Friedrich Staub
Friedrich Rudolf Staub, auch Fritz Staub (* 30. März 1826 in Männedorf; † 3. August 1896 in Zürich-Fluntern), war ein Schweizer Dialektologe, Lexikograph und Bibliothekar. Bleibende Verdienste erwarb er sich als Gründer des Schweizerischen Idiotikons und als Initiator der Schweizerischen Nationalbibliothek.
Leben und Werk
Staub kam als Sohn eines Baumwollfabrikanten zur Welt. Er besuchte den ersten Unterricht an einer Privatschule, dann das öffentliche Gymnasium (Kantonsschule) in Zürich, studierte 1845–47 an der theologischen und hauptsächlich an der philosophischen Fakultät der Universität Zürich, und anschliessend studierte er 1847–48 noch Philologie an der Universität Bonn.
Nach Männedorf zurückgekehrt, wurde Staub 1848 Lehrer an Eduard Billeters ursprünglich für zehn Knaben konzipiertem Internat im Hause «Liebegg». Er übernahm die Schule 1850, verlegte sie in sein Elternhaus «zum Felsenhof», baute sie aus (ein grosser Teil der Schüler stammte aus dem Welschland) und leitete sie bis 1858, wonach er sie den Brüdern Heinrich und Jakob Labhart überliess. Anschliessend war Staub 1858–62 Privatgelehrter in Zürich.
Auf Anregung der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, vor welcher er einen Vortrag zum Thema «Wert und Bedeutung des Dialektes» gehalten hatte, begründete er zusammen mit Ludwig Tobler 1862 das Schweizerische Idiotikon, dessen Leiter er bis zu seinem Tode 1896 war. Staub war nicht allein Wörterbuchredaktor, sondern auch unermüdlich um das Zusammenkommen des Datenmaterials besorgt. 1868 verlieh ihm die Philosophische Fakultät der Universität Zürich «auf Grund seiner für die Wissenschaft so bedeutenden Vorarbeiten für das Schweizer Idiotikon und wegen seiner soeben erschienenen Schrift über das Brot» den Doktortitel honoris causa.
Parallel zu seiner Arbeit am Wörterbuch war Staub 1871–85 Unterbibliothekar bzw. 1885–87 Leitender Bibliothekar an der Stadtbibliothek Zürich (heute Zentralbibliothek Zürich) und initiierte 1891 die Gründung der Schweizerischen Landesbibliothek (heute Schweizerische Nationalbibliothek).
Staub litt an zunehmender Sehschwäche, die ihn immer mehr bei seiner Arbeit beeinträchtigte. Nachdem er überraschend an einer Lungenentzündung gestorben war, wurde Albert Bachmann Nachfolger Staubs als Chefredaktor des Schweizerischen Idiotikons.
Sein wissenschaftlicher Nachlass befindet sich im Archiv des Schweizerischen Idiotikons, seine Sammlung von Autographen und Drucken teils im Schweizerischen Literaturarchiv[1] und teils ebenfalls am Schweizerischen Idiotikon.
Staubsches Gesetz
Staub formulierte 1874 erstmals eine in den meisten alemannischen Mundarten auftretende sprachliche Gesetzmässigkeit, die heute nach ihm Staubsches Gesetz genannt wird. Es betrifft den Schwund eines Nasals vor homorganen Spiranten (/x/, /f/, /s/, /ʃ/, /v/) unter Dehnung oder Diphthongierung des vorhergehenden Stammvokals, beispielsweise mittelhochdeutsch sanft > schweizerdeutsch saaft oder sauft; Fënster > Fäischter; Honwîl (Ortsname) > Höiel; finster > fiischter oder feischter; [Ofen-]Kunst > Chuuscht oder Chouscht; fünf > füüf oder föif.[2]
Publikationen
- Das Brot im Spiegel schweizerdeutscher Volkssprache und Sitte. Lese schweizerischer Gebäckenamen. Aus den Papieren des Schweizerischen Idiotikons. Leipzig 1868 (Digitalisat).
- Die Vokalisierung des N bei den schweizerischen Alemannen. Halle 1874 (Digitalisat) (unter dem Titel: Ein schweizerisch-alemannisches Lautgesetz auch in Deutsche Mundarten 7, 1877, S. 18–36, 191–207, 333–389).
- [Neuedition und Kommentierung:] Ulrich Zwingli: Wie man die jugendt in guten sitten … uferziehen unnd leeren sölle. In: Sammlung selten gewordener pädagogischer Schriften des 16. und 17. Jahrhunderts. Hrsg. v. August Israel. 4. Heft. Zschopau ca. 1880.
- [wohl zusammen mit Ludwig Tobler:] Die Reihenfolge in mundartlichen Wörterbüchern und die Revision des Alphabetes. Ein Vorschlag zur Vereinigung, vorgelegt vom Büreau des Schweizerdeutschen Idiotikons. [Zürich 1876].
- Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache. Frauenfeld 1881 ff.: zahlreiche Wortartikel von 1881 bis 1896 (Band I bis Anfang von Band IV).
Literatur
- Niklaus Bigler: Staub, Friedrich Rudolf. In: Christoph König (Hrsg.), unter Mitarbeit von Birgit Wägenbaur u. a.: Internationales Germanistenlexikon 1800–1950. Band 3: R–Z. De Gruyter, Berlin / New York 2003, ISBN 3-11-015485-4, S. 1790–1791.
- Niklaus Bigler (Hrsg.): Eine Kundfahrt zu den Südwalsern vor 125 Jahren. Briefe Friedrich Staubs an seine Frau (PDF; 8,5 MB). In: Schweizerdeutsches Wörterbuch. Schweizerisches Idiotikon. Bericht über das Jahr 1988, S. 10–34.
- Niklaus Bigler (Hrsg.): Auf der Suche nach Gewährsleuten. Ein alter Reisebericht aus der Urschweiz (PDF; 4,2 MB). In: Schweizerdeutsches Wörterbuch. Schweizerisches Idiotikon. Bericht über das Jahr 2000, S. 11–33.
- Niklaus Bigler: Fritz Staub – ein Privatmann im Dienste der Öffentlichkeit (PDF; 1,4 MB). In: Schweizerdeutsches Wörterbuch. Schweizerisches Idiotikon. Bericht über das Jahr 2012. [Zürich 2013], S. 18–36.
- Walter Haas: Das Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache. Versuch über eine nationale Institution (PDF; 45,7 MB). Hrsg. von der Redaktion des Schweizerdeutschen Wörterbuchs. Frauenfeld 1981.
- Peter Ott: Staub, Friedrich. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- Eduard Schwyzer: Staub, Fritz. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 55, Duncker & Humblot, Leipzig 1910, S. 624–630.
- Nachrufe (Auswahl):
- Albert Bachmann in Neue Zürcher Zeitung 1896, Nr. 236 f. und in Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog 1, 1897, S. 235–242.
- Eduard Hoffmann-Krayer in Archiv für Volkskunde 1, 1897, S. 88–90.
- K. Schnorf in Jahresheft des Vereins schweizerischer Gymnasiallehrer 27, 1896, S. 55–67.
- Karl Weinhold in Berliner Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 6, 1896, S. 447.
Zum Staubschen Gesetz:
- Karl Bohnenberger: Zur Auflösung des n vor Reibelaut im Alemannischen. In: Zeitschrift für deutsche Mundarten Jg. 1914, S. 377–382.
- Karl Bohnenberger: Über n vor Reibelaut im Alemannischen mit einem Anhange über nk. In: Teuthonista 4 (1927/28), S. 13–31.
- Iwar Werlen: Das «Staubsche Gesetz» im Schweizerdeutschen. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 44 (1977), S. 257–281.
- Beiträge zur Schweizerdeutschen Grammatik, Bände I–XI, XIII–XVII, XIX–XX. Huber, Frauenfeld 1910–1940.
- Sprachatlas der deutschen Schweiz, Band II. Huber, Frauenfeld 1965, Karten 97–108, 124–136a.
Weblinks
- Literatur von und über Friedrich Staub im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek.
- Publikationen von und über Friedrich Staub im Katalog Helveticat der Schweizerischen Nationalbibliothek – Link beschlägt verschiedene Personen.
- Schweizerisches Idiotikon (online abrufbare Rechenschaftsberichte und weitere Dokumente).
Einzelnachweise
- ↑ SLA-Staub Staub, Friedrich: Sammlung Friedrich Staub, 1546 (ca.)–1896 (ca.) (Bestand) auf helveticarchives.ch sowie Sammlung Friedrich Staub auf der Website der Schweizerischen Nationalbibliothek.
- ↑ Beispiele zitiert nach Fr[iedrich] Staub: Die Vokalisierung des N bei den schweizerischen Alemannen. Halle 1874; Heinrich Baumgartner: Die Mundarten des Berner Seelandes, Frauenfeld 1922 (BSG XIV), S. 72 f. und Albert Weber: Die Mundarten des Zürcher Oberlandes, Frauenfeld 1923 (BSG XV), S. 72 ff.
Personendaten | |
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NAME | Staub, Friedrich |
ALTERNATIVNAMEN | Staub, Fritz; Staub, Friedrich Rudolf |
KURZBESCHREIBUNG | Schweizer Sprachwissenschafter und Begründer des Schweizerischen Idiotikons |
GEBURTSDATUM | 30. März 1826 |
GEBURTSORT | Männedorf |
STERBEDATUM | 3. August 1896 |
STERBEORT | Zürich-Fluntern |