Treibstoffschnellablass

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Fuel Dumping)
Notablassstutzen eines Airbus A340-311
Treibstoffnotablass eines Airbus A340-600 über dem Atlantik nahe Nova Scotia

Das Treibstoffablassen (

Fuel Dumping, bzw. Fuel Jettison

) dient bei Flugzeugen dazu, vor einer Not- oder einer Sicherheitslandung durch das Ablassen von Kerosin das Gewicht des Flugzeugs auf oder unter das maximal zulässige Landegewicht abzusenken.

Allgemeines

Beim Abflug sind die Treibstofftanks entsprechend der Flugstrecke und den nötigen Sicherheitsreserven befüllt. Manchmal muss auch das maximale Abfluggewicht (MTOW) ausgenutzt werden. Das maximale Landegewicht eines Flugzeuges liegt bei vielen Typen unter dem maximalen Startgewicht. Bei einer Boeing 747-400 kann dieser Unterschied etwa 100 Tonnen betragen.[1] Wäre es notwendig, unmittelbar nach dem Start wieder zu landen, so kann eine ggf. notwendige Gewichtsreduzierung durch Ablassen von Treibstoff über das Treibstoffschnellablasssystem erreicht werden.[1]

Für das Ablassen von Treibstoff muss grundsätzlich eine Notfallsituation vorliegen. Den Piloten wird daraufhin von der Flugsicherung ein Gebiet, eine Mindestflughöhe (1800 Meter)[2] sowie ein bestimmter Kurs (keine geschlossenen Kreise) zugewiesen.[1] Bei Einhaltung der Auflagen ist sichergestellt, dass maximal 8 % des versprühten und in der Luft verdunstenden Treibstoffs den Boden erreicht. Das entspräche einer Bodenbelastung von 0,02 Gramm je Quadratmeter.[3] Bei größerer Flughöhe oder zusätzlichen Luftströmungen ist die am Boden messbare Menge niedriger.[4]

Nach den Regelungen der ICAO sollte das Gebiet für den Treibstoffablass (Dumping Area) möglichst dünn besiedelt sein (zum Beispiel der Odenwald, die Eifel, das Sauerland, der Westerwald oder die Nordsee) und Schutzzonen so weit wie möglich ausschließen.[1] Eine Auflistung der erfassten Mengen an Treibstoff, die über Deutschland in den Jahren 2010 bis 2016 abgelassen wurde, ergibt eine Gesamtmenge von rund 3.590 Tonnen Kerosin bei durchschnittlich 22 Fällen pro Jahr (insgesamt 121 Fälle im betrachteten Zeitraum).[5][6] Rheinland-Pfalz war 2017 am stärksten betroffen.[7][8] Im Oktober 2018 hat der Bundesrat dem Entschließungsantrag des Landes Rheinland-Pfalz über die Meldepflicht binnen 24 Stunden zugestimmt. Der Verkehrsminister wurde mit der sofortigen Umsetzung beauftragt.[9] Eine Liste mit den aktuellen Treibstoffablässen über Deutschland wird vom Luftfahrt-Bundesamt veröffentlicht.[10]

Man nimmt aufgrund von numerischen Simulationen an, dass beim Versprühen der Treibstoff Tröpfchen mit einer Größe deutlich unterhalb eines Millimeters bildet. Dabei dürfte die genaue Größe unter anderem von den Ausströmbedingungen an der Düse und der freigesetzten Kerosinmenge abhängig sein.[11]

Geschichte

Die US-amerikanische Luftfahrtbehörde FAA erließ in den 1960er Jahren die Verordnung, dass alle Flugzeuge, deren maximales Startgewicht (MTOW) mehr als 5 Prozent über dem maximalen Landegewichts liegt, ein System zum Treibstoffnotablass benötigen.

Da die meisten Kurzstreckenflugzeuge diese Grenze nicht überschritten, wurde bei ihnen kein Treibstoffnotablass-System eingebaut. Als diese mit der Zeit größere Tanks für höhere Reichweiten bekamen, überschritten auch diese die 105-Prozent-Grenze. Weil jedoch gleichzeitig die Triebwerke immer sicherer und leistungsfähiger wurden und der Einbau von Notablasssystemen kaum möglich war, hob die FAA die 105-Prozent-Regel für die Flugzeuge auf, die mit einem ausgefallenen Triebwerk starten bzw. durchstarten können. Damit war ein Treibstoffnotablass für zweistrahlige Maschinen nicht mehr erforderlich. Heutzutage müssen deshalb nur noch vierstrahlige Flugzeuge mit diesem System ausgestattet werden. Allerdings können auch viele zweistrahlige Großraumverkehrsflugzeuge auf Kundenwunsch mit einer Treibstoffnotablassanlage ausgestattet werden, um im Notfall nicht zu lange kreisen zu müssen. Bei kleineren Flugzeugen wird heute auf den Einbau von Treibstoffnotablassanlagen von vorneherein verzichtet, so dass langes Kreisen vor der Landung[12] vorkommen kann (siehe auch Zwischenfälle bei Jet Blue).

Alternativen

Eine Alternative zum

Fuel Dumping

ist das sofortige Landen mit einem höheren als dem zulässigen Landegewicht (englisch overweight landing), gerade bei medizinischen Notfällen oder kritischen technischen Problemen. Fast alle Flugzeugtypen sind so stabil ausgelegt, dass sie auch mit ihrem maximalen Startgewicht landen können; dann jedoch sind kostspielige Untersuchungen und evtl. die Beseitigung von Schäden nötig.[13] Wohl deshalb ließ im November 2017 eine Frachtmaschine wegen technischer Probleme kurz nach dem Start zu einem Langstreckenflug 50 Tonnen Kerosin vor der Rückkehr zur Landung ab.[14] Dagegen musste ein Airbus A380 (Qantas-Flug 32) im Jahr 2010 nach einer Triebwerksexplosion mit einem Gewicht von 50 Tonnen über dem maximalen Landegewicht gelandet werden, weil der Treibstoffschnellablass durch die Explosionsschäden ausgefallen war und ein zeitaufwendiges Kreisen nicht verantwortbar war.[15]

Dunstfahnen durch kondensierendes Wasser an einer landenden Fokker 100

Verwechslung mit Dunstfahnen

Annahmen, dass Flugzeuge vor dem Landen generell Treibstoff ablassen, sind falsch. Bei hoher Luftfeuchtigkeit gehen von den Flügelhinterkanten landender Flugzeuge Dunstfahnen aus, die für zerstäubtes Kerosin gehalten werden können. Diese Dunstfahnen entstehen jedoch lediglich durch kondensierendes Wasser. Durch den Überdruck an der Unter- und den Unterdruck an der Oberseite der Tragflächen findet am Tragflächenende ein Druckausgleich statt, der wiederum zu einem Temperaturabfall führt. Dadurch kann Luftfeuchtigkeit kondensieren.[16]

Dump and Burn

Dump and Burn einer F-111 der RAAF auf der Defence Airshow 2010

Im Flugbetrieb der General Dynamics F-111 der australischen Luftwaffe war ein

Dump and Burn

(engl. für: Ablassen und Verbrennen) genanntes Verfahren Bestandteil des Vorführungsprogramms bei öffentlichen Veranstaltungen. Auch bei der Schlussveranstaltung der Olympischen Spiele in Sydney im Jahre 2000 wurde

Dump and Burn

vorgeführt. Dabei wird ausgenutzt, dass sich bei der F-111 der Treibstoffnotablass zwischen den Triebwerken befindet. Es wird einige Sekunden lang Treibstoff abgelassen, während die Triebwerke im Nachbrennerbetrieb laufen. Der Treibstoff entzündet sich dadurch und erzeugt eine mehrere Meter lange Flamme hinter dem Flugzeug, während man die schwach leuchtenden Nachbrennerflammen kaum sieht. Nach der Außerdienststellung der F-111 ist heute nur noch die Saab Gripen zu Dump and Burn in der Lage, die dies wie die F-111 auf Flugshows vorführt.

Die Treibstoffablasseinrichtungen an zivilen Verkehrsflugzeugen sind abseits des heißen Abgasstrahls der Triebwerke so angebracht, dass ein derartiger Effekt vermieden wird. Die etwa armdicken Ablassrohre befinden sich an den Tragflächenhinterkanten.

Kritik

Nach anhaltender Kritik an der Praxis des Kerosinablasses hat sich der Landtag Rheinland-Pfalz im November 2017 in einer öffentlichen Anhörung mit der Materie befasst.[17] Im selben Jahr forderte Bayerns SPD-Landtagsfraktionsvorsitzender Markus Rinderspacher "ein transparentes Informationsmanagement des zivilen und militärischen Luftverkehrs und ein Messnetz, das funktioniert."[18][19] Die Online-Petition "Kerosinregen, nein Danke. Transparenz, ja Bitte!" vom Sommer 2018 haben innerhalb weniger Monate mehr als 70.000 Petenten unterstützt."[20]

Weblinks

Commons: Fuel Dumping – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c d Niels Klußmann, Arnim Malik: Lexikon der Luftfahrt. Springer-Verlag, 2011, ISBN 978-3-642-22500-0 (google.de [abgerufen am 29. Dezember 2016]).
  2. Häufig gestellte Fragen (FAQs) zum Treibstoffschnellablass. (PDF) In: lba.de. 18. September 2018, abgerufen am 26. Oktober 2018.
  3. Balance – Das Wichtigste zu Umweltschutz und Nachhaltigkeit bei Lufthansa. (PDF) Umwelt-ABC (Wissenswertes und häufig verwendete Abkürzungen der Luftfahrt). Deutsche Lufthansa AG, S. 51–52, archiviert vom Original am 11. Oktober 2011; abgerufen am 30. Dezember 2016 (2003/2004).
  4. Bundesamt für Zivilluftfahrt BAZL Abteilung Luftfahrtentwicklung: Treibstoffablass (Fuel Dumping). (PDF) Schweizerische Eidgenossenschaft, 9. Juni 2016, abgerufen am 29. Dezember 2016.
  5. Ablassen von Treibstoff durch Militärflugzeuge und zivile Luftfahrzeuge. (PDF) Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der GRÜNEN – Drucksache 18/9571 –. In: Drucksache 18/9917. Deutscher Bundestag, 6. Oktober 2016, abgerufen am 30. Dezember 2016.
  6. Das passiert, wenn Kerosin in die Luft gesprüht wird. In Notsituationen müssen Piloten Treibstoff ablassen, wie gerade erst in der Nähe von Frankfurt. Was genau passiert dabei – und wie gefährlich ist es? In: spiegel-online.de. SPIEGEL ONLINE GmbH, 13. September 2017, abgerufen am 13. September 2017.
  7. Flugzeug lässt 92 Tonnen Treibstoff ab In: rheinpfalz.de, 31. Juli 2018, abgerufen am 1. August 2018.
  8. Länderspiegel: Kerosinregen überm Pfälzerwald In: zdf.de, 22. September 2018, abgerufen am 22. September 2018.
  9. Bundesrat beschließt rheinland-pfälzische Initiative zu Kerosin-Notablass – Bundesverkehrsminister muss 24-Stunden-Frist umgehend umsetzen. In: spdfraktion-rlp.de. 19. Oktober 2018, abgerufen am 26. Oktober 2018.
  10. Veröffentlichung von Treibstoffablässen (Fuel Dumping) im deutschen Luftraum. (PDF) In: lba.de. Abgerufen am 26. Oktober 2018.
  11. Karl Durant Pfeiffer: A Numerical Model to Predict the Fate of Jettisoned Aviation Fuel. (PDF) In: Thesis. United States Air Force (Air Force Institute of Technology), Dezember 1994, abgerufen am 30. Dezember 2016 (englisch).
  12. Aeroflot-Maschine kehrt nach Zürich zurück, SRF, 26. Februar 2017; "Der Airbus A321 kreiste nach dem Start eine Stunde lang über der Ostschweiz"
  13. Overweight Landings? Fuel Jettison? What to consider (englisch), Boeing AERO-Magazin
  14. Flugzeug lässt 50 Tonnen Kerosin ab, "BILD"-Zeitung vom 22. November 2017. Abgerufen am 1. Januar 2018.
  15. Qantas-A380-Zwischenfall „Am gefährlichsten war die Zeit nach der Landung“, Spiegel.de
  16. Ressourcen und Effizienz. In: dfs.de. Archiviert vom Original am 11. Januar 2012; abgerufen am 30. November 2010.
  17. Andreas Ganter: Mainz-Anhörung im Landtag zu Kerosinablass. In: Rheinpfalz. 14. November 2017, abgerufen am 14. November 2017.
  18. SPD fordert Information über Kerosinablass. In: Süddeutsche. 23. August 2017, abgerufen am 23. August 2017.
  19. David Lohmann: Kerosinregen über Bayern. In: Bayerische Staatszeitung. 17. August 2018, abgerufen am 17. August 2018.
  20. Rolf Sperber: Die Pfalz macht mobil gegen Kerosin. In: echo-online. 23. August 2018, abgerufen am 23. August 2018.