Geschlechtsorgan

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Fortpflanzungsorgane)

Ein Geschlechtsorgan (lateinisch Organum genitale; synonym Fortpflanzungsorgan, Sexualorgan, Geschlechtsteil, Genitale, Geschlecht) ist ein Organ von Lebewesen mit zwei oder mehreren Paarungstypen (Geschlechtern), dessen Funktion im Zusammenhang mit der sexuellen Fortpflanzung steht. Die Geschlechtsorgane werden auch als primäre Geschlechtsmerkmale bezeichnet.

In diesem Artikel werden ausschließlich die Geschlechtsorgane von Säugetieren einschließlich des Menschen behandelt. Zu den Geschlechtsorganen von Pflanzen siehe Fruchtblatt und Staubblatt.

Allgemeine Unterscheidungen

Funktional unterscheidet man zwischen den Sexualorganen – Organe, die der Begattung bzw. zur Ausübung von Geschlechtsverkehr dienen – und den Reproduktionsorganen, welche die Fortpflanzung gewährleisten. Weiterhin werden äußere von inneren Geschlechtsorganen unterschieden. Bei männlichen Individuen kommt hinzu, dass der Penis eine dritte Funktion hat, denn er ist durch die Harnröhre ein Teil der ableitenden Harnwege. Unterschieden wird ferner zwischen den eigentlichen (primären) Geschlechtsdrüsen wie Hoden und Eierstöcke und (zusätzlichen) akzessorischen Geschlechtsdrüsen.

Reproduktionsorgane

Die Funktion als Reproduktionsorgane bei der Bildung und Reifung der Gameten hängt von der Bildung und Ausschüttung von Releasing-Hormonen und von in der Hypophyse freigesetzten Steuerungshormonen ab, die ihrerseits die Bildung von Sexualhormonen in den Gonaden anregen. Die Ausprägung der Geschlechtsorgane wird schon beim Ungeborenen sowie in der Kindheit und in der Pubertät entscheidend durch Sexualhormone beeinflusst.[1][2]

Sexualorgane

Damit die unmittelbar der Paarung dienenden Sexualorgane ihre physiologischen Funktionen entfalten können, ist sexuelle Erregung erforderlich. Diese stellt eine multiple Reaktion des limbischen Systems im Gehirn dar, sie baut das Paarungsverlangen auf (siehe auch sexueller Reaktionszyklus, Human sexual response cycle).

Ontogenetische Entwicklung der Geschlechtsorgane

Unterschiedliche Entwicklung der menschlichen Geschlechtsorgane beim männlichen und weiblichen Fötus bis zum Neugeborenen

In der typischen pränatalen Entwicklung stammen die Geschlechtsorgane aus einer gemeinsamen Anlage während der frühen Schwangerschaft, die sich dann zu männlichen oder weiblichen Geschlechtsorganen entwickeln. Das SRY-Gen, das sich normalerweise auf dem Y-Chromosom befindet und für den Hodenbestimmungsfaktor kodiert, bestimmt die Richtung dieser Differenzierung. Das Fehlen des STY-Gens erlaubt es den Keimdrüsen, sich zu weiblichen Eierstöcken weiterzuentwickeln.

Danach wird die Entwicklung der inneren und äußeren Fortpflanzungsorgane durch Hormone bestimmt, die von bestimmten fetalen Gonaden (Eierstöcke oder Hoden) produziert werden, und die Reaktion der Zellen darauf. Das anfängliche Erscheinungsbild der fetalen Genitalien sieht grundsätzlich weiblich aus: ein Paar Urogenitalfalten mit einer kleinen Auswölbung in der Mitte und die Harnröhre hinter dieser Auswölbung. Wenn der Fötus Hoden hat, und wenn die Hoden Testosteron produzieren, und wenn die Zellen der Genitalien auf das Testosteron reagieren, schwellen die äußeren urogenitalen Falten an und verschmelzen in der Mittellinie, um den Hodensack zu produzieren; die Protuberanz wird größer und gerader, um den Penis zu formen; die inneren urogenitalen Schwellungen wachsen, wickeln sich um den Penis und verschmelzen in der Mittellinie, um die penile Harnröhre zu bilden.

Jedes Geschlechtsorgan in einem Geschlecht hat ein homologes Gegenstück in dem anderen Geschlecht. In einer größeren Perspektive umfasst der gesamte Prozess der sexuellen Differenzierung auch die Entwicklung sekundärer Geschlechtsmerkmale wie Muster von Scham- und Gesichtsbehaarung und weiblichen Brüsten, die in der Pubertät entstehen. Darüber hinaus entstehen Unterschiede in der Hirnstruktur, die das Verhalten beeinflussen, aber nicht unbedingt bestimmen.[3]

Intersexualität entsteht durch Entwicklung von Genitalien zwischen typischen männlichen und weiblichen Phänotypen. Wenn ein Kind geboren wurde, werden in manchen Fällen die Eltern mit schwierigen Entscheidungen konfrontiert, wie z. B. ob sie die Genitalien unverändert lassen oder das Kind als männlich oder weiblich zuweisen und die Genitalien verändern lassen. Manche Eltern lassen ihren Ärzten die Wahl. Wenn sie entscheiden, die Genitalien zu modifizieren, haben sie eine Chance von ungefähr 50 %, Genitalien zu bekommen, die der Geschlechtsidentität des Kindes entsprechen. Wenn sie den falschen auswählen, kann ihr Kind beginnen, Symptome des Transsexualismus zu zeigen, was sie zu einem Leben voller Unbehagen führen kann, bis sie in der Lage sind, das Problem zu lösen.[4]

Wegen der starken sexuellen Selektion, die die Struktur und Funktion der Genitalien beeinflusst, bilden sie ein Organsystem, das sich schneller als jedes andere entwickelt. Eine große Vielfalt an genitalen Formen und Funktionen ist daher bei Tieren zu finden.[5]

Differenzierung in weibliche und männliche Genitalien

Männliche und weibliche Organe des menschlichen Fortpflanzungssystems sind miteinander verwandt und teilen einen gemeinsamen Entwicklungspfad. Das macht sie biologisch homologen Organen: bei beiden Geschlechtern gibt es Strukturen, die eine Entsprechung beim jeweils anderen Geschlecht haben. Männliche und weibliche Geschlechtsorgane unterscheiden sich sowohl in den äußerlich sichtbaren als auch in den inneren Strukturen.

Weibliche Geschlechtsorgane der Säugetiere

Die weiblichen Geschlechtsorgane (Organa genitalia feminina) werden wie folgt eingeteilt:

Äußere Geschlechtsorgane

Äußere Geschlechtsorgane einer Frau: (1) Venushügel, (2) Klitorisvorhaut, (3) Klitoris, (4) innere Schamlippen, (5) äußere Schamlippen, (6) Perineum, (7) Anus, (8) Vagina

Vulva oder Scham bildet die Gesamtheit der äußeren weiblichen Geschlechtsorgane. Sie verläuft vom Venushügel bis zum Perineum.

Die äußeren Schamlippen schließen mit der Schamspalte die kleinen Schamlippen, den Scheidenvorhof, den Ausgang der Harnröhre sowie die Klitoris samt Klitorisvorhaut ein. Der Scheidenvorhof stellt die Verbindung zu den inneren weiblichen Geschlechtsorganen dar.

Innere Geschlechtsorgane

Datei:Weibliche Becken- und Genitalorgane.png
Schematische Darstellung der inneren und äußeren Geschlechtsorgane einer Frau

Die Vagina, auch Scheide genannt, ist die Verbindung zwischen den äußeren und inneren weiblichen Geschlechtsorganen. Sie mündet unten in den Scheidenvorhof und wird oberhalb durch den äußeren Muttermund abgeschlossen, der in den Gebärmutterhals (Cervix uteri) führt. Der Gebärmutterhals ist der untere Teil der Gebärmutter, in welcher sich befruchtete Eizellen bzw. Blastocysten einnisten können (Nidation).

Die Bildung und Reifung der Eier erfolgt in den Eierstöcken, von wo aus sie über die Eileiter, in denen sie befruchtet werden können, in die Gebärmutter gelangen. Die Eierstöcke sind gleichzeitig Hormondrüsen.

Studien an Mausmodellen zeigten, dass vor allem die Hox-Gene, hierbei speziell HOXA9, A10, A11 und A13, eine essentielle Rolle bei der Entwicklung des Urogenitaltrakts spielen. Im Tiermodell konnte gezeigt werden, dass HOXA10 für die Uterusentwicklung, HOXA11 für den kaudalen Uterus- und Zervix-Anteil, HOXA13 für die obere Vagina und HOXA9 für die Eileiterentwicklung als Transkriptionsfaktoren verantwortlich sind.[6]

Akzessorische Geschlechtsdrüsen

Männliche Geschlechtsorgane der Säugetiere

Äußere Geschlechtsorgane eines Mannes: (1) Penis, (2) Hodensack, (3) Vorhaut, (4) Eichel, (5) Eichelkranz, (6) Mündung der Harnröhre
Datei:Männliche Becken- und Genitalorgane.png
Schematische Darstellung der inneren und äußeren Geschlechtsorgane eines Mannes

Die folgende Einteilung der männlichen Geschlechtsorgane (Organa genitalia masculina) mag auf den ersten Blick erstaunen: Die Hoden liegen zwar außen, zählen aber dennoch zu den inneren Geschlechtsorganen. Diese Einteilung ist darin begründet, dass die Hoden sich zunächst im Bauchraum entwickeln und bei den meisten Säugetieren erst bei oder nach der Geburt in den Hodensack wandern (Hodenabstieg, Descensus testis).

Äußere Geschlechtsorgane

Der Penis ist das Begattungsorgan des Mannes bzw. männlichen Tieres. Darüber hinaus ist er gleichzeitig ein Teil der ableitenden Harnwege, indem er die Harnröhre umschließt.

Der Hodensack (Skrotum) ist ein Hautsack unterhalb des Penis. Er umhüllt die inneren Geschlechtsorgane, die Hoden, die Nebenhoden und den an den Nebenhoden beginnenden unteren Teil der Samenleiter.

Innere Geschlechtsorgane

Die Hoden sind die männlichen Keimdrüsen. Sie sind das Bildungsgewebe der männlichen Keimzellen, der Spermien, und sind gleichzeitig Hormondrüsen. Zu den inneren Geschlechtsorganen gehören hier des Weiteren die Nebenhoden, Samenleiter sowie die Prostata und einige weitere Drüsen.[7]

Akzessorische Geschlechtsdrüsen

Entlang des Samenweges sind bei den Säugetieren bis zu vier paarige akzessorische (zusätzliche) Geschlechtsdrüsen ausgebildet. Dies sind die Samenleiterampulle, die Samenblasendrüse, die Prostata und die Bulbourethraldrüse. Sie produzieren einen Großteil der Samenflüssigkeit (Ejakulat).

Alte Bezeichnung

Die alte Bezeichnung „Gemächt“ (von mittelhochdeutsch gemaht/gemëht/gemëhte) bezeichnet das männliche Geschlechtsteil, wurde aber unter anderem auch in den Bedeutungen Geschlechtsteil(e), Geschlechtsorgane, Penis, Hoden(sack) und (sowohl Frau als auch Mann betreffend) „Zeugungsglied“ verwendet.[8][9][10][11]

Historische Darstellungen der Geschlechtsorgane des Menschen

Siehe auch

Literatur

  • Uwe Gille: Harn- und Geschlechtsapparat, Apparatus urogenitalis. In: Franz-Viktor Salomon, Hugo Černý: Anatomie für die Tiermedizin. Enke, Stuttgart 2004, ISBN 3-8304-1007-7, S. 368–403.

Weblinks

Commons: Geschlechtsorgan – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Geschlechtsorgan – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: Geschlechtsteil – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Duden: Geschlechtsorgan

Einzelnachweise

  1. Neil A. Campbell, Jane B. Reece: Biologie. Heidelberg /Berlin, 2003, S. 1175–1185.
  2. Ulrich Schwabe, D. Paffrath (Hrsg.): Arzneiverordnungsreport 2002. S. 467.
  3. S. J. Robboy, T. Kurita, L. Baskin, G. R. Cunha New insights into human female reproductive tract development. In: Differentiation. September – Oktober 2017, Band 97, S. 9–22, doi:10.1016/j.diff.2017.08.002.
  4. Anne Fausto Sterling: Sexing The Body: gender politics and the construction of sexuality. 1. edition, Basic Books, New York 2000, ISBN 0-465-07714-5.
  5. Menno Schilthuizen: Nature’s Nether Regions: What the Sex Lives of Bugs, Birds, and Beasts Tell Us About Evolution, Biodiversity, and Ourselves. Viking, New York (NY) 2014, ISBN 978-0-670-78591-9 (Google-books).
  6. Weibliche genitale Fehlbildungen. AWMF-Register Nr. 015/052, Klasse: S1 + IDA, Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), herausgebende Fachgesellschaft in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendgynäkologie, der Deutschen Gesellschaft für Urologie, der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin und der Deutsche nGesellschaft für Humangenetik. [In Überarbeitung], S. 4; awmf.org (Memento vom 30. Juli 2018 im Internet Archive; PDF)
  7. Intersexualität – Stellungnahme. Deutscher Ethikrat, Berlin, 23. Februar 2012, ISBN 978-3-941957-27-5, S. 30–31; Volltext (Memento vom 18. März 2016 im Internet Archive; PDF).
  8. Gerhard Wahrig: Deutsches Wörterbuch. 2. Auflage. Mosaik-Verlag, München 1986, S. 539.
  9. Nabil Osman (Hrsg.): Kleines Lexikon untergegangener Wörter. Wortuntergang seit dem Ende des 18. Jahrhunderts (= Beck'sche Reihe. Band 487). Beck, München 1971/ 13., unveränderte Auflage, München 2003, ISBN 3-406-45997-8, S. 101 f.
  10. Lykke Aresin, Helga Hörz, Hannes Hüttner, Hans Szewczyk (Hrsg.): Lexikon der Humansexuologie. Verlag Volk und Gesundheit, Berlin 1990, ISBN 3-333-00410-0, S. 75 (Gemach).
  11. Siehe auch Joseph Hyrtl: Die alten deutschen Kunstworte der Anatomie. Braumüller, Wien 1884/ Neudruck: Fritsch, München 1966, S. 59 f. (dort „Frauenscham“, Hoden, Geschlechtsteil).