Njörðr

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Njörd, Gott des Meeres und des Ozeans

Njörðr (auch Njörd oder Niördr genannt) ist einer der Wanen in der nordischen Mythologie.

Quellen

Der Gott Njörðr ist hauptsächlich aus der Snorra-Edda, der Ynglinga saga und einigen Eddaliedern (Vafþrúðnismál, Lokasenna, Grimnismál), also der hochmittelalterlichen gelehrten Mythographie Snorris bekannt. Es gibt darüber hinaus noch ein paar rituelle Formeln, in denen sein Name auftaucht. In Aris Íslendingabók steht Njörðr als zweiter Name in der Ynglinga-Genealogie. Dieser Namensform wird der von Tacitus überlieferte Name Nerthus zugesellt.

Ortsnamen, die meist den Genitiv Singular (Njarðar-) verwenden, sind schwerpunktmäßig in Ostschweden (Östergötland), in Ostnorwegen und in den Küstengebieten Westnorwegens vertreten.

Die Verbindung Nerthus und Njörðr wirft Probleme auf, da es sich bei Tacitus um eine Göttin handelt, die er einem kleineren Stammesverband innerhalb eines eng umgrenzten geographischen Gebietes zuordnet. Hinzu kommt der große zeitliche Abstand zwischen Tacitus und den skandinavischen Quellen. Dort ist Njörðr ein männlicher Gott. Zu diesen Problemen gibt es eine Vielzahl von Theorien. Mal habe sich Nerthus allmählich nach Skandinavien ausgebreitet, mal handele es sich um einen von vornherein allgermanischen Gott. Früher habe die u-Deklination für maskuline und feminine Wörter gleichgelautet, die feminine u-Deklination sei aber in Skandinavien allmählich ausgestorben, wodurch dann Nerthus zum maskulinen Gott geworden sei. Auch wird vertreten, dass es sich in Wahrheit um ein Götterpaar gehandelt habe, von dem bei Tacitus nur die wichtige Nerthus erwähnt worden sei. In der Edda sei dann der männliche Partner in den Vordergrund getreten, und der weibliche sei zu Skaði abgewandelt worden.[1] Neuerdings wird diese Verbindung zwischen Nerthus und Njörð in Frage gestellt (Simek, S. 147; Motz).

Njörðr-Mythos

Im euhemeristischen Kontext ist Njörðr ein König aus alter Zeit, bei Snorri als der zweite nach Oðin. Bei Ari froðis Stammtafel des Ynglingengeschlechts ist sein Vater nicht Oðin sondern Yngvi Tyrkja konungr. Oðin kommt bei ihm nicht vor. Diese Anordnung bietet auch die Historia Norvegiae (Ingui rex ... Neorth ...Froyr). Bei Snorri hat Oðin Njörðr und Freyr als Opferpriester eingesetzt. Sie seien dann Herrscher in einer friedlichen und üppigen Zeit gewesen, weshalb die Svear Njörðr für diese reiche Zeit als verantwortlich hielten, so dass er zum Fruchtbarkeitsgott erhoben wurde.

Njörðr erscheint eigenartig selten in den mythologischen Quellen. Im mythologischen Kontext der Gylfaginning gibt Snorri Njörðr maritime Züge. Sein Wohnort ist Nóatún, der Schiffsplatz. Er herrschte über die Winde auf dem Meer, über die See und das Feuer.

„Inn þriði áss er sá, er kallaðr er Njörðr. Hann býr á himni, þar sem heitir Nóatún. Hann ræðr fyrir göngu vinds ok stillir sjá ok eld. Á hann skal heita til sæfara ok til veiða. … Hann var upp fæddr í Vanaheimi.“

„Der dritte Ase ist Niörðr genannt, er bewohnt im Himmel die Stätte, die Noatun heißt. Er beherrscht den Gang des Windes und stillt Meer und Feuer; ihn ruft man zur See und bei der Fischerei an. … Er wurde in Wanaheim erzogen.[2]

Gylfaginning Kap. 23.

Njörðr wurde der Götterfamilie der Wanen zugerechnet, der von „weisen Mächten“ in Wanenheim erschaffen wurde. Er kam dann aber mit seinem Sohn Freyr als Geisel zu den Asen. Dieses Geiselmotiv scheint nach den Eddaliedern zu urteilen sehr alt zu sein.[3]


Óðinn kvað:
"Seg þú þat it tíunda,
alls þú tíva rök
öll, Vafþrúðnir, vitir,
hvaðan Njörðr of kom
með ása sonum -
hofum ok hörgum
hann ræðr hundmörgum -
ok varð-at hann ásum alinn."

Vafþrúðnir kvað:
"Í Vanaheimi
skópu hann vís regin
ok seldu at gíslingu goðum,
í aldar rök
hann mun aftr koma
heim með vísum vönum."


Odin sagte:
Sage mir zum zehnten,
wenn du den Urgrund aller
Götter, Wafthrudnir, weißt,
wie kam Nörðr
zu den Asensöhnen –
Höfe und Heiligtümer
hat er in großer Zahl –
und wuchs nicht bei den Asen auf?

Wafthrudnir sagte:
In Wanenheim
schufen ihn weise Gottheiten[4]
und sandten ihn zu den Göttern als Geisel.
Am Ende der Zeiten
soll er wiederkommen
heim zu den weisen Wanen.

Nach der Skáldskaparmál darf sich Skaði aus Þrymheimr als Buße für den Totschlag der Asen an ihrem Vater Þiazi unter den Göttern einen Ehemann aussuchen, kann aber von den Göttern nur die Füße sehen. Sie glaubt, Baldr erwählt zu haben. Die Füße gehörten aber Njörðr. Snorri betont, dass die Eheleute Geschwister waren und fügt hinzu, dass solch inzestuöse Ehen bei den Wanen üblich, bei den Asen aber verboten gewesen seien.

Die Ehe scheiterte, weil sie nicht an der gleichen Stelle wohnen konnten. Sie hatten zunächst vereinbart, dass Njörðr neun Nächte bei Skaði in Þrymheimr und Skaði drei Nächte bei Njörðr am Meer wohnen sollte. Aber Skaði konnte wegen des Möwengeschreis in Nóatún nicht schlafen, und Njörðr konnte das Heulen der Wölfe nicht ertragen. Nach Snorri bekam Njörðr später die beiden Kinder Freyr und Freya, bei Egill Skallagrímsson ist das nicht eindeutig. Die Aufteilung der Zeiten des Zusammenlebens hat symbolische Bedeutung. Sie spiegelt die Jahreseinteilung in 9 Wintermonate und 3 Sommermonate wider. Die Tätigkeit in den drei Sommermonaten hat Bezug zu den Wanen: Seefahrt, Ackerbau und Fischerei. Daraus ergibt sich, dass der Mythos von Njörðr und Skaði dem westnordischen Milieu entstammt.

Es gibt auch einen Mythenschwank in Lokasenna, wonach die Töchter des Riesen Ymir Njörðs Mund als Nachttopf verwendet hätten. Auch die von Snorri überlieferte missglückte Ehe mit Skaði trägt schwankhafte Züge.

Fußnoten

  1. Folke Ström: Nordiske hedendom. Göteborg 1961. S. 33 ff., wo er sich auf P. V. Glob: Jernaldersmanden fra Grauballe. Kuml 1956. beruft.
  2. Übersetzung von Simrock.
  3. Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie (= Kröners Taschenausgabe. Band 368). 2., ergänzte Auflage. Kröner, Stuttgart 1995, ISBN 3-520-36802-1, S. 294ff.
  4. Umstrittene Bedeutung. “regin” = ordnende Kräfte, Mächte. Götter. In Grímnismál Vers 37 wird das Wort ausdrücklich auf die Asen bezogen, von den Wanen wird nicht berichtet, dass sie jemanden hätten erschaffen können. Sveinbjörn Egilsson: Lexicon poeticum. “Ordnung schaffend” ist üblicherweise Kennzeichen der Asen. Gleichwohl liegt der Sinn “Wanen” aus dem Kontext nahe.

Literatur

  • A. Hultgård, Njörðr In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Berlin 2002. ISBN 3-11-017272-0
  • E. F. Halvorsen, Njörðr In: Kulturhistorisk leksikon for nordisk middelalder. København 1967.
  • Rudolf Simek, Religion und Mythologie der Germanen. Darmstadt 2003. ISBN 3-534-16910-7
  • Lotte Motz, The Goddess Nerthus: A New Approach. In: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik Bd. 26 (1992) S. 1–19.