António Lobo Antunes
António Lobo Antunes (* 1. September 1942 in Benfica) ist ein portugiesischer Psychiater und Schriftsteller.
Leben
António Lobo Antunes, Spross einer großbürgerlich aristokratischen Dynastie, wuchs im Lissabonner Stadtteil Benfica auf. Hohe Militärs und ein brasilianischer Kautschukgroßhändler finden sich unter seinen Vorfahren, aber auch eine deutsche Großmutter. Sein Vater war Arzt, und António, das älteste von sechs Geschwistern, studierte an der Fakultät für Medizin der Universität Lissabon. Bereits mit 13 Jahren wollte er Schriftsteller werden. Er spezialisierte sich auf Psychiatrie, in der er Ähnlichkeiten mit der Literatur zu finden glaubte. Nach dem Medizinstudium wurde er 1970 zum Militär eingezogen und war von 1971 bis 1973 während des Kolonialkrieges 27 Monate lang Militärarzt in Angola. Danach arbeitete er bis 1985 als Chefarzt und Psychiater in der Nervenklinik des Hospital Miguel Bombarda in Lissabon. Unter der Salazar-Diktatur wurde Antunes Mitglied der Kommunistischen Partei und war deswegen auch im Gefängnis. Seit 1985 widmet er sich fast ausschließlich dem Schreiben.
Literarisches Schaffen
Antunes gilt als einer der bedeutendsten portugiesischen Schriftsteller der Gegenwart. Seine Werke beschäftigen sich immer wieder mit der Geschichte Portugals.[1] Die Themen seiner frühen Werke sind der Kolonialkrieg, Tod, Einsamkeit, Lebens- und Liebesfrust. „Seine Romane sind barocke Untergangsgeschichten vom portugiesischen Wesen und Verwesen, bizarr und melancholisch“, schreibt Die Zeit in einem Artikel von 1997. Er wird seit Jahren als Anwärter auf den Literaturnobelpreis angesehen. Seine Sujets sind Portugals Geschichte und Gegenwart, immer verbunden mit Angst, Gewalt, Tod, Krankheit, Trennungen, wobei sein Hauptaugenmerk auf dem Schicksal „normaler“ Menschen und kleiner Randexistenzen liegt. Atmosphärisch und psychologisch dicht und sprachlich unkonventionell kritisiert er die moderne Gesellschaft. Eine Flut von Metaphern und eine facettenreiche erzählerische Energie erzeugen teilweise nahezu barocke Werke. Seine Erfahrungen im Kolonialkrieg verarbeitete er im Roman Der Judaskuß (Os Cus de Judas, 1979), mit dem er in Portugal den Durchbruch als Schriftsteller erreichte.
Auszeichnungen
Der portugiesische Schriftstellerverband verlieh Antunes 1986 seinen Großen Romanpreis für den Roman Reigen der Verdammten. Außerdem erhielt er im Jahr 2000 den Prix Europa Hörspiel und den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur sowie 2005 den Jerusalempreis für die Freiheit des Individuums in der Gesellschaft. 2007 wurde Antunes mit dem Prémio Camões ausgezeichnet, dem bedeutendsten Literaturpreis in der portugiesischsprachigen Welt.
Im Jahr 2000 wurde er von der französischen Regierung zum Ritter und 2008 zum Kommandeur des Ordre des Arts et des Lettres ernannt.[2]
Die Bibliothèque de la Pléiade kündigte an, Antunes als zweiten portugiesischen Autor (nach Fernando Pessoa) aufzunehmen.[3]
Werke
António Lobo Antunes′ Werke werden von Maralde Meyer-Minnemann übersetzt und erscheinen im Luchterhand Literaturverlag.
- Memória de Elefante, 1979
- deutsch: Elefantengedächtnis, 2004, ISBN 3-630-87177-1
- Os Cus de Judas, 1979
- deutsch: Der Judaskuß, 1987, ISBN 3-446-13970-2
- A Explicação dos Pássaros, 1981
- deutsch: Die Vögel kommen zurück. Aus dem Portugiesischen von Ray-Güde Mertin. Hanser, München 1989, ISBN 3-446-15138-9
- Conhecimento do Inferno, 1981
- deutsch: Einblick in die Hölle, 2003, ISBN 3-630-87143-7
- Fado Alexandrino, 1983
- deutsch: Fado Alexandrino, 2002, ISBN 3-630-87119-4
- Auto dos Danados, 1985
- deutsch: Reigen der Verdammten, 1991, ISBN 3-446-15139-7
- As Naus, 1988
- deutsch: Die Rückkehr der Karavellen, 2000, ISBN 3-630-87079-1
- A Besta do Paraíso, 1989
- Tratado das Paixões da Alma, 1990
- deutsch: Die Leidenschaften der Seele, 1994, ISBN 3-446-17203-3
- A Ordem Natural das Coisas, 1992
- deutsch: Die natürliche Ordnung der Dinge, 1996, ISBN 3-446-18735-9
- A Morte de Carlos Gardel, 1994
- deutsch: Der Tod des Carlos Gardel, 2000, ISBN 3-630-87062-7
- A História do Hidroavião (mit Illustrationen von Vitorino), 1994
- Manual dos Inquisidores, 1996
- deutsch: Das Handbuch der Inquisitoren, 1997, ISBN 3-630-86967-X
- O Esplendor de Portugal, 1997
- deutsch: Portugals strahlende Größe, 1998, ISBN 3-630-86987-4
- Livro de Crónicas, 1998
- deutsche Teilausgabe als Sonette an Christus, 1999, ISBN 3-630-87033-3
- deutsch: Buch der Chroniken, 2006, ISBN 3-630-62086-8
- Exortação aos Crocodilos, 1999
- deutsch: Anweisungen an die Krokodile, 1999, ISBN 3-630-87035-X
- Não Entres Tão Depressa Nessa Noite Escura, 2000
- deutsch: Geh nicht so schnell in diese dunkle Nacht, 2001, ISBN 3-630-87091-0
- Que farei quando tudo arde?, 2001
- deutsch: Was werd ich tun, wenn alles brennt?, 2003, ISBN 3-630-87146-1
- Segundo Livro de Crónicas, 2002
- deutsch: Zweites Buch der Chroniken. Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann. Luchterhand Literaturverlag, München 2007, ISBN 3-630-62087-6
- Letrinhas das Cantigas, in limitierter Auflage, 2002
- Boa Tarde às Coisas Aqui em Baixo, 2003
- deutsch: Guten Abend ihr Dinge hier unten, 2005, ISBN 3-630-87205-0
- Eu Hei-de Amar Uma Pedra, 2004
- deutsch: Einen Stein werd ich lieben. Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann. Luchterhand Literaturverlag, München 2006, ISBN 3-630-87216-6
- D'este viver aqui neste papel descripto. Cartas da guerra, 2005
- deutsch: Leben, auf Papier beschrieben. Briefe aus dem Krieg. Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann. Luchterhand Literaturverlag, München 2007, ISBN 3-630-87252-2
- Terceiro Livro de Crónicas, 2006
- deutsch: Drittes Buch der Chroniken, 2010, ISBN 978-3-630-62167-8
- Ontem Não Te Vi Em Babilónia, 2006
- deutsch: Gestern in Babylon hab ich dich nicht gesehen. Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann. Luchterhand Literaturverlag, München 2008, ISBN 978-3-630-87217-9
- O Meu Nome é Legião, 2007
- deutsch: Mein Name ist Legion. Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann. Luchterhand Literaturverlag, München 2010, ISBN 978-3-630-87295-7
- O Arquipélago da Insónia, 2008
- deutsch: Der Archipel der Schlaflosigkeit, 2012, ISBN 978-3-630-87346-6
- Que Cavalos São Aqueles Que Fazem Sombra no Mar?, 2009
- deutsch: Welche Pferde sind das, die da werfen ihren Schatten ins Meer?, 2013
- Sôbolos Rios Que Vão, 2010
- deutsch: An den Flüssen, die strömen. Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann. Luchterhand Literaturverlag, München 2010, ISBN 978-3-630-87374-9
- Quarto Livro de Crónicas, 2011
- Comissão das Lágrimas, 2011
- Não É Meia Noite Quem Quer, 2012
- deutsch: Mitternacht zu sein ist nicht jedem gegeben. Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann. Luchterhand Literaturverlag, München 2015, ISBN 978-3-630-87424-1
- Caminho como uma casa em chamas, 2014
- deutsch: Ich gehe wie ein Haus in Flammen. Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann. Luchterhand Literaturverlag, München 2017, ISBN 978-3-630-87502-6
- Da Natureza dos Deuses, 2015
- deutsch: Vom Wesen der Götter. Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann. Luchterhand Literaturverlag, München 2018, ISBN 978-3-630-87571-2
- Até que as pedras se tornem mais leves que a água, 2017
- deutsch: Bis die Steine leichter sind als Wasser, Luchterhand Literaturverlag, München 2021, ISBN 9783641255541. ISBN 978-3-630-87627-6. ISBN 3-630-87627-7. ISBN 978-3-641-25554-1
Verfilmungen
- 2016: Briefe aus dem Krieg (Cartas da Guerra), Regie: Ivo Ferreira
- 2011: A Morte de Carlos Gardel, Regie: Solveig Nordlund
- 2007: Adeus Até ao Meu Regresso: Soldados do Império (Doku.), Regie: Paulo César Fajardo
Literatur
- María Luisa Blanco: Gespräche mit António Lobo Antunes. Sammlung Luchterhand, München 2003, ISBN 3-630-62059-0
- Friedhelm Rathjen: Durch dick und dünn. Über Marianne Fritz, Gertrude Stein, Arno Schmidt, António Lobo Antunes und andere Autoren von Gewicht. Edition Rejoyce, Scheeßel 2006, ISBN 3-00-018816-9
Weblinks
- Literatur von und über António Lobo Antunes im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- António Lobo Antunes in der Internet Movie Database (englisch)
- Kurzbiografie und Rezensionen zu Werken von António Lobo Antunes bei perlentaucher.de
- Biographie auf der Website des Internationalen Literaturfestivals Berlin
Einzelnachweise
- ↑ Albert Ostermaier: VON DEN NÄCHTEN DIE HELLEN - KulturSPIEGEL 8/2005. In: Der Spiegel. Nr. 8, 2005 (online).
- ↑ Portugal en français: Antonio Lobo Antunes, Commandeur des Arts et des Lettres. 18. September 2008, abgerufen am 8. November 2021 (französisch).
- ↑ Paul Ingendaay: Hirtenhund einer Herde von Worten. Der große portugiesische Leistungsschreiber: Zum achzigsten Geburtstag von António Lobo Antunes. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. September 2022, S. 11.
Personendaten | |
---|---|
NAME | Antunes, António Lobo |
KURZBESCHREIBUNG | portugiesischer Psychiater und Schriftsteller |
GEBURTSDATUM | 1. September 1942 |
GEBURTSORT | Benfica |