Frederike von Möhlmann

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Frederike von Möhlmann (* 1. Mai 1964[1]; † 4. November 1981 bei Hambühren, Landkreis Celle) war eine deutsche Schülerin. Sie fiel im Alter von 17 Jahren einem Sexualverbrechen zum Opfer. Ein Mordverdächtiger wurde zunächst verurteilt, dann rechtskräftig freigesprochen. DNA-Spuren, die damals noch nicht ausgewertet werden konnten, deuten nun jedoch auf seine Täterschaft hin.

Geschichte

Frederike von Möhlmann war Schülerin des Kaiserin-Auguste-Viktoria-Gymnasiums in Celle. Am Abend des 4. November 1981 wollte sie um etwa 19:30 Uhr nach dem Musikunterricht in der Celler Stadtkantorei[2] in ihren Heimatort Hambühren – vermutlich als Anhalterin – nach Hause fahren. Zu Hause kam sie aber nie an. Vier Tage später wurde ihre Leiche in einem Waldstück gefunden. Die Schülerin war vergewaltigt und von dem Täter anschließend mit einem zweischneidigen Messer und einer Vielzahl von Stichen getötet worden.[3]

Als Tatverdächtiger wurde Ismet H. ermittelt, ein junger Mann, der in Celle wohnte. Das Landgericht Lüneburg verurteilte ihn am 1. Juli 1982 zu lebenslanger Haft. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil jedoch auf und verwies den Fall an das Landgericht Stade, das Ismet H. 1983 freisprach. Ein wichtiges Beweismittel stellten Reifenspuren am Leichenfundort dar; umstritten war, ob diese von dem Wagen des Angeklagten stammen konnten.[4]

Auf Drängen des Vaters der Ermordeten wurden die Beweisstücke erneut untersucht.[4] Im Jahre 2012 ergab eine – in den 1980er-Jahren technisch noch nicht mögliche – DNA-Untersuchung von Spermaspuren auf einem Stück Toilettenpapier im Slip der Getöteten eine Übereinstimmung mit Ismet H.[5] Zu einer Wiederaufnahme des Strafverfahrens kam es jedoch nicht, da eine solche nach § 362 a. F. Strafprozessordnung nur unter sehr engen Bedingungen möglich war und kein Geständnis von H. vorlag. Der 2021 neu eingeführte § 362 Nr. 5 Strafprozessordnung ermöglicht eine Wiederaufnahme jedoch auch, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die allein oder in Verbindung mit früher erhobenen Beweisen dringende Gründe dafür bilden, dass der freigesprochene Angeklagte wegen Mordes verurteilt wird.

Die Staatsanwaltschaft Verden beantragte daraufhin die Wiederaufnahme des Strafverfahrens gegen H. Mit Beschluss vom 25. Februar 2022[6] erklärte das Landgericht Verden die Wiederaufnahme für zulässig und ordnete gegen H. Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr an.[5] Diese Entscheidung wurde vom Oberlandesgericht Celle im April bestätigt.[7] Der Verdächtige legte daraufhin Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein und beantragte eine einstweilige Anordnung zur Aufhebung der Untersuchungshaft.

Das Bundesverfassungsgericht entschied am 14. Juli 2022 im Eilverfahren, dass H. unter Auflagen aus der Untersuchungshaft zu entlassen sei, da Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung der Strafprozessordnung bestünden und es daher möglich erscheint, dass die Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren Erfolg hat.[7][8]

Zivilrechtliche Beurteilung

Um dennoch eine erneute gerichtliche Untersuchung des Sachverhalts herbeizuführen, reichte Frederikes Vater im Jahre 2015 eine Schmerzensgeldklage gegen H. ein. H. berief sich darauf, dass etwaige Schmerzensgeldansprüche verjährt seien. Das Landgericht Lüneburg wies die Klage deshalb im September 2015 ab. Dieses Urteil wurde zwar im April 2016 vom Oberlandesgericht Celle bestätigt;[9] jedoch stellte das Oberlandesgericht es in der Sachverhaltsdarstellung zu Beginn der Urteilsbegründung als Tatsache dar, dass H. „die Tochter des Klägers im November 1981 vergewaltigt und anschließend getötet hat“. „Der Beklagte vergewaltigte und tötete […] die Tochter des Klägers in dem Tatzeitraum vom 04. November 1981 18:00 Uhr und 05. November 1981 06:00 Uhr.“[1]

In der Rechtswissenschaft wurde daraufhin diskutiert, ob dieses auf den ersten Blick als unbefriedigend empfundene Urteil hingenommen werden muss, da die Tat als Mord im strafrechtlichen Sinne nicht verjährt (§ 78 Abs. 2 StGB), der hierauf beruhende Schadensersatzanspruch aber dem regulären zivilrechtlichen Verjährungsregime der §§ 194 ff. BGB unterworfen ist.[10] In einem solchen Fall böte es sich an, die straf- und zivilrechtlichen Verjährungsvorschriften zu synchronisieren. Hier wurde aber die Meinung geäußert, dass eine solche Erweiterung der Verjährungsvorschriften nur durch den Gesetzgeber geschehen könne, da ansonsten die wesentlichen Zwecke des Verjährungsrechts, nämlich die Schaffung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden, unterlaufen würden.[11] Aus diesem Grund wurde hier ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf gesehen, da auch in Zukunft damit gerechnet werden muss, dass aufgrund der sich ständig weiterentwickelnden Kriminaltechnik immer häufiger zeitlich weit zurückliegende Morde aufgeklärt werden können und diese auch zivilrechtliche Kompensationsansprüche auslösen können.[12]

Änderung der Strafprozessordnung und des Bürgerlichen Gesetzbuches

Der Vater von Frederike von Möhlmann, Hans von Möhlmann, übergab im September 2016 dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz eine Petition mit 180.000 Unterzeichnenden,[5] die die Möglichkeit fordern, Verfahren wieder zu eröffnen, wenn neue wissenschaftliche Methoden eine Überführung des Täters möglich machen würden. Im Koalitionsvertrag der 19. Wahlperiode des Bundestages wurde vereinbart, dass 2020 ein Gesetz verabschiedet werden sollte, das eine Wiederaufnahme von Verfahren ermöglicht, wenn Beweisstücke, die zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits vorgelegen haben, durch neue technische Möglichkeiten ausgewertet werden können und sich dadurch ein neuer Verdacht ergibt.[13] Das Gesetz betrifft nur Verbrechen, die nie verjähren, und schaffte für Morde, die nach dem 29. Dezember 1991 begangen wurden, außerdem die zivilrechtliche Verjährung ab.[14]

Das Gesetz wurde 2021 verabschiedet und trat am 30. Dezember 2021 in Kraft.[14] Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äußerte bei der Ausfertigung des Gesetzes verfassungsrechtliche Bedenken und regte an, es einer erneuten parlamentarischen Prüfung zu unterziehen.[15]

Literatur

  • Klaus Paffrath: Frederike – Mord ohne Sühne. Ein Roman über das Versagen von Justiz und Politik. Spielberg-Verlag, Neumarkt/Regensburg 2017, ISBN 978-3-95452-713-7.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Urteil des Oberlandesgerichts Celle vom 14. April 2016 (5 U 121/15)
  2. Familie fand 17jährige Schülerin beim Sonntagsspaziergang. In: Cellesche Zeitung, 10. November 1981 (JPG).
  3. Gisela Friedrichsen: Lebenslang freigesprochen. In: Der Spiegel. Nr. 18, 2015, S. 60–62 (online).
  4. a b Wolfgang Janisch: Unrechtssicherheit. In: Süddeutsche Zeitung. 30. Juli 2015, abgerufen am 18. August 2015.
  5. a b c Hasso Suliak: „Schwarzer Moment für den Rechtsstaat“. In: Legal Tribune Online. 4. März 2022, abgerufen am 5. März 2022.
  6. Az. 1 Ks 148 Js 1066/22
  7. a b Hasso Suliak: Mordfall Frederike: BVerfG setzt Haftbefehl außer Kraft. In: Legal Tribune Online. 16. Juli 2022, abgerufen am 16. Juli 2022.
  8. 2 Senat Bundesverfassungsgericht: Eilantrag wegen Wiederaufnahme eines Strafverfahrens teilweise erfolgreich – Haftbefehl unter Bedingungen außer Vollzug gesetzt. 14. Juli 2022, abgerufen am 16. Juli 2022.
  9. Mordfall Frederike von Möhlmann: Gericht weist Berufung des Vaters zurück bei spiegel.de (Zugriff Juli 2016)
  10. Raphael Koch, Simon Behr: Zivilrechtliche Verjährung trotz strafrechtlicher Unverjährbarkeit? Ein Beitrag zur Einheit der Rechtsordnung. In: Juristenzeitung. Band 73, Nr. 14, 2018, S. 702 f.
  11. Raphael Koch, Simon Behr: Zivilrechtliche Verjährung trotz strafrechtlicher Unverjährbarkeit? Ein Beitrag zur Einheit der Rechtsordnung. In: JuristenZeitung. Band 73, Nr. 14, 2018, S. 706 ff.
  12. Raphael Koch, Simon Behr: Zivilrechtliche Verjährung trotz strafrechtlicher Unverjährbarkeit? Ein Beitrag zur Einheit der Rechtsordnung. In: JuristenZeitung. Band 73, Nr. 14, 2018, S. 710.
  13. Regierungspläne zu Mordurteilen - Nachträgliche Sühne
  14. a b Bundesgesetzblatt. Abgerufen am 1. Januar 2022.
  15. Bundespräsident Steinmeier unterzeichnet Gesetz zur Änderung von § 362 StPO und äußert verfassungsrechtliche Zweifel. In: www.bundespraesident.de Pressemitteilungen. 22. Dezember 2021, abgerufen am 14. Juli 2022.