Elwira Sachipsadowna Nabiullina

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Elwira Nabiullina (2017)

Elwira Sachipsadowna Nabiullina (russisch Эльвира Сахипзадовна Набиуллина, tatarisch Эльвира Сәхипзадә кызы Нәбиуллина; * 29. Oktober 1963 in Ufa) ist eine russische Volkswirtin, Bankerin und Politikerin tatarischer Herkunft. Vom 24. September 2007 bis zum 12. Mai 2012 war sie russische Ministerin für wirtschaftliche Entwicklung. Seit Juni 2013 leitet sie die Zentralbank Russlands. Sie war die erste Frau auf dem Spitzenposten dieser Institution. Nabiullina wird von Beobachtern als wirtschaftsliberal eingeschätzt.[1]

2015 wurde sie von Euromoney zur Zentralbankleiterin des Jahres gewählt, 2017 von The Banker zur Zentralbankerin des Jahres in Europa. 2021 führte sie die Forbes-Liste auf Platz 53 als eine der einflussreichsten Frauen weltweit[2][3], und sie gilt als „mächtigste Frau Russlands“.[4]

Als ihre größten Erfolge werden die Schließung von etwa 500 korrupten russischen Banken betrachtet, die Bekämpfung der Inflation durch eine strenge Geldpolitik und die Umstellung auf einen variablen Wechselkurs.[5] In den Jahren 2014 und 2022 gelang es ihr, die russische Währung zu stabilisieren. Ihre Maßnahmen werden unter dem Gesichtspunkt des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine teilweise als Kriegsvorbereitung interpretiert.[6][7]

Biographie

Elwira Nabiullina stammt aus einer tatarischen Familie, ihr Vater Sachipsada Saitsadajewitsch Nabiullin war Berufskraftfahrer, ihre Mutter Arbeiterin. Sie schloss die Schule Nr. 31 in Ufa mit Auszeichnung ab.[8]

Anschließend studierte Nabiullina bis 1986 Wirtschaftswissenschaften an der Moskauer Lomonossow-Universität und begann daraufhin ein Promotionsstudium, das sie 1990 abschloss. Ab 1991 arbeitete sie beim Wissenschaftlich-industriellen Verband der UdSSR, dem Vorläufer des russischen Unternehmerverbandes RSPP,[9] bis 1992 als wissenschaftliche Leiterin der Abteilung für Wirtschaftsreformen und bis 1994 in derselben Position der Abteilung für Wirtschaftspolitik. 1994 wechselte sie ins Wirtschaftsministerium, wo sie zunächst Vize, dann Leiterin der Abteilung für Reformen war. Nach Informationen der Tageszeitung Kommersant ging ihre Berufung auf den liberalen Ökonomen und damaligen Wirtschaftsminister Jewgeni Jassin (* 1934) zurück,[10] mit dem sie bereits im russischen Unternehmerverband zusammengearbeitet hatte. Jassin beschrieb sie als eine „hochqualifizierte, gebildete Person“, die auch hartnäckig sein könne.[11]

Von 1997 bis 1998 war sie stellvertretende Wirtschaftsministerin und unter anderem Mitglied der Kommission für Wirtschaftsreformen. Nach der Ernennung Jewgeni Primakows zum Ministerpräsidenten wechselte sie vom Wirtschaftsministerium in die Führung der Promtorgbank. Ende 1999 wurde sie Vizepräsidentin des Zentrums für Strategische Forschung (russisch Центр стратегических разработок), dessen Leitung im Dezember 1999 der spätere Wirtschaftsminister Herman Gref übernahm. Im Jahr 2000, nach der Wahl Putins zum Präsidenten der Russischen Föderation, wurde Gref Minister für wirtschaftliche Entwicklung, und mit ihm wechselte auch Nabiullina wieder ins Ministerium, wo sie dessen Stellvertreter wurde. 2003 verließ sie das Wirtschaftsministerium und wurde Präsidentin des Zentrums für strategische Entwicklungen. Ab September 2005 arbeitete sie im Apparat des Staatspräsidenten Putin, in dem sie einem Expertenrat vorstand, der sich mit der Umsetzung der sogenannten Nationalen Projekte sowie mit Demographie-Politik befasste.

Im September 2007, nach der Ernennung Wiktor Subkows zum neuen Ministerpräsidenten, übernahm sie die Leitung des Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Handel und löste auf diesem Posten ihren ehemaligen Vorgesetzten Herman Gref ab. Ab Mai 2012 war sie eine von fünf persönlichen Beratern des Staatspräsidenten. Wladimir Putin spricht sie öffentlich mit ihrem Vornamen an.[12]

Im März 2013 nominierte Staatspräsident Putin Nabiullina für den Vorsitz der Zentralbank Russlands;[13] im Juni 2013 übernahm sie dieses Amt.[14]

Krise 2014

Bei den Maßnahmen gegen die Sanktionen im Dezember 2014 geriet Nabiullina wegen ihres Umgangs mit dem Kursverfall des Rubels in Kritik. Dessen Wechselkurs bzw. Außenwert war von Jahresbeginn 2014 bis dahin um über die Hälfte gesunken. Russlands Verhalten im Ukrainekrieg irritierte Anleger, Investoren, viele westliche Politiker und offenbar auch zahlreiche Russen, die ihre Rubel verkauften und in andere Währungen konvertierten oder in Sachwerte flüchteten. Inwieweit die 2014 verhängten Sanktionen der Europäischen Union und der USA zum Verfall des Rubel oder zur Kapitalflucht beitrugen, ist nicht bekannt. Der starke Einbruch des Ölpreises reduzierte die Staatseinnahmen wesentlich. Trotz eines Zuschusses von 30 Milliarden Dollar aus den Fremdwährungsreserven zur Stützung des Rubelkurses[15] wurde Ende November 2014 die Wechselkursbindung des Rubel an Euro und Dollar nicht aufgehoben.[16] Gleichzeitig wurde der Leitzins erhöht, zunächst auf 10,5 Prozent, dann Mitte Dezember 2014 auf 17 Prozent.[17] Nabiullina führte so die russische Währung 2014 aus der Krise, dafür ernannte sie das britische Fachmagazin Euromoney zur besten Führungskraft einer Notenbank des Jahres 2015.[18]

2018 wurde sie zur Michel Camdessus Central Banking Lecture Series eingeladen. Christine Lagarde hielt die Laudatio.[19]

2019 begann sie die „Entdollarisierung“ der russischen Ökonomie als Teil einer umfassenden Politik zur Steuerung von Fremdwährungsrisiken. Im Oktober 2020 wurde ein Beratungspapier zu einem digitalen Rubel veröffentlicht. Bis Ende 2021 sollte ein Prototyp fertiggestellt werden.[20]

Krieg gegen die Ukraine 2022

Präsident Putin ernannte Elvira Nabiullina im März 2022 inmitten der schweren Wirtschafts- und Finanzkrise wegen des Krieges gegen die Ukraine für eine dritte Amtszeit als Notenbankchefin der russischen Zentralbank.[21] In dieser Krise hatten viele westliche Staaten der russischen Zentralbank den Zugriff auf ihre Gold- und Devisenreserven entzogen, was einen historisch einmaligen Akt gegen einen G20-Staat darstellt.[22]

Nach Kriegsbeginn verhängte Nabiullina Kapitalverkehrskontrollen, um einen Bankansturm zu verhindern, eine Maßnahme, die sie bisher abgelehnt hatte.[23] In einem Dekret zwang sie Käufer von russischer Energie, bei der staatlichen Gazprombank ein Konto zu eröffnen, so dass die Zentralbank den Rubel stützen kann. Trotz des verhinderten Zugriffs auf die Auslandsdevisen stieg der Handelsüberschuss wegen der hohen Ölpreise weiter an, so dass eine neue Reserve aufgebaut werden konnte. Nabiullina hatte schon vor dem Krieg 643 Milliarden Dollar in Devisen angelegt.[24]

Auszeichnungen

Das Magazin Euromoney wählte sie 2015 zum Central Bank Governor of the Year.[25] 2017 wählte sie die Wirtschaftszeitung The Banker zum Best Central Bank Governor in Europe.[26] Forbes setzte sie 2021 auf die Liste der einflussreichsten Frauen der Welt.[27]

Privates

Nabiullina ist mit dem Wirtschaftswissenschaftler Jaroslaw Kusminow verheiratet. Aus der Ehe ging Sohn Wassili (* 1988) hervor, der Soziologie und Wirtschaftswissenschaften, darunter auch an der University of Manchester, studierte und seit 2010 in Moskau an der Höchsten Schule der Ökonomie als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig ist.

Siehe auch

Weblinks

Commons: Elwira Nabiullina – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Fußnoten

  1. Russlands Rubel-Krise: Kein Grund zur Schadenfreude. In: Spiegel Online, 17. Dezember 2014.
  2. Porträt: Die Frau hinter dem Rubel, in: der Freitag. Abgerufen am 23. April 2022.
  3. Bartek Goduslawski: First Lady der Moskauer Finanzwelt: Elvira Nabiullina bereitete Russlands Wirtschaft auf den Krieg vor — der nun ihr Lebenswerk zerstört. 16. März 2022, abgerufen am 23. April 2022 (deutsch).
  4. 21 04 2022 um 16:01 von Eduard Steiner: Putin führt Krieg – und diese Frau muss ihm wieder einmal die... , in: Die Presse. 21. April 2022, abgerufen am 23. April 2022.
  5. Anders Aslund: Elvira Nabiullina’s Failures Are Russia’s Economic Disasters, in: The Moscow Times. 25. März 2022, abgerufen am 23. April 2022 (englisch).
  6. Anders Aslund: Elvira Nabiullina’s Failures Are Russia’s Economic Disasters, in: The Moscow Times. 25. März 2022, abgerufen am 23. April 2022 (englisch).
  7. How Russia’s vigorous ruble defense could backfire, in: Politico. 5. April 2022, abgerufen am 23. April 2022 (amerikanisches Englisch).
  8. Президентская «дамка». In: FLB.ru, 2. Oktober 2007 (russisch).
  9. Nesawissimaja Gaseta, 9. Februar 2007 (russisch).
  10. Kommersant, 9. Juni 2003 (russisch, siehe Weblinks).
  11. Interview in: Wsgljad, 25. September 2007.
  12. Nabiullina named Euromoney Central Bank Governor of the Year 2015, in: Euromoney,. 16. September 2015, abgerufen am 23. April 2022 (englisch).
  13. Elwira Nabiullina wird Chefin von Russlands Zentralbank. In: Stimme Russlands, 13. März 2013.
  14. Wie unabhängig ist Putins neue Zentralbankchefin? In: Die Welt, 24. Juni 2013.
  15. Russia puts losses from sanctions, cheaper oil at up to $140b a year. In: Jordan Times, 24. November 2014 (englisch).
  16. K. Rapoza: Will Ruble Crisis Lead To Currency Controls In Russia? In: Forbes, 16. Dezember 2014 (englisch).
  17. Marcus Gatzke, Marlies Uken: Wie zu Breschnews Zeiten. In: Die Zeit, 16. Dezember 2014; Lidia Kelly, Elena Fabrichnaya, Alexander Winning: Russia’s ‘difficult’ rate hike approved by Putin. In: Reuters, 16. Dezember 2014 (englisch).
  18. Porträt: Die Frau hinter dem Rubel. Abgerufen am 23. April 2022.
  19. Christine Lagarde, IMF Managing Director IMF HQ, Washington, DC: 2018 Michel Camdessus Central Banking Lecture Series: Managing Director's Opening Remarks. Abgerufen am 23. April 2022 (englisch).
  20. Abigail Ng: Digital currencies are the future for Russia's financial system, central bank governor says. 2. Juni 2021, abgerufen am 23. April 2022 (englisch).
  21. Paul Abelsky: Putin Backs Nabiullina for New Term as War Roils Russian Economy. In: Bloomberg News. 18. März 2022, abgerufen am 19. März 2022: „She maintained her independence despite occasional criticism from Putin as he sought to bolster growth. [..] Instantly, about half of the central bank’s $640 billion in foreign reserves were frozen, driving Russia to the verge of its first foreign default in more than a century.“
  22. Christoph Rottwilm: Angriff auf Russlands Staatsschatz. In: manager magazin. Abgerufen am 19. März 2022: „Rund 630 Milliarden Dollar an Devisen- und Goldreserven hat Russlands Zentralbank über die Jahre angehäuft. Ein Riesenvermögen, das Putin in den kommenden Monaten der zunehmenden wirtschaftlich Isolation dringend benötigen würde, etwa, um die Abwertung der russischen Währung zu bremsen und mögliche Importe bezahlbar zu halten. [..] Es ist ein Eingriff, der in der Geschichte bislang ohne Beispiel ist. Zwar wurden schon ähnliche Sanktionen gegen Notenbanken von Ländern wie Iran oder Venezuela verhängt. Gegen die Zentralbank eines G-20-Staates hat es ein solches Vorgehen bislang jedoch nicht gegeben.“
  23. Christoph Rottwilm, manager magazin: Elvira Nabiullina: Russlands Zentralbankchefin wollte wegen Krieges abtreten. Abgerufen am 23. April 2022.
  24. Michael Maier: Rubel-Retterin Nabiullina: Finanzgenie oder Kriegsverbrecherin? In: Berliner Zeitung. Abgerufen am 23. April 2022.
  25. Nabiullina named Euromoney Central Bank Governor of the Year 2015 Euromoney, 16. September 2015, abgerufen am 29. März 2022
  26. In the Trenches, Persuing Stability, Interview mit Elvira Nabiullina in: Finance and Evelopment, 2019, Vol. 56. Nr. 1., abgerufen am 29. März 2022
  27. The World's Most Powerful Women, Forbes, 7. Dezember 2021, abgerufen am 29. März 2022