Großwetterlage

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Unter Großwetterlagen (GWL) versteht man Wetterlagen über einem Großraum, die sich während eines mehrtägigen Zeitraumes nicht wesentlich verändern.

Beispiele von Großwetterlagen (Lage der Aktionszentren) nach Hann Atlas der Meteorologie 1887

Grundlagen

Eine Großwetterlage ist ein bestimmter atmosphärischer Zustand, der in seiner charakteristischen Strömungsanordnung mehrere Tage im Wesentlichen gleich bleibt (Definition nach Baur). Im Allgemeinen nimmt man drei Tage als Bemessungszeitraum.

Das Wetter selbst kann während einer Großwetterlage wechseln, der Charakter der jeweiligen regionalen Witterung bleibt erhalten. Die regionale Ausbildung und typische Aufeinanderfolge der Großwetterlagen gestalten wesentlich das Klima eines Gebietes. Die Großwetterlage ist für die Voraussage der Entwicklung des Wetters und der Witterung für einen längeren Zeitraum von großer Bedeutung.

Großwetterlagen Europas

Für Europa lassen sich etliche verschiedene Großwetterlagen unterscheiden, und es gibt verschiedene Systematiken.

Tiefdruckwanderwege nach Bebber

Großwetterlagen nach W. J. v. Bebber

Wilhelm Jacob van Bebber entwickelte schon in den 1890er-Jahren ein grundlegendes Schema von typischen Zugstraßen der barometrischen Minima (Tiefdrucktrajektorien), das er in fünf Gruppen einteilte:

I: vom Atlantik nordostwärts über die nördlichen Britischen Inseln nach Nordskandinavien (Ia), und von dort südost- (Ib), ost- (Ic), oder nordostwärts (Id)
II: vom Nordatlantik ostwärts über Zentral- und Südskandinavien nach Nordosteuropa
III: vom Nordatlantik südostwärts über Südskandinavien nach Zentralosteuropa
IV: vom Mittelatlantik nordostwärts über die südlichen Britischen Inseln und Südskandinavien (IVa) oder Nord-Mitteleuropa (IVb) nach Nordosteuropa
V: vom Mittelatlantik südostwärts über Biskaya in den Mittelmeerraum (Va), und von dort nordost- (Vb), ost- (Vc), oder südostwärts (Vd)

Von diesem einfachen Modell, das aber keine konkreten Wetterlagen im Verlauf der einzelnen Bahnen definierte, hat sich insbesondere die Bezeichnung Vb-Wetterlage erhalten, die Hauptphase der Nordostzugbahn eines Mittelmeertiefs über Adria und Donauraum zum Baltikum, die zu heftigen Niederschlägen durch Aufgleiten aus Südost an Alpen und Karpaten führt.

Großwettertypologie nach Hess/Brezowsky

Neben EDV-gestützten Verfahren werden beim Deutschen Wetterdienst die Großwetterlagen auch nach Paul Hess und Helmuth Brezowsky[1] eingeteilt – insbesondere nach der Strömungssituation (zyklonal oder antizyklonal) sowie nach der Lage der Aktionszentren in der Erdatmosphäre und der Frontalzone.

Zirkulationsformen
  • zonale Zirkulationsform: Folgt einer glatten West-Ost-Strömung zwischen einem hochreichenden subtropischen Hochdruckgebiet in Normallage über dem Nordatlantik und einem hochreichenden Tiefdruckgebiet im subpolaren Raum – Typische Beispiele: Westlagen
  • gemischte Zirkulationsform: Die antizyklonalen Steuerungszentren sind gegenüber den Westlagen nordwärts bis etwa 50° Breite verschoben – Beispiele: Südwestlagen (Steuerungszentrum Osteuropa), Nordwestlagen (Steuerungszentrum Ostatlantik), Hoch Mitteleuropa (als Zentrum), einschließlich Tief Mitteleuropa
  • meridionale Zirkulationsform: Stationäre, blockierende Hochdruckgebiete zwischen 50° und 65° Breite – Typisch: Nordlagen, Südlagen, Ostlagen, sowie Troglagen mit nordsüdlicher Achsenrichtung, Nordost- und Südostlagen
Großwetterlagen
Nr. Abk. Bsp.[2]
  A) Großwetterlagen der zonalen Zirkulationsform
01 Westlage, antizyklonal WA [3]
02 Westlage, zyklonal WZ [4]
03 Südliche Westlage WS
04 Winkelförmige Westlage WW [5]
  B) Großwetterlagen der gemischten Zirkulationsform
05 Südwestlage, antizyklonal SWA
06 Südwestlage, zyklonal SWZ [6]
07 Nordwestlage, antizyklonal NWA [7]
08 Nordwestlage, zyklonal NWZ [8]
09 Hoch Mitteleuropa HM [9]
10 Hochdruckbrücke (Rücken) Mitteleuropa BM [10]
11 Tief Mitteleuropa TM [11]
  C) Großwetterlagen der meridionalen Zirkulationsform
12 Nordlage, antizyklonal NA
13 Nordlage, zyklonal NZ [12]
15 Hoch Nordmeer-Island, antizyklonal HNA [13]
15 Hoch Nordmeer-Island, zyklonal HNZ
16 Hoch Britische Inseln HB [14]
17 Trog Mitteleuropa TRM [15]
18 Nordostlage, antizyklonal NEA
19 Nordostlage, zyklonal NEZ
20 Hoch Fennoskandien, antizyklonal HFA [16]
21 Hoch Fennoskandien, zyklonal HFZ [17]
22 Hoch Nordmeer-Fennoskandien, antizyklonal HNFA [18]
23 Hoch Nordmeer-Fennoskandien, zyklonal HNFZ [19]
24 Südostlage, antizyklonal SEA [20]
25 Südostlage, zyklonal SEZ [21]
26 Südlage, antizyklonal SA [22]
27 Südlage, zyklonal SZ [23]
28 Tief Britische Inseln TB
29 Trog Westeuropa TRW [23]
  Übergang U

Objektive Wetterlagenklassifikation für Deutschland (DWD)

Der Deutsche Wetterdienst hat auf Basis dreier Meßkriterien ein Modell[24] entwickelt, das 40 Wetterlagen für Deutschland und Umgebung umfasst.[25] Dabei werden großräumige Anströmrichtung (5 Werte: undefiniert, Nordost, Südost, Südwest, Nordwest), Zyklonalität bzw. Antizyklonalität jeweils der bodennahen und mitteltroposphärischen Strömung (1000/550 hPa; 4 Werte) sowie der Feuchtegehalt der Atmosphäre (2 Werte: trocken, feucht) kombiniert. Ein Beispiel ist dann:[26]

Klassen-Nr. 4: Anströmrichtung Südwest, Strömung A/A, trocken → Kurzkennung SWAAT

Dabei wurden alle Kombinationen klassiert, auch die, die extrem selten (nur wenige male per Jahrzehnt) vorkommen.[27] Die fünf häufigsten Wetterlagen (1979–1990) sind:[28]

Klassen-Nr. Kurzkennung Häufigkeit (in %)
1 1 XXAAT 9,4
2 15 NWAZT 8,8
3 9 SWAAF 8,7
4 5 NWAAT 8,3
5 10 NWAAF 7,5

Österreichisches Wetterlagen-Schema (ZAMG)

Da die österreichische Meteorologie neben dem atlantischen Klima auch das Pannonische und das Mittelmeerklima mit dem Subtypus des Illyrischen Klimas zu berücksichtigen hat, und auch Aktionszentren von der Sahara bis in den Schwarzmeerraum (die nach Hess/Brezowsky nicht berücksichtigt sind), verwendet die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien folgendes Schema:

Wetterlage Abk. Bsp.[2]
Hoch über West- und Mitteleuropa H [3][6][12][16][17][22]
Zwischenhoch h [29][30]
Zonale Hochdruckbrücke Hz [4]
Hoch mit Kern über Fennoskandien HF [31]
Hoch mit Kern über Osteuropa HE [5]
Nordlage N [14][18]
Nordwestlage NW [7][8][20]
Westlage W [32]
Südwestlage SW [33]
Südlage S [13]
Gradientschwache Lage G [10][21]
Tief südlich der Alpen TS [11]
Tief über dem westlichen Mittelmeer TwM [9]
Tief im Südwesten Europas TSW [34]
Tief bei den Britischen Inseln TB [23]
Meridionale Tiefdruckrinne TR [15]
Kontinentales Tief Tk [35][36]
Tief auf der Zugstraße Adria – Polen Vb [37]

Literatur

  • F.-W. Gerstengarbe, P. C. Werner, U. Rüge (Mitarb.): Katalog der Großwetterlagen Europas (1881–1998). Nach Paul Hess und Helmuth Brezowsky. 5. Auflage. Potsdam/Offenbach a. M. 1999 (dwd.de [PDF; 3,9 MB]).

Weblinks

Wiktionary: Großwetterlage – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Nachweise

  1. Die Großwetterlagen Europas – Charakterisierung und Gefahrenpotential. unwetter.de, abgerufen am 3. Dezember 2008.
  2. a b Beispiele: Analysen. DWD, auf der Webseite Institut für Meteorologie, FU Berlin (met.fu-berlin.de).
  3. a b Analyse 20030112
  4. a b Analyse 20030101
  5. a b Analyse 20030228
  6. a b Analyse 20030426
  7. a b Analyse 20030706
  8. a b Analyse 20030501
  9. a b Analyse 20030527
  10. a b Analyse 20030722
  11. a b Analyse 20030410
  12. a b Analyse 20030824
  13. a b Analyse 20030421
  14. a b Analyse 20030105
  15. a b Analyse 20031229
  16. a b Analyse 20030214
  17. a b Analyse 20051015
  18. a b Analyse 20031013
  19. Analyse 20050819
  20. a b Analyse 20030412
  21. a b Analyse 20030819
  22. a b Analyse 20030222
  23. a b c Analyse 20030121
  24. Die objektive Wetterlagenklassifikation; und Beschreibung des Verfahrens und der Wetterlagenklassen;
    Ernst Dittmann u. a. (S. Barth, G. Müller-Westermeier, J. Lang): Objektive Wetterlagenklassifikation. Reihe Berichte des Deutschen Wetterdienstes 197, Offenbach am Main 1995 (pdf);
    Objektive Wetterlagenklassifikation. (In: Wettwetterlexikon.)
    Alle: Deutscher Wetterdienst, dwd.de (abgerufen am 30. Mai 2016).
  25. Klassifikationsgebiet. dwd.de
  26. Dittmann u. a.: Objektive Wetterlagenklassifikation. 1991, Tabelle 2: Numerierung, Definition und Kurzkennung der Wetterlagenklassen, S. 27; desgl. Kennzahlen und Kennungen der 40 objektiven Wetterlagen, dwd.de.
  27. Dittmann 1991, S. 7.
  28. Dittmann 1991, 5.1 Wetterlagenkalender, S. 17 ff, insb. S. 19.
  29. Analyse 20030901
  30. Analyse 20030711
  31. Analyse 20031015
  32. Analyse 20031022
  33. Analyse 20031002
  34. Analyse 20031020
  35. Analyse 20030731
  36. Analyse 20030215
  37. Analyse 20050822 (Alpenhochwasser 2005)
  38. Projekt (ex cost733.org) beendet, siehe cost733.met.no; abgerufen am 30. Mai 2016; Abschlussberichte auf ESSEM COST Action 733, European Cooperation in Science and Technology, cost.eu.