Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr

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Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr (niederländisch Ik sta voor U in leegte en gemis ‚Ich stehe vor dir in Leere und Mangel‘) ist ein niederländisches Neues Geistliches Lied, das der Theologe Huub Oosterhuis 1966 verfasste und 1968 veröffentlichte. Es wird auf eine Melodie gesungen, die Bernard Huijbers bereits 1961 komponierte. Der verbreitetste deutsche Text stammt von Lothar Zenetti.

Entstehung und Inhalt

Huub Oosterhuis war 1965 priesterlicher Leiter der Amsterdamse Studentenekklesia geworden, einer damals noch katholischen Studierendengemeinde. Den Text verfasste er im darauffolgenden Jahr anlässlich des Trauergottesdienstes für einen Studenten und Mitglied der Gemeinde, der im Alter von 26 Jahren gestorben war.[1] 1968 veröffentlichte er das Lied als Teil einer volkssprachlichen Trauerliturgie,[2] und 1970 als unabhängigen Liedtext.[3]

Der Liedtext thematisiert die Hilflosigkeit, Fragen und Zweifel des Menschen angesichts existenzieller Fragen wie Tod und menschlichem Leid.[4] Oosterhuis’ Text ist stark in der Sprache der Bibel verwurzelt, ohne unbedingt bestimmte Textstellen zu zitieren. Die Grundhaltung des Liedtextes erinnert an die Figur des Ijob, etwa wenn das lyrische Ich anklagt: „Heer, ik geloof, waarom staat Gij mij tegen?“ (wörtlich: „Ich glaube, Herr – was stehst du mir entgegen?“), was allerdings durch Lothar Zenettis ungenaue Übersetzung „Ich möchte glauben, komm mir doch entgegen“ geradezu ins Gegenteil verkehrt wird.[5]

1983 nahm Oosterhuis noch eine kleinere Textänderung im Sinne inklusiver Sprache vor und ersetzte in der dritten Strophe das Wort zoon (Sohn) durch mens (Mensch).[5]

Melodie

Oosterhuis schrieb den Liedtext auf eine Melodie, die der damalige Jesuit Bernard Huijbers bereits 1961 komponiert hatte. Huijbers schrieb sie ursprünglich als Singweise für den Psalm 119 in der Übersetzung des Autorenkollektivs Het landvolk. Als Alternative zur althergebrachten Melodie aus dem Genfer Psalter[6] wurde sie den letzten drei Strophen des Psalmlieds unter dem Titel Een smekeling, zo kom ik tot uw troon unterlegt.[5][7]

In einigen Gesangbüchern erscheint der Notensatz des Liedes ohne Taktstriche. Diese Notation erscheint zur Vermeidung falscher Betonungen an manchen Zeilenenden hilfreich, ist aber nicht vom Komponisten autorisiert, der sich wiederholt gegen Änderungen seiner originalen Notation aussprach.[5]

Für Oosterhuis scheint der Text keine zwingend organische Einheit mit der Melodie darzustellen, denn er verfasste auf dieselbe Melodie insgesamt acht verschiedene Liedtexte für sehr verschiedene liturgische Zusammenhänge bzw. Anlässe:

  • Zo vriendelijk en veilig als het licht, Vertrauenslied (1964) – Die dritte Strophe dieses Liedes übernahm Oosterhuis geringfügig geändert in Ik sta voor U
  • De Heer heeft mij gezien en onverwacht, Vertrauenslied (1966)
  • Ik sta voor U in leegte en gemis, Begräbnislied (1966)
  • Hij die gesproken heeft een woord dat gaat, Gemeinde-Lied
  • Dat duren zal, zolang er leven is („Lied von Verdammung und Gnade“)
  • Ontijdig heeft de dood hem overmand, Begräbnislied
  • Van liefde zingt men hel en hoog ter been, Hochzeitslied
  • De woorden die wij spraken tot elkaar anlässlich des 60. Geburtstags von Königin Beatrix (1998)

Übersetzungen

Der Theologe Lothar Zenetti übersetzte das Lied 1973 unter dem Titel Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr ins Deutsche.[8] Diese Übersetzung wurde 1974 erstmals veröffentlicht. Sie hält das strenge Reimschema der Vorlage (ab-ab-ab) nur teilweise ein.[9]

1975 wurde das Lied in Zenettis Übersetzung in das katholische Gesangbuch Gotteslob im Abschnitt „Leben aus dem Glauben“ unter der Nummer GL 621 aufgenommen.[10] Im neuen Gotteslob von 2013 steht es unter der Nummer GL 422 im Abschnitt „Vertrauen und Trost“. Im Evangelischen Gesangbuch von 1995 steht es unter Nummer EG 382 im Unterabschnitt „Angst und Vertrauen“ des Kapitels „Glaube – Liebe – Hoffnung“.[5] Im altkatholischen Gesangbuch Eingestimmt findet es sich unter Nr. 511 im Abschnitt „Gemeinschaft der Heiligen: Nachfolge Jesu“. Erstaunlicherweise wurde das Lied also in keines der Gesangbücher in die für ein Begräbnislied eigentlich zu erwartenden Abschnitte „Tod und Vollendung“ (GL/Eingestimmt) bzw. „Sterben und ewiges Leben“ (EG) aufgenommen.

Eine Textänderung im Hinblick auf geschlechtergerechte Sprache analog zu der des niederländischen Originaltexts von ursprünglich „unter deinen Söhnen“ zu „unter deinen Kindern“ in der dritten Strophe wurde erstmals 1995 im Evangelischen Gesangbuch gedruckt, und ab 1996 in Nachauflagen des Gotteslobs übernommen.[5]

Weitere deutsche Übersetzungen des Textes schufen Peter Pawlowsky (1976), Alex Stock (1987) und Jürgen Henkys (1994/1998). Obwohl sich diese näher an Oosterhuis’ Originaltext hielten, konnte keine von ihnen Zenettis Verdeutschung verdrängen.[5]

Die Internationale Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie (IAH) beauftragte Hedwig T. Durnbaugh (Strophen 1 und 3) und Alan Luff (Strophe 2) mit einer englischsprachigen Übersetzung unter dem Titel I stand before you empty-handed, Lord, die in das mehrsprachige Gesangbuch Colours of Grace (2006) aufgenommen wurde.[11]

Literatur

  • Peter Ernst Bernoulli: 382 – Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr. In: Wolfgang Herbst, Ilsabe Seibt (Hrsg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Nr. 18. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013, ISBN 978-3-525-50341-6, S. 58–66, doi:10.13109/9783666503412.58 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  • Ansgar Franz: Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr. In: Ansgar Franz, Hermann Kurzke, Christiane Schäfer (Hrsg.): Die Lieder des Gotteslob. Geschichte – Liturgie – Kultur. Verlag Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-460-42900-0, S. 561–565.
  • Jürgen Henkys: Psalmliedtradition und Gegenwartserfahrung bei Huub Oosterhuis „Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr“. In: ders.: Singender und gesungener Glaube : hymnologische Beiträge in neuer Folge. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1999, ISBN 3-525-57202-6, S. 163–173; digitale-sammlungen.de.
  • Regina Pfanger-Schäfer: „Mein Los ist Tod, hast du nicht andern Segen?“ Todeserfahrung und Lebensverheißung am Beispiel eines Neuen Geistlichen Liedes von Huub Oosterhuis. In: Hansjakob Becker, Bernhard Einig, Peter-Otto Ullrich (Hrsg.): Im Angesicht des Todes. Ein interdisziplinäres Kompendium I. EOS, Erzabtei St. Ottilien 1987, ISBN 3-88096-283-9, S. 341–364.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Jeroen de Wit: 942 - Ik sta voor U in leegte en gemis (Niederländisch) In: liedboekcompendium.nl . 2021. Abgerufen am 8. Mai 2021.
  2. Huub Oosterhuis: In het voorbijgaan (nl). Amboboeken, Utrecht 1968, OCLC 561772055.
  3. Stichting Werkgroep voor Volkstaalliturgie (Hrsg.): Liturgische gezangen voor de viering van de Eucharistie (nl). Gooi en Sticht, Hilversum 1970.
  4. Thomas Steiger: Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr (GL 422) (Deutsch) SWR. 31. März 2019. Abgerufen am 10. Juli 2019.
  5. a b c d e f g Peter Ernst Bernoulli: 382 – Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr. In: Wolfgang Herbst, Ilsabe Seibt (Hrsg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Nr. 18. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013, ISBN 978-3-525-50341-6, S. 58–66, doi:10.13109/9783666503412.58 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  6. Psalm 119 des Genfer Psalters (1551) hat nicht nur dieselbe Strophenform, sondern zeigt auch in manchen melodischen Wendungen Verwandtschaft mit Huijbers’ Melodie.
  7. Een smekeling, zo kom ik tot uw troon (melodie) (Niederländisch) In: kerkliedwiki.nl . Abgerufen am 8. Mai 2021.
  8. Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr (Deutsch) In: evangeliums.net . Abgerufen am 15. April 2022.
  9. 1. Strophe: ab-cb-db; 2. Strophe: ab-ac-ad; 3. Strophe: ab-cd-ef
  10. Pius Kirchgessner: "Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr" / (Liedtext im alten Gotteslob 621) (Deutsch) pius-kirchgessner.de. Abgerufen am 3. Juli 2019.
  11. Peter Bukowski, Thomas Flügge, Dorothea Monninger, Christine-Ruth Müller, Andreas Marti, Franz Karl Praßl, Ilsabe Seibt (Hrsg.): Colours of Grace. Gesangbuch der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE). Strube, München 2006, ISBN 3-89912-096-5.