Friedrich Ludwig Weidig

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Friedrich Ludwig Weidig

Ludwig Friedrich Alexander Weidig (* 15. Februar 1791 in Oberkleen, Landgrafschaft Hessen-Darmstadt; † 23. Februar 1837 in Darmstadt, Großherzogtum Hessen) war ein deutscher evangelischer Theologe, Pädagoge, Publizist und Turnpionier. Er wirkte vornehmlich als Lehrer in Butzbach sowie kurzzeitig als Pfarrer in Oberkleen. Im Gebiet des heutigen Hessen und des angrenzenden Mittelrheins war er ein Protagonist des Vormärz und Wegbereiter der Deutschen Revolution 1848/49.

Namen und Verwandtschaft

Weidig wurde in dem Dorf Oberkleen im Hüttenberger Land nordwestlich der Wetterau als Sohn des Oberförsters Ludwig Christian Weidig (1765–1835) geboren. Seine Mutter war Wilhelmine Christine Weidig geb. Liebknecht (1766–1831). Im Kirchenbuch sind die Vornamen in folgender Form eingetragen «Ludwig , Friedrich Alexander». Im später erstellten Familienbuch des Vaters wie folgt: «Ludwig Friedrich Alexander» (Friedrich unterstrichen). Im privaten Bereich wie auch in amtlichen Schreiben war der Rufname «Friedrich» bzw. «Fritz». Die Promotionsurkunde der Universität Gießen wurde dem «Friderico Ludowico Alexandro Weidig» verliehen.[1]

Weidigs Brüder waren die Förster, Richter und Abgeordneten der 2. Kammer der Landstände des Großherzogtums Hessen Gottlieb Weidig (1792–1875) und Wilhelm Weidig (1798–1873). Schon Weidigs Vorfahren väterlicherseits gehörten als Hof- und Parforcejäger den landgräflich hessen-darmstädtischen Forstbeamten an.[2] Friedrich Ludwig Weidig stand außerdem über seine Urgroßmutter Luise Dorothea Kalenberg, die aus Ober-Ramstadt stammt, mit den Nachkommen des Büchsenmachers, fürstlichen Kontrolleurs und Burggrafen zu Lichtenberg Johann Leonhard Boßler in Ahnengemeinschaft, da dessen Gattin Anna Elisabeth Kalenberg eine Schwester von Weidigs Urgroßmutter[3][4] und Tochter des Pfarrers sowie Schulmeister zu Ober-Ramstadt, Samuel Ulrich Kalenberg war. Über die Kalenbergs besteht außerdem die Verwandtschaft mit Georg Gottfried Gervinus,[5] der zu den Göttinger Sieben gehörte.

Leben

Weidighaus in Butzbach mit Hexenturm im Hintergrund

In Oberkleen blieb die Familie Weidig zwei Jahre. Danach zog sie nach Cleeberg, wo der Vater als Förster arbeitete. In Cleeberg wohnte die Familie Weidig gleich neben der Familie Liebknecht. Nach dem elfjährigen Aufenthalt in Cleeberg kam Friedrich Ludwig Weidig 1803 ins nahegelegene Butzbach in der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt. Dort ging er zur Schule. Während seines Theologiestudiums an der Ludoviciana in Gießen war er Mitglied der fränkischen Landsmannschaft.[6][7] 1812 wurde er Konrektor an der Butzbacher Knabenschule. Nach dem Vorbild Friedrich Ludwig Jahns führte Weidig mit seinen Schülern Turn- und Exerzierübungen durch und gründete (um 1814) einen Turnplatz auf dem Schrenzer, einem nordöstlichen Ausläufer des Taunus. Von späteren Historikern und Biographen wurde er deshalb auch als „hessischer Turnvater“ tituliert. Seit 1818 wurde Weidig von den Behörden wegen politischer Betätigung im Schulunterricht, in den Predigten und privat überwacht. Weidig gehörte zu den Liberaldemokraten, die ein vereinigtes Deutschland als demokratischer Nationalstaat anstrebten. Deshalb reiste er 1832 nach Südwestdeutschland und half bei den Vorbereitungen des Hambacher Fests, an dem er aber aufgrund der behördlichen Überwachung nicht teilnehmen konnte.

1833 wurde Weidig zum ersten Mal inhaftiert; trotzdem veröffentlichte er 1834 illegal vier Ausgaben des „Leuchter und Beleuchter für Hessen (oder der Hessen Notwehr)“. Im selben Jahr traf er erstmals mit Georg Büchner zusammen. Weidig arbeitete ein von Büchner vorgelegtes Manuskript zur ersten Druckfassung des „Hessischen Landboten“ um. Auch die Verteilung der illegalen Flugschrift wurden maßgeblich durch Weidig und seine Schüler organisiert. (Das Original von Büchner ist verloren und er distanzierte sich nachträglich von Weidigs Änderungen.)

Seit dem 5. April 1834 war Weidig vom Dienst suspendiert. Er wurde als Pfarrer in das Dorf Ober-Gleen, das heute zu Kirtorf gehört, im Vogelsberg strafversetzt. Als das Projekt des „Hessischen Landboten“ im Sommer 1834 verraten wurde, flüchtete Büchner nach Straßburg, während Weidig sich weigerte, mit seiner Familie in die Schweiz zu emigrieren. Aufsehen erregte seine Predigt in Ober-Gleen am 7. September 1834, mit der er den Christus der Armen verkündete, „der da Unrecht und Heuchelei der Mächtigen seiner Zeit bekämpfte“[8] – eine Befreiungstheologie avant la lettre.

Bald darauf wurde Friedrich Weidig erneut verhaftet, in der Klosterkaserne zu Friedberg festgesetzt und im Juni 1835 ins Arresthaus nach Darmstadt verlegt, wo er am 23. Februar 1837 vermutlich Selbstmord beging, nachdem er zwei Jahre lang von den Untersuchungsrichtern (insbesondere von Konrad Georgi, der als Alkoholiker bekannt war) gequält und körperlich misshandelt worden war.[9] Georgi wies dies als Verleumdungen zurück und da ihm verweigert wurde, die Akten als Beweis zu veröffentlichen, verfasste er eine Rechtfertigungsschrift, die seine Unschuld bzw. Pflichterfüllung belegen sollten.(K. Georgi, Erwiderung auf des H. C. Welkers Schrift "Der geh. Inquisitionsprocess gegen Weidig und Jordan", Siegen u. Wiesbaden 1844) Die Briefe, die der kranke und verzweifelte Mann aus dem Gefängnis an seine Frau geschrieben hatte, wurden noch viele Jahre nach seinem Tod „aus staatspolizeilichen Gründen“ zurückgehalten. Der Grabstein auf dem Alten Friedhof von Darmstadt (Grabstelle: I F 141b), auf dem seine Freunde vermerkt hatten, dass er ein Kämpfer für die Freiheit gewesen sei, wurde auf Befehl der Regierung vermauert. Es ist heute ein Ehrengrab.

Verteidigt wurde er von seinem Schwager Theodor Reh. Dieser war 1849 letzter Präsident der Frankfurter Nationalversammlung.[10]

Ehrungen

Ein Denkmal zu Weidigs Ehren wurde 1937 auf dem Schrenzer am Ortsrand Butzbachs errichtet und später um ein Bronzeportrait ergänzt.[11] Friedrich Ludwig Weidig ist der Namenspate der Weidigschule, eines Gymnasiums in Butzbach, und der Weidigsporthalle in Oberkleen. In Darmstadt (Eberstadt) und Ober-Gleen (Kirtorf) sind Straßen nach Friedrich Ludwig Weidig benannt. Der Hessische Turnverband verleiht die Friedrich-Ludwig-Weidig-Plakette an Menschen, die sich durch langjährige Mitarbeit um den Turnsport in Hessen verdient gemacht haben. Die Technische Universität Darmstadt hat 2021 einen Saal im Gebäude Rundeturmstraße 10 nach ihm benannt.

Schriften

  • Weidig, Friedrich Ludwig: Gesammelte Schriften. Herausgegeben von Hans-Joachim Müller. Darmstadt 1987 (Hessische Beiträge zur deutschen Literatur), ISBN 3-7929-0155-2 [enthält eine ausführliche Chronologie zu Leben und Werk (S. 497–681)].
  • Ernst Weber: Ein antiabsolutistisches Programm in Versen. Friedrich Ludwig Weidigs Liederbüchlein aller Teutschen (1815). Georg Büchner Jahrbuch 8 (1990–94) [1995], S. 126–209.
  • Georg Büchner, Friedrich Ludwig Weidig: Der Hessische Landbote. Herausgegeben von Gerhard Schaub, Reclam, Stuttgart 1996, ISBN 3-15-009486-0.

Literatur

  • Arthur Wyß: Weidig, Friedrich Ludwig. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 41, Duncker & Humblot, Leipzig 1896, S. 450–453.
  • Friedrich Wilhelm Schulz: Der Tod des Pfarrers Dr. Friedrich Ludwig Weidig. Ein aktenmäßiger und urkundlich belegter Beitrag zur Beurteilung des geheimen Strafprozesses und der politischen Zustände Deutschlands. Literarisches Comptoir. Zürich und Winterthur 1843 [erste Dokumentation der mörderischen Umstände, unter denen Weidig gefangen gehalten und verhört wurde. Die Schrift löste eine breite Debatte aus].
  • Karl Mihm: Alex. Friedrich Ludwig Weidig. Ein Beitrag zur Geschichte des vormärzlichen Liberalismus. Archiv für Hessische Geschichte und Altertumskunde, Neue Folge 15 (1928), S. 348–384 u. 574–608 [auch selbständig erschienen: Darmstadt 1929].
  • Harald Braun: Das turnerische und politische Wirken von Alexander Friedrich Ludwig Weidig 1791–1837. Diss. Sportwiss. Köln, Ahrensburg 1977. 2., erg. u. durch eine Dokumentation erw. Aufl. u.d.T.: Das politische und turnerische Wirken von Friedrich Ludwig Weidig. Ein Beitrag zur Geschichte der revolutionären Bestrebungen im deutschen Vormärz. St. Augustin 1983 (Schriften der Deutschen Sporthochschule Köln 11).
  • Thomas Michael Mayer: Büchner und Weidig – Frühkommunismus und revolutionäre Demokratie. Zur Textverteilung des Hessischen Landboten. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Georg Büchner I/II. München 1979 (Text + Kritik. Sonderband), S. 16–298 [in der 2., verbesserten und um ein Register vermehrten Auflage 1982 S. 16–298 u. 463].
  • Thomas Michael Mayer u. a. (Bearb.): Georg Büchner. Leben, Werk, Zeit. Eine Ausstellung zum 150. Jahrestag des „Hessischen Landboten“. Katalog. Unter Mitwirkung von Bettina Bischoff u. a. bearb. von Thomas Michael Mayer. Marburg 1985 [2., wesentlich verbesserte u. vermehrte Aufl. 1986; 3. Aufl. 1987].
  • Bodo Heil: Weidigs Nachleben (Zum 150. Todestag Dr. Friedrich Ludwig Weidigs). In: Wetterauer Geschichtsblätter 35 (1986), S. 73–126.
  • Friedrich Ludwig Weidig, 1791–1837: neue Beiträge zur 200. Wiederkehr seines Geburtstages. Hrsg. vom Magistrat der Stadt Butzbach […] in Verbindung mit dem Butzbacher Geschichtsverein. Red.: Dieter Wolf und Annette Reiter. Beiträge: Hans-Joachim Müller u. a. Butzbach 1991 [enthält eine Bibliographie des Schrifttums 1918–1990 (S. 136–180)].
  • Hans-Otto Schneider: Weidig, Friedrich Ludwig. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 28, Bautz, Nordhausen 2007, ISBN 978-3-88309-413-7, Sp. 1551–1578.

Weblinks

Wikisource: Friedrich Ludwig Weidig – Quellen und Volltexte
Commons: Friedrich Ludwig Weidig – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Commons: Weidigdenkmal (Butzbach) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Weidig, Friedrich Ludwig: Gesammelte Schriften. Herausgegeben von Hans-Joachim Müller. Darmstadt 1987 (Hessische Beiträge zur deutschen Literatur), ISBN 3-7929-0155-2; vgl. zu den Namensformen v. a. die Chronik, S. 497ff
  2. Albrecht Eckhardt: Die Forstbeamten der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt um 1757 und des Oberforsts Darmstadt 1702. In: Arbeitsgemeinschaft der familienkundlichen Gesellschaften in Hessen (Hrsg.): Hessische Familienkunde. Band 8, Heft 6, 1967, ISSN 0018-1064, S. 338, 339.
  3. Prof. Dr. Diethard Köhler: Familien in Billings, Nonrod, Meßbach, Steinau, Hausen, Lichtenberg 1635–1750. Band III: Adreßbuch vorderer Odenwald 1635–1750. Ober-Ramstadt 1987, OCLC 74995810, Hausen und Lichtenberg: Familien 1700–1750.
  4. Hans Deuster: Zeitgeschehen und Leben der Familie Büchner im Hessischen Ried – Berichte über die Familie Büchner, deren Verwandte, Bekannte, Zeitzeugen, Zeitgeschehen und Ortsgeschichten. Selbstverlag Hans Deuster, Riedstadt-Goddelau 2004, ISBN 3-8334-1854-0, S. 148.
  5. Bernhard Koerner und Otfried Praetorius (Hrsg.): Darmstädter Geschlechterbuch. Band 1Band 69 der Gesamtreihe des Genealogischen Handbuchs bürgerlicher Familien. Starke Verlag, 1927, ZDB-ID 1041-8, Gervinus des Stammes Buchheimer, aus Meisenheim am Glan in der Pfalz. (Erloschen.), S. 33–35.
  6. Kösener Korpslisten 1910, 49/195.
  7. Eduard Eyßen: Das Stammbuch eines Gießener Franken von 1810. Deutsche Corpszeitung 41 (1925), S. 248.
  8. Frederik Hetmann: Georg B. oder Büchner lief zweimal von Giessen nach Offenbach und wieder zurück. Beltz und Gelberg, Weinheim 1981. ISBN 3-407-80631-0. S. 146.
  9. „Ein Bruder des Toten, der Landgerichtsassessor Weidig zu Schotten (Vogelsbergkreis), reichte am 27. April 1837 dem Hofgericht zu Gießen ein Urlaubsgesuch ein, das er in unverkennbarer Herausforderung der für den Tod des Pfarrers und angeblichen ‚Bandenchefs‘ verantwortlichen Behörden wie folgt begründete: ‚Ich bin dringend veranlaßt, wegen der grausamen, unter schamlosen Lügen und mit Hohn verkündeten Ermordung meines Bruders nach Darmstadt zu reisen.‘ Das daraufhin gegen ihn eingeleitete Verfahren schleppte sich jahrelang durch die Instanzen, ohne daß es den Behörden gelang, die Beweise für die Schuld des Hofgerichtsrats Georgi zu entkräften“ (zitiert nach Bernt Engelmann: Trotz alledem. Deutsche Radikale 1777–1977, München 1977).
  10. Rudolf Vierhaus (Hrsg.): Deutsche biographische Enzyklopädie. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Band 8. Poethen – Schlüter. K. G. Saur Verlag, München 2007, ISBN 978-3-598-25038-5, S. 245 (Digitalisat).
  11. Weidigbroschüre