Koalitionsausschuss

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Ein Koalitionsausschuss ist ein aus führenden Personen der Koalitionsparteien sowie der Regierung zusammengesetztes informelles Gremium. Koalitionsausschüsse haben damit – im Gegensatz zu Ausschüssen eines Parlaments – keine formalen, z. B. aus der Verfassung ableitbaren, Rechte. In westeuropäischen Ländern sind Koalitionsausschüsse gängig[1][2]; in Deutschland gab es sie mit Unterbrechungen seit dem Kressbronner Kreis der ersten Großen Koalition. Ebenso finden sich Koalitionsausschüsse in Deutschland teilweise auf der Ebene der Bundesländer. Ein Koalitionsausschuss koordiniert die Zusammenarbeit zwischen Koalitionspartnern. Modalitäten seiner Nutzung sind oft im Koalitionsvertrag festgelegt: so werden etwa Ausschusssitzungen entweder regelmäßig oder nur im Falle besonderer Differenzen zwischen den beteiligten Akteuren einberufen. In der Praxis haben sich zudem ad hoc angesetzte Gremiumssitzungen ergeben. Mitglieder von Koalitionsausschüssen sind in der Regel Vertreter der Regierung, der Fraktionen sowie der die Regierung tragenden Parteien.[3]

In Koalitionsausschüssen werden einerseits verschiedene Positionen repräsentiert, andererseits im Koalitionsausschuss gefundene Vereinbarungen mit Hilfe der Autorität der Ausschussmitglieder in den formalen Gremien eingebracht.[4][5]

Geschichte in Deutschland

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Jährliche Treffen Koalitionsausschuss nach verschiedenen Quellen (1966–2005).[6]

Die Etablierung eines Koalitionsausschusses als Steuerungsgremium ist auf Bundesebene erstmals nach den erfolgreich geführten Regierungsbildungsverhandlungen zwischen CDU/CSU und FDP im Jahr 1961 vorgesehen und in einem Koalitionsvertrag schriftlich fixiert worden. Der Kressbronner Kreis war der Ausschuss zur ersten Großen Koalition unter Kurt Georg Kiesinger. Auch während der Regierungszeit von Willy Brandt und Helmut Schmidt tagte regelmäßig ein Koalitionsausschuss, wenngleich oft unter anderem Namen, wie etwa Koalitionsrunde.[1] Auch unter Helmut Kohl bestand der Koalitionsausschuss.[3][7] In der rot-grünen Koalition von Gerhard Schröder tagte der Koalitionsausschuss sehr viel unregelmäßiger als davor und trat über Monate nicht zusammen[8]. In den Regierungen von Angela Merkel wurde diese Arena wieder regelmäßig genutzt.[9] Zu Beginn der Bundesrepublik, in der Ära Adenauer, gab es zwar auch einen ‚Koalitionsausschuss’, dieser war allerdings anders zusammengesetzt als es sich später durchgesetzt hatte. Mitglieder waren nur Vertreter der Fraktionen. Ebenfalls existierten sogenannte ‚Koalitionsgespräche’ zwischen Kanzler, Kabinett und Koalitionsfraktionen – also ohne die Vorsitzenden der Parteien.[10]

Eine systematische Übersicht der Treffen des Koalitionsausschusses ist, aufgrund seiner informellen Natur, kaum vollständig möglich. Sie kann näherungsweise anhand von Berichten in den Medien[3] und, nach Ablauf der entsprechenden Sperrfristen, aus Aufzeichnungen in Archiven wie bspw. dem Archiv der sozialen Demokratie erfolgen.[1]

Arbeitsweise und Wirkung

Gegenüber dem Kabinett eigne sich der Koalitionsausschuss besser als Konfliktlösungsinstanz weil sich die kleine Gruppe der Teilnehmenden kenne und verschwiegen sei.[11] U.a. kann dies geschehen, in dem (konfliktbehaftete) Entscheidungen aus dem Kabinett vorweggenommen werden.[12] Für die Arbeitsweise lässt sich für die Zeit zwischen 1967 und 1982 außerdem eine durchschnittliche Dauer der Beratungen im deutschen Koalitionsausschuss von etwa zweieinhalb Stunden ermitteln. Schwierige Sitzungen, z. B. zur Vorabberatung von Haushaltsentwürfen können dabei deutlich länger dauern.[13]

Gesetze, die bereits vor ihrer Einbringung in den Bundestag im Koalitionsausschuss behandelt wurden, passieren den Gesetzgebungsprozess schneller als solche, die erst später in dieser informellen Runde behandelt werden.[1] Dies ist ein Hinweis, dass sich im Koalitionsausschuss tatsächlich einzelne Konflikte entschärfen lassen.

Im Vergleich westeuropäischer Länder scheinen Koalitionsausschüsse die Wahrscheinlichkeit zu reduzieren, dass eine Regierung schon vor dem Ende ihrer Amtszeit auseinanderbricht. Ein Koalitionsausschuss kann das Auseinanderbrechen aber z. B. nicht verhindern, wenn (wirtschaftliche) Krisen die Zusammenarbeit einer Koalition erschweren oder der 'Vorrat an Gemeinsamkeiten' aufgebraucht ist.[1] Der Koalitionsausschuss sichert damit die Stabilität von Koalitionsregierungen.

Kritik und Bewertung

In Deutschland steht der Koalitionsausschuss seit seinem Bestehen in der Kritik, wenngleich die Zahl der entsprechenden Stimmen über die Zeit rückläufig ist.[14] So wird ein „Auszug aus den Institutionen“ diagnostiziert,[15] auch in Österreich und Italien findet sich ähnliche Kritik.[11][16]

Da Koalitionsausschüsse de facto phasenweise die Arbeit von Regierung und Parlamentsmehrheit steuern,[17] ohne dem Bundestag direkt verantwortlich zu sein, werden die von Koalitionsausschüssen getroffenen Entscheidungen unter demokratietheoretischen Aspekten als negativ-kritisch betrachtet.[18] Ihnen wird vorgeworfen, „am Parlament vorbei“ und „im Hinterzimmer“ zu regieren.[19] Für die Wähler sei nicht klar nachvollziehbar, wer an den Entscheidungen teilnähme, da die Mitglieder des Koalitionsausschusses als solche keine Legitimation besäßen. Zudem würden „die Mitwirkungsmöglichkeiten des einzelnen Amtsträgers innerhalb der regierenden Mehrheit soweit [verengt], dass ihm die Wahrnehmung seiner Verantwortung erschwert wird“.[20] Koalitionsausschüsse „haben sich inzwischen zu einem informellen Entscheidungsorgan mit umfassenden Kompetenzen entwickelt“[21] und funktionieren daher als eine Art inoffizielles Entscheidungsgremium, ohne aber im Grundgesetz Erwähnung zu finden.

Teilnehmende bewerten den Koalitionsausschuss teils mit anderen Schwerpunkten. So sah z. B. Helmut Schmidt den Koalitionsausschuss als eine Möglichkeit, die Position der Fraktion vor den formalen Entscheidungsprozessen der Regierung mitzuteilen.[22] Andere Aussagen bestätigen, dass die normative Kritik durchaus begründet ist. So formuliert Helmut Schmidt für den Fall einer Veränderung des Teilnehmerkreises: „Jedenfalls würde das dann manche Entscheidung sichtbar in das Parlament verlagern. Dies hätte für die Funktionsweise der Koalition Nachteile, für das Ansehen des Parlamentes Vorteile“.[23]

Mitglieder

Der aktuelle Koalitionsausschuss „besteht aus ständigen Vertreterinnen und Vertretern der drei Koalitionspartner, darunter die Parteivorsitzenden, der Bundeskanzler und die Spitzen der Regierung, der Chef des Bundeskanzleramtes sowie die Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag“[24].

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b c d e Miller, Bernhard: Der Koalitionsausschuss: Existenz, Einsatz und Effekte einer informellen Arena des Koalitionsmanagements (= Studien zum Parlamentarismus). 1. Auflage. Nomos, Baden-Baden 2011, ISBN 978-3-8329-6138-1.
  2. Andeweg, Rudy B.; Timmermans, Arco: Conflict Management in Coalition Government. In: Kaare Strøm; Wolfgang C. Müller; Torbjörn Bergman (Hrsg.): Cabinets and Coalition Bargaining: The Democratic Life Cycle in Western Europe. Oxford University Press, Oxford 2008, ISBN 978-0-19-958749-0, S. 269–300 (englisch).
  3. a b c Rudzio, Wolfgang: Informelles Regieren: Zum Koalitionsmanagement in deutschen und österreichischen Regierungen. 1. Auflage. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005, ISBN 978-3-531-14784-0.
  4. Vgl. Rudzio, Wolfgang: Informelles Regieren - Koalitionsmanagement der Regierung Merkel. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. APuZ 16/2008, S. 11 f.
  5. Kropp, Sabine: Regieren als informaler Prozess. Das Koalitionsmanagement der rot-grünen Bundesregierung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 43/2003, S. 23–31.
  6. Miller, Bernhard: Der Koalitionsausschuss: Existenz, Einsatz und Effekte einer informellen Arena des Koalitionsmanagements (= Studien zum Parlamentarismus). 1. Auflage. Nomos, Baden-Baden 2011, ISBN 978-3-8329-6138-1, S. 138.
  7. Rosteck, Chin-Yu: Koalitionsmanagement unter der Kanzlerschaft Kohl 1982–1989: Formierung und Arbeitsweise der informellen Koalitionsgremien. 1. Auflage. Humboldt-Universität, Berlin 2003.
  8. Helms, Ludger: Die Informalisierung des Regierungshandels in der Bundesrepublik: ein Vergleich der Regierungen Kohl und Schröder. In: Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften. Band 3, Nr. 1, 2005, S. 70–96.
  9. Miller, Bernhard; Müller, Wolfgang C.: Koalitionsmechanismen in einer Großen Koalition: Das Beispiel der Regierung Merkel. In: Christoph Egle; Reimut Zohlnhöfer (Hrsg.): Die zweite Große Koalition: Eine Bilanz der Regierung Merkel 2005–2009. 1. Auflage. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-531-16796-1, S. 156–179, doi:10.1007/978-3-531-92434-2_7.
  10. Küpper, Jost: Die Kanzlerdemokratie. Lang, Frankfurt am Main 1985, ISBN 978-3-8204-5575-5, S. 154.
  11. a b Rudzio, Wolfgang: Entscheidungszentrum Koalitionsausschuss – Zur Realverfassung Österreichs unter der Großen Koalition. In: Politische Vierteljahresschrift. Band 12, Nr. 1, 1971, S. 87–118.
  12. Schreckenberger, Waldemar: Veränderungen im parlamentarischen Regierungssystem: Zur Oligarchie der Spitzenpolitiker der Parteien (= Karl Dietrich Bracher; Paul Mikat; Konrad Repgen; Martin Schumacher; Hans-Peter Schwarz [Hrsg.]: Staat und Parteien: Festschrift für Rudolf Morsey zum 65. Geburtstag). Duncker Humblot, Berlin 1992, ISBN 978-3-428-07422-8, S. 133–157.
  13. Miller, Bernhard: Der Koalitionsausschuss: Existenz, Einsatz und Effekte einer informellen Arena des Koalitionsmanagements (= Studien zum Parlamentarismus). 1. Auflage. Nomos, Baden-Baden 2011, ISBN 978-3-8329-6138-1, S. 144.
  14. Miller, Bernhard: Der Koalitionsausschuss: Existenz, Einsatz und Effekte einer informellen Arena des Koalitionsmanagements (= Studien zum Parlamentarismus). 1. Auflage. Nomos, Baden-Baden 2011, ISBN 978-3-8329-6138-1, S. 59 f.
  15. Saalfeld, Thomas: Koalitionsstabilität in 15 europäischen Demokratien von 1945–1999: Transaktionskosten und Koalitionsmanagement. In: Zeitschrift für Parlamentsfragen. Band 38, Nr. 1, 2007, S. 180–206.
  16. Criscitiello, Annarita: Majority summits: Decision-making inside the cabinet and out: Italy, 1970–1990. In: West European Politics. Band 26, 1993, S. 365–389 (englisch).
  17. Frederik A. Petersohn: Zur Bedeutung von Informalisierung und Parteipolitisierung im Politikformulierungsprozeß der Bundesrepublik Deutschland. Münster u. a. 2000, ISBN 3-8258-4580-X, S. 31–36.
  18. Woyke, Wichard: Koalition. In: Uwe Andersen, Wichard Woyke (Hrsg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Bonn 2003, ISBN 3-89331-389-3, S. 275.
  19. Stephan Bröchler, Timo Grunden (Hrsg.): Informelle Politik. 2014, doi:10.1007/978-3-658-02380-5 (springer.com [abgerufen am 25. August 2020]).
  20. von Blumenthal, Julia: Auswanderung der Politik aus den Institutionen: Schwächung der repräsentativen Demokratie. Replik auf Eberhard Schuett-Wetschky. In: Zeitschrift für Politikwissenschaft. Band 12, Nr. 1, 2002, S. 23.
  21. Schreckenberger, Waldemar: Informelle Verfahren der Entscheidungsvorbereitung zwischen der Bundesregierung und den Mehrheitsfraktionen: Koalitionsgespräche und Koalitionsrunden. In: Zeitschrift für Parlamentsfragen. 3/1994, S. 334.
  22. Schneider, Andrea: Die Kunst des Kompromisses: Helmut Schmidt und die Große Koalition 1966-1969. 1. Auflage. Schöningh, Paderborn 1999, ISBN 978-3-506-77957-1, S. 95.
  23. Miller, Bernhard: Der Koalitionsausschuss: Existenz, Einsatz und Effekte einer informellen Arena des Koalitionsmanagements (= Studien zum Parlamentarismus). 1. Auflage. Nomos, Baden-Baden 2011, ISBN 978-3-8329-6138-1, S. 143.
  24. SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP: Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP. Abgerufen am 13. Dezember 2021.