Reinhold Moritzewitsch Glière
Reinhold Moritzewitsch Glière (bis 1900 Glier, danach Glière; russisch Рейнгольд Морицевич Глиэр,
, wiss. Transliteration
) (* 30. Dezember 1874jul. / 11. Januar 1875greg. in Kiew, Russisches Kaiserreich; † 23. Juni 1956 in Moskau, Sowjetunion) war ein russisch-sowjetischer Komponist.
Leben
Glière wurde in Kiew geboren. Er war der zweite Sohn des aus Untersachsenberg im Vogtland, Königreich Sachsen, stammenden Blasinstrumentenmachers Ernst Moritz Glier, der zunächst 1854 als Geselle nach Warschau gegangen war, dann seit den 1860er Jahren in Kiew als Meister in der Fabrik seines späteren Schwiegervaters Vincenz Kortschak arbeitete und 1869 dessen Tochter Josephine Thekla heiratete.[1] In Glières Geburtsurkunde steht Reinhold Ernest Glier.[2] Er wuchs mit zwei Brüdern und einer Schwester auf.[1] Gegen 1900 änderte er die lateinische Schreibweise seines Familiennamens in „Glière“, woraus das hartnäckige Gerücht resultierte, dass er belgischer oder französischer Abstammung sei. Diese falsche Information wurde zum ersten Mal von Leonid Sabanejew im Jahr 1927 verbreitet.[3] 1904 heiratete Reinhold Glière seine Frau Maria (geb. Renkwist), mit der er fünf Kinder hatte, zwei Söhne und drei Töchter.
Ab 1891 erhielt er bei Otakar Ševčík Violinunterricht an der Kiewer Musikschule, bevor er 1894 seine Studien am Moskauer Konservatorium begann – unter anderen bei Anton Arenski und Sergei Tanejew. 1901, ein Jahr nach dem äußerst erfolgreichen Abschluss seiner Studien, erhielt Glière eine Lehrstelle am Gnessin-Institut Moskau, die er bis 1913 beibehielt. Eine Unterbrechung fiel allerdings in die Jahre 1905 bis 1908, als er in Berlin bei Oskar Fried Dirigieren studierte. 1913 wechselte er an das Konservatorium in Kiew, wo er 1914 zum Direktor ernannt wurde. Von 1920 bis 1941 unterrichtete Glière Komposition am Moskauer Konservatorium. Viele seiner Schüler, zu denen Nikolai Mjaskowski und Sergei Prokofjew gehören, entwickelten sich zu namhaften Komponisten. In der Sowjetunion war Glière vielfach öffentlich tätig. In den 1920er Jahren engagierte er sich zum Beispiel im Volkskommissariat für Bildung, 1938 bis 1948 hatte er den Vorsitz des Organisationskomitees des sowjetischen Komponistenverbandes inne. Auch unternahm er Reisen durch Sowjetrepubliken wie Usbekistan und Aserbaidschan, um die dortige Folklore zu sammeln und so die Musikkultur dieser Gegenden zu unterstützen.
Glière war in der Sowjetunion eine hoch angesehene Persönlichkeit und erhielt etliche Orden und Auszeichnungen, so zum Beispiel dreimal den Leninorden und einmal den Orden des Roten Banners der Arbeit. Er war Volkskünstler der UdSSR und ihrer Sowjetrepubliken Russland, Aserbaidschan und Usbekistan. Auch erhielt er dreimal den Stalinpreis (1946, 1948, 1950) und wurde 1941 zum Doktor der Kulturwissenschaften ernannt.
Stil
Glières Stil war zunächst in hohem Maße der nationalrussischen Bewegung verpflichtet. Seine Melodik orientierte sich an folkloristischen Wendungen, die Harmonik präsentierte sich ausgesprochen „russisch“. Angeregt durch seine Studien bei Oskar Fried bezog er seit seinem Aufenthalt in Berlin impressionistische Klangfarben in sein Schaffen mit ein, die sogar zeitweilig das nationale Element in den Hintergrund rücken ließen. Auch perfektionierte er in diesen Jahren seine Fähigkeiten als Orchestrator, wodurch seine Werke an Farbe und Raffinement gewannen. In dieser Phase schrieb Glière seine „modernsten“ Werke. Schon bald jedoch bemühte er sich um eine Synthese von russischem Tonfall und impressionistischen Einflüssen. Nach der Oktoberrevolution wandte sich Glière wieder eher seinem früheren Stil zu und räumte dem nationalen Idiom wieder uneingeschränkte Priorität ein. Besonders seine erwähnten Forschungen in (musikalisch) entlegeneren Gebieten der UdSSR beeinflussten sein Schaffen. Auch orientierte sich Glière am sozialistischen Realismus; sein Ballett Der rote Mohn galt zum Beispiel als das Musterbeispiel für ein Bühnenwerk, das propagandistische Ausrichtung mit einem volkstümlich-eingängigen Idiom verbindet. Insgesamt muss Glière als äußerst traditionsverbundener Komponist angesehen werden. Auch seine letzten Werke sprechen – ungeachtet aller musikalischen Umwälzungen der vorangegangenen Jahrzehnte – noch die kaum abgeänderte Sprache der russischen Nationalromantik.
Werke
- Orchesterwerke
- Sinfonie Nr. 1 Es-Dur op. 8 (1900)
- Sinfonie Nr. 2 c-Moll op. 25 (1907)
- Sinfonie Nr. 3 h-Moll op. 42 „Ilja Muromez“ (1911)
- „Die Sirenen“, sinfonische Dichtung op. 33 (1908)
- „Die Saporoger Kosaken“, Tonbild (Ballett) op. 64 (1921)
- „Heroischer Marsch für die Burjatisch-Mongolische ASSR“ C-Dur op. 71 (1936)
- „Völkerfreundschaft“, Ouvertüre zum 5. Jahrestag der sowjetischen Verfassung op. 79 (1941)
- Konzertwalzer Des-Dur op. 90 (1950)
- Werke für Blasorchester
- „Fantasie für das Festival der Komintern“ (1924, auch in einer Bearbeitung für Domraorchester)
- „Festliche Ouvertüre zum 20. Jahrestag der Oktoberrevolution“ G-Dur op. 72 (1937)
- Feldmarsch B-Dur op. 76 (1941, später umbenannt in „Siegesmarsch“)
- „Fünfundzwanzig Jahre Rote Armee“, Ouvertüre für Blasorchester es-Moll op. 84 (1943)
- „Sieges-Ouvertüre“, Ouvertüre für Blasorchester b-Moll op. 86a (1944)
- Konzerte
- Harfenkonzert Es-Dur op. 74 (1938)
- Konzert für eine Stimme (Koloratursoprankonzert) f-Moll op. 82 (1943)
- Violoncellokonzert d-Moll op. 87 (1946)
- Hornkonzert B-Dur op. 91 (1950)
- Violinkonzert g-Moll op. 100 (1956, vervollständigt von Borys Ljatoschynskyj)
- Vokalwerke
- „Schach-Senem“, Oper op. 69 (1923–25)
- „Gjulsara“, Oper op. 96 (1936, rev. 1949)
- drei weitere Opern
- „Ruhm der Sowjetarmee“, Kantate für Vokal-Solisten, Chor, Rezitator, Sinfonie- und Blasorchester, op. 93 (1953)
- Lieder
- Chöre
- Ballette
- „Kleopatra (Ägyptische Nächte)“ 1926[4]
- „Der rote Mohn“ op. 70 (1927, rev. 1949 u. 1955)
- „Der eherne Reiter“ op. 89 (1948/49)
- „Taras Bulba“ op. 92 (1952)
- Kammermusik
- Streichquartett Nr. 1 A-Dur op. 2 (1899)
- Streichquartett Nr. 2 g-Moll op. 20 (1905)
- Streichquartett Nr. 3 d-Moll op. 67 (1927)
- Streichquartett Nr. 4 f-Moll op. 83 (1943)
- Streichsextett Nr. 1 c-Moll op. 1 (1898)
- Streichsextett Nr. 2 h-Moll op. 7 (1904)
- Streichsextett Nr. 3 C-Dur op. 11 (1904)
- Streichoktett D-Dur op. 5 (1902)
- Duos für verschiedene Instrumente
- Klavierstücke
Einzelnachweise
- ↑ a b Jörg Schnadt: Die Familie Glier in Kiew und Moskau. Abgerufen am 5. April 2017.
- ↑ S. K. Gulinskaja: Reinhold Morizevich Glier Moscow "Musika", 1986
- ↑ Stanley D. Krebs: Soviet Composers and the Development of Soviet Music, London, 1970
- ↑ Reinhold Moritzewitsch Glière: Biografie. Abgerufen am 4. April 2018 (russisch).
Literatur
- Albrecht Gaub: Gliėr, Glier, Glière, Rejngol’d Moricevič, Reinhold Ernst. In: Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite Ausgabe, Personenteil, Band 7 (Franco – Gretry). Bärenreiter/Metzler, Kassel u. a. 2002, ISBN 3-7618-1117-9 (Online-Ausgabe, für Vollzugriff Abonnement erforderlich)
Weblinks
- Noten und Audiodateien von Reinhold Glière im International Music Score Library Project
- Werke von und über Reinhold Moritzewitsch Glière im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Seite über Reinhold Glière – beschäftigt sich u. a. intensiv mit seiner dritten Symphonie (englisch)
- Reinhold Glière, Leben und Werk. Webseite von Jörg Schnadt – mit ausführlichem Werkverzeichnis und ein paar interessanten Aufsätzen
- Reinhold Gliere (Werkverzeichnis). Internet Edition compiled by Onno van Rijen. 25. Oktober 2012, archiviert vom Original am 15. November 2013 .
- Kremena Krumova: „Meister der Harmonie“ – Epoch Times Deutschland
Personendaten | |
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NAME | Glière, Reinhold Moritzewitsch |
ALTERNATIVNAMEN | Глиэр, Рейнгольд Морицевич (russisch) |
KURZBESCHREIBUNG | russischer Komponist |
GEBURTSDATUM | 11. Januar 1875 |
GEBURTSORT | Kiew, Russisches Kaiserreich |
STERBEDATUM | 23. Juni 1956 |
STERBEORT | Moskau, Sowjetunion |