Nasreddin

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Statue von Nasreddin auf dem Esel in einem Vergnügungspark in Ankara.

Hodscha Nasreddin (osmanisch نصر الدين خواجه Nasreddîn Hoca, İA Nasreddīn Ḫoca) ist der Name des prominentesten Protagonisten humoristischer prosaischer Geschichten im gesamten türkisch-islamisch beeinflussten Raum vom Balkan bis zu den Turkvölkern Zentralasiens. Seine historische Existenz ist nicht gesichert; es wird angenommen, dass er im 13./14. Jahrhundert in Akşehir im südwestlichen Anatolien gelebt hat.[1]

Namen

Nasreddin trägt im gesamten Entstehungs- und Verbreitungsgebiet der Anekdoten – sprachlich und kulturell bedingt – verschiedene Namen. Dieselbe Figur, die auf Türkisch Nasreddin Hoca genannt wird, ist auf Azeri als Molla Nəsrəddin, auf Kasachisch als

Қожанасыр

sowie in China auf Uigurisch als نەسىرىدىن ئەپەندى Əpəndi Nəsiridin und auf Chinesisch als

阿凡提

(abgeleitet von Efendi) bekannt. Außerdem ist die Figur in weiten Teilen des persischen Sprachgebietes als Mollah Nasreddin (persisch ملا نصر الدين, DMG

Molā Naṣro'd-Dīn

) bekannt.

Geschichte

Nasreddin-Hoca-Mausoleum (Türbe) in Akşehir

Für das südwestanatolische Akşehir als Ort seines Wirkens spricht ein Mausoleum mit seinem Namen, das sich dort befindet.[1][2][3]

Die ersten Anekdoten über Nasreddin Hoca in türkischsprachigen Quellen befinden sich in der سالتوق نامه Saltuḳ-nāme von Ebülhayri Rumi (gest. 1480) und in لطائف Letāʾif von Lamiî Çelebi (gest. 1531). Lamiî Çelebi gibt Nasreddin Hoca als Zeitgenossen von Şeyyad Hamza (14. Jahrhundert) an. In der populären Tradition hat sich allerdings die Auffassung durchgesetzt, die auf den osmanischen Reisenden Evliya Çelebi zurückgeht. Evliya Çelebi schreibt im 17. Jahrhundert über seine Reise zum vermuteten Grabmal Nasreddin Hocas in Akşehir und gibt dabei eine Anekdote an, in der Nasreddin Hoca mit Timur (gest. 1405) auftritt. Versuche, die Person Nasreddin zu historisieren, gelten allerdings als spekulativ. Auf historischen Stiftungsurkunden (Vakfiye) aus den Jahren 1257 und 1266 gibt es einen Verweis auf eine Person namens نصر الدين خواجه Nasreddīn Ḫoca, die vor den Qādī treten musste. Ob es sich um die gleiche Person handelt, bleibt unklar.[1]

Vor der weiten Verbreitung gedruckter Bücher erfolgte die Überlieferung vor allem mündlich, eine Tradition, die sich unter anderem in der Türkei bis heute erhalten hat. Hier finden regelmäßig Hoca-Nasreddin-Festivals statt, in denen seine Witze inszeniert werden. Die meisten Bücher mit Witzen von Hoca Nasreddin sind in der Türkei erschienen, doch gibt es auch dort nur wenige umfangreiche Sammlungen.[4]

Manchmal spielt Nasreddin in seinen Witzen die Rolle eines schlauen, manchmal die eines dummen Menschen.[5] Bedingt durch die weite geographische Verbreitung und die lange zeitliche Überlieferung wurden Nasreddin immer wieder neue Geschichten zugeschrieben. So konnte es nicht ausbleiben, dass die ihm zugeschriebenen Witze eine bunte Mischung aus Volksweisheit, Schlauheit, aber auch derben oder anzüglichen[6] Inhalten sind. Einige seiner Witze wurden in Derwischkreisen allegorisch gedeutet, wie eine frühe Handschrift zeigt.[7]

Ihm wurden allerlei witzige, humorvolle oder schwankhafte Erzählungen nachträglich zugeschrieben (wie beispielsweise die von Dschuha). In vielen Erzählungen spielt er einfach eine Witzfigur wie Klein Fritzchen, in anderen eine Art Till Eulenspiegel, wobei es durchaus Ähnlichkeiten in den Geschichten zu Eulenspiegel gibt (siehe beispielsweise Der Klang des Geldes, die vergleichbar bei Till Eulenspiegel oder in Grimms Märchen vorkommt). Von Italien bis Indien ist er in allen islamisch und christlich geprägten Regionen bekannt, und ihm werden vielerorts lokale Ereignisse zugeschrieben. Nasraddin oder Nostradin wird von den meisten Völkern der oben erwähnten Regionen für sich beansprucht, aber seine ethnische Zugehörigkeit bleibt weiterhin unbekannt.

Rezeption

Der sowjetische Schriftsteller Leonid Solowjow widmete sich in seinem Werk mehrfach dem Nasreddin-Stoff. Der sowjetische Spielfilm Nasreddin in Buchara entstand 1943 auf Grundlage seines Romans Der Unruhestifter. Im deutschsprachigen Raum wurde die Figur als Hodscha Nassr-Ed-Din Effendi erstmals durch Gregor von Rezzoris 1953 erschienenen Maghrebinischen Geschichten einem größeren Publikum bekannt. Die TV-Trickserie Nasreddin Hoca Zaman Yolcusu entstand in der Türkei.

Literatur

  • Albert Wesselski: Narren, Gaukler und Volkslieblinge. Dritter Band: Der Hodscha Nasreddin I (Türkische Überlieferungen), Scan von und bei archive.org; Vierter Band: Der Hodscha Nasreddin II (Überlieferungen aus Arabien, den Balkanländern und Mittelmeerraum), Scan von und bei archive.org, Alexander Duncker Verlag, Weimar 1911.
  • Gerd Frank (Hrsg.): Der Schelm vom Bosporus. Anekdoten um Nasreddin Hodscha. Edition Orient, 1994, ISBN 3-922825-55-9.
  • Idries Shah: Die fabelhaften Heldentaten des vollendeten Narren und Meisters Mulla Nasruddin.
  • Idries Shah: Die Sufis. Botschaft der Derwische, Weisheit der Magier. (Kapitel 4: Die listigen Streiche des Mulla Nasrudin), Eugen Diederichs Verlag, 1976, ISBN 3-424-00627-0.
  • Ines Balcik: Dreißig und ein Tag. Mit Nasreddin Hodscha durch den Ramadan. Kandil-Verlag, 2002, ISBN 978-3-8311-3760-2.
  • Unser Hodscha Nasreddin. Aus dem Türkischen übersetzt von H. Achmed Schmiede. Illustriert von Mustafa Delioğlu. Publikationen der Türkischen Religionsstiftung. Türkiye Diyanet Vakfı, Ankara u. a. 1990. ISBN 975-389-048-6.
  • Leonid Wassiljewitsch Solowjow: Chodscha Nasr ed-din. Aufbau-Verlag, Berlin 1948. Aus dem Russischen von Ena von Baer, bearbeitet von Elisabeth Kessel
  • Ulrich Marzolph (Hrsg.): Nasreddin Hodscha. 666 wahre Geschichten. 1996.
  • Celal Özcan (Hrsg.): Die besten Geschichten von Nasreddin Hodscha. Nasreddin Hoca’dan En Iyi Fıkralar. Türkisch und deutsch. Erzählt von Celal Özcan, übersetzt von Rita Seuß, illustriert von Ina Seeberg, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2014, ISBN 978-3-423-09521-1.

Weblinks

Commons: Nasreddin – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c Ulrich Marzolph: Naṣr al-Dīn Khodja. In: The Encyclopaedia of Islam. New Edition.
  2. Foto vom Grabmal und der Aufschrift (Memento des Originals vom 18. Januar 2012 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/files.myopera.com
  3. Außenansicht des Mausoleums
  4. http://www.worldcat.org/oclc/61113423 vgl. die Bibliographie von Mustafa Duman
  5. http://www.worldcat.org/search?q=Exploits+Incomparable+Mulla+Nasrudin&=Suche&qt=results_page siehe Vorwort
  6. http://www.worldcat.org/search?q=Erotikle+kar%C4%B1%C5%9F%C4%B1k+Nasrettin+Hoca+fikralari&=Suche&qt=results_page vgl. z. B. Erotikle karışık Nasrettin Hoca fikralari
  7. http://www.worldcat.org/oclc/61113423 vgl. Mustafa Dumans Bibliographie im Teil Handschriften