Volksabstimmung in Österreich über den Beitritt zur Europäischen Union

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Beitrittsverhandlungen zur EU 1992–94:
Österreich
Finnland, Schweden und Norwegen
Europäische Gemeinschaft
Amtlicher Stimmzettel für die Volksabstimmung

Am 12. Juni 1994 fand eine Volksabstimmung in Österreich über den Beitritt des Landes zur Europäischen Union statt. 66,6 % der Abstimmenden befürworteten den geplanten EU-Beitritt. Die Wahlbeteiligung betrug 82,3 %.

Der Beschluss des Beitrittsvertrages durch den Nationalrat fand am 11. November dieses Jahres statt, die Zustimmung des Bundesrates am 17. November. Der EU-Beitritt Österreichs erfolgte dann per 1. Jänner 1995 (EFTA-Erweiterung der EU).[1]

Vorgeschichte

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Österreich im Staatsvertrag 1955 seine staatliche Souveränität wiedererlangt. In Artikel 4 des Staatsvertrags, dessen Garantiemächte die vier Siegermächte Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich und die Vereinigten Staaten waren, verpflichtete sich Österreich, keine wie immer geartete politische oder wirtschaftliche Vereinigung mit Deutschland ein[zu]gehen („Anschlussverbot“). In den folgenden Jahrzehnten wurde dieser Passus so interpretiert, dass dadurch ein Beitritt Österreichs zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, zu deren Gründungsmitgliedern die westdeutsche Bundesrepublik gehörte, unmöglich sei. Auch wenn dagegen argumentiert wurde, dass der westdeutsche Staat nur einen Teil der multinationalen EWG ausmache, beharrte insbesondere die Sowjetunion bis zuletzt auf diesem Standpunkt.[2] Trotzdem kam es zu einer Vielzahl von Abkommen zwischen der EWG und Österreich und die EWG-Staaten entwickelten sich insbesondere nach Abschluss des Freihandelsabkommens vom 1. Jänner 1973 zum wichtigsten Handels- und Wirtschaftspartner Österreichs.[3]

Nach der Auflösung der Sowjetunion in den Jahren 1989–91 erschien die Möglichkeit eines EU-Beitritts nunmehr gegeben. Der Beitritt wurde von den meisten führenden politischen Exponenten und Parteien in Österreich befürwortet, so auch von dem seit 1986 amtierenden Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ), der ab 1987 in einer Koalition mit der ÖVP regierte. Am 29. Juni 1989 kam es zu einer Entschließung des Nationalrates, in der die Regierung aufgefordert wurde, die Mitgliedschaft Österreichs bei den Europäischen Gemeinschaften zu beantragen. Dieser Antrag wurde am 17. Juli 1989 dann offiziell gestellt. Am 1. Februar 1993 wurden die Beitrittsverhandlungen der EG mit Österreich (und auch mit Schweden und Finnland, sowie wenig später auch Norwegen) begonnen und am 12. April 1994 abgeschlossen. Am 5. Mai 1994 stimmte der Nationalrat mit 140 gegen 35 Stimmen dem Beitritt zu und am 7. Mai 1994 folgte die Zustimmung des Bundesrats mit 51 gegen 11 Stimmen.[3]

Am 9. Mai 1994 ordnete Bundespräsident Thomas Klestil die Durchführung einer Volksabstimmung am 12. Juni 1994 über den EU-Beitritt an.[4]

Gegen den EG-Beitritt sprachen sich die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) unter Jörg Haider, die Grünen und kleinere Gruppierungen im linken Spektrum aus. Die FPÖ hatte anfänglich einen EWG-Beitritt befürwortet, aber dann ihre Einschätzung geändert. Das Hauptargument der FPÖ war der angebliche Bürokratismus und Zentralismus der Brüssler EG-Gremien, der zu einem Verlust der österreichischen Identität führen würde. Im Wahlkampf bediente sich die FPÖ ausgesprochen populistischer Argumente. Die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP argumentieren vor allem mit den zu erwartenden wirtschaftspolitischen Vorteilen des gemeinsamen Marktes.[5] In Tirol befürchteten EU-Gegner eine massive Zunahme des Nord-Süd-Transitverkehrs über den Brennerpass mit entsprechenden negativen Folgen für die Umwelt und den Tourismus. Landwirte befürchteten einen Einkommensverlust durch die Angleichung an das merklich niedrigere Preisniveau für Agrarprodukte in der EU.[6]

Die Grünen und Linken misstrauten der kapitalistischen und westlichen Orientierung der EG, sowie den angeblich ungenügenden Umwelt-Standards. Außerdem schotte sich die EU mit ihrer restriktiven Asyl- und Migrationspolitik gegenüber der restlichen Welt ab.[2]

Abstimmung und Ergebnisse

Die den Wählern vorgelegte Frage, die mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten war, lautete:[7]

„Soll der Gesetzesbeschluss des Nationalrates vom 5. Mai 1994 über das Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union Gesetzeskraft erlangen?“

Die Abstimmung fand am 12. Juni 1994 statt.

Ergebnis nach Bundesländern

Ergebnis nach Bundesländern

In allen Bundesländern ergab sich mehrheitlich ein „Ja“-Votum.[7]

Bundesland Wahl-
berechtigte
Gültige
Stimmen
Ja-Stimmen Ja-Stimmen
in %
Nein-Stimmen Nein-Stimmen
in %
Burgenland 213.090 198.279 148.041 74,7 50.238 25,3
Steiermark 907.991 728.037 501.481 68,9 226.556 31,1
Kärnten 420.630 340.867 232.457 68,2 108.410 31,8
Niederösterreich 1.115.663 999.471 678.988 67,9 320.483 32,1
Vorarlberg 221.863 177.506 118.206 66,6 59.300 33,4
Wien 1.133.690 820.675 542.905 66,2 277.770 33,8
Oberösterreich 974.865 824.512 539.965 65,5 284.547 34,5
Salzburg 347.387 284.283 184.948 65,1 99.335 34,9
Tirol 455.396 351.201 198.990 56,7 152.211 43,3
Gesamt 5.790.578 4.724.831 3.145.981 66,6 1.578.850 33,4

Ergebnis nach Stimmbezirken

Ergebnis nach Stimmbezirken (Nummerierung siehe Tabelle)

Die folgende Liste gibt das Ergebnis der Abstimmung nach Stimmbezirken wieder.[7]

Stimmbezirk Stimm-
berechtigte
Abgegebene Stimmen Stimm-
beteiligung
Ja-Stimmen Nein-
Stimmen
absolut
Nr Name insgesamt ungültig
in %
absolut in %
1A Burgenland Nord 104.257 102.079 1,0 97,9 74.355 73,6 26.714
1B Burgenland Süd 108.833 98.292 1,1 90,3 73.686 75,8 23.524
2A Klagenfurt 110.479 89.096 1,0 80,6 60.781 68,9 27.382
2B Villach 90.883 76.268 0,9 83,9 52.503 69,5 23.065
2C Kärnten West 98.363 80.872 0,9 82,2 53.660 67,0 26.449
2D Kärnten Ost 120.905 98.218 1,2 81,2 65.513 67,5 31.514
3A Weinviertel 202.161 184.400 1,1 91,2 124.498 68,3 57.906
3B Waldviertel 173.380 158.720 1,3 91,5 102.927 65,7 53.758
3C Mostviertel 171.891 153.193 1,3 89,1 99.469 65,8 51.786
3D Niederösterreich Mitte 167.514 152.454 1,2 91,0 100.590 66,8 49.974
3E Niederösterreich Süd 141.446 130.415 1,1 92,2 89.584 69,4 39.454
3F Wien Umgebung 145.318 128.993 0,8 88,8 90.268 70,5 37.719
3G Niederösterreich Süd-Ost 113.953 102.373 0,8 89,8 71.652 70,6 29.886
4A Linz und Umgebung 228.888 184.932 0,8 80,8 133.911 73,0 49.564
4B Innviertel 148.982 125.446 1,1 84,2 73.709 59,4 50.408
4C Hausruckviertel 235.240 203.994 1,0 86,7 126.989 62,9 74.960
4D Traunviertel 180.327 159.045 1,0 88,2 100.634 63,9 56.772
4E Mühlviertel 181.428 159.354 1,1 87,8 104.722 66,5 52.843
5A Salzburg Stadt 101.866 77.631 0,7 76,2 50.147 65,0 26.965
5B Flachgau/Tennengau 121.975 104.809 0,8 85,9 65.750 63,2 38.215
5C Lungau/Pinzgau/Pongau 123.546 103.923 0,7 84,1 69.051 66,9 34.155
6A Graz 181.268 137.287 0,9 75,7 96.003 70,5 40.084
6B Steiermark Mitte 135.078 108.540 1,0 80,4 72.557 67,5 34.935
6C Steiermark Süd 101.030 80.001 1,1 79,2 52.501 66,3 26.652
6D Steiermark Süd-Ost 85.818 70.437 1,2 82,1 43.648 62,7 25.953
6E Steiermark Ost 112.345 96.151 1,0 85,6 62.828 66,0 32.348
6F Steiermark Nord 87.741 73.494 1,0 83,8 54.851 75,4 17.909
6G Steiermark Nord-West 119.161 99.628 0,9 83,6 69.672 70,6 29.065
6H Steiermark West 85.550 69.618 0,8 81,4 49.421 71,6 19.610
7A Innsbruck 82.911 64.019 0,6 77,2 37.008 58,2 26.602
7B Innsbruck-Land 150.724 117.173 0,5 77,7 63.502 54,5 53.063
7C Unterland 101.952 80.844 0,6 79,3 44.994 56,0 35.383
7D Oberland 83.038 63.183 0,5 76,1 35.225 56,0 27.646
7E Osttirol 36.771 27.945 0,6 76,0 18.261 65,7 9.517
8A Vorarlberg Nord 123.768 99.266 0,6 80,2 67.117 68,0 31.588
8B Vorarlberg Süd 98.095 79.216 0,5 80,8 51.089 64,8 27.712
9A Wien Innen-Süd 115.492 81.277 0,8 70,4 53.043 65,8 27.600
9B Wien Innen-West 114.356 80.577 0,7 70,5 55.506 69,3 24.534
9C Wien Innen-Ost 109.992 77.683 0,8 70,6 48.633 63,1 28.445
9D Wien Süd 221.061 158.088 0,7 71,5 100.086 63,7 56.959
9E Wien Süd-West 212.052 159.859 1,1 75,4 107.008 67,7 51.127
9F Wien Nord-West 180.404 132.388 0,7 73,4 88.735 67,5 42.663
9G Wien Nord 180.336 137.220 0,6 76,1 89.894 65,9 46.442

Beurteilung und weitere Entwicklung

Die Frage des Referendums wurde in allen Stimmbezirken und Bundesländern mit klarer Mehrheit befürwortet. Der höchste pro-EU-Stimmenanteil ergab sich mit 74,7 % im Burgenland, der niedrigste mit 56,7 % in Tirol. Die Wahlbeteiligung war mit durchschnittlich 82,3 % hoch und lag 2,0 bzw. 2,9 Prozentpunkte höher als bei der Bundespräsidentenwahl 1992 und der Nationalratswahl 1990 – ein Indiz, dass die Wählerschaft der Frage hohe Bedeutung beimaß. Im Burgenland war die Wahlbeteiligung am höchsten (94 %) und in Wien am niedrigsten (73 %). 64.390 österreichische Staatsbürger im Ausland (1,1 % der Stimmberechtigten) gaben ebenfalls ihre Stimme ab.[7]

Das österreichische Referendum war das erste von insgesamt vier Referenden (drei weitere folgten in Schweden, Finnland und Norwegen) und in keinem der anderen Beitrittskandidaten-Länder fiel das „Ja“-Votum zum Beitritt so deutlich aus. Am 24. Juni 1994 unterzeichneten Bundeskanzler Vranitzky, Außenminister Mock und andere österreichische Bevollmächtigte den Beitrittsvertrag auf der Konferenz in Korfu.[3]

Am 22. Juli 1994 reichten Beitrittsgegner beim Verfassungsgerichtshof Klage ein, weil die Regierung in unzulässiger Weise für ein positives Votum geworben habe und weil die Frist zwischen der Anordnung der Volksabstimmung durch den Bundespräsidenten und dem Tag der Abstimmung zu kurz gewesen sei. Die Klage wurde am 30. August 1994 durch den Verfassungsgerichtshof als unbegründet abgewiesen.[3]

Am 1. Jänner 1995 trat Österreich offiziell der Europäischen Union bei.

Weblinks

Commons: 1994 EU referendum in Austria – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Literatur

  • Margaretha Kopeinig: Der dreizehnte Stern. Wie Österreich in die EU kam. Czernin, Wien 2014, ISBN 978-3-7076-0497-9.

Einzelnachweise

  1. Vor 20 Jahren: Abschluss des EU-Beitrittsvertrags und der EU-Beitritt Österreichs. Materialien, österreichisches Parlament (parlament.gv.at).
  2. a b EU-Beitritt Österreichs. Demokratiezentrum Wien, abgerufen am 17. Januar 2015.
  3. a b c d Chronologie der Beziehungen Österreich-EWG/EU. Parlament der Republik Österreich, abgerufen am 1. Januar 2015.
  4. U-Volksabstimmung - Klestil unterschrieb die Entschließung zur Volksabstimmung. Bildarchiv Austria, abgerufen am 17. Januar 2015.
  5. Meret Baumann: Österreichs EU-Beitritt vor zwanzig Jahren: «Es gab keinen Plan B». Neue Zürcher Zeitung, 10. Juni 2014, abgerufen am 17. Januar 2015.
  6. Klaus-Peter Schmid: Angst vor dicker Luft. Zeit online, 25. März 1994, abgerufen am 1. Januar 2017.
  7. a b c d EU-Volksabstimmung: Volksabstimmung über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union am 12. Juni 1994 (PDF; 4,7 MB), Herausgeber: Bundesministerium für Inneres, mit detaillierten Ergebnissen nach Gemeinden