künstler und Lehrer. Er entwickelte als konkreter Künstler Farb-Anagramme und wurde bekannt durch seine Theorie der visuellen Wahrnehmung.

Leben

Jürg Nänni studierte an der ETH Zürich Physik am Lehrstuhl für Mechanik. 1971 promovierte er mit der Dissertation über das Eulersche Knickproblem zum Doktor der technischen Wissenschaften.[1] Darauf war er Assistent am Lehrstuhl für Mechanik von Hans Ziegler.

Nänni war ab 1979 Dozent an der HTL Brugg-Windisch, heute Hochschule für Technik FHNW. Er unterrichtete Studierende der Architektur und des Bauingenieurwesens in Bauphysik und Mathematik. In dieser Zeit entstanden Forschungsarbeiten zum thermischen Verhalten der Gebäude. Bekannt wurden die Ergebnisse der Entwicklung von zwei- und dreidimensionalen Rechenprogrammen zur Simulation thermischer Verluste von Gebäuden.[2]

Nänni entwickelte ab 1980 allein, ab 1999 als Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit den Dozenten Hans Knuchel,[3] Peter Bosshard und Walter Schmidli im Labor «blelb» für Gestaltung zwischen Kunst und Technik ein eigenständiges gestalterisches Werk der konkreten Kunst.

Schaffen

Nänni baute ab 1980 ein umfangreiches und vielfältiges gestalterisches Werk auf, das sich in Richtung konkrete Kunst entwickelte. Er experimentierte mit mathematischen Simulationen zur Bild- und Farbdefinition. Im Vordergrund stand die systematische Untersuchung der Interaktion der Grundfarben Blau, Gelb und Rot sowie von Schwarz und Weiss. Der Bezold-Effekt erklärt die Veränderung der Wahrnehmung von Farben durch die Nachbarschaft mit anderen Farben. Nänni beschrieb 2008 in seinem Werk über die visuelle Wahrnehmung einige bekannte und neue visuelle Phänomene: Kippbilder und Figur-Grundproblematik, Schein und Sein der Farben, Bildstörungen in repetitiven Strukturen, Winkeltäuschungen, Scheinkanten, Neon-Effekt, Tiefenwahrnehmung, Halbbilder mit Überlagerungen durch halbdurchlässige Spiegel etc.

Ganze Bilderserien, teilweise in Zusammenarbeit mit Hans Knuchel, entstanden zwischen 1990 und 2000, die in den Publikationen Blau.Gelb.Rot. 1991,[4] Seesaw 1994,[5] …aber brich dir ja kein bein… 1997[6] und in verschiedenen Ausstellungen gezeigt wurden. Die Publikation über visuelle Phänomene bei Primärfarben erschien ab 1991 bei Lars Müller und im Niggli-Verlag. Er nutzte eine Reihe von neuen Software Tools für Vektorgraphiken und programmierte komplexe Variationen. Er verwendete auch Zelluläre Automaten, die eine Bildfläche mit nur einem Eingangsbefehl vollständig abdecken. Bei einigen Werken zeigte er in seinen Publikationen die initiale Zellgruppe als didaktische Erläuterung zu ihrer Entstehung, resp. er legte die unterliegende mathematische Regel für das Bild offen.

Als Opus Magnum von Jürg Nänni erschien 2008 das Werk Visuelle Wahrnehmung, wo er neben den physiologischen Voraussetzungen für die Wahrnehmung im Auge und der Bildverarbeitung im Hirn auch eine Reihe von Experimenten zeigte, in denen die Betrachter ihre Erkenntnisse überprüfen können.[7] Er hat auch mit verschiedenen Phänomenen der sog. optischen Täuschung experimentiert.

Ein Schwerpunkt der Periode 1990–2000 waren streng geometrische Werke mit Quadrat und Kreis, die der Konkreten Kunst zugeordnet werden. In späteren Bildzyklen nutzte er auch andere, abgetönte Farben und untersuchte freiere, komplexe Bildgeometrien.

Nänni schuf verschiedene Werke in Kunst am Bau, z. B. Bezirksgebäude Zürich, 1999, Fassade der Firma Ribag in Safenwil 2009,[8] Fassade der Lagerhäuser Schafisheim 2012.[9]

Für die grosse Dauerausstellung im Lichthof des Hallerbaus (Gebäude 1) der Fachhochschule Nordwestschweiz in Brugg-Windisch schuf Nänni 32 grossformatige Bilder mit Themen wie Anagramme, Schuss und Kette (vertikale und horizontale Überschneidung), Neon-Effekt, Pointillismus und Farbgleiter.

Weitere Werke von Jürg Nänni sind dauerhaft in folgenden öffentlichen Bauten zugänglich: Gewerbeschule Brugg, Bezirksgebäude Zürich und in der Psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli in Zürich.

Roman Signer realisierte verschiedene Werke in Zusammenarbeit mit Jürg Nänni. Nänni definierte dabei in verschiedenen Signer-Werken unter anderem die Bewegungsmechanik und die Kraft der Explosionen.

Werke

  • Das Eulersche Knickproblem unter Berücksichtigung der Querkräfte. Verlag Birkhäuser, Basel 1971.
  • mit Conrad U. Brunner: Wärmebrückenkatalog 1: Neubaudetails. Verlag SIA, Dokumentation 99, Zürich 1985.
  • mit Hans Knuchel: Blau. Gelb. Rot. Farb-Anagramme – Blue. Yellow. Red. Color Anagrams. Verlag/Publications Lars Müller, Ennetbaden 1991, ISBN 3-906700-41-0.
  • mit Hans Knuchel: Seesaw. Dieses Buch ist eine Schaukel. Verlag Lars Müller, Baden 1994, ISBN 3-906700-73-9.
  • … aber brich dir ja kein bein … Eigenverlag, Umiken 1997, ISBN 3-85809-109-3.
  • Visuelle Wahrnehmung, eine interaktive Entdeckungsreise durch unser Sehsystem – Visual Perception, an interactive journey of discovery through our visual system. Verlag Niggli, Sulgen/Zürich 2008, ISBN 978-3-7212-0618-0.

Literatur

  • Conrad U. Brunner, Renato Gartner: Jürg Nänni Inventar (JNI). Provisorische Erstauflage, 2022 (unveröffentlicht).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Jürg Nänni: Das Eulersche Knickproblem unter Berücksichtigung der Querkräfte. Hrsg.: ETH Dissertation 4550. Birkhäuser, Basel 1971.
  2. Conrad U. Brunner, Jürg Nänni: Wärmebrückenkatalog 1, Neubaudetails. Hrsg.: SIA. SIA Dokumentation, Nr. 99. SIA, Zürich 1985.
  3. Hans Knuchel – Bildingenieur. Museum für Gestaltung, 31. August 2018, abgerufen am 12. September 2022.
  4. Hans Knuchel, Jürg Nänni: Blau. Gelb. Rot. Farb-Anagramme. Lars Müller, Ennetbaden 1991, ISBN 3-906700-41-0.
  5. Hans Knuchel, Jürg Nänni: seesaw. Dieses Buch ist eine Schaukel. This Book is a Seesaw. Lars Müller, Baden 1994, ISBN 3-906700-73-9.
  6. Jürg Nänni: … aber brich dir ja kein bein … Ein Drehbuch. Jürg Nänni, Umiken 1997.
  7. Jürg Nänni: Visuelle Wahrnehmung - Visual Perception. Niggli, Sulgen 2008, ISBN 978-3-7212-0618-0.
  8. Jürg Nänni: Ribag Neubau Bürogebäude Safenwil. Frei Architekten, 2009, abgerufen am 13. Juli 2022.
  9. Jürg Nänni: Lagerhalle Schaffisheim. Frei Architekten, 2012, abgerufen am 13. Juli 2022.