Michael Servetus

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Michael Servetus, Stich aus dem 17. Jahrhundert

Michael Servetus (eigentlich Miguel Serveto y Reves, französisch Michel Servet; * 29. September 1509 oder 1511[1] in Villanueva de Sigena (Huesca) im damaligen Königreich Aragón, möglicherweise in Tudela (Navarra);[2] † 27. Oktober 1553 in Champel-Genf) war ein spanischer Arzt, humanistischer Gelehrter und antitrinitarischer Theologe. Er wurde auf Betreiben Calvins als Ketzer verbrannt.

Leben

Servetus studierte Rechtswissenschaft an der Universität Toulouse und kam im Gefolge Karls V. (1500–1558) in das Heilige Römische Reich. Dort stand er von 1526 bis 1530[3] in Diensten des kaiserlichen Beichtvaters Juan de Quintana († 1534). Als es ihm in jugendlichen Jahren nicht gelang, Johannes Oekolampad für seine von der Kirchenlehre abweichenden Ansichten von der Trinität zu gewinnen, wandte er sich im Oktober 1530 nach Straßburg, wo ihm Wolfgang Capito und Martin Bucer bekannt waren, und veröffentlichte in Hagenau sein trinitätskritisches Werk De trinitatis erroribus (1531). Der Rat zu Basel ließ einen Teil der Auflage vernichten; Bucer urteilte, der Verfasser „sei würdig, daß man ihm die Eingeweide aus dem Leibe reiße“. Aus Furcht vor den Konsequenzen seiner häretischen Position veröffentlichte Servetus später auch unter dem Namen Michael Villanovanus (nach seinem Geburtsort Villanueva de Sigena).[4][5]

Servetus suchte seine Ansichten in seiner Schrift Dialogi de trinitate (1532, ebenfalls in Hagenau erschienen) weiter zu begründen. Dann kehrte er nach Frankreich zurück, lebte meist in Paris oder Lyon, wo er als Korrektor und Herausgeber für die Druckerei Drexel arbeitete. In Lyon lernte er auch Symphorien Champier kennen.[6] Servetus studierte Astrologie, Mathematik und Medizin und erwarb sich durch seine Herausgabe des Ptolemäus einen geachteten Namen als Geograph. Auch hatte er einen Namen als Arzt und Physiologe, namentlich durch seine bahnbrechenden Ausführungen über den von ihm in Europa erstmals beschriebenen Kleinen Blutkreislauf, als dessen Entdecker er lange Zeit galt.[7][8]

Verfolgung durch Johannes Calvin

1536 begegnete er Johannes Calvin in Paris, der ihn einlud, die Trinitätsfrage zu erörtern, worauf Servet – aus Furcht, als Ketzer angezeigt zu werden – zunächst nicht einging. Er studierte zusätzlich Philosophie, Geometrie, Theologie und Hebräisch. Johann Weyer freundete sich um 1537/38 in Paris mit Servetus an, den er dort unter dessen Decknamen Michael Villanovanus kennenlernte.[9] Im Jahre 1540 erhielt er einen Ruf nach Vienne als Leibarzt des Erzbischofs Pierre Paulmier; neben seiner allgemeinen ärztlichen Praxis.[10] Von Vienne aus trat er jedoch in eine Korrespondenz mit Calvin ein, deren Ton sich zunehmend verschärfte und in Calvins Drohung gipfelte, „sollte Servetus einmal nach Genf kommen, würde er nicht lebendig weggehen“.[11]

Servetus-Gedenkstein in Champel

1553 entfernte Servetus sich durch seine in Lyon herausgegebene theosophische Schrift Christianismi Restitutio ebenfalls von der katholischen und der protestantischen Lehre. Von Calvin indirekt als Autor dieser Schrift identifiziert, wurde Servetus vom Lyoner Hauptinquisitor verhaftet. Er konnte jedoch aus dem Gefängnis fliehen und mehrere Monate lang untertauchen. Mitte August 1553 wurde er in Genf von Calvin erkannt, der sofort seine Verhaftung veranlasste.[12]

Bei ihren Ermittlungen wandten sich Genfer Behörden am 21. August nach Vienne, wo man Servetus’ sofortige Auslieferung verlangte. Servetus wurde vor die Wahl gestellt, ausgeliefert zu werden oder sich in Genf dem Gericht zu stellen. Er entschied sich für einen Prozess in Genf. In dem folgenden Verfahren (14. August bis 26. Oktober 1553[10]), das durch heftige theologische Auseinandersetzungen zwischen Servetus und Calvin gekennzeichnet war, erkannte auf Calvins Beharren hin die Mehrheit der Richter nach einem Gesetz, das in ihrem Land nicht wirksam war, für eine Tat, die nicht in ihrem Land begangen worden war, und für eine Person, die nicht ihrer Gewalt unterstand, auf die Todesstrafe. Auf Drängen von Guillaume Farel, einem anderen in Genf wirkenden Reformator, veranlasste Calvin am 26. Oktober die Vollstreckung des Todesurteils mittels des Scheiterhaufens. Die letzten überlieferten Worte von Servetus lauteten «O Jésus fils du dieu éternel, aie pitié de moi.»[13] Pieter Overd’hage de Zuttere aus Gent, der die Hinrichtung als Augenzeuge miterlebt hatte,[14] fertigte einen ausführlichen Bericht darüber an, in dem auch das Verhalten von Farel geschildert wird.[15] Overd’hage soll das Exemplar der Christianismi Restitutio, das mit Servet verbrannt wurde, aus den Flammen geholt haben.[16]

Nachwirkung

Die Hinrichtung eines Protestanten durch andere Protestanten wegen Glaubensfragen löste selbst unter Calvinisten heftige Debatten aus.

Am folgenreichsten waren die Schriften, in denen sich der reformiert gesinnte Basler Theologe Sebastian Castellio kritisch mit der Verfolgung Servets auseinandersetzte. In mehreren Werken – darunter De haereticis, an sint persequendi („Von den Häretikern und ob sie zu verfolgen seien“) und Contra Libellum Calvini („Gegen das Büchlein Calvins“) – argumentierte er gegen die strafrechtliche Verfolgung sogenannter Irrgläubiger, indem er sich nicht nur auf die Bibel und die Kirchenväter, sondern auch auf Martin Luther, andere Reformatoren und sogar Calvin selbst berief. Castellio erarbeitete darin eine Theorie der grundsätzlichen religiösen Toleranz, die sich im Zuge der Aufklärung in ganz Europa durchsetzen sollte. Für seine Kritik wurde Castellio von Calvin und seinen Mitarbeitern, insbesondere Theodor Beza, bis zu seinem Tode verfolgt.

Etwas weniger bekannt ist, dass auch der italienische antitrinitarische Täufer Camillo Renato ein lateinisches Gedicht verfasst hat, in dem er sich gegen die ungerechte Bestrafung Servets aussprach. Es erschien an seinem Wohnort Traona im Veltlin 1554 unter dem Titel In Ioannem Calvinum de iniusto Michaelis Serveti incendio (deutsch: Gegen Johannes Calvin über die ungerechte Verbrennung Michael Servetus’).[17]

Am 27. Oktober 1903, dem 350. Todestag Servets, wurde in der Nähe der Richtstätte der Servetus-Gedenkstein aufgestellt, dessen Wortlaut Servetus aber nicht einmal erwähnt und die von Calvin betriebene Hinrichtung als Ausdruck des „Irrtums seiner Zeit“ entschuldigt. Erst Jahrzehnte später wurde auf der Rückseite dieses Denksteins eine Ehreninschrift für Michael Servetus selbst hinzugefügt. Eine Straße zwischen der Einmündung der Avenue de la Rosaire in die Avenue de Beau-Séjour und dem Plateau de Champel trägt heute den Namen Rue Michel-Servet.

Werke

  • De trinitatis erroribus libri septem, [Hagenau] 1531 (online)
  • Dialogorum de Trinitate libri duo, [Hagenau] 1532 (online)
  • In Leonardum Fuchsium apologia, Lyon 1536 (siehe auch Leonhart Fuchs)[18]
  • Syruporum universa ratio, Paris 1537 (online)
  • In quendam medicum apologetica disceptatio pro astrologia, s. l. 1538
  • Christianismi restitutio, [Vienne] 1553 (online)

Als Herausgeber

Hinzu kommen etliche anonyme Veröffentlichungen.

Belletristik

Siehe auch

Ausgaben und Übersetzungen

  • Charles Donald O’Malley (Übersetzer): Michael Servetus. A Translation of his Geographical, Medical and Astrological Writings with Introductions and Notes. American Philosophical Society, Philadelphia 1953

Literatur

  • Roland Herbert Bainton: Michael Servet. 1511–1553. Mohn, Gütersloh 1960.
  • Uwe Birnstein: Toleranz und Scheiterhaufen: Das Leben des Michael Servet. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012, ISBN 978-3-525-56012-9.
  • Irene Dingel, Kestutis Daugirdas: Antitrinitarische Streitigkeiten: Die tritheistische Phase (1560–1568), Theologische Kontroversen 1548-1577/80 (Controversia et Confessio, Band 9). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013, ISBN 978-3-647-56015-1, S. 3–580.
  • Helmut Feld: Servet, Michael. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 9, Bautz, Herzberg 1995, ISBN 3-88309-058-1, Sp. 1470–1479.
  • Jerome Friedman: Michael Servet. Anwalt totaler Häresie. In: Hans-Jürgen Goertz (Hrsg.): Radikale Reformatoren. München 1978, S. 223–230.
  • Carlos Gilly: Miguel Servet in Basel; Alfonsus Lyncurius und Pseudo-Servet. In: Ders.: Spanien und der Basler Buchdruck bis 1600. Basel / Frankfurt a. M. 1985, S. 277–298, 298–326.
  • José Barón Fernández: Miguel Servet. Su vida y su obra. Prólogo de Pedro Laín Entralgo, Colección austral, 92 A Historia, Verlag Espasa Calpe, Madrid 1989, ISBN 978-84-239-1892-8.
  • Hans-Jürgen Goertz: Religiöse Bewegungen in der Frühen Neuzeit. Oldenbourg, München 1992, ISBN 3-486-55759-9.
  • Francisco Javier González Echeverría: Miguel Serveto o Miguel de Villanueva. Su relación con Navarra y los Navarros (PDF, 992 kB). In: Miguel Serveto o Miguel de Villanueva. Conmemoración del 450 aniversario de la muerte de Miguel Servet, 1553. Temas de Historia de la Medicina. Pamplona 2004.
  • Francisco Javier González Echeverría: El amor a la verdad. Vida y obra de Miguel Servet. Zaragoza 2011.
  • Francis Higman: Servet, Michel. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
  • Georg J. E. Mautner Markhof: Verschwörung der Inquisitoren. Kriminalprozeß Miguel Serveto 1553. Kremayr & Scheriau, Wien 1974, ISBN 3-218-00270-2.
  • Uwe Plath: Der Fall Servet und die Kontroverse um die Freiheit des Glaubens und Gewissens: Castellio, Calvin und Basel 1552–1556. 2., verbesserte Auflage. Alcorde, 2014, ISBN 978-3-939973-63-8.
  • Vincent Schmidt: Michel Servet. Du bûcher à la liberté de conscience. Les Editions de Paris-Max Chaleil, 2009, ISBN 978-2-84621-118-5.
  • Wolfgang F. Stammler (Hrsg.): Das Manifest der Toleranz: Sebastian Castellio: Von Ketzern und ob man sie verfolgen soll / Stefan Zweig: Castellio gegen Calvin. Alcorde, 2013, ISBN 978-3-939973-61-4 (Rezension von Volker Reinhardt in der FAZ vom 24. Februar 2014, S. 28).
  • Friedrich Trechsel: Michael Servet und seine Vorgänger: nach Quellen und Urkunden geschichtlich dargestellt. Die protestantischen Antitrinitarier vor Faustus Socin, Band 1. Verlag K. Winter, Heidelberg 1839 (Originale in Lausanne & Harvard University; digitalisiert 2008).
  • Manfred Edwin Welti: Kleine Geschichte der italienischen Reformation, Band 193. Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, Gütersloh 1985, ISBN 978-3-579-01663-4, S. 81–112 (Digitalisat der Ausgabe der University of Michigan bei google books).

Weblinks

Commons: Michael Servetus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Ana Gómez Rabal: Vida de Miguel Servet. In: Turia, Nº 63–64, Teruel, S. 209–210.
  2. Encyclopedia.com: Servetus, Michael.
  3. Barbara I. Tshisuaka: Servetus, Michael. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1322 f.; hier: S. 1322.
  4. Francis Higman: Michel Servet. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 9. September 2010, abgerufen am 25. Juni 2019.
  5. In quendam medicum apologetica disceptatio pro astrologia (Volltext auf Archive.org).
  6. Wolf-Dieter Müller-Jahncke: Michael Servetus. In: Wolfgang U. Eckart, Christoph Gradmann (Hrsg.): Ärztelexikon. Von der Antike bis zur Gegenwart. 1. Auflage. 1995 C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München 1995, S. 329, 330 (2. Aufl. 2001, S. 288; 3. Aufl. Springer Verlag, Heidelberg / Berlin / New York 2006, S. 299, 300. Ärztelexikon 2006), doi:10.1007/978-3-540-29585-3.
  7. Henri Tollin: Die Entdeckung des Blutkreislaufs durch Michael Servet, 1511–1553, 1876 (Volltext).
  8. John C. Hemmeter: Michael Servetus – Discoverer of the pulmonary circulation: his life and work. In: Janus 20, 1915, S. 331–364 und Tafel I–IX.
  9. Vgl. Johann Weyer: De praestigiis Daemonum, Ausgabe Oporinus, Basel 1568, S. 525f (Google-Books).
  10. a b Encyclopedia Britannica (1892), Band 21, S. 685
  11. The Heretics, S. 326, Reprint Dorset Press, 1990; laut Encyclopedia Britannica (1892), Band 21, S. 685 schrieb Calvin am 26. Februar 1546 an Guillaume Farel: si venerit, modo valeat mea autoritas, vivum exire nunquam patiar.
  12. William H. Gentz: The Dictionary of Bible and Religion. Abingdon Press, 1986, S. 254.
  13. Archivierte Kopie (Memento vom 15. Oktober 2014 im Internet Archive), übersetzt: „Jesus, Sohn des ewigen Gottes, habe Erbarmen mit mir“; siehe auch William H. Gentz: The Dictionary of Bible and Religion. Abingdon Press, 1986, S. 256.
  14. Martin Tielke: Petrus (OVERDHAGE, ZUTTERE, Pieter Anastasius de) HYPERPHRAGMUS. In: Biographisches Lexikon für Ostfriesland, Bd. I. Ostfriesische Landschaft, Aurich 1993, S. 195.
  15. Petrus Hyperphrogenus (= Pieter Overd’hage) Gandavus: Historia de morte Michaelis Serveti (verschollen). Fragment abgedruckt in: Christoph Sand: Bibliotheca Anti-Trinitariorum, sive Catalogus Scriptorum & succinta narratio … Johannes Aconius, Freistadt (= Amsterdam) 1684, S. 8 (Google-Books); siehe auch die Randnotiz „De wreede doot (= der grausame Tod) van M. Ser.“ in: Pieter Overd’hage: Een saechtmoedige tsamensprekinge. [Antwerpen] 1581, unpaginiert (Google-Books).
  16. Grzegorz Wierciochin: Écrire contre l’intolérance: l’Historia de Morte Serveti de Sébastien Castellion. In: Studia Romanica Posnaniensia 42 (2015), S. 97–113, bes. S. 99 Anm. 6.
  17. Biographischer Eintrag zu Camillo Renato bei der Enzyklopädie Treccani
  18. Fuchs hatte 1534 folgende Schrift veröffentlicht: Apologia Leonardi Fuchsii contra Hieremiam Thriverum Brachelium, medicum Lovaniensem : qua monstratur quod in viscerum inflammationibus, pleuritide praesertim, sanguis e directo lateris affecti mitti debeat (Rechtfertigung des Leonard(us) Fuchs(ius) gegen Jérémie de Dryvère (Jeremias Thriverus Brachelius, 1504–1554), Arzt in Löwen, die zeigt, dass bei Entzündungen der inneren Organe, vor allem bei Pleuritis, Blut direkt von der betroffenen Seite abgenommen werden sollte) (Volltext). Servetus Schrift von 1536 ist eine Replik darauf (www.servetus.org). Darin nahm Servatus Symphorien Champier in Schutz.