SIL International

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SIL International
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Gründung 1936
Gründer William Cameron Townsend
Sitz Dallas
Schwerpunkt Sprachforschung
Aktionsraum Weltweit
Personen Fredrick A. Boswell (Executive Director)
Website www.sil.org

SIL International (ursprünglich: Summer Institute of Linguistics, deutsch: „Sommer-Institut der Linguistik“) ist eine 1936 gegründete, christliche, wissenschaftliche Nichtregierungsorganisation mit dem Hauptziel, im Hinblick auf die Erweiterung der Sprachwissenschaften vor allem unbekannte Sprachen zu studieren, zu entwickeln und zu dokumentieren, die Alphabetisierung zu fördern und Hilfestellung bei der Entwicklung von Minderheitensprachen zu leisten.

SIL ist eng mit den Wycliff-Bibelübersetzern verbunden, einer Organisation, die die Bibel in Minderheitensprachen übersetzt. Die Organisation hat nach eigenen Angaben über 7000 Mitglieder in 60 Ländern. Ihr Hauptquartier befindet sich in Dallas, Texas.

SIL liefert durch seinen „Ethnologue“ seit 1951 eine Datenbank über die Sprachen der Welt, die dessen sprachwissenschaftliche Forschung dokumentiert.

Geschichte

Die Geschichte geht auf eine kleine Studiengruppe aus dem Jahr 1934 in Arkansas zurück, die Missionaren grundlegende sprachwissenschaftliche und anthropologische Theorien nahebrachte und sie auf Übersetzungstätigkeiten vorbereitete. Offiziell gegründet wurde SIL 1936 von dem Linguisten William Cameron Townsend (1896–1982), der unter anderem als Missionar in Guatemala tätig war. Bei dieser Tätigkeit erkannte Townsend die Wichtigkeit von Bibelübersetzungen in indigenen Sprachen.

Aus der Studiengruppe gingen 1942 die Wycliff-Bibelübersetzer hervor. Sie verstehen sich im Sinne von John Wyclif und Martin Luther als nationale Bibelübersetzer für breite Bevölkerungsschichten.

Eine der wichtigsten Persönlichkeiten innerhalb des SIL International war Kenneth L. Pike (1912–2000), der von 1942 bis 1979 ihr Präsident war. Seit 2008 ist Fredrick A. Boswell Executive Director von SIL International.[1]

Von 1950 bis 1987 war SIL in der University of Oklahoma in Norman untergebracht. Nach einer Auseinandersetzung um die missionarischen Tätigkeiten und das nahe Verhältnis von SIL-Mitarbeitern zu Militärdiktaturen in Lateinamerika löste sich die Universität von SIL. Sein Zentrum befindet sich seither in der University of Texas in Arlington.

Beitrag zur Forschung

SILs Hauptbeitrag zur linguistischen Forschung ist der Datenbestand zu über 1000 Minderheitensprachen und gefährdeten Sprachen,[2] die oftmals vorher nicht wissenschaftlich untersucht worden waren. SIL ist bestrebt, sowohl die empirischen Daten als auch deren jeweilige Analysen zu dokumentieren und damit das Wissen über Sprache zu erweitern.

Dies führte zu Veröffentlichungen über Sprachen wie Hixkaryána und Pirahã, deren Eigenheiten manche Generalisierungen linguistischer Theorien in Frage stellten. Darüber hinaus erschienen bisher über 20.000 technische Veröffentlichungen,[3] deren Großteil die linguistische Feldforschung betrifft.[4]

Der Fokus des SIL liegt nicht auf der Entwicklung neuer linguistischer Theorien. Jedoch hat Kenneth Pike die Tagmemik entwickelt (nicht länger von SIL unterstützt) und die Begriffe emisch und etisch geprägt, die heute in den Sozialwissenschaften geläufig sind.

Vielmehr konzentriert sich SIL unter anderem auf die Alphabetisierung, besonders in Eingeborenensprachen. SIL unterstützt lokale, regionale und nationale Einrichtungen, die Unterricht in Dialekten und Mundarten vorantreiben. Diese Kooperationen schaffen die Voraussetzung für Fortschritte im Unterrichtswesen multilingualer und multikultureller Gesellschaften.[5]

Weiterhin stellt SIL weltweit Lehrer und Unterrichtsmaterial für linguistische Kursprogramme an größeren weiterführenden Bildungseinrichtungen zur Verfügung. Entwickelte Konzepte wie die LAMP-Methode haben ebenfalls über SIL hinaus Bedeutung gewonnen.

Interessante Ergebnisse der Forschungsarbeit werden im „Internationalen Kulturmuseum“ in Dallas (Texas) dokumentiert.[6]

Internationale Anerkennung

Das SIL hat beratenden Status bei der UNESCO und bei den Vereinten Nationen. SIL ist auch in vielen Ländern als Nichtregierungsorganisation (NGO) vertreten. SILs Arbeit in vielen Teilen Asiens wurde von der UNESCO öffentlich ausgezeichnet.[7]

Weitere Auszeichnungen:

Missionstätigkeit

Über SIL International sind, vor allem im Zusammenhang mit der Arbeit in Lateinamerika, von verschiedenen Ethnologen, Journalisten und Menschenrechtsgruppen erhebliche Anschuldigungen veröffentlicht worden.[10] SIL International soll die Interessen internationaler Ölkonzerne gegenüber den indigenen Völkern durchgesetzt und deren Kultur untergraben haben. Der ecuadorianische Aktivist für die Rechte der Indianer, Noele Krenkel, schrieb 1991: „Was in Pastaza in Ecuador geschieht, ist ein typischer Prozess in den Regenwäldern Lateinamerikas. Zunächst entdecken europäische oder nordamerikanische Firmen wertvolle Bodenschätze auf indianischem Land. Danach hält das Summer Institute of Linguistics bei den Indianer-Gemeinden vor Ort Einzug, um die Kultur der Indigenen zu unterhöhlen. Schließlich werden Straßen gebaut und die massive Ausbeutung der Ressourcen und eine rapide Besiedelung beginnt. Das nationale Militär wird eingesetzt, um sicherzustellen, dass alles glatt läuft und Widerspruch im Keim erstickt wird.“[11] SIL International bestreitet diese Vorwürfe.[12]

Ethnologue und ISO 639-3

SIL International ist der Herausgeber des Ethnologue, eines linguistischen Sammelwerks, das anstrebt, die Sprachen der Welt einheitlich zu klassifizieren und zu katalogisieren. Der erste Ethnologue wurde 1951 von Richard Saunders Pittman herausgegeben und enthielt auf zehn mimeographierten Seiten Informationen über 46 Sprachen und Sprachfamilien. Mit der vierten Ausgabe (1953) waren erstmals handgezeichnete Karten enthalten. Die fünfte Ausgabe (1958) war die erste, die als Buch erschien.[13] Seit der 14. Auflage war der Ethnologue frei im Internet zugänglich; seit der 22. Auflage 2019 ist der Zugang nur noch gegen Bezahlung möglich.

Mit dem Erscheinen der 15. Auflage des Ethnologue im April 2005 wurde der SIL-Code an den damals in Entwicklung befindlichen ISO/DIS-639-3-Standard der Norm ISO 639 angeglichen. Somit ergeben sich für sehr viele Sprachen neue, aus drei Buchstaben bestehende Bezeichner. Hieraus resultierte weiterhin, dass nun auch Sprachen, die bereits ausgestorben sind, einen SIL-Code erhielten. Seitdem ist SIL International der offizielle Verwalter der ISO-639-3-Codes.

Einige bekannte SIL-Codes sind hier angeführt (in Klammern die bis zur 14. Auflage gültigen Codes).

Expanded Graded Intergenerational Disruption Scale (EGIDS)

Bis etwa Oktober 2019[14] nutzte die Seite ethnologue.com für die Sprachenbeschreibung nur die sog. „Erweiterte abgestufte intergenerationelle Veränderungsskala“ (Expanded Graded Intergenerational Disruption Scale, EGIDS); mittlerweile wird ergänzend eine graphische Darstellung mit zwei Dimensionen, Größe der Sprachgemeinschaft und Vitalität (nach EGIDS) genutzt[15]. Hierbei werden bezüglich Vitalität nur vier Stufen unterschieden, mit denen Bereiche der EGIDS-Skala zusammengefasst werden (0–4; 5–6a; 6b–9; 10).

EGIDS ist eine differenzierte Skala zur Einschätzung der Vitalität bzw. Gefährdung von Sprachen, die von SIL International im Ethnologue entwickelt (Paul Lewis und Gary F. Simons, 2010) und verwendet wurde.[16] Gegenüber der bekannten LVE-Skala der UNESCO mit ihren 6 Stufen[17] hat EGIDS 13 Grade. Je höher die Zahl auf der Skala, desto stärker ist die Weitergabe der Sprache von den älteren zur jüngeren Generation gestört.

Grad Kategorie Übersetzung (sinngemäß) Beschreibung Beispiel
Vitale Sprachen
0 International Weltsprache Die Sprache wird häufig zur internationalen Kommunikation im Handel, den Wissenschaften und der Politik eingesetzt. Englisch
1 National Nationalsprache Die Sprache wird zur Bildung, im Arbeitsleben, in Massenmedien und in der Politik auf nationaler Ebene verwendet. Amharisch in Äthiopien
2 Provincial Regionalsprache Die Sprache wird zur Bildung, im Arbeitsleben, in Massenmedien und in der Politik in großen Verwaltungsbezirken eines Staates verwendet. Oromo in Äthiopien
Institutionalisierte Standardsprachen
3 Wider Communication Verkehrs- oder Bildungssprache Die (lebende oder tote) Sprache wird im Arbeitsleben und in Massenmedien ohne den Status einer Amtssprache verwendet, um Sprachunterschiede zwischen verschiedenen Regionen zu überbrücken. Hausa (Sprache) in Westafrika
4 Educational geförderte Schulsprache Die Sprache ist standardisiert, es gibt Literatur in dieser Sprache. Ihre dynamische Verwendung und Erhaltung beruht jedoch auf der intensiven Förderung durch ein spezielles Bildungssystem. Schottisch-Gälisch
5 Developing (bezogen auf die Sprache) beständige Schriftsprache Es gibt Literatur in einer standardisierten Form dieser Sprache und sie wird noch dynamisch von einigen Menschen verwendet, allerdings nur in einem eng begrenzten Gebiet und nicht unbedingt nachhaltig. Schwäbisch
5 Dispersed (bezogen auf ein Land) marginale „Grenzsprache“ Die Sprache ist standardisiert, es gibt Literatur in dieser Sprache und sie wird noch dynamisch von lokalen Minderheiten verwendet, die in der Nähe eines Nachbarlandes mit einer anderen Sprache leben. Dänisch in Deutschland
Minderheitensprachen
* Derzeit ungefährdete
6a Vigorous gebräuchlich Die Sprache wird für die direkte Kommunikation innerhalb aller Generationen verwendet und die Situation ist nachhaltig. Kölsch
* Bedrohte
6b Threatened gefährdet Die Sprache wird für die direkte Kommunikation innerhalb aller Generationen verwendet, aber ihre Bedeutung schwindet. Walliserdeutsch in der Schweiz
7 Shifting unbeständig Die gebärfähige Generation kann die Sprache unter sich verwenden, aber sie wird kaum noch den Kindern weitergegeben. Nordfriesisch
8a Moribund aussterbend Die einzigen noch aktiven Sprecher sind Mitglieder der Großelterngeneration oder noch älter. Ostfriesisch
8b Nearly Extinct fast ausgestorben Die einzigen verbliebenen Sprecher sind Mitglieder der Großelterngeneration oder noch älter; doch selbst bei ihnen schwindet die Bedeutung zusehends. Ongota (Sprache) in Äthiopien
Ausgestorbene Sprachen
9 Dormant (bezogen auf die Sprache) inaktiv Es gibt keine Sprecher mehr. Die Sprache dient als Erinnerung des kulturellen Erbes für die Identität einer ethnischen Gemeinschaft, aber niemand hat mehr als symbolische Kenntnisse. Welsh-Romani in Wales
9 Reawakening (bezogen auf eine Ethnie) reaktiviert Reaktivierung – präziser: Revitalisierung – bezeichnet den Versuch der aktiven Wiederbelebung als Zweitsprache durch eine Ethnie. Kornisch in Cornwall
9 Second language only (bezogen auf ein Land) nur Zweitsprache Die Sprache wurde seit jeher nur als zweite Verkehrssprache genutzt und ist in diesem Land mittlerweile erloschen. Polari, Sprache des „fahrenden Volkes“ in England
10 Extinct erloschen Die Sprache wird nicht mehr verwendet. Niemand verbindet mehr ein Gefühl ethnischer Identität mit der Sprache. Etruskische Sprache

Die EGIDS-Stufen kombinieren die Graded Intergenerational Disruption Scale (GIDS) nach Joshua Fishman (1991) und das LVE-Modell der UNESCO.[17] Wie GIDS basiert EGIDS im Wesentlichen auf der Vererbung der Sprachen und verwendet ebenso die Einteilung von Stufe 0 bis 10 – allerdings mit zwei differenzierteren Unterteilungen der Grade 6 und 8, jeweils in a und b. Überdies hat die Stufe 5 eine alternative Kategorie (dispersed) und für die Stufe 9 zwei Alternativen (reawakening und only second language). Damit soll es zum Beispiel möglich sein, auch Sprachen korrekt einzuordnen, deren Entwicklung durch Revitalisierung möglicherweise einen positiveren Verlauf nimmt.

Der aktuelle Sprachstatus sowie weitere Informationen zu allen Sprachen der Welt werden laufend aus einer Vielzahl unterschiedlicher Quellen zusammengetragen und lassen sich über die Internetseite ethnologue.com jederzeit online abfragen. EGIDS gilt bei Experten als detaillierter und präziser als die anderen Modelle.[18]

Bedeutung für Wikipedia

Die Wikimedia Foundation nimmt nur Anträge für neue Sprachversionen ihrer Projekte, darunter Wikipedia, entgegen, wenn diese Sprachversionen einen gültigen ISO-639-Code haben.[19]

Siehe auch

  • Graphite, eine von SIL entwickelte freie „Smartfont“-Technik

Literatur

  • Ruth Margaret Brend, Kenneth Lee Pike (Hrsg.): The Summer Institute of Linguistics: Its Works and Contributions; Walter De Gruyter 1977; ISBN 90-279-3355-3.
  • Gerard Colby, Charlotte Dennett: Thy Will Be Done: The Conquest of the Amazon: Nelson Rockefeller and Evangelism in the Age of Oil; HarperCollins 1995; ISBN 0-06-016764-5.
  • John Perkins: Confessions of an Economic Hit Man; Berrett-Koehler Publishers 2004; ISBN 1-57675-301-8.
  • W. A Willibrand: Oklahoma Indians and the “Summer Institute of Linguistics”; 1953
  • Soren Hvalkof, Peter Aaby (Hrsg.): Is God an American? An Anthropological Perspective on the Missionary Work of the Summer Institute of Linguistics; A Survival-International-Document; Kopenhagen: IWGIA [International Work Group for Indigenous Affairs]. London: SI, 1981; ISBN 87-980717-2-6.
  • Eni Pucinelli Orlandi: Sprache, Glaube, Macht: Ethik und Sprachenpolitik / Language, Faith, Power: Ethics and Language Policy. In: Brigitte Schlieben-Lange (Hrsg.): Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 116; Katechese, Sprache, Schrift; Universität Siegen / J.B. Metzler 1999. Diskursanalyse zur Arbeit von SIL.
  • Laurie K. Hart: The Story of the Wycliffe Translators: Pacifying the Last Frontiers. In: NACLA’s Latin America & Empire Report, Band 7, Nr. 10 (1973). Zur Zusammenarbeit von SIL mit US-amerikanischen Ölgesellschaften und Militärdiktaturen in Lateinamerika in den 1950er und 1960er Jahren.
  • Michael Erard: How Linguists and Missionaries Share a Bible of 6,912 Languages. In: New York Times, Ausgabe vom 19. Juli 2005.
  • Norman Lewis: Die Missionare. Über die Vernichtung anderer Kulturen. Ein Augenzeugenbericht. Klett-Cotta 1991; ISBN 3-608-95312-4.

Weblinks

SIL-Seiten

Kritik an SIL

Einzelnachweise

  1. Fredrick A. Boswell auf sil.org (abgerufen am 14. Juni 2013)
  2. Endangered Language Groups
  3. siehe SILs Ethnologue Bibliography
  4. Linguistics fieldwork in SIL
  5. About SIL International
  6. The International Museum of Cultures
  7. APPEAL: SIL (Summer Institute of Linguistics) International
  8. 1973 Ramon Magsaysay Awardee for International Understanding – Summer Institute of Linguistic.
  9. Handbook of Texas Online – Summer Institute of Linguistic.
  10. Evangelical Protestants in Venezuela: Robertson Only The Latest Controversy In a Long and Bizarre History; Beitrag auf Council on Hemispheric Affairs vom 19. September 2005. Des Weiteren die Bücher von Perkins und Colby/Dennet.
  11. Noele Krenkel: Oil Companies Threaten Indian Communities and Amazon; auf abyayala.nativeweb.org 9. September 1991
  12. SIL: SIL Responds to Errors in Confessions of an Economic Hit Man, November 2005
  13. History of the Ethnologue auf ethnologue.com (abgerufen am 14. Juni 2013)
  14. Vgl. Niederländisch (23. Okt. 2019) sowie Englisch (26. Okt. 2019)
  15. Siehe als Beispiel Esperanto
  16. Language status. In: ethnologue.com, abgerufen am 2. September 2015.
  17. a b Susanne Mayer: Sprachenpolitik auf Hawai’i: Ist Hawaiianisch eine aussterbende Sprache? (PDF; 492 kB) Institut für Sprachwissenschaft, Universität Wien, S. 76–77; abgerufen am 5. März 2019
  18. Elena Mihas, Bernard Perley, Gabriel Rei-Doval u. Kathleen Wheatley (Hrsg.): Responses to Language Endangerment. In honor of Mickey Noonan. New directions in language documentation and language revitalization. John Benjamins Publishing: Amsterdam & Philadelphia 2013. ISBN 978-90-272-0609-1, S. 9 f.
  19. Requisites for eligibility. In: Website der Wikimedia.