Trommelbremse
Trommelbremsen sind Reibungsbremsen, bei denen Bremsbeläge auf eine zylindrische Fläche (die Trommel) wirken. Beim Betätigen der Bremse wird der Bremsbelag üblicherweise von innen gegen die umlaufende Trommel gedrückt. In Kraftfahrzeugen wurden Trommelbremsen von Scheibenbremsen abgelöst. Bei leistungsschwächeren Pkw werden sie noch an der Hinterachse eingesetzt; bei schweren Nutzfahrzeugen sowie Anhängern ist die Trommelbremse immer noch Stand der Technik. In jüngster Zeit werden sie wegen der geringeren Korrosionsanfälligkeit bei Elektrofahrzeugen verwendet, da bei diesen die mechanische Bremse nicht mehr so häufig in Anspruch genommen wird.
In der sich drehenden Bremstrommel werden von innen die beiden auf der Bremsankerplatte beweglich gelagerten Bremsbacken angepresst. Das geschieht mechanisch über eine Nockenwelle, einen Spreizkeil oder über einen Radbremszylinder.
Geschichte
Die Entwicklung der Trommelbremse wurde von der Außenbandbremse beeinflusst. Ein erstes Patent auf eine Innenbacken-Trommelbremse für Fahrräder erhielt Walter Russell Mortimer im Jahr 1881.[1][2][3]
Bei einem Automobil wurden Trommelbremsen erstmals 1900 an den Hinterrädern des Mercedes 35 PS eingesetzt,[4] einer Konstruktion von Wilhelm Maybach. Die Bremsklötze waren wassergekühlt.
„Maybach ließ sich offenbar weder die Trommelbremsen noch die Wasserkühlung patentieren, so daß sich die Trommelbremsen in kürzester Zeit im Automobilbau durchsetzten.“
Louis Renault beantragte im Jahre 1902 Patente auf verschiedene Arten von Innenbackenbremsen[6] und übernahm schließlich die Simplex-Bremse in die Serienproduktion.[5] Beim Motorrad wurde die Innenbackenbremse erst in den 1920er Jahren zum Stand der Technik.[7]
Vorteile
- Durch die innere Verstärkung sind nur relativ geringe Betätigungskräfte erforderlich. Das Maß für die innere Verstärkung ist der Bremsenkennwert C*. Er liegt je nach Ausführung zwischen dem Zwei- bis Fünffachen des Reibwertes µ. Dadurch kann bei leichten Fahrzeugen auf einen Bremskraftverstärker verzichtet werden.
- Die Bremsbacken sind durch die geschlossene Bauform vor gröberen Partikeln geschützt. Daher werden auch in aktuellen Geländewagen und Baustellen-Lkw noch überwiegend Trommelbremsen verwendet.
- Durch den nach innen gerichteten Spalt zwischen Ankerplatte und Bremstrommel setzt sich weniger Abrieb (Bremsstaub) auf der Felge ab.
- Trommelbremsen sind länger haltbar als Scheibenbremsen. Einige Wartungshandbücher sehen in einem größeren Wartungsintervall nur das Kontrollieren und Abnehmen der Bremstrommel zur Entfernung von Abrieb und Rost vor, im doppelten Intervall die Erneuerung der Bremsbacken und Kleinteile.
Nachteile
- Bei Trommelbremsen ist der Bremsbelagwechsel gegenüber der Scheibenbremse aufwendiger.
- Trommelbremsen sind gegenüber Scheibenbremsen empfindlicher gegenüber Reibwertschwankungen. Dies führte bei den bis in die 1970er Jahre üblichen Pkw mit Trommelbremsen an der Vorderachse oft zu einem Schiefziehen oder Ausbrechen des Fahrzeugs beim Bremsen.
- Bei gleicher Bremsleistung ist – bei Lkw – eine Trommelbremse schwerer als eine entsprechende Scheibenbremse.
- Die Wärmeabfuhr bei hoch belasteten Bremsen ist vergleichsweise schlecht.
- Bei hoher thermischer Belastung treten Kennwertschwankungen (Fading) auf.
Bauarten
Simplex-Bremse
Die Simplex-Bremse ist die einfachste und am meisten verwendete Bauart der Trommelbremse. Man findet sie vom Fahrrad bis zum schweren Lkw. Sie hat eine auflaufende und eine ablaufende Bremsbacke. Das bedeutet, dass sowohl in Vorwärts- wie auch in Rückwärtsfahrt die Bremswirkung gleich ist. Die Spreizung der Bremsbacken erfolgt durch einen zentralen Radzylinder, während auf der anderen Seite die Bremsbacken um einen Drehpunkt gelagert sind. Bei schweren Lkw und Anhängern erfolgt die Betätigung über einen S-Nocken. In kleiner Ausführung ist die Simplex-Bremse als Feststellbremse in vielen Pkw zu finden. Der Bremsenkennwert C* beträgt 2,0.
Es gibt 3 Varianten, mit unterschiedlichen Aufbauten.
- Zylinder
- Die Betätigung der Bremsbacken erfolgt über einen Zylinder (Radbremszylinder). Dieser wird hydraulisch angesteuert und erzeugt in beide Richtungen gleich große Kräfte. Diese Betätigung wird hauptsächlich bei Pkw und leichten Transportern eingesetzt.
- S-Nocken
- Die Betätigung der Bremsbacken erfolgt über einen S-Nocken. Dieser sitzt auf der Bremsnockenwelle, die über einen Gestängesteller gedreht wird. Durch den von außen mit einem Druckluftbremszylinder angesteuerten Nocken und die feste Zuspannung entsteht ein annähernd gleicher Belagverschleiß an Auf- und Ablaufbacke. Sie wird bei Nutzfahrzeugen verwendet.
- außen liegender Zylinder
- Bei der Variante wird durch einen außen liegenden Druckluft- oder Hydraulikzylinder ein Ventil angesteuert. Dieser durch den Zylinder bewegte Kolben spreizt die beiden Bremsbacken. Diese Art findet vor allem in druckluftgebremsten leichten bis mittelschweren Nutzfahrzeugen Verwendung.
In jedem Fall gilt bei der Simplexbremse: Durch die Drehrichtung der Bremstrommel wird bei einer Bremsbacke die Spannkraft von der Reibungskraft verstärkt.
Duplex-Bremse
Bei der Duplex-Bremse hat jede Bremsbacke auf einer Seite eine eigene Betätigungseinrichtung. Dadurch sind beide Backen auflaufend und damit selbstverstärkend. Der Bremsenkennwert C* beträgt bei Vorwärtsfahrt 3,0 und ist bei Rückwärtsfahrt deutlich geringer. Der Vorteil gegenüber der Simplex-Bremse ist eine ca. 50 % höhere Bremswirkung bei gleicher Betätigungskraft. Ihr Nachteil ist der größere Herstellungs- und Wartungsaufwand und die Tatsache, dass die Bremswirkung bei Rückwärtsfahrt deutlich geringer ist. Duplex-Bremsen wurden vor der allgemeinen Einführung von Scheibenbremsen überwiegend auf der Vorderachse schwerer Pkw und leichter Nutzfahrzeuge sowie bei Motorrädern verwendet.
Duo-Duplex-Bremse
Die Duo-Duplex-Bremse hat im Gegensatz zur Duplex-Bremse zwei doppelt wirkende Radzylinder anstatt zwei einfach wirkender Radzylinder. Dadurch wird zwar ein höherer Anpressdruck der Bremsbacken erreicht, auf die Eigenverstärkung durch Rotation wird jedoch verzichtet. Sie wirkt damit bei Vorwärts- und Rückwärtsfahrt gleich stark. Diese aufwändige Bauart wird seit den 1960er Jahren kaum noch verwendet. Der Bremsenkennwert C* beträgt bei Vorwärts- und bei Rückwärtsfahrt 3,0.
Servo-Bremse
Die höchste innere Verstärkung hat die Servo-Bremse. Sie verfügt wie die Simplex-Bremse über einen Radzylinder, dagegen sind am unteren Drehpunkt die Bremsbacken schwimmend gelagert. Durch einen Druckbolzen wird die Abstützkraft der Primärbacke (auflaufend) auf die Sekundärbacke (ablaufend) übertragen und eine Selbstverstärkung bei beiden Bremsbacken in eine Fahrtrichtung hervorgerufen. Bei der Rückwärtsfahrt ist die Selbstverstärkung nicht gegeben.
Dadurch ergibt sich ein sehr großer Unterschied in der Bremswirkung zwischen Vorwärts- und Rückwärtsfahrt. Durch die hohe innere Verstärkung der Servo-Bremse erfordert sie die geringsten Betätigungskräfte, ist aber schlecht zu dosieren und sehr empfindlich auf Reibwertschwankungen der Bremsbeläge. Der Bremsenkennwert C* beträgt bei Vorwärtsfahrt 5,0 und ist bei Rückwärtsfahrt deutlich geringer.
Duo-Servo-Bremse
Die Duo-Servo-Bremse ist zunächst baugleich mit der Servo-Bremse. Der Nachteil der mangelnden Bremswirkung bei Rückwärtsfahrt wird dadurch ausgeglichen, dass der Druckbolzen sich je nach Bewegungsrichtung an einem Lager abstützen kann. Dadurch ergeben sich zwei auflaufende (selbstverstärkende) Bremsbacken in beide Richtungen.
Die Anwendung erfolgt bei leichten und mittelschweren Lkw sowie als Feststellbremse (Topfscheibe) bei Pkw mit vier Bremsscheiben (am Radträger zusammen mit der Scheibenbremse an der Hinterachse angeflanscht). Der Bremsenkennwert C* beträgt bei Vorwärts- und bei Rückwärtsfahrt 5,0. Dies ist die höchste mögliche Selbstverstärkung.
3-Backen-Trommelbremse
Trommelbremsen mit drei auflaufenden Backen gab es Mitte der 1960er Jahre bei Alfa Romeo in den Modellen 101 (Giulia Spider, Sprint, Sprint Speciale) und 105 (Giulia 1. Serie) an der Vorderachse.[8]
Jede der drei Bremsbacken wird von einem eigenen Bremszylinder betätigt.
Außenbackenbremse
Trommelbremsen gibt es auch in umgekehrter Anordnung: deren Bremsbacken schleifen von außen auf einer Trommel. Diese Trommelbremsen finden sich heutzutage im Maschinenbau, vor allem in der Fördertechnik zum Bremsen von Fördermaschinen, z. B. im Bergbau, im Aufzugs- und im Schiffsmaschinenbau, und werden meist an der Eingangs- oder Ausgangswelle von Getrieben angebracht. Diese Art der Trommelbremse war auch in den 1920er Jahren beim Automobil geläufig, als Bremse am Getriebe oder an der Kardanwelle, und somit über den Achsantrieb indirekt die Hinterachse abbremsend, ohne dass dann noch eigens Radbremsen eingebaut wurden. Dieses System wurde auch lange Zeit als Feststellbremse verwendet. Auch im Triebwagenbau wurden sie in den 1930er Jahren oft angewendet. Hier gab es die Anwendungsformen Außenbackenbremsen (DR-Einheitstriebwagen)[9] beziehungsweise Innenbackenbremsen (ČSD M 260.001). Die Höchstgeschwindigkeit der mit diesen Bremsen ausgerüsteten Fahrzeuge war nur für 90 km/h zugelassen, so dass sich ihr Anwendungsgebiet auf den Einsatz auf Nebenbahnen oder im Vorortverkehr beschränkte.
Kardanbremse
Der Motorradhersteller BMW verwendete ab 1924 die sogenannte Kardanbremse beim Sportmodell BMW R 37.[10] Von da an erhielten alle neuen Modelle von BMW diese Bremse, zuletzt eingesetzt bei BMW R 11 und BMW R 16, die von 1930 bis 1934 gebaut wurden.[11] Ab 1931 stellte BMW mit Einführung der BMW R 2 die Hinterradbremsen auf Trommelbremsen um.[12]
Literatur
- Bert Breuer, Karlheinz H. Bill: Bremsenhandbuch: Grundlagen, Komponenten, Systeme, Fahrdynamik. Vieweg+Teubner, Wiesbaden 2006, ISBN 978-3-8348-0064-0.
- MAN Nutzfahrzeuge Gruppe: Grundlagen der Nutzfahrzeugtechnik. Basiswissen Lkw und Bus; Marketing-Training. Kirschbaum Verlag, Bonn 2004, ISBN 3-7812-1640-3.
Weblinks
- ChrisFix: Instandsetzen der Trommelbremse (englisch), YouTube vom 27. Dezember 2016
Einzelnachweise
- ↑ Tony Hadland, Hans-Erhard Lessing: Bicycle Design. An Illustrated History. MIT Press, Cambridge / London 2014, ISBN 978-0-262-02675-8, S. 285 ff.
- ↑ Britisches Patent Nr. 3279 vom 26. Juli 1881; französisches Patent Nr. 134967 vom 20. Januar 1882
- ↑ Patent US258793A: Carriage Brake. Veröffentlicht am 30. Mai 1882, Erfinder: Walter Russell Mortimer.
- ↑ Olaf von Fersen (Hrsg.): Ein Jahrhundert Automobiltechnik. Personenwagen. VDI Verlag, 1986, ISBN 3-18-400620-4, S. 398.
- ↑ a b Olaf von Fersen (Hrsg.): Ein Jahrhundert Automobiltechnik. Personenwagen. VDI Verlag, 1986, ISBN 3-18-400620-4, S. 400.
- ↑ Patent FR321433A: Segment extensible applicable aux freins et aux embrayages des voitures automobiles et autres. Angemeldet am 27. Mai 1902, veröffentlicht am 10. Januar 1903, Erfinder: Louis Renault.
- ↑ Peter Witt: Motorräder. 1. Auflage. Verlag Technik, Berlin 1989, ISBN 3-341-00657-5, S. 45.
- ↑ Peter Steinfurth, Michael Herbold: Zeitschrift Oldtimer-Markt 7/1995, S. 19.
- ↑ Heinz Kurz: Die Triebwagen der Reichsbahn-Bauarten. EK-Verlag, Freiburg 1988, ISBN 3-88255-803-2, S. 300.
- ↑ BMW R 37 Rennausführung. In: BMW Geschichte. BMW AG, 1924, abgerufen am 20. Juli 2021 (Dokument im BMW Group Archiv): „[…] Kardanbremse statt der Riemenscheibenbremse.“
- ↑ BMW R 16, Serie 5. In: BMW Geschichte. BMW AG, abgerufen am 20. Juli 2021 (Dokument im BMW Group Archiv): „Bauzeit bis 1934 […] Verbreiterung der Kardanbremse“
- ↑ BMW R 2, Serie 1. In: BMW Geschichte. BMW AG, abgerufen am 20. Juli 2021 (Dokument im BMW Group Archiv): „Eine Neuerung war die Trommelbremse im Hinterrad, die die bisher übliche Kardanbremse ablöste.“