Goldene Aktie
Inhaber von Goldenen Aktien (englisch golden shares) verfügen in einem Unternehmen über Rechte, die über die der übrigen Aktionäre weit hinausreichen. Im Normalfall stehen jene Befugnisse – die zumeist bei der Privatisierung großer Staatsunternehmen geschaffen wurden – der öffentlichen Hand zu. Besonders aktiv bei der Einführung waren die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft in den 1980er-Jahren. Deutschland, das auf die breit angelegte Einführung im Rahmen der Privatisierungswelle verzichtet hat, nimmt eine Sonderrolle ein. Hier sind Goldene Aktien im Gesellschaftsrecht nicht gebräuchlich (vgl. aber die Ausnahme VW-Gesetz).
In Anbetracht der unterschiedlichen Typen Goldener Aktien handelt es sich bei der Bezeichnung weniger um einen Rechtsbegriff als um ein Schlagwort.
Inhaltliche Ausgestaltung
Inhaltlich lässt sich der Begriff Goldene Aktie in verschiedene Teilbereiche gliedern. Im klassischen Fall sind die Sonderrechte an einen einzelnen, satzungsmäßig hervorgehobenen Unternehmensanteil gekoppelt (Goldene Aktie im engeren Sinn). Diese Konstruktion ist allerdings nicht zwingend. In vielen Fällen beruht die hervorgehobene Stellung des Sonderrechtsbegünstigten nämlich auch auf einer hoheitlichen (gesetzlichen) Regelung, ohne dass der Inhaber (Öffentliche Hand) Unternehmensanteile besitzen muss. Auch in der zweiten Variante (Beispiele sind die italienischen Versorger ENI und ENEL) wird jedoch von Goldenen Aktien gesprochen (Goldene Aktien im weiteren Sinne).
Hinzu kommt die Schaffung einer Vorrangstellung zu Gunsten einzelner Anteilseigner durch Stimmrechtsumgewichtungen (Höchst- und Mehrstimmrechte) – hier ist ebenfalls eine den Goldenen Aktien im weiteren Sinne vergleichbare Rechtswirkung möglich. Mehrfachstimmrechte und Höchststimmrechte sind wegen in ihrer rechtlichen Wirkung (einzelne Anteilseigner werden gegenüber der Mehrheit bevorzugt) zwar zu den goldenen Aktien im weiteren Sinne zu rechnen, die typischen Merkmale (Koppelung besonderer Rechte an einen einzigen Anteil) weisen sie jedoch nicht auf.
Wichtige Beispiele für „goldene“ Sonderbefugnisse sind Zustimmungs-, Widerspruchs- und Vetorechte bei unternehmerischen Grundsatzentscheidungen (insbesondere Satzungsänderungen), z. B. Umwandlung oder Sitzverlegung, sowie beim Eintritt neuer Aktionäre. Auch das Recht zur Ernennung von Organmitgliedern außerhalb des regulären Wahlverfahrens stellt ein „goldenes“ Sonderrecht dar.
Lage in Deutschland und Europa
Die in Deutschland gebräuchlichen Mehrfach- und Höchststimmrechte sind seit 1998 bei börsennotierten Gesellschaften unzulässig. Prinzipiell gilt hier: „Eine Aktie, eine Stimme“. Die bekannteste Ausnahme regelt das VW-Gesetz von 1960: Hiernach kann kein Volkswagen-Aktionär mehr als 20 Prozent der Stimmrechte ausüben, auch wenn er mehr Anteile besitzt. Zusätzlich ist die Stimmrechtsvertretung in Hauptversammlungen beschränkt und das Land Niedersachsen kann eine bestimmte Zahl von Aufsichtsräten außerhalb des regulären Wahlverfahrens ernennen. Das VW-Gesetz gibt damit dem Land als viertgrößtem Anteilseigner des Automobilkonzerns (11,8 %)[1] weit überproportionalen Einfluss auf die Unternehmenspolitik. Der größte Einzelaktionär, die Porsche Automobil Holding SE (Zuffenhausen), hat in den letzten Jahren heftige Kritik an dieser staatlichen Vorrangstellung geübt.
In Europa besitzt beispielsweise Frankreich Goldene Aktien des Energiekonzerns Électricité de France. In Schweden hält die von der Wallenberg-Familie kontrollierte Holding Investor AB diese speziellen Anteilsscheine unter anderem am Telekom-Ausrüster Ericsson. In den mittel- und osteuropäischen Beitrittsstaaten sind Goldene Aktien ebenfalls gebräuchlich, der Druck der Europäischen Union zeigt allerdings erste Wirkung: Im Jahr 2006 leitete die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn ein, das sein innerstaatliches Recht daraufhin – mit einiger Verzögerung – zum 21. April 2007 geändert hat. Ein weiteres Verfahren betrifft staatliche Sonderrechte bei der Portugal Telecom (vgl. Pressemitteilung der Kommission IP/06/440 vom 4. April 2006).
Im Hinblick auf die europäische Welle der Fusionen und Akquisitionen bissen sich in den vergangenen Jahren vor allem die Chefs europäischer Telekom-Unternehmen an Goldenen Aktien die Zähne aus. An ihnen scheiterte etwa im Mai 2000 die Fusion der niederländischen Telefongesellschaft KPN mit der spanischen Konkurrentin Telefónica. Madrid hatte seine Zustimmung davon abhängig gemacht, dass sich der niederländische Staat aus KPN – an der dieser ebenfalls eine Sonderaktie hielt – zurückzieht.
Auch Telekom-Chef Ron Sommer musste im Jahr 2003 immer wieder bei der italienischen Regierung für einen Einstieg bei Telecom Italia werben, der den Regierenden in Rom wegen des hohen Bundesanteils an dem Bonner Konzern nicht geheuer war. Dass Sommers Projekt dann scheiterte, lag allerdings am Olivetti-Konzern, der im Übernahmekampf mit den Deutschen die besseren Karten hatte.
Die Urteile des EuGH
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in mehreren Entscheidungen seit 2002 staatliche „Goldene Aktien“ als Eingriff in die Kapitalverkehrs- (Art. 63 AEUV, ex-Art. 56 EG) und die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV, ex-Art. 43 EG) angesehen. Nach Ansicht des Gerichtshofs beschränken die Sonderrechte jene Grundfreiheiten, da sie entweder den Erwerb von Anteilen von einer staatlichen Mitwirkung abhängig machen („direkte Erwerbsbeschränkung“) oder die Mitsprache im Unternehmen staatlichem Einfluss unterwerfen („indirekte Erwerbsbeschränkung“). In beiden Fällen kann nach Ansicht des EuGH der Anteilserwerb für Investoren in seiner Attraktivität sinken, was nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Beschränkungswirkung entfaltet (siehe Dassonville-Entscheidung). Zulässig sind derartige staatliche Eingriffe nur, wenn sie durch Belange des Allgemeinwohls oder Erfordernisse der Öffentlichen Sicherheit und Ordnung gerechtfertigt sind – beides kommt insbesondere bei Energieversorgungs-, Telekommunikations-, Rüstungs- oder Infrastrukturunternehmen (z. B. Flughafenbetreibern) in Betracht. Auch hier ist jedoch das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu wahren, d. h. die Sonderrechte dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Ziels zwingend erforderlich ist. Auch auf eine transparente Ausgestaltung und effektiven Rechtsschutz ist zu achten. Die bisher ergangenen Urteile betrafen Frankreich, Portugal, Spanien, Großbritannien und Italien, die allesamt den obigen Erfordernissen nicht gerecht wurden. Mit dem EG-Vertrag vereinbar waren allein die Sonderrechte des Königreichs Belgien bei Strom- und Gasversorgern.
Das Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wurde mit Urteil vom 23. Oktober 2007 abgeschlossen (Rs. C-112/05). Generalanwalt Dámaso Ruiz-Jarabo Colomer hatte dem Gericht bereits in seinen Schlussanträgen vom 13. Februar 2007 vorgeschlagen, das VW-Gesetz als Eingriff in die Freiheit des Kapitalverkehrs zu bewerten und die Bundesrepublik wegen dieser Vertragsverletzung zu verurteilen. Das Gericht folgte diesen Anträgen und gab der Klage der EU-Kommission – was eine Verletzung des Art. 56 EG (Kapitalverkehrsfreiheit) betraf, statt. Eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit (Art 49 AEUV, ex-Art. 43 EG) wurde hingegen nicht festgestellt.
Zuletzt stellte der EuGH mit Urteil vom 3. Dezember 2007 fest (Rs. „Federconsumatori u. a.“), dass das öffentlichen Einrichtungen vorbehaltene Recht, in einer AG eine gemessen an ihrer Beteiligung unverhältnismäßige Kontrolle auszuüben, gegen das Gemeinschaftsrecht verstoße.
Einschlägige Entscheidungen des EuGH:
- EuGH, Urteil vom 4. Juni 2002 (Rs. C-367/98) – Goldene Aktien Portugal –, Slg. 2002, S. I-4731
- EuGH, Urteil vom 4. Juni 2002 (Rs. C-483/99) – Goldene Aktien Frankreich –, Slg. 2002, S. I-4781
- EuGH, Urteil vom 4. Juni 2002 (Rs. C-503/99) – Goldene Aktien Belgien –, Slg. 2002, S. I-4809
- EuGH, Urteil vom 13. Mai 2003 (Rs. C-463/00) – Goldene Aktien Spanien –, Slg. 2003, S. I-4581
- EuGH, Urteil vom 13. Mai 2003 (Rs. C-98/01) – Goldene Aktien Großbritannien –, Slg. 2003, S. I-4641
- EuGH, Urteil vom 2. Juni 2005 (Rs. C-174/04) – Goldene Aktien Italien –, Slg. 2005, S. I-4933
- EuGH, Urteil vom 28. September 2006 (Rs. C-282/04, C-283/04) – Goldene Aktien Niederlande –, Slg. 2006, S. I-9141
- EuGH, Urteil vom 23. Oktober 2007 (Rs. C-112/05) – Volkswagen-Gesetz –, Slg. 2007, S. I-8995
- EuGH, Urteil vom 3. Dezember 2007 (Rs. C-463/04, C-464/04) – Federconsumatori u. a. –, Slg. 2007, S. I-10419
- EuGH, Urteil vom 8. Juli 2010 (Rs. C-171/08) – Goldene Aktien Portugal II –, Slg. 2010, S. I-06817
- EuGH, Urteil vom 11. November 2010 (Rs. C-543/08) – Goldene Aktien Portugal III –, Slg. 2010, S. I-11241
- EuGH, Urteil vom 10. November 2011 (Rs. C-212/09) – Goldene Aktien Portugal IV
- EuGH, Urteil vom 8. November 2012 (Rs. C-244/11) – Goldene Aktien Griechenland
- EuGH, Urteil vom 22. Oktober 2013 (Rs. C-95/12) – Volkswagen-Gesetz II (Kommission/Deutschland) – ECLI:EU:C:2013:676
Literatur
- Armbrüster, „Golden Shares“ und die Grundfreiheiten des EG-Vertrages, JuS 2003, S. 224 ff.
- Grundmann/Möslein, Die Golden Shares Grundsatzentscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, BKR 2002, S. 758 ff.
- Grundmann/Möslein, Die Goldene Aktie, ZGR 2003, S. 317 ff.
- Johannes Adolff: Turn of the Tide?: The “Golden Share” Judgements of the European Court of Justice and the Liberalization of the European Capital Markets. In: German Law Journal. Band 3, Nr. 8, 2002, doi:10.1017/S2071832200015273.
- Karpf, Die EU-rechtliche (Un-)Zulässigkeit von „Golden Shares“, ZFR 2007/8, 145
- Korte/Seidel, CureVac und die KfW: Auf Tauchgang in Richtung Unionsrechtswidrigkeit, BB 2021, S. 2691–2699.
- Pießkalla, Goldene Aktien aus EG-rechtlicher Sicht, Dissertation 2006
- Pießkalla, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 28. September 2006 (verb. Rs. C-282/04 und 283/04 – „Golden shares Niederlande“), in: EuZW 2006, S. 724 f.
- Pießkalla, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 23. Oktober 2007 (Rs. C-112/05) – VW-Gesetz, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW) 2007, S. 701–703.
- Ruge, Goldene Aktien und EG-Recht, EuZW 2002, S. 421 ff.
- Sander, Volkswagen vor dem EuGH – Der Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit am Scheideweg, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW) 2005, S. 106–109.
- Sander, Höchststimmrechte und Kapitalverkehrsfreiheit nach der VW-Gesetz-Entscheidung – Psychologisiert der EuGH den Schutzbereich des Art. 56 EG?', Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW) 2008, S. 33.
- Sander, Case C-112/05, European Commission v. Federal Republic of Germany: The Volkswagen Case and Art. 56 EC – A Proper Result, Yet Also a Missed Opportunity?, 14 Columbia Journal of European Law (2008), 359–370.
- Spindler, Deutsches Gesellschaftsrecht in der Zange zwischen Inspire Art und Golden Shares?, RIW 2003, S. 850 ff.
- Wolff, Ausländische Staatsfonds und staatliche Sonderrechte: Zum Phänomen "Sovereign Wealth Funds" und zur Vereinbarkeit der Beschränkung von Unternehmensbeteiligungen mit Europarecht (insb. S. 103 ff.), Diss., Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2009, ISBN 3-8305-1688-6.
- Peer Zumbansen, Daniel Saam: The ECJ, Volkswagen and European Corporate Law: Reshaping the European Varieties of Capitalism. In: German Law Journal. Band 8, Nr. 11, 1. November 2007, doi:10.1017/S2071832200006167 (englisch).
Einzelnachweise
- ↑ Aktionärsstruktur. 31. Dezember 2017, abgerufen am 19. August 2018.