Anglo-Ägyptischer Krieg
Der Anglo-Ägyptische Krieg war der Feldzug zur Besetzung Ägyptens durch Großbritannien im Zuge der Niederschlagung des Urabi-Aufstandes 1882. Der Krieg leitete die britische Herrschaft in Ägypten ein und begünstigte die Ausbreitung des Mahdismus des Muhammad Ahmad im ägyptisch besetzten Sudan und den daraus beginnenden Mahdiaufstand.
Ursache
Das Khedivat Ägypten gehörte im 19. Jahrhundert offiziell zwar zum Osmanischen Reich, hatte aber unter der Dynastie des Muhammad Ali eine relative Unabhängigkeit erlangt. Durch einige Verwaltungsreformen, eine starke Bautätigkeit sowie eine verfehlte Finanzpolitik stieg die Staatsverschuldung unter dem Khediven (Vizekönig) Ismail Pascha kräftig an. Zum finanziellen Ruin Ägyptens führte vor allem die Beteiligung an den Baukosten des Sueskanals. Schließlich stiegen die Schulden unter Ismail Paschas so an, dass der Staat 1876 nicht mehr im Stande war, seinen Gläubigern die Zinsen zu bezahlen. Aus Staatsschulden von 3 Millionen Pfund Sterling bei seinem Amtsantritt als Vizekönig waren inzwischen 100 Millionen Pfund Sterling geworden. Schon 1875 war Ägypten faktisch bankrott. Die Besitzer der Anleihen wurden unruhig. Ismail musste unter anderem seinen Bestand an Sueskanalaktien an Großbritannien verkaufen. Am 24. November 1875 wechselten 176.602 Aktien für 3.976.582 Pfund Sterling den Besitzer. Im Folgejahr richteten Frankreich und Großbritannien eine Kontrollkommission für die zerrütteten ägyptischen Finanzen ein. Für Großbritannien hatte der Sueskanal eine enorme strategische Bedeutung. Durch seine Eröffnung hatte sich der Weg nach Indien, der wichtigsten britischen Kolonie, um ca. 7.000 km verkürzt.
Verlauf
Die Urabi-Bewegung
Die Entwicklung unter Ismail ließ Ägypten tief in die Schuld der europäischen Großmächte geraten. Das nutzten jene, um Konzessionen von Ismail zu erpressen. Bis 1878 geriet der Staat vollends unter internationale Finanzaufsicht. Ismail Pascha, der sich einer weiteren Einmischung der Großmächte widersetzen wollte, löste 1879 die gemischte Regierung auf. Großbritannien und Frankreich bestanden aber auf der Wiedereinsetzung ihrer Minister. Als sich der Khedive angesichts der in weiten Landesteilen herrschenden Verdrossenheit dazu nicht bereitfand, wurde er auf Betreiben der europäischen Mächte am 26. Juni 1879 vom türkischen Sultan wegen Verschwendung zur Abdankung gezwungen. Sein Amt übernahm sein Sohn Tawfiq, der sich den Wünschen der Mächte gegenüber willfähriger zeigte. Ab 1880 verwendete Ägypten die Hälfte seiner Staatseinnahmen zur Schuldentilgung. Für das Land bedeutete dies hohe Steuerlasten, mangelnde Bezahlung der Beamten und Entlassungen von Soldaten und Offizieren. Gegen die internationale Kontrolle von Finanz- und Wirtschaftspolitik entwickelte sich deshalb eine Opposition um den Obersten Ahmed Urabi Pascha, die sich aus Offizierskreisen der Armee entwickelte und verschiedene soziale oppositionelle Gruppen vereinigte. Eine weitere Gruppe waren Großgrundbesitzer, die eine Beteiligung an der Macht forderten und sich gegen den Einfluss von Europäern in der Verwaltung wandten. Des Weiteren erfolgte eine Unterstützung durch verschiedene Intellektuelle und muslimische Reformer. Die Bewegung wendete sich auch gegen die autokratische Herrschaft der Ismails. Im Herbst 1881 kam es zu Unruhen im Land. Daraufhin musste der neue Khedive Tawfiq seinen Premierminister Riaz Pascha entlassen. Neuer Premierminister wurde Scharif Pascha. Der eigentliche Herrscher wurde aber der im Februar 1882 zum Kriegsminister ernannte Ahmed Urabi. Dieser forderte unter dem Motto Ägypten den Ägyptern die Abschaffung der europäischen Finanzkontrolle. Großbritannien verhielt sich anfänglich, trotz seiner umfangreichen finanziellen Verbindung mit dem Land, eher zögerlich. Erst als Urabi eine eigene Armee aufgestellt, das ganze Land unter seine Kontrolle gebracht und die Verbindung nach Indien über den Suezkanal bedroht hatte, änderte der liberale britische Premierminister William Ewart Gladstone seine Politik.
Die Beschießung Alexandrias
Im Mai 1882 entsandten Briten und Franzosen eine Flotte nach Alexandria. Unter dem Druck dieser Demonstration setzte der Khedive am 22. Mai 1882 den inzwischen zum Pascha ernannten Urabi ab. Dies führte zum Abfall der Großgrundbesitzer und der europäisierten Bildungselite von Urabi und zu deren Anschluss an den Khediven. Einige Wochen später brachen Unruhen aus, während derer 50 Europäer, darunter der britische Konsul, getötet wurden. Truppen des Khediven konnten die Ordnung wiederherstellen. Trotzdem konnte Urabi die Kontrolle erlangen. Er ließ die Stadt gegen See befestigen und Geschütze auf die alliierte Flotte richten. Am 10. Juli erklärte daraufhin der britische Admiral Seymour, dass er die Stadt beschießen lassen werde, wenn die Geschütze nicht entfernt würden. Frankreich zog daraufhin seine Schiffe zurück, um nicht in diesen Konflikt involviert zu werden. Urabi wurde dadurch darin bestärkt, Seymours Ultimatum verstreichen zu lassen. Am Morgen des 11. Juli eröffnete Seymore daraufhin mit einer Salve der HMS Alexandra den Beschuss der Stadt. Die ägyptische Küstenbatterie feuerte zwar zurück, aber der Schaden, den ihre kleineren Kaliber an den britischen Schiffen ausrichtete, war weitaus geringer. Der Beschuss dauerte den ganzen Tag, bis das Feuer der ägyptischen Geschütze in der Nacht zum Erliegen kam. In der Stadt brachen Feuer aus, die über zwei Tage wüteten. Am 14. Juli wurde die Stadt durch britische Landungstruppen, hauptsächlich Marinetruppen, besetzt.[1]
Von Juli bis September 1882 war Urabi Pascha Premierminister.
Britische Intervention
Die Briten führten nun reguläre Truppen aus Gibraltar und von Malta heran, und General Sir Archibald Alison übernahm das Kommando. Am 17. Juli landete zuerst das 'Stafford Regiment' in Alexandria. Am 18. Juli folgten die 'King´s Royal Rifles'. Bis zum 19. Juli waren die britischen Truppen in Alexandria 3.755 Mann stark. Diese hätten im Fall eines Angriffs durch 1.200 weitere Männer Seymours auf 5.000 Mann verstärkt werden können.[2] Am 5. August wurde eine Expedition entlang des Mahmoudieh Canal unternommen und es kam zur Schlacht von Kafr El Dawwar.[3] Die Schlacht endete zwar als taktischer Sieg der Briten, allerdings änderten diese nach der Schlacht ihre Strategie gegen Alexandria.
Am 15. August 1882 erreichte der britische Oberbefehlshaber General Wolseley Ägypten. Bis zum 19. August wurden zusätzliche britische Truppen entsandt, um eine weitere wirtschaftliche und finanzielle Durchdringung des Landes und vor allem die Kontrolle über den Suezkanal sicherstellen zu können.
- Britische Expeditionsstreitkräfte (Oberbefehlshaber Generalleutnant Garnet Joseph Wolseley, Generalstabschef Generalmajor John Miller Adye)
- 1. Division (Generalleutnant George Willis)
- 1. (Garde) Brigade (Generalmajor Arthur, 1. Duke of Connaught and Strathearn)
- 2. Brigade (Generalmajor Gerald Graham)
- 2. Division (Generalleutnant Edward Bruce Hamley)
- 3. (Highland) Brigade (Generalmajor Archibald Alison)
- 4. Brigade (Generalmajor Evelyn Henry Wood)
- Kavalleriedivision (Generalmajor Drury Curzon Drury-Lowe)
- 1. (schwere) Brigade (Brigadier Baker Creed Russell)
- 2. (Bengal) Brigade (Brigadier Wilkinson)
- Indisches Kontingent (Generalmajor Herbert MacPherson)
- Infanteriebrigade (Brigadier Tanner)
- 1. Division (Generalleutnant George Willis)
Wolseley beauftragte General Hamley, einen Angriffsplan auf Abukir auszuarbeiten. Da aber auch Urabi mit einem Angriff auf Abukir rechnete, setzte Wolseley Hamleys Division dort ab und segelte mit dem Rest der Armee weiter nach Ismailia.
Am 28. August kam es bei Kassassin bzw. El Mahsama zu einem Kampf zwischen 2.000 Mann unter General Gerald Graham und 10.000 Ägyptern unter Urabi. Urabi versuchte damit den Zugang zum Suezkanal zurückzuerobern. Der Ausgang der Schlacht blieb lange offen bis die Household Cavalry, unter dem Kommando von Generalmajor Drury-Lowe, herangeführt wurde. Diese führte die Moonlight Charge durch, wobei die Royal Horse Guards und die 7th Dragon Guards mit voller Wucht ins feindliche Gewehrfeuer galoppierten. Sie erbeuteten 11 ägyptische Kanonen. Am 9. September ergriff Urabi seine letzte Chance, die britische Position anzugreifen. Um 7 Uhr morgens entbrannte an der Bahnlinie ein erbitterter Kampf, in dem die ägyptischen Truppen von den Briten unter Generalleutnant Willis zurückgedrängt werden konnten.
Am 10. September begann Wolseley mit seiner Armee, durch die Wüste nach Westen in Richtung Kairo zu marschieren. Auf dem halben Weg dahin traf er auf die Armee Urabis. Am 13. September wurde diese in der Schlacht von Tel-el-Kebir geschlagen und Urabi selbst gefangen genommen. In der Schlacht von Tel-el-Kebir wurde die ägyptische Armee vernichtend geschlagen. Am 20. Dezember 1882 wurde sie endgültig aufgelöst. Sie wurde nun unter dem Kommando eines britischen Oberbefehlshabers, des Sirdar, neu aufgebaut. Urabi Pascha wurde durch die ägyptische Regierung zum Tode verurteilt, aber auf Drängen der Briten nach Ceylon verbannt. Am 14. September rückten die ersten britischen Truppen in Kairo ein.
Folgen
Ägypten blieb auch nach der Niederschlagung der Urabi-Bewegung besetzt. Es kam zur britischen Herrschaft in Ägypten, die bis 1922 währte. Die letzten britischen Truppen verließen Ägypten sogar erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Allerdings vermied Gladstone eine offene britische Kolonialherrschaft und installierte mit Generalkonsul Evelyn Baring, dem späteren Lord Cromer, einen Berater, der den Khediven lenkte. Die unbefriedigende Kompromisslösung, dass britische Truppen zwar das Niltal besetzt hielten, nach außen hin jedoch weiterhin offiziell der Khedive als Vertreter des türkischen Sultans regierte, ergab sich aus der Rücksichtnahme auf die übrigen europäischen Mächte. Dies geht aus einem Bericht des Grafen Herbert von Bismarck an seinen Vater, den Fürsten Bismarck, über eine Unterredung mit dem britischen Außenminister Lord Granville hervor. Herbert von Bismarck schreibt aus London:
„Ich warf hier ein, ich hätte geglaubt, daß die englische Regierung ihrem diplomatischen Vertreter in Ägypten eine ähnliche Stellung zu geben beabsichtige, wie der französische Ministerresident sie in Tunis einnehme, damit sie vor politischen Intrigen gesichert sei. ‚Nein‘, antwortete Lord Granville, ‚soweit wollen wir nicht gehen; […] Wir wollen beantragen, daß die freie Schiffahrt auf dem Suezkanal für Kriegs- und Friedenszeit für sämtliche seefahrenden Nationen eine internationale Garantie durch die Mächte erhalte, und wollen zugleich vorschlagen, daß Ägypten als neutraler Staat von den europäischen Mächten à la guise de Belgique (d. h. in der Art und Weise Belgiens) anerkannt werde. Wir glauben, daß wir dadurch den Neid und die Eifersucht anderer Nationen entwaffnen und außerdem der Last überhoben werden, in Ägypten Truppen zu halten.‘“[4]
Die Wirren in Ägypten im Zuge der Urabi-Bewegung und der Besetzung Ägyptens durch Großbritannien begünstigten die Ausbreitung des Mahdismus im ägyptischen Sudan. Der daraus resultierende Mahdi-Aufstand gilt als der erste erfolgreiche Aufstand eines afrikanischen Landes gegen den Kolonialismus und führte am Ende des 19. Jahrhunderts zur Bildung eines eigenen Staates.
Bis zur Urabi-Bewegung und zum Mahdi-Aufstand gehörten Eritrea und Somaliland zu Ägypten. Durch den Verlust der Verbindung zu diesen Gebieten im Zuge des Aufstandes gelang es den europäischen Kolonialmächten, diese Länder zu besetzen.
Literatur
- Colonel J. F. Maurice: The Campaign of 1882 in Egypt. J.B, Hayward & Son, London 1887.
- Thomas Archer: The war in Egypt and the Soudan. An episode in the history of the British Empire, being a descriptive account of the scenes and events of that great drama, and sketches of the principal actors in it. 4 Bände. Blackie & Son, London 1885–1887 (Digitalisate: Band 1, Band 2, Band 3, Band 4, englisch).
- Michael Barthorp: Blood-red desert sand. The British Invasions of Egypt and the Sudan 1882–98. Cassell Military Trade Books, London 2002, ISBN 0-304-36223-9 (englisch).
- The Earl of Cromer: Modern Egypt. New edition. Macmillan, London 1911 (Nachdruck: BiblioBazaar, Charleston SC 2008, ISBN 978-0-559-78674-7, englisch).
- Heinrich Pleticha (Hrsg.): Der Mahdiaufstand in Augenzeugenberichten. dtv, München 1981, ISBN 3-423-02710-X, (= dtv 2710 - dtv-Augenzeugenberichte).