Gartenkirche St. Marien
Die Gartenkirche St. Marien ist die Kirche der evangelisch-lutherischen Gartenkirchengemeinde im Warmbüchenviertel im hannoverschen Stadtteil Mitte. Sie befindet sich in der Marienstraße inmitten des Gartenfriedhofs mit klassizistischen Grabdenkmälern aus dem 19. Jahrhundert.
Die Gartenkirchengemeinde „will eine ökumenisch geprägte Kirchengemeinde unter dem Leitbild der evangelischen Katholizität“ sein (Selbstaussage).
Geschichte
Gartenkirchengemeinde
Die Kirchengemeinde der Gartenkirche wurde 1746 als erste Gemeinde außerhalb der Stadtmauern für die Bewohner der Gartenviertel, also des Gebiets zwischen Stadtmauern und Landwehren, gegründet, die im Bereich zwischen Döhrener Turm und Lister Turm wohnten, damals etwa 1300 Menschen. Diese Gartenleute, die in der Umgangssprache Gartenkosaken (Kosaken ist eine Verballhornung von Koth-Sassen, also der Bewohner von kleinen Hütten oder Katen) genannt wurden, waren Kleinbauern, die die Stadt Hannover mit Obst und Gemüse versorgten. Ihr Land hatten sie von den Bürgern gepachtet, die hier im Bereich vor dem Aegidientor zum Teil auch ihre Sommerhäuser besaßen. Da die Gartenleute keiner der Stadt-Kirchengemeinden angehörten, wurde auf Initiative des Konsistorialdirektors Johann Peter Tappe und des Bürgermeisters Christian Ulrich Grupen im Jahre 1746 eine neue Gemeinde und eine Kirche vor dem Aegidientor gegründet. Zum ersten Pfarrer wurde Johann Hinrich Carstens ernannt, und die neue Gemeinde versammelte sich am 15. September 1746 im Gasthaus Zum wilden Mann (heute Ecke Marienstraße/Höltystraße).
Vorgängerbauten
Zu den Vorgängerbauten zählte die im späten Mittelalter bis zum Jahr 1354 errichtete Liebfrauenkapelle, von der sich zumindest ein Sandsteinrelief erhalten hat.[1]
Erste Gartenkirche
Der Magistrat der Stadt Hannover schenkte der Gemeinde einen Teil des schon vorhandenen Gartenfriedhofs als Bauplatz, wo der erste Kirchenbau 1746 bis 1749 vom Baumeister Johann Paul Heumann errichtet wurde. Es handelte sich um einen einfachen Saalbau, 110 Fuß lang, 55 Fuß breit und 21 Fuß hoch, der am damaligen Wolfsgraben (Verlauf der heutigen Marienstraße) stand. Finanziert wurde der Bau durch Schenkungen von Stadt und Königshaus, aber auch durch den Verkauf von 36 Begräbnisgewölben an wohlhabende Bürger, an die noch der Grabstein von Georg Wilhelm Ebell, des Abtes von Loccum und Gründers der Landschaftlichen Brandkasse in der Südwand im Inneren der heutigen Gartenkirche erinnert.
Der Assessor und Landrentmeister Albrecht Christoph von Wüllen erwarb das erste Grabgewölbe der ersten Gartenkirche vor Hannover, in der er am 17. Mai 1749 seine kurz nach der Geburt verstorbene Tochter beisetzen ließ.[2]
Die Kirche hieß zunächst Die Neue Kirche vor Hannover, da man „sie sonst auf eine nicht so schickliche Art die Gartenkirche zu benennen pflegte“, wie Pastor Carstens schrieb, aber dieser unschickliche Name Gartenkirche setzte sich doch bald durch.
Heutige Gartenkirche
Durch die Industrialisierung und die Entwicklung Hannovers zur Großstadt vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs auch die Einwohnerzahl stark an – bereits 1870 hatte die Gemeinde 20.000 Mitglieder. So entstanden aus der Gartenkirchengemeinde mehrere Kirchengemeinden neu:
- 1876 Dreifaltigkeitskirche in der Oststadt
- 1883 Petrikirche in Kleefeld
- 1886 Pauluskirche in der Südstadt
Die alte Gartenkirche war im Laufe der Jahre baufällig und zu klein für die Zahl der Gemeindemitglieder geworden und wurde 1886 abgerissen. In den Jahren 1887 bis 1891 wurde durch den Architekten Rudolph Eberhard Hillebrand eine neugotische Hallenkirche aus Deistersandstein errichtet, die am 8. Februar 1891 eingeweiht wurde. Der Glasmaler Alexander Linnemann aus Frankfurt schuf die 3 Chorfenster.
Weitere Neugründungen von Gemeinden erfolgten danach:
- 1907 Nazarethkirche in der Südstadt
- 1908 Markuskirche in der List
- 1927 Friedenskirche im Zooviertel
- 1936 Bugenhagenkirche (Südstadt)
- 1954 Melanchthonkirche (Bult)
An diese acht Tochtergemeinden erinnern acht Rundfenster im heutigen Kirchenschiff der Gartenkirche.
Die Kirche war von außerordentlichen Dimensionen, sowohl außen mit ihrem fast 85 Meter hohen Turm, der Monduhr am Kirchturm (eine Halbkugel, halb mit Blattgold belegt, halb schwarz lackiert; sie zeigt, von einem Turmuhrwerk angetrieben, die Mondphasen an und existiert noch heute), den Treppentürmen und der vielfältig gestalteten Dachlandschaft mit Dachreitern und Wimpergen. Die Kirche besaß auch die größte Orgel Hannovers, gebaut von P. Furtwängler & Hammer, wodurch die Gartenkirche zu einem der Zentren der hannoverschen Kirchenmusik in den 1930er-Jahren wurde, u. a. durch den Organisten Walter Schindler. Alles wurde in der Nacht vom 8. auf den 9. Oktober 1943 ein Raub der Flammen, als Bomben die Kirche schwer beschädigten und der brennende Turmhelm auf den Friedhof stürzte. Jedoch hielt das Deckengewölbe stand, ebenso blieben Altar, Kanzel und Taufstein erhalten.
Die zweite Gartenkirche wurde im Oktober 1943 bei einem der Luftangriffe auf Hannover schwer beschädigt. Schon 1945 fasste der Kirchenvorstand den Beschluss zum Wiederaufbau der Gartenkirche, die Wiedereinweihung am Gründonnerstag, dem 14. April 1949 durch Landesbischof Lilje wieder eingeweiht wurde. Der Wiederaufbau zog sich bis zum Ende der 1950er-Jahre hin. Auf die Wiedererrichtung des Turmhelms und der Dachreiter wurde verzichtet. Hinzu kamen die Buntglasfenster im Altarraum der hannoverschen Künstlerin Ruth Margraf (sie zeigen die biblischen Geschichten von Jesu Seewandel, dem Verlorenen Sohn und dem Barmherzigen Samariter). 1960 goss Friedrich Wilhelm Schilling fünf Glocken aus Bronze in den Schlagtönen cis1, e1, fis1, gis1 und h1. Die Unsachgemäßheit des Wiederaufbaus der 1950er-Jahre, die teilweise eher einer Zerstörung der neogotischen Einrichtung glich, zeigte sich bei der Restaurierung und Renovierung des Kircheninneren in den Jahren 2001 bis 2003, als der Zustand des Hillebrandschen Kirchenbaus teilweise wiederhergestellt werden konnte.
Orgel
Auch die Orgel, erbaut von Paul Ott, wurde restauriert und erweitert und kehrte wieder auf die Orgelempore an der Westseite zurück – bis auf das Rückpositiv, das um ein Bassregister erweitert als Chororgel an der Nordempore verblieb und von einem separaten Spieltisch funkgesteuert bespielt werden kann. Die Orgel hat insgesamt 60 Register (3960 Pfeifen), verteilt auf vier Manuale und Pedal. Die Hauptorgel hat mechanische Spieltrakturen und elektrische Registertrakturen, die Chororgel hat elektrische Trakturen.[3]
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- Koppeln: II/I, III-I, III/II, VI-I, I/P, II/P, III/P, IV/P
- Spielhilfen: 4000-fache Setzeranlage, Diskettenlaufwerk, Sequenzer
Chrysogonos-Relief
Im Inneren der Gartenkirche ist in einer Nische an der Südwand (nahe bei der Kanzel) das spätgotische Chrysogonos-Relief aus Sandstein angebracht. Es stammt vermutlich aus der um 1500 vor dem Aegidientor errichteten Liebfrauenkapelle, also gewissermaßen einem Vorgängerbau der Gartenkirche. Es kam dann an die Marienkapelle, die sich ebenfalls vor dem Aegidientor (etwa im Bereich des heutigen Theaters am Aegi) befand und später wegen des Ausbaus der Stadtbefestigung abgebrochen wurde. Das nur noch unvollständig erhaltene Relief, das bis zur letzten Renovierung 2001/03 an der Außenmauer der Gartenkirche (am ehemaligen Südeingang zur Marienstraße hin) eingemauert war, zeigt die drei Heiligen Chrysogonos, Katharina und Konrad von Konstanz (letzteren ohne Oberkörper), die Kalenderheiligen der drei Tage vom 24. bis 26. November 1490, als der Stadt Hannover die erfolgreiche Abwehr eines Überfalls des Welfenherzogs Heinrichs der Ältere gelang. Zum Dank wurden den drei Heiligen dieses Relief gewidmet, das ein Stück steingewordene Stadtgeschichte Hannovers darstellt (vgl. den Siebenmännerstein an der Aegidienkirche). Dem Chrysogonos-Relief wurde am 25. November 2015 – zum 525. Jubiläum des Ereignisses – eine Ikone beigestellt. Die von dem hannoverschen Künstler Nikola Sarić geschaffene Ikone hat die gleichen Außenmaße wie das Relief und zeigt die gleichen Heiligen. Sie wurde im Rahmen eines ökumenischen Gottesdienstes von den Priestern der serbisch-orthodoxen und der griechisch-orthodoxen Gemeinde in Hannover geweiht.[4]
Persönlichkeiten
- Paul Jacobshagen (1889–1968) war von 1927 bis 1960 Pastor an der Gartenkirche; er war zeitweilig Kommunalpolitiker der NSDAP und Landesleiter der regimetreuen Glaubensbewegung Deutsche Christen.[5]
Literatur
- Hans Ulrich Strümpel: Gartenkirche St. Marien Hannover: Geschichte, Menschen, Bilder, Berlin: Culturcon Medien, 2016, ISBN 978-3-944068-56-5 und ISBN 3-944068-56-4; Inhaltsverzeichnis
- Gartenkirche St. Marien. Festschrift zum 250. Gründungstag der Kirchengemeinde. 15. September 1746 – 15. September 1996. Hannover: Ev.-luth. Gartenkirchengemeinde St. Marien 1996. (Darin S. 7–19: Herbert Naglatzki: Unsere Gemeinde in Vergangenheit und Gegenwart).
- Helmut Knocke, Hugo Thielen: Hannover. Kunst- und Kultur-Lexikon. Handbuch und Stadtführer. 3., rev. Aufl. Hannover: Schäfer 1995, S. 149–150, ISBN 3-88746-313-7.
- Christian Weisker: Gartenkirche St. Marien. In: Hannovers Kirchen. 140 Kirchen in Stadt und Umland. Hrsg. von Wolfgang Puschmann. Hermannsburg: Ludwig-Harms-Haus 2005, S. 86–89, ISBN 3-937301-35-6.
- Gartenkirche: Mutter vieler Gemeinden. In: Kirchen, Klöster, Kapellen in der Region Hannover. Sascha Aust (u. a.). Fotografien von Thomas Langreder. Hannover: Lutherisches Verlagshaus 2005, S. 53–56, ISBN 3-7859-0924-1.
- Axel Fischer: Wach auf, du deutsches Land! Kirchenmusik in Hannover – zwei Beispiele. In: Kulturaustreibung. Die Einflussnahme des Nationalsozialismus auf Kunst und Kultur in Niedersachsen. Eine Dokumentation zur gleichnamigen Ausstellung. Hrsg. von Hinrich Bergmeier und Günter Katzenberger. Hamburg: Dölling und Galitz 1993, S. 130–133, ISBN 3-926174-70-6 (Über die Organisten Herrmann Dettmer und Walter Schindler).
- Hans Ulrich Strümpel: Zur Baugeschichte der ev.-luth. Gartenkirche St. Marien in Hannover. Hannover 2003.
- Gartenkirche St. Marien Hannover. Kleiner Kunstführer. Regensburg: Schnell & Steiner 2006, ISBN 3-7954-6585-0.
- Karl-Heinz Grotjahn: Gartenkirche St. Marien In: Stadtlexikon Hannover, S. 202.
- Wolfgang Puschmann: Gartenkirche St. Marien. In: Hannovers Kirchen. 140 Kirchen in Stadt und Umland. Hrsg. von Wolfgang Puschmann. Hermannsburg: Ludwig-Harms-Haus 2005, S. 12–15, ISBN 3-937301-35-6.
Archiv
Einzelnachweise
- ↑ Hans Ulrich Strümpel: Die spätmittelalterlichen Vorgängerbauten, in ders.: Gartenkirche St. Marien Hannover: Geschichte, Menschen, Bilder, Berlin: Culturcon Medien, 2016, ISBN 978-3-944068-56-5 und ISBN 3-944068-56-4, S. 6
- ↑ Heinrich Ahrens: Geschichte der Garten-Gemeinde in der Königl. Residenzstadt Hannover. Zum Besten der St. Pauluskirche zu Hannover, Hannover: Schlütersche Buchdruckerei, 1883, S. 12
- ↑ Nähere Informationen zur Orgel der Gartenkirche
- ↑ P. Dietmar Dohrmann: 525 Jahre Chrysogonus-Stein. In: Unsere Gartenkirche - Gemeindebrief der Ev.-luth. Gartenkirche St. Marien, Sept.-Dez. 2015, S. 2; [1] (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Karl-Friedrich Oppermann: JACOBSHAGEN, Paul Friedrich Hermann. In: Dirk Böttcher, Klaus Mlynek, Waldemar R. Röhrbein, Hugo Thielen: Hannoversches Biographisches Lexikon. Von den Anfängen bis in die Gegenwart. Schlütersche, Hannover 2002, ISBN 3-87706-706-9, S. 185; online über Google-Bücher
Weblinks
Koordinaten: 52° 22′ 10″ N, 9° 44′ 50″ O