Hygroskopie

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Streusalz auf einem Gehweg bindet Luftfeuchtigkeit

Hygroskopie (altgriechisch ὑγρός hygrós ‚feucht‘, ‚nass‘ und

σκοπεῖν

‚anschauen‘; Hygroskopizität ist ein Synonym und beschreibt dieselbe Eigenschaft) bezeichnet in der Chemie und Physik die Eigenschaft von Stoffen, Feuchtigkeit aus der Umgebung (meist in Form von Wasserdampf aus der Luftfeuchtigkeit) zu binden. Viele aufnehmende Stoffe – soweit es sich um feste Stoffe handelt – zerfließen oder verklumpen durch die Wasseraufnahme. Eine Ausnahme bilden hier z. B. die Zeolithe. Hygroskopie wird oft fälschlicherweise als Hydroskopie (

ὕδωρ

‚Wasser‘) bezeichnet.

Erwünschte Effekte

Bei Textilien

Das Feuchteaufnahmevermögen textiler Faserstoffe aus der Dampfphase wird als Hygroskopizität bezeichnet. Es hängt ab von dem Vorhandensein hydrophiler Gruppen in der Makromolekülkette oder als Seitengruppe, von der Zugänglichkeit dieser Gruppen für die von außen einwirkende Feuchte und von der Größe und Häufigkeit von Poren.[1] Als Messgröße zu deren Kennzeichnung dient die Feuchteaufnahme in Prozent in Abhängigkeit vom Umgebungsklima.[2]

Bei Lebensmitteln

Hygroskopische Feuchthaltemittel dienen als Weichmacher in Lebensmitteln, indem sie das Hartwerden verhindern (beispielsweise Sorbit in Marzipan).

Hygroskopie bei Baumaterialien

Die Hygroskopie von Baumaterialien, insbesondere die des Innenausbaus (wie Putze, Bodenbeläge und Holz), kann entscheidend auf die Luftfeuchtigkeit eines Raumes und somit auf das Raumklima insgesamt Einfluss haben. Die Baustoffe, die viel Feuchtigkeit aus der Luft aufnehmen und bei Bedarf rasch wieder abgeben können (hygroskopische Baustoffe: weitestgehend alle pflanzlichen und tierischen Baustoffe wie Holz, Schafwolle oder Stroh und poröse mineralische Stoffe wie Ziegel, Kalk und Lehm), sind gegenüber nicht saugfähigen Baustoffen (z. B. Kunststoffe, Metalle) für ein angenehmes Raumklima besonders zu empfehlen. Siehe hierzu auch „Atmende Wand“, Dampfsperre, sowie Schlagregendichtheit, Wasserdampfdiffusionswiderstand und Wasseraufnahmekoeffizient eines Baustoffs.

Verwendung hygroskopischer Substanzen als Trockenmittel im Labor

Wenn im chemischen Labor kleine Mengen feuchter Substanzen bei Zimmertemperatur getrocknet werden sollen, bedient man sich eines geschlossenen ggf. evakuierten Exsikkators, der mit einem Trockenmittel versehen wurde, oder eines mit Trockenmittel gefüllten Rohres, um einen Gasstrom zu trocknen. Das Trockenmittel ist hygroskopisch und entzieht der Gasphase kontinuierlich Feuchtigkeit. So wird die zu trocknende Substanz oder das Gas nach und nach schonend bei Umgebungstemperatur – also ohne Erhitzung, die zu einer eventuellen Zersetzung führen könnte – getrocknet. Als Trocknungsmittel dienen:[3]

Verwendung hygroskopischer Substanzen zum Trocknen von Räumen

Im Handel werden siebförmige Behälter mit zugehörigem untergesetztem Wasserbehälter zum Trocknen von Räumen angeboten. Sie werden mit Calciumchlorid befüllt, das sich durch das aufgenommene Kristallwasser auflöst und abtropft. Deren Verwendung ist allenfalls in unbewohnten Räumen sinnvoll. In bewohnten Räumen wird durch die Atemluft beim Ausatmen und durch Transpiration soviel Feuchte erzeugt, dass diese Methode versagt.

Binden von Stäuben

Wässrige Lösungen hygroskopischer Salze werden auf Asche-Sportplätzen aufgebracht, um der Staubaufwirbelung bei Trockenheit vorzubeugen. Im Steinkohlebergbau wurden solche Lösungen mit Zugabe eines Netzmittels in Strecken versprüht, um den sich sammelnden Kohlestaub zu binden und einer Staubexplosion vorzubeugen.

Unerwünschte Effekte

Hygroskopie ist in der Praxis oft unerwünscht, zum Beispiel wenn Kochsalz (aufgrund eines geringen Gehalts an Magnesiumchlorid)[4] durch aufgenommene Luftfeuchtigkeit verklumpt. Um dies zu verhindern, wird Magnesiumsilikat als Lebensmittelzusatzstoff bzw. Trennmittel zugesetzt. Auch in anderen Bereichen ist dieser Effekt von Bedeutung. Die Feuchtigkeitsaufnahme von Kochsalz ist durch die relative Luftfeuchtigkeit bestimmt. Oberhalb einer relativen Luftfeuchtigkeit von etwa 75 % rHd (Deliqueszenzfeuchte) nimmt Kochsalz so viel Wasser aus der Luft auf, dass es in Lösung geht. Der Bereich zwischen 35 % rHd und 75 % rHd ist geprägt von einer monomolekularen Belegung mit Wassermolekülen.

Bei Zuckerwaren (Bonbons und Lollies) verändert sich durch Hygroskopie die Oberfläche: transparente Produkte werden matt, glatte Oberflächen kleben, glänzende Bonbons (z. B. Goldnüsse und Seidenkissen) verlieren den Glanz (Fachbegriff „Absterben“) und Schokolade überzieht sich mit Zuckerreif. Minderwertige Ware mit hohem Wassergehalt zerläuft (Fachbegriff „kaltes Fließen“). Honig ist hygroskopisch und geht bei zu hohem Wassergehalt in Gärung, weswegen nach der deutschen Honigverordnung im Allgemeinen nur ein maximaler Wassergehalt von 20 % zulässig ist.[5]

Im Modellbau ist der hygroskopische Effekt unerwünscht. Der für Glühzündermotoren verwendete Treibstoff enthält Methanol, welches hygroskopisch ist. Bei unsachgemäßer Lagerung kann er so unbrauchbar werden.

Im Bauwesen ist hygroskopisches Material bei bewitterten Bauteilen von Nachteil, da Wasser im Baumaterial bei Frost zu Eis umgewandelt wird. Die Eiskristalle haben ein größeres Volumen als das Wasser und können zum Abplatzen oder zur Zerstörung von inneren Strukturen des Materials führen. Deshalb werden bei sensiblen Bauteilen frostunempfindliche, d. h. nicht hygroskopische Materialien gefordert.

Die Bremsflüssigkeit von Fahrzeugen ist hygroskopisch. Mit steigendem Wasseranteil sinkt ihr Siedepunkt. Durch die beim Bremsen entstehende Hitze kann das Wasser Dampfblasen bilden. Diese sind als Gas komprimierbar und der bremsende Fahrer tritt „ins Leere“. Aus diesem Grund wird ein zweijährlicher Wechsel der Bremsflüssigkeit empfohlen.

Weblinks

Wiktionary: Hygroskopie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Wolfgang Bobeth (Hrsg.): Textile Faserstoffe. Beschaffenheit und Eigenschaften. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg/New York 1993, ISBN 3-540-55697-4, S. 233.
  2. Ralf-Dieter Reumann (Hrsg.): Prüfverfahren in der Textil- und Bekleidungstechnik. Springer, Berlin/Heidelberg/New York 2000, ISBN 3-540-66147-6, S. 671.
  3. Walter Wittenberger: Chemische Laboratoriumstechnik. 7. Auflage. Springer, Wien/New York 1973, ISBN 3-211-81116-8, S. 135.
  4. Hygroskopisch – Das KATALYSE-Umweltlexikon. Abgerufen am 12. Februar 2022.
  5. Problem: Zu hoher Wassergehalt im Honig! LWG Bayern. Abgerufen am 6. Juli 2022.