Bibliothekswissenschaft
Bibliothekswissenschaft ist im weiteren Sinn der systematisch geordnete Inbegriff aller wissenschaftlichen und technischen Erfahrungen auf dem Gebiet des Bibliothekswesens.
Im deutschen Sprachraum wurde unterschieden zwischen der Bibliothekenlehre (Bibliothekonomie, Bibliothektechnik, auch Bibliothekswesen im engeren Sinn), die von der Einrichtung und Verwaltung einer Bibliothek handelt, und der Bibliothekenkunde (Bibliothekographie), die sich mit der Geschichte und Beschreibung der einzelnen Bibliotheken älterer und neuerer Zeit beschäftigt.
Im Zusammenhang mit der Entwicklung einer sogenannten Wissensgesellschaft verschiebt sich der Fokus der Bibliothekswissenschaft zunehmend in den „virtuellen Raum“ (Stichwort: Digitale Bibliothek). Gegenstand des Faches sind nicht mehr nur die Bibliothek als physischer Ort sowie ihre Bestände, wie es primär im Rahmen von Bibliothekenlehre und -kunde der Fall war, sondern generell informationslogistische Prozesse (Sammlung, Erschließung, Verfügbarmachung) von publizierter Information. In der deutschen Hochschulpolitik ist die Bibliothekswissenschaft als Kleines Fach eingestuft.[1]
Bekannte Bibliothekswissenschaftler
- Friedrich Adolf Ebert (1791–1834)
- Martin Schrettinger (1772–1851), Klosterbibliothekar, später Königlich Bayerischer Hofbibliothekar in München
- Melvil Dewey (1851–1931): 1876 Dewey Decimal Classification
- Fritz Milkau (1859–1934), Herausgeber eines dreibändigen Handbuchs der Bibliothekswissenschaft
- Ljubow Chawkina (1871–1949)
- Walter Hofmann (1879–1952), Freie Öffentliche Bibliothek Dresden-Plauen sowie Stadtbibliothek Leipzig
- S. R. Ranganathan (1892–1972), 1933 Colon-Klassifikation
- Hans Widmann (1908–1975), Tübingen
- Walter Pongratz (1912–1990), Universitätsbibliothek Wien
- Walther Umstätter (1941–2019), Humboldt-Universität zu Berlin
- Konrad Umlauf (* 1952), Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft in Berlin
Forschung und Ausbildung
Die Aufgabe des Faches ist die Erfassung und Analyse von Entwicklungen im Bereich der Informationsdistribution sowie auf dieser Grundlage die Entwicklung von Methoden und Theorien zur Informationsversorgung (hauptsächlich in der Wissenschaft). Eine zunehmende Rolle spielen dabei auch statistische Verfahren der Bibliometrie und Szientometrie (und z. T. der Webometrie).
Weiterhin gewinnen im Rahmen der sogenannten Informationsflut oder Informationsüberflutung durch eine Omnipräsenz von großen Datenmengen, besonders auch in elektronischen Netzen, Aspekte der Beurteilung und Sicherung von Informationsqualität innerhalb des Faches an Bedeutung.
Die Bibliothekswissenschaft besitzt aufgrund ihres Forschungsgegenstandes ein hohes interdisziplinäres Potenzial.
Während die Bibliothekswissenschaft als Library- and Information Science beispielsweise in den USA eine anerkannte Universitätsdisziplin ist, konnte diese sich in Deutschland nicht richtig etablieren. Neben der Ausbildung und Weiterbildung an Fachhochschulen (an der Technischen Hochschule Köln, der Fachhochschule Potsdam, an der Hochschule der Medien in Stuttgart und an der HTWK Leipzig), bei denen der Schwerpunkt auf der Praxis liegt, gibt es das Fach nur noch am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin. Die theoretische Ausbildung vieler Bibliotheksreferendare übernimmt außerdem die Bibliotheksakademie Bayern in München.
In der Schweiz bietet die Universität Zürich zusammen mit der Zentralbibliothek Zürich einen Master of Advanced Studies (Nachdiplomstudium) in Bibliotheks- und Informationswissenschaften an. Außerdem gibt es einen Masterstudiengang an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zum Masterstudium wurde am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin zum ersten Mal im Wintersemester 2008/09 immatrikuliert.
Siehe auch
- Informationswissenschaft
- Dokumentation
- Lexikografie
- Bildung
- Information
- Wissenschaftsportal b2i
- Autoptische Bibliographierung
- Bobcatsss, internationaler Kongress mit Themen aus der Bibliotheks- und Informationswissenschaft
Literatur
Allgemeine Werke
- Werner Krieg (Hrsg.): Bibliothekswissenschaft. Versuch einer Begriffsbestimmung in Referaten und Diskussionen bei dem Kölner Kolloquium (27.–29. Oktober 1969). Greven, Köln 1970.
- Petra Hauke (Hrsg.): Bibliothekswissenschaft – quo vadis? = Library Science – quo vadis? Eine Disziplin zwischen Traditionen und Visionen. Saur, München 2005, ISBN 3-598-11734-5.
- Rainer Strzolka: Repertorium der Bibliothekswissenschaft. Koechert, Hannover 1996
- LIBREAS – Library Ideas – OA-Zeitschrift am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der HU Berlin, die sich mit einem breiten Spektrum an bibliothekswissenschaftlich relevanten Themen befasst.
Nachschlagewerke und Handbücher
- Miriam Drake (Hrsg.): Encyclopedia of Library and Information Science. Dekker, New York 2003, ISBN 0-8247-2075-X.
- Martin Schrettinger: Handbuch der Bibliothek-Wissenschaft. Weidmann, Hildesheim 2003, ISBN 3-615-00277-6, (Nachdruck der Ausgabe von 1834)
- Konrad Umlauf (Hrsg.), Petra Hauke (Red.): Handbuch Methoden der Bibliotheks- und Informationswissenschaft. Bibliotheks-, Benutzerforschung, Informationsanalyse. de Gruyter Saur, Berlin 2013, ISBN 978-3-11-025553-9.
Lehrbücher für Bibliothekare
- Klaus Gantert: Bibliothekarisches Grundwissen. 9., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. de Gruyter, Saur, Berlin 2016, ISBN 978-3-11-032150-0.
- Rolf Griebel, Hildegard Schäffler, Konstanze Söllner, (Hrsg.): Praxishandbuch Bibliotheksmanagement. Band 1. de Gruyter, Saur, Berlin 2016, ISBN 978-3-11-030326-1.
- Walther Umstätter: Lehrbuch des Bibliotheksmanagements. Hiersemann, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-7772-1100-8. (Es handelt sich um eine überarbeitete Neuauflage[2] von Gisela Ewert, Walther Umstätter: Lehrbuch der Bibliotheksverwaltung, Hiersemann, Stuttgart 1997, ISBN 978-3-7772-9730-9.)
Weblinks
- Wissenschaftsportal b2i für die Bibliotheks-, Buch- und Informationswissenschaften, Portal mit Literaturinformationen
- Datenbank Deutsches Bibliothekswesen, Datenbank mit Literaturinformationen
- Literatur zur Bibliothekswissenschaft im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Aufsätze, Guides und Anleitungen
- Burkhardt, M: Gebrauchsanleitung zur Bibliotheksbenutzung. eLibrary Austria (elib.at).
- Bibliothekswissenschaft als Teil der Wissenschaftswissenschaft
- Open Access Archiv für den Bereich Bibliothek-Informationswissenschaften
- Zur Geschichte der bibliothekswissenschaftlichen Ausbildung in Berlin
Institute, Ausbildungen und Einrichtungen
- Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität
- Fachhochschule Köln, Institut für Informationswissenschaft
- Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, Fakultät Design, Medien und Information, Department Information
- Hochschule der Medien Stuttgart
- Bibliotheksakademie Bayern
- HföD in Bayern - Fachbereich Archiv- und Bibliothekswesen | aubib.de – Plattform des Fachbereichs Archiv- und Bibliothekswesen
- Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, Fachbereich Medien, Studiengang Bibliotheks- und Informationswissenschaft
- Master of Advanced Studies in Bibliotheks- und Informationswissenschaften der Universität Zürich
- Archive und Archivwissenschaft - Linksammlung (Österreichisches Staatsarchiv)
- Archivlehrgang (Institut für Österreichische Geschichtsforschung)
Einzelnachweise
- ↑ siehe Fachstandorte der Bibliothekswissenschaft bei der Arbeitsstelle Kleine Fächer, abgerufen 9. März 2017
- ↑ Siehe die Rezension von Heidrun Wiesenmüller in Informationsmittel für Bibliotheken (online; PDF; 82 kB).