Anapsida

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Anapsida

Veraltete systematische Gruppe

Das hier behandelte Taxon ist nicht Teil der in der deutschsprachigen Wikipedia dargestellten Systematik. Näheres hierzu findet sich im Artikeltext.

Systematik
Unterstamm: Wirbeltiere (Vertebrata)
Überklasse: Kiefermäuler (Gnathostomata)
Reihe: Landwirbeltiere (Tetrapoda)
ohne Rang: Amnioten (Amniota)
ohne Rang: Sauropsida
Obsoletes Taxon:
Unterklasse: Anapsida
Im Wesentlichen durch das Konzept der Parareptilia abgelöst, nicht zuletzt auch durch Inklusion der Schildkröten bei den Diapsiden
Wissenschaftlicher Name
Anapsida
Williston, 1917
Schematische Darstellung der heute noch teilweise systematisch bedeutsamen Schädeltypen der Amnioten: A = anapsid, B = synapsid, C = diapsid.

Die Anapsida sind nach traditioneller Auffassung eine Unterklasse der Reptilien, deren Nominalmerkmal der anapside Schädel, das heißt ein Schädel ohne Schädel- bzw. Temporalfenster in der Wangen- bzw. Schläfenregion (Tempora), ist. Nach dem klassischen Anapsida-Konzept gilt der Nicht-Besitz von Schläfenfenstern als Hinweis auf eine engere Verwandtschaft der Schildkröten mit einer Anzahl bestimmter fossiler Landwirbeltiere des Perms und der Trias, die ebenfalls einen anapsiden Schädel besitzen.

Obwohl außer Frage stand, dass der anapside Schädel ein ursprüngliches Merkmal der Landwirbeltiere und daher zur Charakterisierung einer ihrer systematischen Untergruppen nicht gut geeignet ist, wurde der etablierte Gruppenbegriff Anapsida auch in jüngerer Vergangenheit zunächst beibehalten. Modernere, kladistisch unterlegte Konzepte definierten die Anapsida als basales Monophylum der Amnioten, welches die Schildkröten und ihre nächsten fossilen Verwandten umfasst, wobei hinsichtlich der Zusammensetzung dieser Klade verschiedene Bearbeiter zu verschiedenen Ergebnissen kamen. Da aber mittlerweile eine weniger basale Stellung der Schildkröten als wahrscheinlich gilt, findet der Gruppenbegriff Anapsida in der aktuellen wissenschaftlichen Literatur immer seltener Anwendung.

Etymologie

Anapsida ist ein Kompositum aus α privativum und dem griechischen Wort ἁψίς (apsis, „Bogen“, „Wölbung“), was zusammen soviel wie „Bogenlose“ bedeutet. Es bezieht sich indirekt auf das Fehlen von Temporal- oder Schläfenfenster bei den Vertretern dieser Gruppe. Schläfenfenster sind typisch für die Schädel bestimmter anderer Amniotengruppen und werden teilweise von relativ schmalen Knochenstegen, den Temporal-, Schläfen- oder Jochbögen, begrenzt. Da Anapsiden keine Schläfenfenster haben, haben sie folglich auch keine Schläfenbögen, sind demnach also „bogenlos“.

Klassisches Konzept

Schädel einer subadulten Meeresschildkröte (Familie Cheloniidae, Testudines) ohne Prämaxillare. Gut erkennbar ist die fensterlose Schläfenregion. Bei der Einbuchtung in der hinteren Schädelseitenwand handelt es sich um die Paukenhöhle (Cavum tympani).
Der anapside Schädel von Captorhinus aguti (Familie Captorhinidae, Eureptilia) aus dem unteren Perm von Nord-Texas im Paläontologischen Museum in München.
Der anapside Schädel von Scutosaurus karpinskii (Familie Pareiasauridae, Parareptilia) aus dem oberen Perm des europäischen Teils von Russland im Pariser Naturhistorischen Museum.
Der fensterlose Schädel und die reptilienähnliche Anatomie von Diadectes (Familie Diadectidae, basale Reptiliomorpha), hier im American Museum of Natural History in New York, verleitete frühe Paläontologen dazu, auch diese Gattung zu den Anapsida zu stellen und als Stammform der Schildkröten in Betracht zu ziehen.

Nachdem Henry Osborn im Jahre 1903 die Zweiteilung der Reptilien in Diapsida und Synapsida vorschlug, die vorrangig auf der Ausbildung der Schläfenregion des Schädels basierte,[1][2] veröffentlichte Samuel Williston 1917 einen Artikel, in dem er, nach dem gleichen Prinzip wie Osborn, eine Unterteilung der Reptilia in vier Hauptgruppen empfahl: Anapsida, Synapsida, Diapsida und Parapsida. Die Anapsida waren in erster Linie definiert über die komplette Abwesenheit von Schläfenfenstern und enthielten die Schildkröten sowie eine Reihe fossiler, reptilienähnlicher Landwirbeltiere, die seinerzeit unter dem Begriff Cotylosauria zusammengefasst wurden.[3] Diese Auffassung der Anapsida hatte im Wesentlichen bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts bestand,[4] wobei später das Cotylosaurier-Konzept aufgegeben wurde, und einige Autoren die Schildkröten als eigene, den Anapsida nahestehende Unterklasse ausgliederten, sodass die Anapsida nunmehr eine Sammelgruppe für alle vormalig als „Cotylosaurier“ geführten aber mittlerweile als echte Reptilien betrachteten Gruppen bildeten.[5][6]

Kladistisches Konzept

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und insbesondere ab den 1990er Jahren erfolgte die Untersuchung der Verwandtschaftsverhältnisse der Lebewesen zunehmend durch kladistische Methoden. Dieser Wandel nahm auch Einfluss auf die biologische Systematik, indem nun die Einteilung der Organismen in Gruppen streng nach den Verwandtschaftshypothesen erfolgte. Dies hatte auch Auswirkungen auf das Anapsida-Konzept. So wurde unter anderem das klassische Konzept der „Reptilia“ verworfen, denn nach diesem sind die Reptilien keine natürliche Verwandtschaftsgruppe (Monophylum), sondern ein Paraphylum, denn Säugetiere und Vögel, Nachfahren traditionell unter „Reptilia“ gruppierter Landwirbeltiere, wurden letztgenannten nicht hinzugerechnet. Daher ist das klassische Konzept der Reptilia durch das Konzept der Amniota verdrängt worden.

Als Anapsida wurden nunmehr monophyletische Gruppierungen mit einer basalen Stellung innerhalb der Amniota bezeichnet, welche die Schildkröten enthielten. Da hier verschiedene Bearbeiter bei ihren Analysen zu verschiedenen Ergebnissen kamen, schwankten Zusammensetzung und Position der Anapsida relativ stark. So enthielten sie neben den Schildkröten einmal die Captorhiniden[7] und ein anderes Mal eine Reihe basaler Amnioten, die auch unter dem Begriff Parareptilien zusammengefasst wurden und werden.[8] Trotz solcher Unterschiede stimmten diese Kladen immer noch zu einem gewissen Grad mit der traditionellen Auffassung der Anapsiden überein, denn sowohl die Captorhiniden als auch die meisten Parareptilien besitzen anapside Schädel und wurden seinerzeit bei den Cotylosauriern eingeordnet. Die Bezeichnung Anapsida für diese Kladen war damit gerechtfertigt.

Neuere Untersuchungen der Verwandtschaftsverhältnisse der Schildkröten zeigten jedoch, dass sich die Linie der Schildkröten nicht bereits kurz nach Trennung der Linien der Synapsiden und Sauropsiden von der Sauropsiden-Linie (Reptilien im modernen, kladistischen Verständnis, unter Einschluss der Vögel; Gruppe auch als Reptilia bezeichnet) abspaltete, sondern erst später. Die nächsten fossilen Verwandten der Schildkröten wären demnach weder Parareptilien noch Captorhiniden, sondern eine Gruppe innerhalb der Diapsiden.[9] In einem solchen Szenario besitzt der Gruppenbegriff Anapsida faktisch keine Berechtigung mehr und aufgrund der wachsenden Akzeptanz der Diapsiden-Hypothese unter Biologen und Paläontologen in der jüngeren Vergangenheit verschwindet er zusehends aus der wissenschaftlichen Literatur.

Systematik

Klassisches Konzept

Nach Williston (1925):[10]

1 Gruppen enthalten Vertreter, die heute als basale Reptiliomorpha gelten, also Stammgruppenvertreter der Amnioten sind.
2 Die Captorhiniden sind basale Vertreter der Eureptilien, des Schwestertaxons der Parareptilien.
3 Gruppen enthalten nicht-amniotische, „höhere“ Tetrapoden, die später unter dem Begriff Microsauria zusammengefasst und zu den Lepospondyli gestellt wurden.
4 Gruppen enthalten Vertreter, die heute bei den Parareptilien eingeordnet werden.
5 Sauravus, das namensgebende Taxon der Sauravidae, gilt heute als nicht-amniotischer, „höherer“ Tetrapode aus der Gruppe der Nectridea, einer Untergruppe der Lepospondyli.

Nach Kuhn (1958):[4]

1 Gruppen enthalten Vertreter, die heute als basale Reptiliomorpha gelten, also Stammgruppenvertreter der Amnioten sind.
2 Gruppen enthalten Vertreter, die heute bei den Parareptilien eingeordnet werden.
3 Gruppe enthält Vertreter, die heute z. T. an der Basis der Eureptilia stehen (z. B. Captorhinidae) und z. T. als basale Reptiliomorpha gelten (z. B. Limnoscelis)
4 Die Microsaurier sind höhere nicht-amniotische Tetrapoden, werden heute als paraphyletisch betrachtet und zu den Lepospondyli gestellt.

Nach Carroll (1988):[5]

Die Schildkröten bilden nach Carroll (1988) eine eigene Unterklasse.

1 Die Protorothyrid(id)ae werden heute als paraphyletisch betrachtet und an die Basis der Eureptilien gestellt.
2 Die Captorhiniden sind basale Vertreter der Eureptilien, des Schwestertaxons der Parareptilien.
3 Batropetes, die Nominalgattung der Batropetidae, gilt heute als nicht-amniotischer, „höherer“ Tetrapode aus der Gruppe der Microsauria, einer Untergruppe der Lepospondyli, die aber vermutlich paraphyletisch ist.
4 Gruppen enthalten Vertreter, die heute bei den Parareptilien eingeordnet werden.

Kladistisches Konzept

Nach Gauthier et al. (1988):[7]

  Amniota  

 Synapsida einschl. Säugetiere


   
  Parareptilien  

 † Mesosauridae


   

 † Procolophonia


   

 † Millerettidae


   

 † Pareiasauria





  Reptilia*  
  Anapsida  

 † Captorhinidae


   

 Schildkröten (Testudines)



  Romeriida  

 † Paleothyris


  Diapsida  

 † Araeoscelidia


   

 Sauria einschl. aller übrigen rezenten Reptilien und der Vögel







Nach Modesto (2000):[8]

  Amniota  

 Synapsida einschl. Säugetiere


  Reptilia*  
  Anapsida  

 † Mesosauridae


   

 † Millerettidae


   

 † Eunotosaurus


   

 † Pareiasauria


   

 † Procolophonidae


   

 Schildkröten (Testudines)







  Eureptilia  

 † Captorhinidae


   

 † Paleothyris


   

 Diapsida einschl. aller rezenten Reptilien und der Vögel






* hier jeweils im kladistischen Sinn, gleichbedeutend mit dem Taxon Sauropsida

Einzelnachweise

  1. Henry F. Osborn: On the primary division of the Reptilia into two subclasses, Synapsida and Diapsida. Science. Band 17, Nr. 424, 1903, S. 275–276, doi:10.1126/science.17.424.275-b (Anmerkung: die Erstpublikation der Taxonnamen Diapsida und Synapsida, Februar 1903).
  2. Henry F. Osborn: The reptilian subclasses Diapsida and Synapsida and the early history of the Diaptosauria. In: Memoirs of the American Museum of Natural History, Band 1, Nr. 8, 1903, S. 451–507, hdl:2246/5739 (Anmerkung: eine umfangreiche Folgepublikation des Science-Artikels, November 1903).
  3. Samuel W. Williston: The Phylogeny and Classification of Reptiles. In: The Journal of Geology. Bd. 25, Nr. 5, 1917, S. 411–421, JSTOR 30062555.
  4. a b Oskar Kuhn: Lurche und Kriechtiere der Vorzeit (= Die Neue Brehm-Bücherei. Heft 217). 2., unveränderte Auflage, Nachdruck der 1. Auflage von 1958. Westarp-Wissenschaften, Hohenwarsleben 2004, ISBN 3-89432-663-8.
  5. a b Robert L. Carroll: Vertebrate Paleontology and Evolution. W. H. Freeman and Co., New York 1988, ISBN 0-7167-1822-7, S. 615.
  6. Edwin H. Colbert: The Age of Reptiles. Dover Publications, Mineola NY 1997 (erweiterte und überarbeitete Neuauflage des Originalwerkes von 1965), ISBN 0-486-29377-7, S. 223.
  7. a b Jacques A. Gauthier, Arnold G. Kluge, Timothy Rowe: The early evolution of the Amniota. In: Michael J. Benton (Hrsg.): The phylogeny and classification of the tetrapods. Volume 1: Amphibians, reptiles, birds. Systematics Association Special Volume. Nr. 35A, 1988, S. 103–155.
  8. a b Sean P. Modesto: Eunotosaurus africanus and the Gondwanan Ancestry of Anapsid Reptiles. In: Palaeontologia africana, Band 36, 2000, ISSN 0078-8554, S. 15–20.
  9. Rafael Zardoya, Axel Meyer: The evolutionary position of turtles revised. Naturwissenschaften. Bd. 88, Nr. 5, 2001, S. 193–200, doi:10.1007/s001140100228.
  10. Samuel W. Williston: The Osteology of the Reptiles. Harvard University Press, Cambridge MA 1925, doi:10.5962/bhl.title.45170.

Weblinks

Commons: Anapsida – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien