Reicher Mann und armer Lazarus

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Darstellung von Bartholomeus van Bassen

Das Gleichnis vom reichen Mann und vom armen Lazarus ist eine biblische Erzählung aus dem Lukasevangelium (Lk 16,19–31 EU). Die Figur des Lazarus (hebräisch אֶלְעָזָר Elʿāzār, deutsch ‚Gott hat geholfen‘) ist nicht identisch mit dem nach dem Johannesevangelium von Jesus Christus auferweckten Lazarus (Joh 11 EU).

Inhalt

Das lukanische Gleichnis stellt zwei Figuren einander gegenüber: Den armen Lazarus und einen namenlosen reichen Mann, der in Purpur und feine Leinwand gekleidet ist. Lazarus liegt vor dem Tor des Reichen und begehrt die Brotstücke, die von dessen Tisch auf den Boden fallen,

statt dessen kamen die Hunde und leckten an seinen Geschwüren. (Lk 16,21)

Nach seinem Tod findet sich Lazarus in Abrahams Schoß (wörtlich: „der Leibesbucht“) wieder. Auch der Reiche stirbt und wird begraben und findet sich im Jenseits an einem Ort (wörtlich: „Hades“) wieder, wo er qualvolle Schmerzen leidet und von ferne Abraham und Lazarus in dessen Schoß sieht. Zwischen beiden befindet sich eine große Kluft (wörtlich: „Abyssos“). Von Abraham wird der Reiche aufgeklärt:

Mein Kind, denk daran, dass du schon zu Lebzeiten deinen Anteil am Guten erhalten hast, Lazarus aber nur Schlechtes. Jetzt wird er dafür getröstet, du aber mußt leiden. (Lk 16,25)

Der reiche Mann wünscht sich, dass Abraham eine Person aus dem Jenseits schickt, um seine Angehörigen davor zu warnen, welches Schicksal sie ereilen könnte. Die Antwort Abrahams lautet:

Doch Abraham sagte zu ihm: Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht. (Lk 16,31)

Hintergrund und Deutung

Das Gleichnis beginnt unvermittelt ohne jegliche Einleitung. Auch fehlt eine Deutung durch Jesus oder den Evangelisten. Durch die Inszenierung im Hades und das Auftreten Abrahams wird jedoch klar, dass es sich um eine fiktive Beispielerzählung handelt, die anhand der Figuren eine Verhaltensänderung bei den Zuhörern und Lesern bewirken will.[1] Aus dem engeren Kontext des Textes lassen sich die Angesprochenen noch am ehesten als Pharisäer identifizieren, die zuvor in Lk 16,14 EU als „geldliebend“, dann in Lk 16,15–17 EU von Jesus als überheblich und heuchlerisch bezeichnet werden.

Zur Bedeutung des Gleichnisses gibt es darüber hinaus verschiedene weiterführende Auslegungen:

  • Die Figur des Lazarus kann als typos der jüdischen Armenfrömmigkeit gesehen werden. Die frühe Weisheit Israels ging davon aus, dass Gott den Gerechten belohnt und den Sünder bestraft, dass also der Sünde das Unglück und der Gerechtigkeit das Glück entspricht. Unter David und Salomo war das Königreich Israel eine wohlhabende Theokratie gewesen. Nach dem Exil bei den Babyloniern verarmte das Volk. 90 Prozent der Judäer konnten zu den Armen gerechnet werden. Der alte Grundsatz, dass es dem Gerechten, der sich auf dem rechten Wege befindet, gut geht und dass Armut eine Folge schlechten Lebens war, ließ sich nicht mehr aufrechterhalten. Der Gerechte wurde in der Welt immer mehr zum leidenden Gerechten. In einer Reihe von Psalmen (44, 73) wird das Thema der Klage der Armen vor Gott, die im Gehorsam gegen seine Gebote leben und nur Unglück erfahren, während die Zyniker, die Gott verachten scheinbar von Erfolg zu Erfolg gehen, abgehandelt. Im Gebet wird dem Frommen schon auf Erden klar, dass diese Art des Reichtums töricht ist.

    Ich aber werde in Gerechtigkeit schauen dein Angesicht, an deinem Anblick satt mich schauen wenn ich erwache. (Ps 17,15 EU)

  • Lazarus ist ein Bild für materiell verarmte Menschen; der reiche Mann versinnbildlicht reiche Menschen. Der reiche Mann erleidet nach dieser Interpretation Qualen im Hades, weil er den Armen nicht ausreichend geholfen habe. Lazarus dagegen kommt allein aufgrund seiner Armut in den Schoß Abrahams. Da dies die einzige Stelle in der Bibel ist, wo von Qualen im Hades die Rede ist, wird manchmal hier ein Bild für eine Hölle gesehen.
  • Nach anderer Auslegung kritisiert das Gleichnis die jüdischen Autoritäten, die zwar komfortabel leben, sich aber nicht um die Erfüllung des Gesetzes („Mose und die Propheten“) kümmern und damit Gottes Wort verfälschen, weshalb sie nicht am Königreich Gottes teilhaben. Mit Lazarus ist dagegen der gläubige Teil Israels gemeint, das einfache Volk, das die Erlösung erwartet.[2] In ähnliche Richtung weist eine ältere Auslegung von Johann Nepomuk Sepp und der Abbé Drioux, die im reichen Mann den zur Zeit Jesu amtierenden Hohenpriester Kajaphas erkennen will. Die fünf Brüder wären demnach seine fünf Schwäger – Eleazar (Hoherpriester 16–17), Jonathan (36–37), Theophilus (37–41), Matthias (43) und Ananus (63) – die ebenfalls im 1. Jahrhundert das Amt des Hohenpriesters erlangten.[3]

Deren Vater, zu dem Lazarus geschickt werden soll um sie zu warnen, wird als der Hohepriester Hannas identifiziert.[4]

  • Lazarus steht für Elieser von Damaskus, der nach Gen 15,2 EU Abrahams Haussklave war. Elieser war ein Heide, der von Abraham zugunsten seines leiblichen Sohns Isaak enterbt wurde, ihm jedoch weiterhin treu diente. Für diese Identifikation sprechen neben der im Hebräischen bestehenden Namensähnlichkeit auch einige Motive der beiden Erzählungen: Im Gleichnis liegt Lazarus „vor der Tür“ (also vor dem Damaskustor Jerusalems), er ernährt sich von Abfällen, die vom Tisch des Reichen abfallen (eine bekannte Anspielung auf die Heiden) und er lebt mit Hunden zusammen (ebenso eine Anspielung auf die Lebensweise der Heiden). Der reiche Mann steht dagegen für Juda, den Sohn Jakobs, und somit für das Volk der Juden. Für diese Identifikation spricht, dass im Gleichnis gleich vier Mal betont wird, dass Abraham und der reiche Mann verwandt sind (Abstammung über die direkte Linie: Vater-Sohn), während dies bei Lazarus nicht erwähnt wird. Weiterhin hat der Reiche fünf Brüder, ebenso wie Juda (Ruben, Simeon, Levi, Issachar und Sebulon). Außerdem ist er gekleidet in Purpur (die Farben der Königsherrschaft) und Leinen (die Farbe der Priesterschaft) als wesentliche Elemente, die das Volk der Juden ausmachen. Weiter betont Abraham im Gleichnis, dass die Brüder des reichen Mannes „Mose und die Propheten haben“, jedoch nicht auf sie hören. Damit gelangt man zu der Interpretation, dass die genetische Abstammung von Abraham allein nicht zum „wahren Erbteil“ führt, sondern treuer Dienst in Armut und Bescheidenheit, wodurch sich eben auch Heiden auszeichnen und zu einer Abrahamskindschaft kommen können. Diese Interpretation stellt das Gleichnis in eine Reihe mit den Worten Jesu aus Mt 8,11-12 EU, wo Jesus davon spricht, dass Heiden am Tisch Abrahams sitzen werden, während Kinder des Reiches wegen ihres Unglaubens ausgestoßen sein werden.[5]
  • Das Bild der herunterfallenden Brotstücke geht möglicherweise auf damalige Sitte zurück, sich die Hände mit Brot zu reinigen, das dann weggeworfen wurde.

Das Motiv der Umkehrung des irdischen Geschicks im Jenseits hat seinen Ursprung vermutlich in Ägypten. Ein Grund für die Aufnahme in das Evangelium kann die Verbreitung und Bekanntheit dieses Stoffs gewesen sein, durch die sich außerpalästinische und hellenistische Leser wirkungsvoller ansprechen ließen.

Sonstiges

Der lateinischen AntiphonIn paradisum“ zufolge mögen die Verstorbenen gemeinsam mit dem armen Lazarus in Ewigkeit ruhen.

Im weiteren Sinn wurde die Bezeichnung rezipiert in Begriffen wie

Siehe auch

Literatur

  • Ruben Zimmermann (Hrsg.): Kompendium der Gleichnisse Jesu. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2007, ISBN 978-3-579-08020-8.
  • Hermann Rocke: Der reiche Mann und Lazarus. Konkordanter Verlag, Pforzheim 1988
  • Meinolf Schumacher: Ärzte mit der Zunge. Leckende Hunde in der europäischen Literatur. Von der patristischen Exegese des Lazarus-Gleichnisses (Lk 16) bis zum 'Romanzero' Heinrich Heines (= Aisthesis Essay 16), Aisthesis Verlag, Bielefeld 2003, ISBN 3-89528-310-X.

Weblinks

Commons: Reicher Mann und armer Lazarus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. So bereits bei Martin Luther, vgl. J. Fritschel, in: Zeitschrift für die gesammte lutherische Theologie und Kirche 1867, S. 657.
  2. Grundtextnahe Auslegung des Gleichnisses vom reichen Mann und Lazarus
  3. Abbé Drioux nach Josephus: * Annas ben Seth (6–15) * Eleazar ben Ananus (16–17) * Joseph ben Caiaphas (18–36), who had married the daughter of Annas (John 18:13) * Jonathan ben Ananus (36–37 and 44) * Theophilus ben Ananus (37–41) * Matthias ben Ananus (43) * Ananus ben Ananus (63)
  4. Johann Nepomuk Sepp: Thaten und Lehren Jesu mit ihrer weltgeschichtlichen Beglaubigung. Schaffhausen 1864, S. 329
  5. Reicher Mann und armer Lazarus bei bibelwissenschaft.de, abgerufen am 18. November 2020.