Lager Reichenau
Das Lager Reichenau in Innsbruck-Reichenau wurde im August 1941 im Auftrag des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) Berlin in Zusammenarbeit mit dem Landesarbeitsamt Innsbruck errichtet.
Bis zum Sommer 1942 diente es seinem ursprünglichen Zweck als Auffanglager für italienische Zivilarbeiter, die aufgrund der zunehmenden Bombenangriffe im Jahre 1942 auf die deutschen Industriezentren nach Italien zurückkehrten. Diese sollten im Lager Reichenau gesammelt und dem Arbeitsamt als Zwangsarbeiter zugeführt werden. Da aber immer weniger italienische Zivilarbeiter aufgegriffen wurden, wurde das Lager zum Arbeitserziehungslager umfunktioniert. Es unterstand in dieser Form direkt dem jeweiligen Leiter der Gestapo Innsbruck und war dazu bestimmt, „die im Gau Tirol/Vorarlberg wegen Arbeitsvertragsbruchs, Blaumacherei oder Dienstpflichtverweigerung auffallenden männlichen Personen aufzunehmen und durch strikte Disziplin und schwere Arbeit zu brauchbaren Volksgenossen zu erziehen.“ Gegen Ende des Krieges wurden zunehmend auch politische Häftlinge der Gestapo Innsbruck in der Reichenau gefangengehalten. Ab 1943 diente das Lager auch als Durchgangslager für Juden aus Norditalien auf dem Weg ihrer Deportation, die seit 1944 vielfach aus dem Durchgangslager Bozen kamen.[1] Insgesamt waren im Lager Reichenau rund 8500 Personen inhaftiert, von denen nachweislich 130 Menschen ermordet wurden oder durch unmenschliche Behandlung den Tod fanden.
Im April 1945 waren hier die 141 Sonder- und Sippenhäftlingen, die kurz darauf in Südtirol befreit wurden, für ein paar Tage untergebracht (→ Befreiung der SS-Geiseln in Südtirol).
Nach dem Krieg diente das Lager als Unterkunft für Displaced Persons und später für Menschen ohne oder mit niedrigem Einkommen, bevor es in den siebziger Jahren abgerissen wurde.
Seit 1972 erinnert am ehemaligen Grundstück ein Gedenkstein an die Opfer des Lagers Reichenau. Er trägt die Inschrift:
Hier stand in den Jahren 1941–1945
das Gestapo-Auffanglager Reichenau,
in dem Patrioten aus allen von National-
sozialismus besetzten Ländern inhaf-
tiert und gefoltert wurden.
Viele von ihnen fanden hier den Tod.
Dokumentarfilme
- Johannes Breit: Es ist besser, nicht zuviel um sich zu schauen. Das Arbeitserziehungslager Innsbruck-Reichenau 1941–1945. Absam 2008, DVD.
Einzelnachweise
- ↑ Sabine Mayr, Hannes Obermair: Sprechen über den Holocaust. Die jüdischen Opfer in Bozen – eine vorläufige Bilanz. In: Der Schlern. Monatszeitschrift für Südtiroler Landeskunde. Nr. 88, 2014, ISSN 0036-6145, Heft 3, S. 4–36. hier: S. 15, 20 u. 23.
Literatur
- Thomas Albrich: Ein KZ der Gestapo. Das Arbeitserziehungslager Reichenau bei Innsbruck. In: Klaus Eisterer (Hrsg.): Tirol zwischen Diktatur und Demokratie (1930–1950). Beiträge für Rolf Steininger zum 60. Geburtstag. Innsbruck u. a. 2002, S. 77–113.
- Johannes Breit: Das Gestapo-Lager Innsbruck-Reichenau: Geschichte, Aufarbeitung, Erinnerung. Tyrolia, Innsbruck/Wien 2017, ISBN 978-3-7022-3570-3.
- Hermann Rafetseder: NS-Zwangsarbeits-Schicksale. Erkenntnisse zu Erscheinungsformen der Oppression und zum NS-Lagersystem aus der Arbeit des Österreichischen Versöhnungsfonds. Eine Dokumentation im Auftrag des Zukunftsfonds der Republik Österreich. Bremen 2014, 706 S., ISBN 978-3-94469-028-5; korrigierte Druckfassung eines 2007 aus Datenschutzgründen unveröffentlicht gebliebenen Textes, ooegeschichte.at [PDF], darin Kapitel "AEL Reichenau und Frauen-AEL Jenbach", S. 473–482.
- Horst Schreiber: Das Arbeitserziehungslager Reichenau. In: Gabriele Rath, Andrea Sommerauer, Martha Verdorfer (Hrsg.): Bozen – Innsbruck. Zeitgeschichtliche Rundgänge. Bozen: Raetia 2000, S. 143–147.
Siehe auch
Koordinaten: 47° 16′ 21,7″ N, 11° 25′ 50,5″ O