Parlamentswahl in Frankreich 2012
Die Parlamentswahl in Frankreich 2012 war für den 10. und 17. Juni angesetzt und führten zur Wahl der 14. Nationalversammlung der Fünften Republik Frankreichs.[1] Am 6. Mai 2012 hatte die Stichwahl der Französischen Präsidentschaftswahl 2012 stattgefunden; François Hollande (PS) hatte diese gewonnen. Gewählt wurden nun 577 Abgeordnete aus allen Landesteilen, auch aus den überseeischen Gebieten. Aus der Wahl ging die PS als klare Siegerin hervor. Sie verpasste mit 280 Mandaten knapp die absolute Mehrheit (289 Sitze); zusammen mit ihrem engsten Bündnispartner, der Parti radical de gauche (12 Mandate), hatte sie 292 Sitze. Damit verfügten Hollande und die Sozialisten mit ihren Bündnispartnern über eine Mehrheit in beiden Parlamentskammern, zumindest bis zur nächsten Senatswahl im September 2014.
Besonderheiten dieser Wahl
Die Wahlen waren von zwei Neuerungen gekennzeichnet. Die Wahlkreise wurden mit Hinblick auf den demografischen Wandel im Lande neu aufgeteilt; die Gesamtanzahl der Parlamentssitze blieb unverändert. Laut Gesetz soll die Einwohneranzahl je Département die Anzahl der Sitze, die je Département gewählt werden, widerspiegeln, was bei der Wahl zuvor (2007) nicht eingehalten werden konnte: So hatte bei der letzten Wahl eine Stimme eines Einwohners im Département Lozère mehr Gewicht als drei Stimmen der Wähler im Département Bouches-du-Rhône, drei Stimmen in Saône-et-Loire entsprachen fünf auf La Réunion.[2] Eine Studie wies darauf hin, dass durch die Neuaufteilung bei gleichem Wählervotum die Zahl der Sitze der Mitte-rechts-Koalition unter der UMP gegenüber den Sitzen der Linken um etwa zwei Prozent bzw. neun Sitze zunehmen würde.[3]
Zum Zweiten durften bei dieser Wahl zum ersten Mal die 1,5 Millionen Franzosen außerhalb Frankreichs nach Artikel 24 der im Jahre 2008 reformierten Verfassung an der Wahl teilnehmen[4] und elf Sitze stellen. In der Vergangenheit waren diese französischen Bürger nur durch zwölf Senatoren parlamentarisch vertreten, die von der Versammlung der Franzosen im Ausland (Assemblée des Français de l’étranger (AFE)) gewählt wurden. Die zwölf Senatoren blieben unverändert erhalten. Für die Wahl der elf Sitze in der Nationalversammlung wurden elf Wahlkreise gebildet, die jeweils mehrere Staaten umfassen. Die Schweiz und Liechtenstein bilden den sechsten Wahlkreis, Deutschland und Österreich gehören mit weiteren Staaten zum siebten Wahlkreis.[5]
In jedem Wahlkreis wurde ein Abgeordneter gewählt. Im ersten Wahlgang war gewählt, wer mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen erreicht hatte, sofern seine Stimmenzahl mindestens 25 % der Zahl der Wahlberechtigten des Wahlkreises betrug.[6] War kein Bewerber im ersten Wahlgang gewählt worden, fand eine Woche später (17. Juni) ein zweiter Wahlgang statt. An diesem konnten die Kandidaten teilnehmen, die bis zum Dienstag nach dem ersten Wahlgang ihre Kandidaturerklärung einreichten und deren Stimmenzahl im ersten Wahlgang mindestens 12,5 % der Zahl des Wahlberechtigten des Wahlkreises betragen hatte. Erreichte diese Hürde kein oder nur ein Kandidat, gab es eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen im ersten Wahlgang.[7] Im zweiten Wahlgang reicht die einfache Mehrheit.[7]
Parteien und Wahlkampf
Kandidaten, die sich einer der 44 beim französischen Innenministerium registrierten Parteien angeschlossen hatten, konnten in den Genuss einer staatlichen Parteienfinanzierung gelangen. Insgesamt wurden 6611 Kandidaten registriert, darunter 2641 (40 %) Frauen.[8]
Die zur Wahl stehenden größeren Parteien sind im Wesentlichen dieselben wie bei der Präsidentschaftswahl:
- Union pour un mouvement populaire (UMP) – konservativ
- Nouveau Centre (NC) – zentristisch-liberal
- Parti Socialiste (PS) – sozialdemokratisch
- Parti radical de gauche (PRG) – linksliberal
- Europe Écologie-Les Verts (EELV) – grün
- Mouvement démocrate (MoDem) – zentristisch-liberal (angetreten als Centre pour la France)
- Front National (FN) – nationalistisch
- Front de gauche (FDG) – linkssozialistisch-kommunistisch
Am 12. Mai kündigte Jean-Luc Mélenchon, der ehemalige Präsidentschaftskandidat des linken Front de gauche an, im elften Wahlkreis des Départements Pas-de-Calais als Kandidat anzutreten. In diesem Wahlkreis kandidierte auch Marine Le Pen, die Vorsitzende des rechtsextremen Front National.[9] Am 18. Mai 2012 gab der Front de gauche auch bekannt, dass sie ihre Kandidaten in zwei Wahlkreisen (siebter Wahlkreis im Département Moselle und erster Wahlkreis im Département Aube) zurückziehen wolle, um nicht den Erfolg eines Kandidaten aus dem linken Spektrum durch zu starke Aufsplitterung der Stimmen zu gefährden.[10]
Die meisten Umfragen sagten einen Sieg der Sozialistischen Partei und ihrer Verbündeten voraus.
Trotz eines Stimmenanteils von 17,9 % im ersten Wahlgang der im April 2012 vorangegangenen Präsidentschaftswahl war es aufgrund des Mehrheitswahlrechts durchaus nicht unwahrscheinlich, dass der Front National keinen einzigen der 577 Parlamentssitze bekommen würde. Ähnliches galt auch für Mouvement démocrate, deren Kandidat 9,1 % der Stimmen bei der Präsidentschaftswahl erhielt. Die grüne Partei hatte mit der PS jedoch ein Wahlabkommen geschlossen, nach dem die Sozialisten in 60 Wahlkreisen auf die Aufstellung eines eigenen Kandidaten verzichten und den Kandidaten der Grünen unterstützen wollen, so dass diesen mindestens 15 Abgeordnete fast sicher schienen. Dies war die Mindestzahl für die Bildung einer Fraktion in der Nationalversammlung.[11][12]
Ergebnisse
Im ersten Wahlgang erreichten insgesamt 36 Kandidaten eine absolute Stimmenmehrheit in ihrem Wahlkreis und waren damit gewählt. Zu diesen 36 Abgeordneten zählten 22 Kandidaten der Parti socialiste. Im zweiten Wahlgang fand dann eine Stichwahl in den verbliebenen 541 Wahlkreisen statt. Dabei hatten die Wähler in 495 Wahlkreisen zwischen zwei Kandidaten und in 46 Wahlkreisen zwischen 3 Kandidaten zu entscheiden.
Einiges Aufsehen in der französischen Presse erregte vor dem zweiten Wahlgang der guerre des roses (Rosenkrieg) zwischen der Ex-Lebensgefährtin des französischen Präsidenten und Mutter seiner vier Kinder, Ségolène Royal und dessen jetziger Partnerin Valérie Trierweiler. Durch die Sozialistische Partei war Royal im vermeintlich sicheren Wahlkreis 1 (La Rochelle) des Départements Charente-Maritime als Kandidatin aufgestellt worden. Nach der Wahl war sie für das Amt der Parlamentspräsidentin vorgesehen. Allerdings waren nicht alle sozialistischen Politiker vor Ort mit dieser aus Paris dekretierten Kandidatin einverstanden und stellten Olivier Falorni als lokalen sozialistischen Gegenkandidaten auf, der daraufhin prompt aus der PS ausgeschlossen wurde. Landesweite Brisanz erhielt die Angelegenheit, als bekannt wurde, dass Trierweiler über Twitter Falorni „viel Glück“ in seinem Wahlkampf und sein „selbstloses Engagement an der Seite der Leute von La Rochelle“ gelobt hatte.[13][14]
Im zweiten Wahlgang stand in insgesamt 22 Wahlkreisen ein Kandidat des linksradikalen Front de gauche zur Wahl und in 61 Wahlkreisen war ein Front national-Kandidat in den zweiten Wahlgang gelangt.
Die Wahlbeteiligung im zweiten Wahlgang lag bei ca. 56 % und damit so niedrig wie seit vielen Jahren nicht mehr. Die linken Parteien gewannen insgesamt 341 Sitze, wobei die Parti Socialiste mit ihrem engsten Verbündeten, der Parti radical de gauche, allein die absolute Mehrheit gewann (292 von 577 Mandaten).
Zwei Kandidaten des Front National wurden gewählt, zum einen Marion Maréchal-Le Pen, die 22-jährige Enkelin von Jean-Marie Le Pen und Nichte von Marine Le Pen mit 42,1 % der Stimmen im dritten Wahlkreis des Départements Vaucluse und Gilbert Collard mit 42,8 % der Stimmen im zweiten Wahlkreis von Gard.[15] Marine Le Pen selbst verlor dagegen das Duell gegen den sozialistischen Gegenkandidaten Philippe Kemel im 11. Wahlkreis von Pas-de-Calais mit 49,9 gegen 50,1 % (ihr prominenter Herausforderer Jean-Luc Mélenchon war schon nach dem ersten Wahlgang ausgeschieden).[16] Ségolène Royal unterlag mit 37,0 % zu 63,0 % der Stimmen gegen ihren parteilosen, ehemals sozialistischen Gegenkandidaten Olivier Falorni.[17] François Bayrou, der Parteivorsitzende von Mouvement démocrate/Le Centre pour la France verlor mit 30,2 % der Stimmen seinen Wahlkreis im Département Pyrénées-Atlantiques, den er seit 1988 ununterbrochen gehalten hatte, in einem Dreier-Duell MoDem-PS-UMP an den Kandidaten der Sozialisten.[18]
politische Parteien |
Stimmen (erster Wahlgang) |
Stimmen (zweiter Wahlgang) |
Sitze | |||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
absolut | in % | Gewählte Abgeordnete |
absolut | in % | Gewählte Abgeordnete |
Gewählte Abgeordnete |
in % | |||
Extreme Linke | 253.580 | 0,98 | 0 | — | — | — | 0 | 0,00 | ||
Front de gauche (FG) | 1.792.923 | 6,91 | 0 | 249.525 | 1,08 | 10 | 10 | 1,73 | ||
Parti socialiste (PS) | 7.617.996 | 29,35 | 22 | 9.420.426 | 40,91 | 258 | 280 | 47,31 | ||
Parti radical de gauche (PRG) | 429.059 | 1,65 | 1 | 538.324 | 2,34 | 11 | 12 | 2,08 | ||
Verschiedene Linke (Divers gauche) | 881 339 | 3,40 | 1 | 709.409 | 3,08 | 21 | 22 | 3,81 | ||
Europe Écologie-Les Verts (EELV) | 1.418.141 | 5,46 | 1 | 828.916 | 3,60 | 16 | 17 | 2,77 | ||
Regionalparteien | 145.825 | 0,56 | 0 | 135.354 | 0,59 | 2 | 2 | 0,35 | ||
Grüne Parteien | 249.205 | 0,96 | 0 | — | — | — | 0 | 0,00 | ||
Andere | 133.729 | 0,52 | 0 | — | — | — | 0 | 0,00 | ||
Le Centre pour la France (CEN) | 458.046 | 1,76 | 0 | 113.196 | 0,49 | 2 | 2 | 0,35 | ||
Alliance centriste (ALLI) | 156.026 | 0,60 | 0 | 123.352 | 0,54 | 2 | 2 | 0,35 | ||
Parti radical valoisien (PRV) | 321.054 | 1,24 | 0 | 311.211 | 1,35 | 6 | 6 | 1,04 | ||
Nouveau Centre (NCE) | 569.890 | 2,20 | 1 | 568.288 | 2,47 | 11 | 12 | 2,08 | ||
Union pour un mouvement populaire (UMP) | 7.037.471 | 27,12 | 9 | 8.740.625 | 37,95 | 185 | 194 | 33,10 | ||
Verschiedene Rechte (Divers droite) | 910.392 | 3,51 | 1 | 418.135 | 1,82 | 14 | 15 | 2,60 | ||
Front National (FN) | 3.528.373 | 13,60 | 0 | 842.684 | 3,66 | 2 | 2 | 0,35 | ||
Extreme Rechte | 49.501 | 0,19 | 0 | 29.738 | 0,13 | 1 | 1 | 0,17 | ||
Registrierte Wähler | 46.083.260 | 100,0 | 43.234.000 | 100,0 | ||||||
Nichtwähler | 19.709.961 | 42,77 | 19.276.406 | 44,59 | ||||||
Abstimmende insgesamt | 26.373.299 | 57,23 | 23.957.594 | 55,41 | ||||||
Ungültige Stimmen und leere Stimmzettel | 420.749 | 0,91 | 928.411 | 2,15 | ||||||
Wählerstimmen gesamt | 25.952.550 | 56,32 | 23.029.183 | 53,27 | ||||||
Quelle: Innenministerium |
Insgesamt war das Wahlergebnis ein großer Sieg für die Parti socialiste und ihre Verbündeten (EELV, Divers gauche, Parti radical de gauche). In der Nationalversammlung verfügte Präsident François Hollande damit über eine komfortable Majorité présidentielle von 331 Abgeordneten (57,4 %). Das konservativ-bürgerliche und liberale Lager (UMP, Divers droite, Nouveau Centre, Parti radical valoisien, Alliance centriste, Mouvement démocrate) kam auf 231 Sitze (40,0 %). Der Front National errang 2 und der kommunistische Front de gauche 10 Sitze.
Wahlwiederholungen
Aufgrund von erfolgreichen Wahlanfechtungen annullierte das französische Verfassungsgericht, der Conseil constitutionel, am 18. bzw. 24. Oktober das Wahlergebnis in drei Wahlkreisen. Betroffen waren der 6. Wahlkreis von Hérault (Entscheidung Nr. 2012-4590), der 1. Wahlkreis von Val-de-Marne (Entscheidung Nr. 2012-4565/4567/4568/4574/4575/4576/4577 AN) und der 13. Wahlkreis von Hauts-de-Seine (Entscheidung Nr. 2012-4563/4600 AN). Zwei Abgeordnete der UMP und eine Abgeordnete der PS verloren dadurch ihre Parlamentsmandate. In den drei Wahlkreisen fanden im Dezember 2012 Nachwahlen statt, bei denen sich jeweils die Kandidaten der UMP durchsetzen konnten.
Kabinett
Am Tag seiner Amtseinführung, dem 15. Mai 2012, ernannte Hollande Jean-Marc Ayrault zum Premierminister. Ayrault präsentierte am 15. Mai 2012 eine Übergangsregierung. Diese Übergangsregierung amtierte nur bis zur Parlamentswahl im Juni 2012. Nach dem zweiten Wahlgang am 17. Juni 2012 trat Ayrault einen Tag später gemeinsam mit seiner Regierung zurück. Unmittelbar danach ernannte Hollande Ayrault erneut zum Premierminister. Am 21. Juni 2012 präsentierte Ayrault seine neue Regierung (Kabinett Ayrault II), die weitgehend unverändert blieb und bis zu ihrem Rücktritt am 31. März 2014 amtierte.
Einzelnachweise
- ↑ Les dates de la présidentielle 2012 fixées in: Le Figaro vom 11. Mai 2011
- ↑ Le Conseil constitutionnel valide le redécoupage législatif (Memento vom 27. Dezember 2011 im Internet Archive), Agence France-Presse, 18. Februar 2010
- ↑ Étude sur le redécoupage électoral: Une initiative de Regards Citoyens, 14. Dezember 2009
- ↑ Volltext (Memento vom 8. November 2015 im Internet Archive)
- ↑ Elections législatives. Votre circonscription pour l’élection des députés (Memento vom 1. Juli 2012 im Internet Archive)
- ↑ Code électoral, Artikel L126
- ↑ a b Code électoral, Artikel L162
- ↑ Législatives : 40% de femmes candidates. Le Figaro, 19. Mai 2012, abgerufen am 17. Februar 2016 (französisch).
- ↑ « Mélenchon officialise sa candidature contre Marine Le Pen à Hénin-Beaumont ». L’Express, 12. Mai 2012, abgerufen am 9. Juni 2012 (französisch).
- ↑ Le PG se retire de 2 circonscriptions. Le Figaro, 18. Mai 2012, abgerufen am 9. Juni 2012 (französisch).
- ↑ 2012: le PS plébiscite l'accord avec EELV. Le Nouvelle Observateur, abgerufen am 10. Juni 2012 (französisch).
- ↑ Parlamentswahlen in Frankreich: Erste Bewährungsprobe für Hollande (Memento vom 15. August 2012 im Internet Archive)
- ↑ Valérie Trierweiler: Die rebellische Première Dame. Bonner Generalanzeiger, 15. Juni 2012, abgerufen am 16. Juni 2012.
- ↑ Trierweiler - Royal : la presse britannique ironise sur «la guerre des roses». Le Parisien, 13. Juni 2012, abgerufen am 16. Juni 2012 (französisch).
- ↑ Le Pen-Enkelin gewinnt Abgeordnetensitz in Frankreich (Memento vom 6. Juni 2013 im Internet Archive)
- ↑ Rechtsextreme Le Pen verpasst Einzug ins Parlament in Frankreich. Zeit.de, 17. Juni 2012, archiviert vom Original am 15. Juni 2016 .
- ↑ Fabien Jannic: Ségolène Royal battue par Olivier Falorni à La Rochelle. Slate.fr, 17. Juni 2012, abgerufen am 18. Juni 2012 (französisch).
- ↑ Législatives : François Bayrou a perdu son siège. 17. Juni 2012, abgerufen am 18. Juni 2012 (französisch).