Aktiv und Passiv im Deutschen
Aktiv (Tätigkeitsform) und Passiv (Leideform) sind die beiden „Handlungsrichtungen“ oder Diathesen in der Grammatik des Deutschen.
Das Aktiv ist eine „Normalform“ des Verbs. In Aktivsätzen, die Handlungen beschreiben, erhält der handelnde Teilnehmer, der das Ereignis verursacht (das sogenannte Agens), als Subjekt eine hervorgehobene Position: Die Katze fraß die Maus. Die Funktion des Passivs ist es dann, die grammatische Darstellung dieser Verbergänzung zu unterdrücken, die im Aktiv die Subjektstelle besetzen würde. Sie kann ganz wegfallen oder aber mit einer Präposition als Angabe eingeführt werden. Der Teilnehmer, der in dem Ereignis eine Veränderung erfährt (Patiens oder Thema genannt) und der in Aktivsätzen Objekt wird, kann dann im Passiv in die Subjektposition aufrücken (Beispiel: „Die Maus wurde (von der Katze) gefressen“). Letzteres gilt jedoch nur für bestimmte Formen von Passivkonstruktionen, nicht für alle Typen.
Der Ausdruck des Passivs erfolgt im Deutschen nicht durch eine Wortform des Verbs (ein Genus Verbi im engeren Sinn), sondern in der Regel durch eine Kombination des Verbs mit Hilfsverben (meist dem Hilfsverb werden). Das Passiv wird im weiteren Sinn aber mit unter die Konjugation des Verbs gerechnet. Das Aktiv hat keine eigenständige Markierung, sondern versteht sich grammatikalisch als Abwesenheit einer Passivmarkierung.
Der folgende Artikel behandelt Erscheinungsformen des Aktivs und des Passivs im Deutschen und die Ableitung der Passivformen aus dem Aktiv. Für eine allgemeine Einordnung des Passivs und sprachvergleichende Erläuterungen siehe den Artikel Diathese (Linguistik). Zur Wahl von Subjekt und Objekt im Aktivsatz siehe unter Semantische Rolle.
Definition des Passivs und Beispiele
Allgemeines zur Definition von Aktiv und Passiv
Das Aktiv hat keine einheitliche inhaltliche Beschreibung, vielmehr handelt es sich beim Aktiv um eine „Normalform“ des Verbs, und daher sind die Typen von Aktivsätzen genauso vielfältig wie es die Verben selbst sind. Verben verlangen Ergänzungen – hier (eindeutiger) auch „Argumente“ genannt — in verschiedener Art und Anzahl, und es ist daher auch keine einfache Aussage über den Bedeutungsgehalt der Funktionen Subjekt bzw. Objekt möglich. Die relative Anordnung der Argumente als Subjekt und Objekt in einem bestimmten Satz folgt aber einer allgemeingültigen Hierarchie von Bedeutungseigenschaften, siehe hierzu den Artikel Semantische Rolle.
Das Passiv bewirkt nun eine Abwandlung der normalen grammatischen Darstellung der Argumente (was in diesem allgemeinen Sinn dann eine Diathese genannt wird). Das Passiv ist daher eine abgeleitete Form, deren Beschreibung an der Beschreibung des jeweiligen Verbs im Aktiv ansetzt. Es gibt unterschiedliche Aspekte, die gemeinhin angeführt werden, um die Kategorie Passiv zu erklären:
- Die Passivform führe zur „Verschweigung des Täters“ (des Agens) einer Handlung, sie wird dann auch als die „täterabgewandte“ Verbform bezeichnet.[1]
- Im Passiv werde das Ereignis vom Patiens her betrachtet[2] (d. h. von dem Teilnehmer her, der eine Einwirkung oder Veränderung erfährt). Dies führt zu der traditionellen Bezeichnung „Leideform“ für das Passiv.
Der zweite Punkt kann jedoch nicht für eine Definition des Passivs benutzt werden, denn nicht jeder Passivsatz enthält ein solches Patiens.[3] Vor allem das unpersönliche Passiv muss gar keinen weiteren Teilnehmer enthalten, ist aber zweifellos auch ein Passiv (siehe den eigenen Abschnitt weiter unten). Umgekehrt ist zu beachten, dass die Typen möglicher Aktivsätze so vielfältig sind, dass es auch Aktivsätze gibt, in denen die Situation „vom Leidenden her gesehen wird“ – doch auch diese Verben können manchmal noch passiviert werden:
(a) Mehrere Mitarbeiter erlitten Gesundheitsschäden. (b) Wenn keine Körperschäden erlitten wurden, ist das Formular „Antrag auf Sachschadenersatz“ zu verwenden.
Anstatt des inhaltlichen Bezugs auf „Täter / Patiens“ ist also eine Definition mithilfe grammatischer Begriffe nötig:[4]
- Definierend für das Passiv ist, dass das jeweils ranghöchste Argument des Verbs, das im Aktiv als Subjekt erscheinen würde, nicht mehr mit der Subjektstelle verbunden wird. Es bleibt im Satz unausgedrückt oder wird nur optional mit einer Präposition eingeführt.
- Als Folge davon kann im Passiv ein anderes Argument an die Subjektposition aufrücken („persönliches Passiv“). Dies gilt (im gewöhnlichen, werden-Passiv) aber nur für ein Akkusativobjekt des Aktivs.
Gemäß dieser Beschreibung bewirkt das Passiv in seiner Reinform also keine Bedeutungsveränderung eines Verbs, sondern nur eine andere grammatische Darstellung seiner Argumente. Das unausgedrückte Argument wird immer noch mitverstanden.
Es trifft jedoch zu, dass einschränkende Bedingungen existieren, die mit semantischen Rollen wie Agens erfasst werden können: Viele Verben, deren Subjekt kein Agens ist, können tatsächlich nicht passiviert werden (mehr dazu siehe unten) – aber, wie gerade gesehen, einige eben doch. Beim Gebrauch des Passivs finden sich auch durchaus Effekte eines Perspektivenwechsels, in Abhängigkeit von Subjektwahl, Wortstellung, Betonung und anderen Eigenschaften, die mit dem eigentlichen Passiv verbunden auftreten. Diese werden hier erst später, im letzten Abschnitt zu den Textfunktionen des Passivs behandelt.
Beispiel: Passiv von transitiven Verben
Ein typisches Beispiel für den oben beschriebenen Mechanismus ist die Ableitung eines Passivsatzes wie Der Rasen wird gemäht. (Man beachte, dass in diesem Beispiel nur das Passiv mit werden betrachtet wird; siehe unten den Abschnitt zum #Passiv mit „bekommen“ für eine weitere Passiv-Variante, die in manchen Einzelheiten anders funktioniert).
Die Ableitung beginnt mit einer Darstellung des Aktivs:
Aktivsatz: Der Vater mäht den Rasen.
- Argumente des Verbs
- mähen (x,y)
- x = Verursacher (Agens) als Subjekt,
- y = veränderter Gegenstand (Thema) als direktes Objekt
Passivierung: Der Rasen wird [vom Vater] gemäht.
- Argumente des passivierten Verbs
- mähen ( [x], y),
- [x = Agens unterdrückt]
- y = Thema als Subjekt.
In der passivierten Form wird das Agens von „mähen“ nicht mehr an die Subjektstelle gesetzt, es ist aus der Wortbedeutung des Verbs jedoch weiterhin erschließbar (und wird daher als implizites Argument bezeichnet, das in der logischen Darstellung als eine Variable x erhalten bleibt).
Das transitive Verb (etwas) erleiden verhält sich genauso wie das Beispiel mähen, auch wenn die Rolle des Subjekts nicht als „Täter“ / Agens beschrieben werden kann; entscheidend ist die Anordnung der beiden Argumente.
Somit bezeichnet die (unmarkierte) Aktivform des Verbs die normale Abbildung von Argumenten auf grammatische Positionen, die Passivform bezeichnet eine Abwandlung dieser Abbildung (eine Diathese), die die syntaktische Valenz des Verbs reduziert.
Unpersönliches Passiv: Passiv von intransitiven Verben
Im Deutschen kann das Passiv auch von Verben gebildet werden, die kein Objekt haben. In diesem Fall entsteht ein sogenanntes unpersönliches Passiv, in dem das Verb ohne jede Ergänzung stehen kann, da das einzige Argument des Verbs vom Passiv unterdrückt wurde:
Aktivsatz: Man darf hier nicht rauchen. Passivierung: Hier darf nicht geraucht werden.
- Argumente des Verbs
- rauchen (x) (intransitive Variante)
- Passivierung
- rauchen ( [x] ) (das einzige Argument ist unterdrückt und muss nicht im Satz erscheinen).
Die unterschiedlichen Formen von Passivsätzen zeigen also weiterhin den Unterschied zwischen transitiven Varianten von „rauchen“ (im ersten Beispiel unten) und intransitiven (im zweiten Beispiel):
- „Es wurden Zigarren geraucht.“
- „Hier darf nicht geraucht werden.“
Zum Verbleib des Subjekts in Sätzen mit unpersönlichem Passiv siehe den Artikel Expletivum unter dem Stichwort „strukturelles Subjekt-Expletiv“.
Abgrenzungen
Passiv und nichtfinite Verbformen
Einige andere Konstruktionen führen ebenfalls dazu, dass das höchste Argument nicht im Satz erscheint, obwohl das Verb es von seiner Bedeutung her weiterhin verlangen würde. Dies ist z. B. im Infinitiv so. Der Unterschied ist jedoch, dass im Passiv weiterhin eine grammatische Subjektposition existiert, die ggf. nur anders besetzt wird. Im Infinitiv fehlt hingegen die grammatische Position für ein Nominativsubjekt gänzlich, und dies allein ist der Grund, warum das entsprechende Argument des Verbs ausbleibt (und auch die Subjektkongruenz des Verbs). Vergleiche:
Der Vater hat den Rasen gemäht. Der RasenNom ist gemäht worden. (Passiv) – den RasenAkk mähen (Infinitiv)
Passiv und Infinitiv sind also völlig unterschiedliche Erscheinungen. Daher können sie auch kombiniert werden:
Das Heu wurde aufgehäuft, ohne abtransportiert zu werden.
Die Infinitivkonstruktion nach ohne beruht auf dem transitiven Verb abtransportieren (x,y). Die obige Verbform hat gar keine sichtbare Ergänzung mehr, da zum einen durch Passivierung das Agens x entfernt wurde (Ergebnis: „y wurde abtransportiert“), und zum anderen das neue Passivsubjekt (y = „das Heu“) wegfällt, wenn das passivierte Verb in den Infinitiv gesetzt wird.
Passiv und Antikausativ
Die Passivierung eines Verbs, bei der ein Argument nur in der grammatischen Darstellung unterdrückt wird, ist zu unterscheiden von Fällen, wo ein Verb auch noch in Bedeutungsvarianten vorkommt, die ein Argument weniger haben. Verben wie zerbrechen, öffnen bilden z. B. zwei Varianten, die einer Passivierung oberflächlich ähneln:
Das Kind zerbrach die Tasse. (Transitives Verb: zerbrechen (x,y)) Die Tasse zerbrach. (Intransitives Verb: zerbrechen (y)) Peter öffnete die Tür. (Transitives Verb: öffnen (x,y)) Die Tür öffnete sich. (Intransitives Verb: sich öffnen (y))
Die intransitiven Varianten zerbrechen und sich öffnen werden auch als Antikausativ bezeichnet. Manche Antikausative tragen eine Markierung, wie etwa im Deutschen das hinzutretende Reflexivpronomen sich. Es handelt sich dennoch in keinem Fall um eine Passivierung, weil die Verben auch nicht bedeutungsgleich sind (wogegen bei einer Passivierung die Verbbedeutung unverändert bleibt). Die intransitiven Varianten zerbrechen und sich öffnen stellen einen Vorgang ganz ohne Verursachung dar, daher ist die semantische Rolle des Agens nicht, wie beim Passiv, grammatisch unterdrückt, aber optional mit einer Präposition zusetzbar, sondern sie ist auch semantisch abwesend und nicht optional zusetzbar. Anders gesagt kann ein Passiv daran erkannt werden, dass ein Verursacher immer noch impliziert ist, auch wenn er im Satz nicht mehr genannt werden muss. Das passivierte Verb ist weiterhin als grundsätzlich transitives Verb erkennbar, nur in einer anderen grammatischen Konstruktion.
Bildung von Aktiv und Passiv im Deutschen: Vorgangspassiv
Passivformen werden in der deutschen Grammatik als „Vorgangspassiv“ bezeichnet, wenn sie in genau derselben Weise wie das aktivische Verb im typischen Fall Vorgänge bezeichnen (neben anderen Möglichkeiten allerdings). Der Begriff „Vorgangspassiv“ steht in Kontrast vor allem zum „Zustandspassiv“, das unten im nächsten Abschnitt behandelt wird.
Passiv mit „werden“
Die häufigste Passivform des Deutschen ist die Bildung mit dem Hilfsverb werden. Im Unterschied zu werden als Hilfsverb des Futurs verbindet sich das passivische werden mit einer Verbform, die als Partizip bezeichnet wird, also mit dem Präfix ge- (soweit kein anderes Präfix am Verb vorliegt) und der Endung -t/-n, z. B. wurde ge-mäh-t, wurde zerbroch-en.
Das Hilfsverb werden selbst steht in der Hierarchie der Hilfsverben dem Vollverb am nächsten:
…dass die Wiese gemäht + werden + soll. …dass die Wiese gemäht + worden + sein + könnte.
Das Passiv-Hilfsverb werden bildet daher auch alle Flexionsformen des deutschen Verbs aus (wiederum anders als das werden zur Markierung des Futurs), d. h. alle Zeitstufen, sowie auch Konjunktiv und alle Infinitivformen.
Das Passivhilfsverb kann so in beliebige andere Hilfsverbkonstruktionen eingebettet werden. Die Perfektform eines werden-Passivs wird dabei immer mit dem Hilfsverb sein gebildet. Die Partizipform, die das Passivhilfsverb selbst im Perfekt annimmt, ist irregulär, da ohne ge-Präfix gebildet.
Tempus | Aktiv | Passiv |
---|---|---|
Präsens | Sie ruft mich. | Ich werde von ihr gerufen. |
Präteritum | Sie rief mich. | Ich wurde von ihr gerufen. |
Perfekt | Sie hat mich gerufen. | Ich bin von ihr gerufen worden. |
Plusquamperfekt | Sie hatte mich gerufen. | Ich war von ihr gerufen worden. |
Futur | Sie wird mich rufen. | Ich werde(Futur) von ihr gerufen werden(Passiv). |
Passiv mit „bekommen“
Ein Passiv kann auch mit den Hilfsverben bekommen und (umgangssprachlicher) kriegen gebildet werden. Diese Variante des Passivs wird als bekommen-Passiv, „Rezipientenpassiv“, „Benefizientenpassiv“ oder „Dativpassiv“ bezeichnet.[5] Genauso wie das Passiv mit werden führt es zur Tilgung des ranghöchsten Arguments, seine Besonderheit ist jedoch, dass das Akkusativobjekt unverändert erhalten bleibt und stattdessen ein Dativobjekt in die Subjektposition aufrückt:
Aktivsatz: Der Lehrer nahm dem Schüler das Handy ab.
- Argumente des Verbs abnehmen (x,y,z)
- • x = Verursacher (Agens) als Subjekt,
- • y = Besitzer od. negativ Betroffener als Dativ-Objekt,
- • z = übertragener Gegenstand (Thema) als Akkusativ-Objekt
Passivierung: Der Schüler bekam das Handy [vom Lehrer] abgenommen.
- Argumente des passivierten Verbs: abnehmen ( [x], y, z),
- • Agens unterdrückt
- • y = Besitzer / negativ Betroffener als Nominativ-Subjekt
- • z wie oben
Gerade in der Kombination bekommt es weggenommen ist sichtbar, dass bekommen hier als Hilfsverb dient und nicht in seiner normalen Bedeutung als Vollverb.
Gebildet wird diese Variante des Passivs von vielen Verben, die sowohl Dativ- als auch Akkusativobjekt haben. Verben, die einen Dativ als einziges Objekt bei sich haben, nehmen in unterschiedlichem Ausmaß an dieser Konstruktion teil (hier gibt es auch schwankende Beurteilungen bei einzelnen Beispielen):
Die Leute applaudierten ihm –– Er bekam applaudiert. Die Leute widersprachen ihm –– ? Er bekam widersprochen. Der Mann glich ihm –– (NICHT) * Er bekam geglichen.
Das bekommen-Passiv erlaubt keine unpersönlichen Konstruktionen; für diese ist immer das Hilfsverb werden zuständig.
Das Zustandspassiv
Neben dem Vorgangspassiv mit werden existiert eine Konstruktion, die als Zustands- oder sein-Passiv bezeichnet wird:[6]
Die Tür wird geöffnet. (Vorgangspassiv) Die Tür ist geöffnet. (Zustandspassiv)
Die Bedeutung des Zustandspassivs ist meistens die eines Resultatszustandes, der vom zugrundeliegenden Verb abgeleitet ist. Im Beispiel Die Tür ist geöffnet wird z. B. der Zustand bezeichnet, der durch das Öffnen herbeigeführt wurde, also wie in Die Tür ist offen, nur dass das Offensein als Folge eines vorherigen Ereignisses präsentiert wird.
In der linguistischen Literatur[7] wird darauf hingewiesen, dass die beiden Konstruktionen nicht parallel sind, sondern dass das Zustandspassiv als eine Konstruktion aufzufassen sei, die das Verb sein in der Funktion der Kopula enthält, und die Partizipform in der Funktion eines prädikativen Adjektivs (wogegen es sich im Vorgangspassiv um eine infinite Verbform handelt). Ein Beleg hierfür ist z. B. das für Adjektive typische Verneinungspräfix un-:
Das Paket ist noch ungeöffnet.
Die Analyse als Konstruktion aus Kopula + Adjektiv zusammen mit der speziell resultativen Bedeutung macht es möglich, dass beim „Zustandspassiv“ keine Passivierung im engeren Sinn vorliegt, sondern der Fall, dass das adjektivische Partizip ein Produkt eines Wortbildungsvorgangs ist, der Bedeutung und Valenz verändert (ähnlich wie es oben beim Antikausativ dargestellt wurde).
Andererseits hat das Zustandspassiv auch einige verbale Eigenschaften. Zum Beispiel kann wie im Passiv manchmal ein Agens eingeführt werden, auch wenn diese Möglichkeit nur eingeschränkt vorliegt:
Der Kuchen ist von Mutter gebacken. Das Projekt war von der DFG gefördert.[8] Allerdings nicht: ??Die Tür ist vom Lehrer geöffnet.[9]
Dies führt dazu, dass manche Autoren das Zustandspassiv doch an die verbale Passivierung anschließen möchten (z. B. Eisenberg 2006).[10]
(Für Einzelheiten siehe den Hauptartikel.)
Verben ohne Passiv
Im Deutschen können neben transitiven Verben auch viele intransitive Verben ein Passiv bilden (nämlich ein unpersönliches Passiv); es gibt jedoch in beiden Gruppen verschiedene Unterklassen, die aus Gründen, die mit ihrer Bedeutung zusammenhängen, keine Passivierung erlauben. (Die genannten Einschränkungen gelten wohlgemerkt nur für das Vorgangspassiv, nicht unbedingt immer für Konstruktionen von der Form des Zustandspassivs).
Bei transitiven Verben
Verben, die einen hohen Grad an Transitivität aufweisen, z. B. eine dynamische Situation beschreiben und ein typisches Agens enthalten, sind meist passivierbar. Unter den transitiven Verben, die nicht passivierbar sind, finden sich u. a. folgende Typen:
- Verben die statische Relationen bezeichnen, z. B. enthalten, haben.
Die Flasche enthält Wasser. (PASSIV NICHT:) * Von der Flasche wird Wasser enthalten. Viele Leute haben Schnupfen. (PASSIV NICHT:) * Von vielen Leuten wird Schnupfen gehabt.
- Verben, deren Nominativsubjekt den Auslöser einer Wahrnehmung und deren Akkusativ- oder Dativobjekt den Wahrnehmenden (Experiencer) bezeichnet, z. B. gefallen, ärgern:
Die Schuhe gefallen mir. (PASSIV NICHT:) * Mir wird von den Schuhen gefallen. Dieser Fehlschlag ärgert mich. (PASSIV NICHT:) * Ich werde von diesem Fehlschlag geärgert.
(Ein Verb wie ärgern ist jedoch passivierbar, wenn das Subjekt eine aktive Person ist, z. B.: Sein großer Bruder ärgert ihn immerzu. -- Er wird von seinem großen Bruder immerzu geärgert.)
- Nicht passivierbar sind ferner reflexive Verben (mit dem Reflexiv als Akkusativobjekt). Ein passiviertes Verb kann somit niemals eine reflexive Interpretation haben. Beispiel: Das Kind wurde gekämmt verweist auf eine andere Person als ungenannten Agens; der Satz ist nicht deutbar als eine Passivierung von Das Kind kämmte sich.
Bei intransitiven Verben
Intransitive Verben, die kein Passiv bilden können, sind neben unsystematischen Einzelfällen die Klasse der „unakkusativischen Verben“, die häufig dadurch auffallen, dass ihr Subjekt eine nicht-agentive semantische Rolle trägt und dass sie das Perfekt mit dem Hilfsverb sein statt haben bilden. (Siehe den verlinkten Artikel für Erläuterungen zum Begriff „Unakkusativität“)
Textfunktionen des Aktivs und Passivs
Aussagen und Befehle
Passivsätze haben auch charakteristische Verwendungen als Aufforderungen, siehe Imperativ (Modus) #Alternativen zum Imperativ in Aufforderungssätzen. Das ungenannte Agens des Passivs entspricht dann der Person, die zu einer Handlung aufgefordert wird (Beispiel: „Jetzt wird aber wieder gearbeitet!“). In aktivischen Aussagesätzen kann ein Befehlscharakter stattdessen durch das Anredepronomen vermittelt werden („Du gehst jetzt bitte wieder an die Arbeit!“).
Informationsgliederung
Passivierung kann ein Mittel sein, um die Informationsgliederung in einem Satz so zu beeinflussen, dass er besser in einen Textzusammenhang passt. Da durch Passivierung ein zugrundeliegendes Objekt in die Subjektposition geholt werden kann, können durch Passivierung die Rollen von Subjekt und Satzgegenstand zur Deckung gebracht werden, wo sie sich ansonsten auf Subjekt und Objekt verteilen würden. In Sprachen wie dem Englischen, das im Vergleich zum Deutschen über eine relativ starre Wortstellung verfügt, erklären sich viele Passivierungen dadurch, dass das zugrundeliegende Objekt so als Subjekt an den Satzanfang gelangt, wo es als Topik bzw. Satzgegenstand dienen kann. Der deutsche Beispielsatz mit vorangestelltem Akkusativobjekt würde daher im Englischen am besten als Passivsatz übersetzt werden:
Deutsch: Diesen Text kann man ohne Brille gar nicht lesen. Englisch: This text can’t be read without glasses.
Da im Deutschen sowohl ein Akkusativ- als auch ein Dativobjekt durch Passivierung zum Subjekt werden kann, lassen sich hierdurch leicht Satzreihen bilden, bei denen Aussagen mit verschiedenen Verben an dasselbe Subjekt angeschlossen werden können:[11]
Eri fuhr zu schnell, –i wurde von der Polizei angehalten und –i bekam den Führerschein entzogen.
Perspektivierung
Wenn eine Handlung aus einer „täterbezogenen“ Perspektive beschrieben werden soll, wird das Aktiv gewählt. Passivsätze dagegen nehmen eine „täterabgewandte“ Perspektive ein; ein handelnder Teilnehmer (Agens) wird dann inhaltlich vorausgesetzt, verschwindet aber aus dem Fokus der Beschreibung und wird allenfalls peripher als präpositionale Angabe angefügt. Wer das Aktiv wählt, betont daher den Urheber einer Handlung; wer das Passiv wählt, betont den Vollzug oder das Thema von Prozessen.[12]
Hans-Werner Eroms sieht in manchen Passivsätzen eine erhöhte Vielfalt der Ausdrucksweisen, wodurch dem Variationsgebot der Stilistik entsprochen werden könne:[13]
„Im Herbst zieht man sich ins Haus zurück. Die Hochstammrosen sind eingepackt und zur Erde hinuntergebogen, und die Veranda ist zugeschlossen. Vor die Fenster werden Decken gehängt, damit es nicht durch die Ritzen zieht. (Walter Kempowski, Aus großer Zeit, S. 222)“[14]
Hier ermöglicht eine Kombination von Zustands- und Vorgangspassiv im Zusammenspiel mit bestimmten Aktivsätzen, die ebenfalls das Subjekt nicht näher beschreiben (man oder unpersönliches es als Subjekt) die Darstellung unterschiedlicher Perspektiven: Zu einer bestimmten Jahreszeit zieht man sich im Allgemeinen ins Haus zurück; bereits abgeschlossene Vorbereitungen im Garten verdeutlicht das Zustandspassiv, während das Vorgangspassiv die im Haus stattfindenden Maßnahmen als noch andauernd hervorhebt.[15]
Stilistische Wirkung
Da das Agens (die handelnde Person) durch Verwendung des Passivs ungenannt bleiben kann, kann eine Aussage dadurch objektiver, neutraler, allgemeingültiger oder bedeutender erscheinen. (Zu allgemeingültigen Passivsätzen siehe auch unter Passiv in generischen Aussagen). Passivsätze waren im Kanzleideutsch und sind nach wie vor in der Behördensprache, aber auch in der Wissenschaftssprache häufig.
In der gesprochenen Umgangssprache überwiegen die Aktivsätze bei weitem. Stilistisch spricht für Aktivsätze die stärkere Lebendigkeit und Präsenz der Aussage und der Umstand, dass die Leser erfahren, wer die handelnden Personen sind. Der Journalist Wilfried Seifert spitzte den Unterschied zwischen Aktiv und Passiv so zu:
- „‹Sie werden in Kenntnis gesetzt›, das ist Papier. ‹Ich aber sage euch›, das ist die Bergpredigt.“[16]
Nach Wolf Schneider ist das Passiv häufig „der Fluchtweg eines Schreibers, der die handelnden Personen nicht in Erfahrung bringen konnte.“[17]
Der Schriftsteller Ralf Isau plädiert ebenfalls fürs Aktiv:
- „Es liegt in der Natur des Menschen, sich von aktiven Worten ansprechen und mitreißen zu lassen. Im geschriebenen Wort beflügelt die Aktivform das Lesen. Sie bringt Schwung in den Text, während das weniger anschauliche Passiv den Leser ausbremst.“[18]
In anderen Sprachen
Literatur
- Elke Diedrichsen: The German ‘bekommen-passive’ and RRG. In: Linguistic theory and practice: description, implementation and processing. Nr. 49, 2004.
- DUDEN. Die Grammatik. 8. Auflage. Dudenverlag, Mannheim 2009, ISBN 978-3-411-04048-3.
- Oddleif Leirbukt: Untersuchungen zum ‚bekommen’-Passiv im heutigen Deutsch. Niemeyer, Tübingen 1997.
- Claudia Maienborn: Das Zustandspassiv. Grammatische Einordnung–Bildungsbeschränkung–Interpretationsspielraum. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik. Nr. 35(1–2), 2007, S. 83–114.
- Karin Pittner, Judith Berman: Deutsche Syntax. Ein Arbeitsbuch. Narr Verlag, Tübingen 2004, Kapitel 5 „Passiv“.
- Irene Rapp: Partizipien und semantische Struktur. Tübingen: Stauffenburg-Verlag. 1997.
- Marga Reis: Mona Lisa kriegt zu viel – Vom sogenannten ‚Rezipientenpassiv’ im Deutschen. In: Linguistische Berichte. Nr. 96, 1985, S. 140–155.
- Paul Valentin: Zur Geschichte des deutschen Passivs. In: C.R.L.G. (Hrsg.): Das Passiv im Deutschen (= Linguistische Arbeiten. Nr. 183). Niemeyer, Tübingen 1987, S. 3–15.
- Heide Wegener: Er bekommt widersprochen. – Argumente für die Existenz eines Dativpassivs im Deutschen. In: Linguistische Berichte. Nr. 96, 1985, S. 127–139.
- Magnus Frisch: Warum „Passiv“, wenn (es) auch „Aktiv“ geht? Sprachvergleichende Reflexionen über das genus verbi im Lateinischen und Deutschen.. In: Der Altsprachliche Unterricht. 52, Nr. 1, 2009, ISSN 0002-6670, S. 22–33.
Weblinks
- Aktiv und Passiv: das Genus Verbi – Canoonet-Online-Grammatik bei LEO.
- Werner Abraham: Überlegungen zum Passiv im Deutschen und anderen Sprachen, „Argumenthypothese“ und „Aspekthypothese.“ Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft, Sprachtypologie und Universalienforschung, Berlin 2000, S. 1–35.
- 4. Strukturelle und funktionale Aspekte des sogenannten Rezipientenpassivs. S. 167–204 In: Peter Schlobinski: Funktionale Grammatik und Sprachbeschreibung. Eine Untersuchung zum gesprochenen Deutsch sowie zum Chinesischen. Habilitationsschrift, Leibniz Universität Hannover (1992)
Einzelnachweise
(Kurzverweise beziehen sich auf die obige Literaturliste)
- ↑ Dudengrammatik 2009, S. 1117.
- ↑ Pittner & Berman (2010), S. 69.
- ↑ So auch Dudengrammatik 2009, S. 544.
- ↑ So wie in Dudengrammatik 2009, S. 544 und Pittner & Berman 2010, S. 69 tatsächlich durchgeführt, wenngleich am Beispiel eines agentiven Verbs.
- ↑ Duden. Die Grammatik. 8. Auflage. Dudenverlag, Mannheim, Wien, Zürich 2009, ISBN 978-3-411-04048-3, S. 550 f.
- ↑ z. B. Duden - Die Grammatik. 8. Auflage. Dudenverlag, Mannheim 2009, S. 552ff.
- ↑ Ausführliche Untersuchung mit Literaturzusammenfassung: Rapp (1997); neuere Untersuchung, die diese Analyse bekräftigt: Maienborn (2007).
- ↑ Duden - Die Grammatik. 8. Auflage. 2009, S. 554.
- ↑ Das Zustandspassiv, Canoonet
- ↑ Peter Eisenberg: Grundriss der deutschen Grammatik. Band 2: Der Satz. 4. Auflage. J.B. Metzler, Stuttgart 2013, S. 126.
- ↑ Beispiel aus Diedrichsen (2004), S. 59.
- ↑ Bernhard Sowinski: Deutsche Stilistik. Frankfurt (Main) 1991, S. 195.
- ↑ Vgl. Hans-Werner Eroms: Stil und Stilistik. Eine Einführung. 2. Auflage. Erich Schmidt, Berlin 2014, S. 179.
- ↑ Zitiert in: Hans-Werner Eroms: Stil und Stilistik. Eine Einführung. 2. Auflage. Erich Schmidt, Berlin 2014, S. 180.
- ↑ Vgl. Hans-Werner Eroms: Stil und Stilistik. Eine Einführung. 2. Auflage. Erich Schmidt, Berlin 2014, S. 180.
- ↑ Zitiert nach Wolf Schneider: Deutsch fürs Leben. Was die Schule zu lehren vergaß. Reinbek 1994, S. 57.
- ↑ Wolf Schneider: Deutsch fürs Leben. Was die Schule zu lehren vergaß. Reinbek 1994, S. 57.
- ↑ Ralf Isau: 6. Stilgebot für guten Text: Meide das Passiv. Phantagon, 15. September 2017, abgerufen am 6. Juli 2022.