Automatisches Stereotyp

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Automatische Stereotype sind Stereotype, die spontan, ohne bewussten Aufwand, unter bestimmten Bedingungen ausgelöst werden.

Forschung im Bereich der sozialen Kognition hat gezeigt, dass Stereotype und Vorurteile unsere kognitive Verarbeitung beeinflussen.[1] Hierbei werden zwei mögliche Verarbeitungsprozesse unterschieden: automatische und kontrollierte Verarbeitung.

Zur automatischen Verarbeitung kann es dann kommen, wenn die betroffene Person mit einem Stimulus, der eine zuvor erlernte Assoziation oder Reaktion hervorruft, konfrontiert wird. Dies ist z. B. nach einem intensiven Training der Fall. Moderiert wird der automatische Prozess durch die Stärke oder Intensität der jeweiligen Einstellung. Hier gilt: Je stärker die Verbindung von Objekt und dessen Bewertung, desto wahrscheinlicher wird eine automatische Aktivierung der Einstellung, bei Präsentation des Objekts. Die kontrollierte Verarbeitung wird bewusst wahrgenommen. Sie ist ein reflexiver Prozess und beinhaltet aktive Überlegungen über ein Einstellungsobjekt.

Zwei-Stufen-Modell der kognitiven Verarbeitung von Stereotypen

Devine und Kollegen[2][3] postulieren ein Zwei-Stufen-Modell bei der kognitiven Verarbeitung von Stereotypen. Ihrer Meinung nach teilen Kulturen Stereotype. Die automatische Verbindung zu einem Einstellungsobjekt aktiviert stereotype Informationen, die dann von der bewussten und kontrollierten Verarbeitung zurückgewiesen oder nicht beachtet werden können. Sind Personen jedoch sehr beschäftigt oder abgelenkt, kann die kontrollierte Ebene der Verarbeitung nicht in Gang gesetzt werden. Das Stereotyp, das automatisch aktiviert wurde, wird nicht zurückgewiesen. Dem gegenüber stehen Annahmen von Fazio und Kollegen, die davon ausgehen, dass es eine automatische Komponente von Stereotypen gibt, die individuell verschieden sein kann und auf der Bewertung eines jeden Individuums beruht (also nicht kulturell geteilt ist). Automatisch aktiviert wird ihrer Meinung nach also die individuelle Bewertung eines Einstellungsobjektes.

Messung

Bei der Messung von automatischer Aktivierung von Stereotypen ist es nicht sinnvoll sich auf erfragte Parameter zu verlassen. Dies liegt einerseits daran, dass Einstellungen mitunter nicht bewusst sind,[4][5][6] also in einer Befragung keine Auskunft darüber gegeben werden kann, andererseits will man manche Einstellungen, weil sie sozial nicht erwünscht sind, nicht äußern (z. B. rassistische Einstellungen)[7]. Selbstauskünfte sind demnach fehlerhaft und es empfiehlt sich eine Methode zu nutzen, die die Reaktivität bei der Erfassung solcher Einstellungen, vermindert.

Fazio und Kollegen[8] entwickelten eine solche indirekte Art und Weise die automatische Verarbeitung von Stereotypen über Priming zu messen. Dazu wurden den Versuchspersonen Wörter auf einem Computerbildschirm präsentiert, die sie per Knopfdruck auf der Tastatur als positiv oder negativ bewerten sollten. Kurz vor der Wortpräsentation leuchtete außerdem ein Farbfoto eines menschlichen Gesichts auf. Einige der Fotos waren von Weißen, einige von Afroamerikanern. Sinn der Studie war es nun, zu überprüfen, ob die Präsentation der Gesichter einen Einfluss auf die Schnelligkeit der Reaktion bei der Bewertung der Wörter hat.

Wenn ein Foto eines Afroamerikaners beim Studienteilnehmer Vorurteile auslöst und diese Vorurteile automatisch sind, würden so automatisch negative Gefühle ausgelöst werden. Diese Reaktion sollte es einfacher machen, schneller auf ein anschließend negatives Wort wie „ekelhaft“, mit einem Tastendruck auf die „Negativtaste“ zu reagieren. Außerdem sollte eine negative Reaktion auf das Foto es schwieriger machen auf ein anschließend positives Wort mit der „Positivtaste“ zu reagieren. Jedoch zeigten nicht alle Studienteilnehmer diese negative Reaktion auf Afroamerikaner und die Ausprägung des automatischen Vorurteils konnte das Verhalten der Studienteilnehmer vorhersagen. Eine afroamerikanische Versuchsleiterin informierte die Studienteilnehmer am Ende des Experiments. Das Verhalten des Studienteilnehmers gegenüber der Versuchsleiterin wurde von der Versuchsleiterin erfasst. Diejenigen Studienteilnehmer, die die höchste Ausprägung im Bereich der automatischen Aktivierung von Vorurteilen in der Wortbeurteilungsaufgabe hatten, zeigten sich gegenüber der Versuchsleiterin eher unfreundlich.

Klassische Studien zur automatischen und kontrollierten Aktivierung von Stereotypen

Untersuchung von Devine

Patricia G. Devine[9] führte mit einer großen Anzahl an Studenten zunächst einen Vorurteilstest durch und bildete so zwei Gruppen: Studenten mit starken Vorurteilen und Studenten mit wenig Vorurteilen. Danach folgte ein Test zur automatischen und bewussten Verarbeitung. Sie zeigten den Studenten auf einer Leinwand kurz (unter der bewussten Wahrnehmungsschwelle) stereotype Begriffe (z. B. schwarz, faul, feindselig) und neutrale Begriffe (z. B. was, jedoch, sagte). Nach der Präsentation der Wörter sollten die Teilnehmer eine Geschichte über „Donald“ (eine fiktive Person, deren ethnische Herkunft nicht erwähnt wurde) lesen, in der dieser als zweideutig beschrieben wurde und eine Einschätzung zu ihm abgeben.

Die Teilnehmer, die zuvor die Wörter gesehen hatten, die Stereotype über schwarze Amerikaner widerspiegeln, interpretierten Donald negativer, als diejenigen, die neutrale Wörter gesehen hatten. Ohne dass es ihnen bewusst wurde, wurde die eine Gruppe von Teilnehmern, von den negativen Wörtern beeinflusst. Da es sich hierbei um einen kulturellen Stereotyp handelt (er wird von allen Mitgliedern einer Kultur geteilt) und dieser unbewusst, ohne kognitive Kontrolle aktiviert wurde, waren weiße Studenten mit Vorurteilen gleichermaßen betroffen, wie diejenigen ohne Vorurteile.

Stereotypisierung von Personen

1978 führten Taylor, Fiske, Etcoff und Ruderman[10] eine Untersuchung durch. Aufgabe der Studienteilnehmer war es, einer Gruppendiskussion, in der es um die Planung einer Werbekampagne ging, zu folgen. Diese Unterhaltung wurde ihnen von einem Tonband präsentiert. Während der Aussage einer Person wurde dazu immer das Foto der sprechenden Person von einem Projektor dargeboten. Die Gruppendiskussion wurde von 3 weißen und 3 schwarzen Amerikanern geführt. Nach dem Anhören sollten die Versuchspersonen den verschiedenen Vorschlägen die Bilder der Männer zuordnen. Die Forscher werteten die Antworten aus und legten besonders Wert auf die gemachten Fehler. Diese teilten sie in zwei Arten ein:

  • Verwechslungen innerhalb der Kategorie (d. h., eine Aussage eines weißen Amerikaners wurde einem anderen ebenfalls weißen zugeordnet; die Aussage eines schwarzen wurde einem anderen schwarzen Diskussionsteilnehmer zugeordnet) und
  • Verwechslungen zwischen den Kategorien (d. h., der Vorschlag eines weißen Mannes wurde fälschlicherweise einem schwarzen Amerikaner zugeordnet und umgekehrt).

Das Ergebnis war, dass viel häufiger Fehler der ersten Art gemacht wurden. Das bedeutet, es ist viel wahrscheinlicher, die Aussage von Männern mit der gleichen Hautfarbe zu verwechseln. Als Erklärung führen die Untersucher an, dass diese Fehler häufiger zustande kämen, weil die Versuchspersonen die Diskussionsteilnehmer nach ihrer Hautfarbe „kategorisiert“ hätten. Dies sei ein automatischer Prozess, da sie selbst kein besonderes Augenmerk darauf gerichtet bzw. die Anweisung dazu erhalten hätten. Die Autoren dieser Studie stellen die Kategorisierung keinesfalls als rassistisch dar, vielmehr ist die automatische Einordnung nach bestimmten Merkmalen (wie z. B. Hautfarbe, Alter, Geschlecht etc.) ein natürlicher und überlebensnotwendiger Prozess.

Auswirkungen von Stereotypen auf das Verhalten

In der Forschungsarbeit von Bargh, Chen und Burrows[11] wurden die Auswirkungen einer Eigenschaft, und damit verbunden die Aktivierung eines Stereotyps, auf das Verhalten untersucht. Das Material bestand aus verschiedenen Sätzen, in denen Wörter vertauscht waren. Die Aufgabe der Versuchsteilnehmer, die wie in der Untersuchung von Devine ebenfalls Studenten waren, die Reihenfolge in Ordnung zu bringen, d. h., sie dachten, dass ihre Sprachkenntnis getestet wird. Die bearbeiteten Sätze hatten entweder eine Aussage über ältere Menschen zum Inhalt, oder ein anderes Thema. Die Autoren argumentieren nun, dass bei den Studenten, die Sätze über ältere Menschen bearbeiteten, das Stereotyp „alt“ aktiviert wird. Anschließend an den Test wurde die Zeit gemessen, die die Versuchsteilnehmer brauchten, um den Flur entlang zu laufen. Die Personen, bei denen das Stereotyp aktiviert wurde, waren signifikant langsamer als der Rest. Bargh, Chen und Burrows erklären dieses Ergebnis mit der automatischen Aktivierung des Stereotyps. Wichtig ist zu erwähnen, dass die Untersucher darauf achteten, dass die Sätze keine Aussage über eine langsamere Bewegung von älteren Menschen machen.

Eine weitere Studie legt nahe, dass Geschlechterstereotype sich sogar auf die Beurteilung der von einem Hurrikan ausgehenden Gefährdung auswirken, denn Hurrikane mit weiblichen Vornamen hätten in der Vergangenheit signifikant mehr Todesopfer gefordert. Die Autoren der Studie erklärten diese Beobachtung damit, dass Menschen Hurrikane mit weiblichem Vornamen offenbar als weniger risikoreich einschätzten und infolgedessen weniger Schutzmaßnahmen träfen.[12]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Aronson E., Wilson, T. D., Akert, R. M. (2004). Sozialpsychologie. München: Pearson Studium. ISBN 3-8273-7084-1
  2. Devine, P. G. (1989a). Stereotypes and prejudice: Their automatic and controlled components. Journal of Personality and Social Psychology, 56, 5-18.
  3. Devine P. G., Monteith, M. J., Zuwerink, J. R., & Elliot, A. J. (1991). Prejudice with and without compunction. Journal of Personality and Social Psychology, 60, 817-830.
  4. Banaji, M. R., & Greenwald, A. G. (1994). Implicit stereotyping ams prejudice. In M. Zanna & J. Olson (Hrsg.), The psychology of prejudice: The Ontario symposium (Vol. 7, S. 55–76). Hillsdale, NJ: Erlbaum.
  5. Banaji, M. R., & Greenwald, A. G. (1995). Implicit gender stereotyping in judgements of fame. Journal of Personality and Social Psychology, 68, 181-198.
  6. Nisbett, R. E., & Wilson, T. D. (1977). Telling more than we know: Verbal reports on mental processes, Psychological Review, 84, 231-259.
  7. Crosby, F., Bromley, S., & Saxe, L. (1980). Recent unobtrusive studies of Black and White discrimination ans prejudice: A literature review. Psychological Bulletin, 87, 546-563.
  8. Fazio, R. H., (1986). How du attitudes guide behavior? In R. M. Sorentino & E. T. Higgins (Hrsg.), The handbook of motivation and cognition (S. 204–243). New York: Guilford Press.
  9. Devine, Patricia G. (1989b). Automatic and controlled processes in prejudice: The roles of stereotypes and personal beliefs. In A. R. Pratkanis, S. J. Breckler, & A. G. Greenwald (Hrsg.), Attitude structure and function (S. 181–212). Hillsdale, NJ: Erlbaum.
  10. Taylor S. E., Fiske S. T., Etcoff, N. L., & Ruderman, A. J. (1978). Categorical and Contextual Bases of Person Memory und Stereotyping. Journal of Personality and Social Psychology, 7, 778-793.
  11. Bargh J. A., Chen, M., & Burrows, L. (1996). Automaticity of social behavior. Direct effects of trait construct and stereotype activiation on action. Journal of Personality and Social Psychology, 71, 230-244.
  12. Kiju Jung, Sharon Shavitt, Madhu Viswanathan, Joseph M. Hilbe: Female hurricanes are deadlier than male hurricanes. PNAS (online), 2. Juni 2014 doi:10.1073/pnas.1402786111