Nordmärkisch

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Nordmärkisch ist der niederdeutsche Dialekt der Altmark, Prignitz, Ruppin und Uckermark,[1] und bildet gemeinsam mit dem Mittelmärkischen die noch heute gesprochenen Dialekte des Märkischen. Im Süden wird es durch das Mittelmärkische begrenzt, im Südwesten durch das Elbostfälische, im Westen durch westniederdeutsche Mundarten und im Norden durch das Mecklenburg-Vorpommersche.[2] Die Mundart der Prignitz wird z. T. als Übergangsdialekt zum Mecklenburg-Vorpommerschen betrachtet.[1] Vereinzelt wird auch das Mittelpommersch, dass sich östlich an das Vorpommersche und nordöstlich an das Nordmärkische anschließt, noch zum Nordmärkischen gerechnet.[3]

Beschreibung

Nordmärkisch ist ein ostniederdeutscher Dialekt, der (wie alle märkischen Dialekte) eine starke niederländisch-niederfränkische Prägung aufweist,[4] was die brandenburgische Kolonisation im 12.–13. Jahrhundert widerspiegelt.[5] Die Mark Brandenburg wurde im Zuge der deutschen Ostsiedlung von der Altmark aus besiedelt, die dortigen Dialekte zählen teilweise zum Nordmärkischen, teilweise zum Ostfälischen.[1] Neben niederfränkischen Einflüssen, wie in noch stärkerem Maß vor allem das Mittelmärkische prägen, weist das Nordmärkische daher auch Einflüsse des Elbostfälischen und Westfälischen auf.

Spezifische Merkmale beinhalten:

  • einzelne Worte der slawischen Vorbevölkerung, z. B. nmk. Blessnörk „Blesshuhn“ (poln. norek „Tauchvogel“),[6][7] Kiez „Wohngebiet“ (ursprünglich „Fischersiedlung“, vgl. slaw. chyza/chyzy „Haus, Hütte“),[8] v. a. aber zahlreiche Ortsnamen.[9]
  • typische Leitworte oftmals niederländischer Herkunft, z. B. leech, leeg „niedrig“, Molle „kleiner Trog“ (bln. „Glas Bier“), Kossät „Bauer“, Kumm „Gefäß“, Spind „Schrank“, Tiene „Holzgefäß, Waschfaß“.[8]
  • Ausbleiben der Diphthongierung von mnd. ô und ê (nmk. leef, mvp. leif „lieb“[1]; nmk. Book, mvp. Bauk „Buch“[10]; nmk. sööt „süß“, mvp. säut[1]). Wichtiges sprachliches Abgrenzungsmerkmal gegenüber dem nordwestlich benachbarten Mecklenburgisch-Vorpommerschen. Allerdings kommt im Nordmärkischen Diphthongierung von mnd. ê² (< germ. ai) vor, daher rain, rein statt mmk. reene.[1]
  • Bewahrung von mittelniederdeutsch -nd- als -nn-, z. B. in hinnen „hinten“.[1] Wichtiges Abgrenzungsmerkmal gegenüber dem südlich benachbarten Mittelmärkischen (mmk. änger, nmk. anner „andere“).[11]
  • Partizip Präteritum wird wie in den meisten nd. Mundarten i. d. R. nicht durch ein Präfix markiert (nmk. loopen). Sofern dies (z. B. unter dem Einfluss der Berlinischen Umgangssprache) doch geschieht, wird je- (ge-) verwendet (jeloopen): jeloopen „gelaufen“. Das grenzt es zum Ostfälischen ab, dort e-.[8]
  • Artikulation des langen mnd. â als /ɔː/ (langes, dumpes o), z. B. in måken „machen“.[1] Dies ist ein Abgrenzungsmerkmal vom Mittelmärkischen, dort ein Diphthong (moaken).[12]
  • j statt g (mmk. joot „gut“).[8].
  • Verlust des auslautenden -e (Jäns „Gänse“, mmk. Jänse).[1]

Die häufige Verwendung der Vorsilbe je- (ge-) im Partizip Präteritum (jehackt, jejohn, jejangen, jehört, jejietzt, jewussen, mitjenommen, dorchjejangen usw.), die nach Bock & Langner (1989)[13] nordmärkisch (wenn auch nicht ohne Ausnahmen) sei, ist laut Dräger (1995)[14] jedoch keineswegs typisch zumindest für das uckermärkische, sondern „städtisch beeinflusst und hat viel vom Jargon der Oderschiffer an sich, wie er in Stettin am Bollwerk von Marktfrauen und Hafenarbeitern (Bollwerksastern) zu hören war“. Dräger war im Mittelpommerschen sozialisiert, wo diese Vorsilbe systematisch fehlt, doch zeigt Bock & Langner's Beobachtung möglicherweise weniger alte Merkmale als vielmehr ein Vordringen mitteldeutscher oder mittelmärkischer Elemente im Zuge der Industrialisierung vor und während des Zweiten Weltkriegs und ihre weitere, durch die Hochsprache gestützte Verbreitung danach.

Die Abgrenzung zwischen Mittelpommersch und Nordmärkisch und die Einordnung des Uckermärkischen werden unterschiedlich beurteilt und die Grenze zwischen ihnen unterschiedlich verortet. Mittelpommersch und Nordmärkisch stehen einander sehr nahe und insbesondere fällt die Nordgrenze Brandenburgs nicht mit sprachlichen Unterschieden zusammen.[15] Um überhaupt sprachliche Trennungskriterien zu finden, rechnet z. B. Schönfeld (1981, S. 154 f.)[16] das östliche Uckermärkische vollständig zum Mittelpommerschen, so dass seine Südgrenze nördlich von Eberswalde verortet wird und es damit direkt nördlich an das Mittelmärkische anschließt. Die Sprecher der Uckermark empfinden dagegen ihren Dialekt („uckermärkisch“) als weitgehend einheitlich. Eine alternative Sichtweise ist daher, das Mittelpommersche als Varietät des Nordmärkischen anzusehen.

Sofern Nordmärkisch und Mittelpommersch unterschieden werden sollen, ist ein mögliches Unterscheidungskriterium z. B. das Ausbleiben der Palatalisierung in mpomm. dat „das“, anner „andere“, Ganter „Ganter“ im gegenüber nmk.. det, änner, Genter,[17] allerdings fällt die Sprachgrenze nicht mit der Landesgrenze zusammen. Nach diesem und ähnlichen Kriterien sind die Sprachbeispiele von Max Lindow und Erna Taege-Röhnisch unten jeweils als mittelpommersch bzw. nordmärkisch zu unterscheiden -- was von den Sprechern selbst aber abgelehnt wird, die ihren Dialekt als einheitlich wahrnehmen.[18]

Phonologie

Die Phonologie des Nordmärkischen wird bei Teuchert (1907) für Warthe/Uckermark beschrieben, allerdings nur für den Vokalismus.[19]

Vokale

Nach Teuchert (1907, S. 28-42) für Warthe/Uckermark:[19]

Phonem Schreibung Beispiel Kommentar
Langvokale
/i:/ ie (i) Klie "Kleie", Pietsch "Peitsche", Diestel "Deichsel", Wieh "Weihe (Vogel)", Måhmpielen "Mohnstrietzel", Liem "Leim", Diek "Deich", Kriech "Krieg", Wief "Weib", Lief "Leib", gries "grau", nie "neu", frie "frei", sien "sein", mien "mein", bi "bei", ji "ihr", wi "wir", mi "mir, mich", fief "5", rieben "reiben", kriejen "kriegen", schnien (schnieën) "schneien", blieben "bleiben", rieden "reiten", kien "keinen" mnd. î
Schier "Schere", wier "war, wäre" mnd. ê³ vor r
mihr "mehr", Ihr "Ehre", Bier "Eber", ier "eher", ierst "erst", kieren "kehren", lieren "lehren, lernen" mnd. ê² vor r
Kindelbier "Kindtaufe", Diert "Tier", Viert "1/4 Scheffel", Nier "Niere", Stier "Stier", vier "vier" mnd. ê¹ vor r
/e:/ ee (e) Scheeper "Schäfer", Kees "Käse", leech "niedrig", neejer "näher", keem "kam", nehm "nahm", seet "saß", leech "lag" mnd. ê³
Kleewer "Klee", Teegen "Zeh", Kleet "Kleid", Been "Bein", Deel "Teil"; Heed "Heide" mnd. ê²
Deenst "Dienst", deenen "dienen", leef "lieb", Kneekähling "Kniekehle", scheeten "schießen"; Speejel "spiegel", Teejellie "Ziegelei", Keen "Kien", meeden "mieten", Breef "Brief", Preester "Priester"; sehn "sehen", jesehn "gesehen" mnd. ê¹
/ɛ:/ e; ää (ä) Gräwer "Gräber", Kätel/Ketel "Kessel", Mäken "Mädchen", Bäk "Bach", bäter "besser", Schepel "Scheffel", tähm "zähmen" mnd. tonlanges e¹
Schep "Schiffe", Wesel "Wiesel", Del "Diele" mnd. tonlanges e²
Wäder "Wetter", Rägen "Regen", ’t rägent "es regnet", Tek "Zecke" mnd. tonlanges ë
/ɑ:/ a Arm "Arm", Schwarm "Schwarm", Darm "Darm" mnd. a vor rm
/o:/ oo (o) Plooch "Pflug", Foot "Fuß", Bloom "Blume", Hoosten "Husten", Roost "Rost", Groos "Rasen", hoojåpen "gähnen", Brooder "Bruder", Krooch "Krug, Gasthaus", Hoot "Hut", Spool "Spule", Book "Buch", Schoh "Schuh", Koh "Kuh", Stohl "Stuhl", Bloot "Blut", nooch "genug", good "gut", schwool "schwül", roopen "rufen", doon "tun" mnd. ô¹
Broot "Brot", Boom "Baum", Knoop "Knopf", Roost "Roste", Dood, doot "Tod, tot", Rook "Rauch", Ooch "Auge", Lohn "Lohn", Bohn "Bohne", Loof "Laub", unoot "ungern", doof "taub", hooch "hoch", loopen "laufen", stooten "stoßen" mnd. ô²
Spook "Spuk", Spoon "Span", so "so", Kroon "Krone", wo "wie" mnd. ô³
/ɔ:/ å (o, älter auch oa) Dåch "Tage", Wågen "Wagen", Håwer "Hafer" mnd. tonlanges a
Åbent (Åhmt) "Abend", Schåp "Schaf", Råhm "Ruß", Måhn "Mohn", Ståhl "Stuhl", schlåhn "schlagen", blåch "blau" mnd. â
Åben "Ofen", Fåhlen "Fohlen", båben "oben" mnd. tonlanges o¹
Vågel "Vogel", bråkfellich "hinfällig", kåm "kommen" mnd. tonlanges o²
/u:/ uu (u) Schlus "Schleuse", Gruus "kleines Zeug, Späne", Struutz "Strauß", Uhl "Eule", Kruug "Krug (Flasche)", Lus "Laus", Buul "Beule", Stuten pl. "Gebäck aus Weizenmehl", Wruuk "Wruke, Kohlrübe", Su "Sau", pl. Sugen, Buuk "Bauch", Kumernot "mit Mühe", Klut "Erdkloß", Knust "Stück Brot; Ast; Auswuchs", Luk "Luke", Mul "Maul" mnd. û
Fuhr "Fuhre", Schnur "Schnur" mnd. ô¹ vor r
Uhr "Ohr", Ruhr "Rohr" mnd. ô² vor r
schmuren "schmoren", schwuren "geschworen", buren (älter boren) "geboren"; Durn "Dorn", Kurn (älter Korn) "Korn"; Durwech "Tor des Hofes", Chur "Chor, Corps", Buhr "Bohrer"; antwurn "antworten", Wurt "Wort", furts "sofort", Purt "Pforte" mnd. o¹ vor r+(e)n, r im Auslaut oder r+d,t
/œ:/ œ (ö, oe) Krœt "Kröte", Schlœter "Schlösser", hinner't Hœf "Land hinter dem Garten", Trœch "Tröge", œwer "über" mnd. tonlanges ö¹, Umlaut von /ɔ:/
Bœhn "Boden", Kœk "Küche", Œsel "Docht", glœsen "glühen" mnd. tonlanges ö², Umlaut von /ɔ:/
sœben "sieben", Nœt "Nisse" durch Rundung aus /ɛ:/
/ø:/ öö (ö) Dööker "Tücher", Schööler "Schüler", Stöhl "Stühle", Höhner "Hühner", tööben "warten", sööken "suchen" Umlaut von mnd. ô¹
Knööp "Knöpfe", Drööm "Träume", Pöötken "Pfötchen", Bööm "Bäume", Tööl "Hündin", Öökelnåm "Spitzname", drööch "trocken", in't Hööch "in die Höhe", glööben "glauben", dööpen "eintauchen", böögen "beugen", klööben "spalten" Umlaut von mnd. ô²
Spööner "Späne", spööken "spuken", Spöök "Gespenster" Umlaut von mnd. ô³
/y:/ üü (ü) Krüz "Kreuz", Riefküül "Reibekeule", Füst "Fäuste", Üder "Euter", Müs "Mäuse", Düwerick "Täuberich", Hüser "Häuser", rüüm' "räumen"; Rüd' "Räude", Düwel "Teufel", dütsch "deutsch", Lüüd "Leute", nütlich "niedlich", hüüt "heute", düster "düster", berüen "bereuen" mnd. Umlaut von û
schnüren "schnüren", rühren "rühren", führ "fuhr", führen inf. "fahren" Umlaut von mnd. ô¹ vor r
Ührken "Öhrlein", Jehür "Gehör", Rühr "Röhre", hüren "hören", stüren "stören", frür "fror", varlür "verlor" Umlaut von mnd. ô² vor r
Würd "Worte", Würtken "Wörtchen", Pürtken "Pförtchen" (aber Körf "Körbe", Dörp "Dorf") Umlaut von mnd. o¹ vor r (vgl. /u:/)
Kurzvokale
/ɪ/ i Titt "Zitze", Schirr "Geschirr", kiddelich "kitzlich" mnd. i
Hinn "Henne", Hingst "Hengst" mnd. e+n
Stimm "Stimme", Schimp "Schimpf"; jistern "gestern", jisternåhmt "gestern Abend" mnd. ë (vor Nasal, nach j)
/ɛ/ e; ä Jächter "Jäger", tellen "zählen" mnd. e
Wech "Weg", dreckolt "unfreundlich kalt" mnd. ë
wenken "winken", schwemm "schwimmen", Melk "Milch", Mess "Mist", messen "düngen, misten" mnd. i
/a/ a Dach "Tag" mnd. a
/ɔ/ o Pott "Topf", Voss "Fuchs", Stoff "Staub", kolt "kalt" mnd. o
Tjong "Junge" (als Anruf), Brost "Brust", Wost "Wurst" mnd. u
/ʊ/ u Druppen "Tropfen", Dussel "dummer Mensch", Wulf "Wolf" mnd. u
/œ/ ö Stöcker "Stöcke", Köster "Küster", öller "älter", Öllern "Eltern", Möll "Mühle" mnd. ö, Umlaut von /ɔ/
söss "sechs" durch Rundung aus /ɛ/
/ʏ/ ü Bütt "kleiner Eimer", Pütten "Pfütze", Küll "Kälte", Hüschken "Häuschen" mnd. ü, Umlaut von /ʊ/
/ə/ e berüen "bereuen" Kurzvokal in unbetonten Vorsilben
/ɐ/ er (a) vardorben "verdorben" für -er, -en
Diphthonge
/aɪ̯/ ei (ai) Weiten "Weizen", Heid "Heide", Speik, pl. Speiken "Speiche", rein "rein", klein "klein", spreiden "spreiten", lei(d)en "leiten", feihlen "fehlen" (frz. faillir); Eik "Eiche"; jeist "gehst", jeiht "geht", steihst "stehst", schleit "schlägt", deist "tust", deit "tut"; Seiß "Sense"; teigen "10"; Meier "Maier" mnd. ê² + Umlaut
Ei, pl. Eier "Eier", Mai m. "Mai", f. "Birkenzweig" mnd. ei
/aʊ̯/ au rauhen "ruhen", Aust "Ernte", glau "schmuck, sauber" mnd. ou
/ɔʏ̯/ eu (äu) Heu "Heu", Fläuh "Floh", pl. Fläuhen; fläuhen "Flöhe suchen", Schleuer "Schleier", streuen "streuen", Streusel "Streu", freuen "freuen", Käuh "Kühe" (< mnd. köge) mnd. oi (eu)
  • Für die Diphthonge geben Mackel (1905, §9) und Pfaff (1898) die Aussprache /ɛɪ̯/ (statt /aɪ̯/, geschrieben ei), /ɔʊ̯/ (statt /aʊ̯/, geschrieben ou) und /œʏ̯/ (statt /ɔʏ̯/, geschrieben öy, öi oder öü) an.[20][21] Während die Aussprache von Warthe/Uckermark der hochdeutschen entspricht, scheint diese die ursprüngliche gewesen zu sein.

Konsonanten

Nach Mackel (1905, §22, 122) gelten für die Prignitz folgende Konsonanten:[21]

Phonem Schreibung Beispiel Kommentar
/ŋ/ n(k), ng Allophon von /n/ vor g,k
/n/ n
/m/ m
/k/ k
/g/ g
/t/ t
/d/ d
/p/ p
/b/ b
/x/ (/ç/, /χ/) ch im Auslaut auch Allophon von /ɣ/
/ɣ/ g (gh) postvokalisches Allophon von /g/ nach dunklen Vokalen
/j/ j "ja", Johr "Jahr", jensiet "jenseits" < as. j-
/s/ s (ß)
/z/ s prävokalisches Allophon von /s/
/ʃ/ sch aus sk sowie s vor Konsonant im Anlaut
Kommischoon "Kommission", Profeschoon "Beruf"; Schandarm, Schandarf "Gendarm", schaneern "genieren", Schüü "Sauße" (frz. jus) in Fremdwörtern
/ʒ/ zh Pagåzh "Bagage", Råzh "Rage", Kråzh "Kraft" (frz. courage) nur in Fremdworten
/f/ f,v
/v/ (/w/) w Wisch "Wiese", weeten "wissen", Wåter "Wasser", Weiten "Weizen"; wring‘ "wringen", sik wrang‘ "miteinander ringen, sich balgen", ümwricken, wrack "untauglich", wraklich "wackelig", wrackeln "wackeln", Wråden "dichter Wasserdampf", wriwweln "hin- und herdrehen", wrooschen "schwer arbeiten", Wriet m. "Baumstubben", wrœgeln, wrœglich zu mnd. wrögen "rügen, schelten", kweesch "Druckschwiele", twee "zwei", dwing' "zwingen", swat "schwarz" as. w-
Wiel "Weile", wat "was", wo "wie" as. hw
/l/ l
/r/ r Zungenspitzen-r, unter hochdeutschem Einfluss auch uvular
/ɐ/ r (a) postvokalisches Allophon von /r/
/ts/ z, tz
/tʃ/ tsch Patschoon "Portion", Natschoon "Nation"; Krischan "Christian" aus -ti- in Fremdwörtern
/h/ h
  • Anlautendes /p/, /t/, /k/ wird aspiriert (Warthe/Uckermark)[19]
  • w wird meist labiodental gesprochen, in der Prignitz Anfang 20. Jh. nach /k/, /s/, /t/, /d/ bilabial /w/ (Mackel 1905, §37),[21] in der Uckermark nach anlautendem /t/, /k/, /ʃ/ jedoch labiodental /v/ (Warthe/Uckermark, 1907)[19]
  • r wird mit der Zungenspitze artikuliert, Anfang des 20. Jh. auch noch in -er (Warthe/Uckermark, 1907)[19]
  • mnd. intervokalisches d wird spirantisiert (Warthe/Uckermark), in einigen Regionen (z.B. der nördlichen Westprignitz) weiterentwickelt zu einem Vorderzungen-r.[19][21] Üblich sind daher Schreibungen mit dd oder rr (hadden, harren, harrn "hatten").
  • postvokalisches r wird meist vokalisiert (und z.B. bei Mackel 1905 systematisch als Vokal geschrieben). Der besseren Verständlichkeit halber und da es sich nur um ein Allomorph handelt, ist das hier zugunsten einer Schreibung mit r ausgeglichen.
  • silbische Konsonanten werden (hier) mit Vokal (-er, -en, -el) geschrieben oder durch Überlänge (-n', -m', -ng', -l') bezeichnet.

Phonologische Prozesse

  • Hebung von ê und ô vor r (Teuchert 1907, S. 37–42 für Warthe/Uckermark): Uhr "Ohr", mihr "mehr", wier "war";[19] tritt im Mittelpommerschen nicht auf und ist ein mögliches Abgrenzungsmerkmal zu diesem. Allerdings fehlt diese Hebung auch in der Prignitz (Mackel 1905, S.71): Peerd "Pferd", ehren "ehren", Poort "Pforte", Ohr "Ohr" (statt meckl. Pierd, ihren, Puurt, Uhr).[21]
  • Ausbleiben der Brechung von e vor r (Teuchert 1907, S. 37–42 für Warthe/Uckermark): Erft "Erbse", pl. Erften (nicht *Arften), Berch "Berg" (nicht *Barch), Hert "Herz" (nicht *Hart).[19] Allerdings Prignitz Årft "Erbse" (Mackel 1905, §130).[21]
  • mnd. -em zu -en vereinfacht: bodden "Boden", Bessen "Besen"[19]
  • -dl- > -tl-: Nåtel "Nadel"[19]
  • dw- > tw- (Uckermark): Twall "dummer Mensch", twaddelich "geschwätzig", twallich Jör "spielerisches Kind", twingen "zwingen", twas "quer",[19] allerdings Prignitz dwalsch "verdreht", dwing "zwingen" (Mackel 1905, §48,130).[21]
  • -sk- > -sch-: bitschen "bisschen" (< *bit-s-ken)[19]
  • -t > -tz: Ruutz "Ruß", Struutz "Strauß", Fråtz "Fraß", fråtzich "gefräßig"[19]
  • -ven > -ben: blieben "bleiben", glööben "glauben", rieben "reiben"[19]
  • wr- bleibt i.d.R. erhalten: wrangen "ringen", wribbeln "schnell reiben"[19]
  • Apokopie: "End -e ist auf dem ganzen Gebiete [der Prignitz] verloren gegangen ... [n]ur beim Adjektivum finden sich noch einige spärliche Reste ... (, obwohl) [e]s scheint, als ob das Flexions-e unter hd. Einfluss neuerdings wieder mehr Boden gewinnt" (Mackel 1905, §117)[21]
    • in der scheltenden Anrede: du olle growe Hund "du alter grober Hund"[21]
    • im f.sg. der starken Deklination mehrsilbiger Adjektive, vgl. mecklenburgisch sei is'n flietige Deern "sie ist ein fleißiges Mädchen"[21]
    • Mackel (1905, §117, Anm. 1) vermutet aufgrund von Schriftzeugnissen, dass dieser Abfall in der Prignitz relativ spät, erst Ende des 18. Jh. eintrat[21]
  • Auslautverhärtung: Wie im Standarddeutschen, außer wo durch Apokopie ein nachfolgender Vokal entfallen ist ("Überlänge")

Morphologie

Derivation

  • hd. -schaft ersetzt älteres -schop, -schap (Teuchert 1907. S. 41; Mackel 1905, §121): Früntschaft "Freundschaft", Nåwerschaft "Nachbarschaft"[19][21]
  • -heit, -keit wohl aus dem Hochdeutschen: Wohrheit "Wahrheit" (Mackel 1905, §121)[21]
  • -lich eventuell hochdeutsch (oder durch -ig) beeinflusst, doch schon mnd. neben -lik belegt (Mackel 1905, §121)[21]
  • -ek aus mnd. -ik: Merrek "Mehrrettich" (Mackel 1905, §121)[21]
  • -såm vgl. hd. -sam: lanksåm "langsam", sporsåm "sparsam", möhsåm "mühsam" (Mackel 1905, §121)[21]
  • -bor vgl. hd. -bar: åpenbor "offenbar", achtbor "achtbar", dankbor "dankbar" (Mackel 1905, §121)[21]

Syntax

Mit dem IDS-Korpus Deutsche Mundarten: DDR[22] existiert ein teilweise transkribiertes Audiokorpus, das auch die märkischen Dialekte beinhaltet. Auf dieser Grundlage beobachtete Weber (2014)[23] Besonderheiten in der Bildung des Verbalkomplexes, wobei neben der Standardvariante auch Umstellungen zulässig sind:

  • wenn wi Kinner denn rutjahn sind „wenn wir Kinder dann rausgegangen sind“ (wie Schriftdeutsch)
  • as ick Murer bin west „als ich Maurer gewesen bin“ (wörtlich: „... bin gewesen“)

Bedauerlicherweise trennt die Studie (und das Korpus) nicht zwischen Mittelmärkisch, Nordmärkisch und modernen Regiolekten, die Masse von Weber (2014) zitierten Belege sind aber, sofern sie überhaupt niederdeutsch sind und ihre sprachlichen Merkmale eine Zuordnung gestatten, nordmärkisch oder mittelpommersch.

Sprachdokumentation und -pflege

Das Nordmärkische besitzt eine eigene Dialektliteratur. Beispielhafte Autoren sind:

Mit Mackel (1905)[21] liegt eine Grammatik für die Prignitz vor, die auch das dortige Nordmärkische abdeckt (allerdings nicht ausschließlich dieses, nmk. ist genau sein "monophthongisches Gebiet"). Beschreibungen des nmk. Vokalismus sind Teuchert (1907) für die Uckermark[19] und Pfaff (1898) für das Mittelpommersche.[20] Weitere nmk. Ortsgrammatiken nennt die Auswahlbibliographie von Teepe et al. (1983, S. 130–134) nicht.[26] Im Vergleich zum Mittelmärkischen ist das Nordmärkische damit weitgehend undokumentiert.

In der Uckermark und in der Prignitz galt der Dialekt gegen Ende der DDR-Zeit als relativ gut bewahrt (Bock & Langner 1989, S. 238),[1] und wird auch heute noch gesprochen, jedoch fast ausschließlich von Personen, die vor 1975 geboren wurden.[27] In der Uckermark wurde gemäß einer Erhebung Mitte der 1990er Jahre „von 5-15% der Bevölkerung regelmäßig oder gelegentlich platt gesprochen ... [, jedoch u]nter Jugendlichen ist die Beherrschung des Plattdeutschen eine seltene, kaum auffindbare Ausnahme.“[27]

Der Wortschatz des Nordmärkischen ist beschrieben im Brandenburg-Berlinischen Wörterbuch, teilweise auch im Mittelelbischen Wörterbuch. Das Nordmärkische wird u. a. durch verschiedene Vereine gepflegt,[28] die teilweise auch aktiv Dialektliteratur publizieren. Unter anderem wurde 2019 eine Plattfibel für Drittklässler auf Basis des uckermärkischen und Prignitzer Platt erarbeitet,[29] die 2020 veröffentlicht wurde.[30]

Leseproben

Uckermarkerlied

Wat is’t för’n Land! / Böm an de Kant,
Eeken in d’Heid, / Veh up de Weid.
Schön is un stolt un stark / Uns’ leew oll Uckermark. (...)

Grön steiht de Soot! / 't giff wedder Brot!
Hinner den Gor'n / Ruscht ball dat Korn.
Nehmt Plog un Seiß un Hark, / Arbeit't in d'Uckermark. (...)

Max Lindow, Uckermarkerlied.[31]

Kriegswitfru („Kriegswitwe“)

As du hest weg müßt, / dät letzte Mol dunn / noh de Frunt,
ich hebb dacht, dät ritt mi / midden verneen.
Wi hebben uns noch met de Ogen hollen, / un dänn
stünn ick dor up dän Bahnhoff / alleen.

Dät schwatte Schwerk hett sich / öwer de Menschheit schmäten
as en will Diert, / schlöög allens to Moos un Jruus,
hett dän Bahnhoff in Klump schlohn, / de Schienen upräten,
dor keem kene Bahn miehr / noh Huus.

Ick hebb luert und luert, / miene Hoor sind verjriest, / dor is nüscht mierh koom.
Äwer öfter nachtens unwohrens / steihst du un kickst mi an / as dunn up dän Bahnhoff.
Dänn fohr ick up ut'n Schloop / un flister in'n Dustern / dien'n Noom.

Erna Taege-Röhnisch, Kriegswitfru[32] (Formatierung aus Platzgründen leicht verändert. Anm.: Erna Taege-Röhnisch war eine prominente Autorin der Region. Im Gegensatz zu anderen Varietäten des Nordmärkischen war ihr Regiolekt stärker Hochdeutsch geprägt, was auf den Einfluss einer Enklave von Hessen und Pfälzern zurückgeht, die im 18. Jh. in ihr Heimatdorf eingewandert waren.[33])

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i j Bock, Rolf / Langner, Helmut: Zur Geschichte, Gliederung und zu wichtigen Merkmalen der märkischen Dialekte. In: WZ PH Potsdam. H. 2. Potsdam 1989, S. 238
  2. W. Hartung, H. Schönfeld (Hrsg.): Kommunikation und Sprachvariation (Vol. 17). Akademie-Verlag, Berlin 1981, S. 154 f. Zitiert nach Rolf Bock, Helmut Langner: Zur Geschichte, Gliederung und zu wichtigen Merkmalen der märkischen Dialekte. In: WZ PH Potsdam. H. 2. Potsdam 1989, S. 234. Dort wird eine Karte reproduziert.
  3. G. Bergemann: Mundarten und Mundartforschung. VEB Bibliographisches Institut, Leipzig 1964, S. Karte S. 67, nach Mitzka und Schwarz.
  4. Herrmann Teuchert: Die Sprachreste der niederländischen Siedlungen des 12. Jahrhunderts. Böhlau, 1972.
  5. Hans Joachim Gernentz: Niederdeutsch gestern und heute. Rostock 1980, S. 33–34.
  6. Michel Defayes: Fulica Atra. In: A Thesaurus of Bird Names. Abgerufen am 13. Februar 2020 (belegt die uckermärkische (nordmärkische) Form).
  7. F. Hinze: Slawische Lehn- und Reliktwörter im vorpommersch-mecklenburgischen Raum. In: Zeitschrift für Slawistik. Band 35, Nr. 1-6, 1990, S. 249–254, doi:10.1524/slaw.1990.35.16.249 (bestätigt die slawische Etymologie, allerdings hier für das Mecklenburgisch-Vorpommersche in Anspruch genommen).
  8. a b c d Bock, Rolf / Langner, Helmut: Zur Geschichte, Gliederung und zu wichtigen Merkmalen der märkischen Dialekte. In: WZ PH Potsdam. H. 2. Potsdam 1989, S. 236
  9. Ε. Foster / S. Wauer: Die slawischen Kulturnamen in Brandenburg. In: Zeitschrift für Slawistik. Band 28, Nr. 1-3, 1983, S. 371–381, doi:10.1524/slaw.1983.28.13.371.
  10. Eberhard Krienke: Uns Uckermark. Sprache und mundartliche Literatur einer Region. Schibri-Verlag, Milow 1999, S. 43–59.
  11. Herrmann Teuchert: Die Sprachreste der niederländischen Siedlungen des 12. Jahrhunderts. Böhlau, 1972, S. 390.
  12. Bock, Rolf / Langner, Helmut: Zur Geschichte, Gliederung und zu wichtigen Merkmalen der märkischen Dialekte. In: WZ PH Potsdam. H. 2. Potsdam 1989, S. 239
  13. Bock, Rolf / Langner, Helmut: Zur Geschichte, Gliederung und zu wichtigen Merkmalen der märkischen Dialekte. In: WZ PH Potsdam. H. 2. Potsdam 1989, S. 236
  14. Eginhard Dräger (1995), Rezension: Eberhard Krienke, Zum Gebrauch des Niederdeutschen in der Uckermark – Symposium des Prenzlauer Kulturvereins e. V. mit dem Projekt Sprache und Literatur in der Uckermark am 10.9.1994 in Prenzlau. Sonderheft des Kulturvereins 1995, S. 347
  15. Diskussion z. B. bei Eginhard Dräger (1995), Rezension: Eberhard Krienke, Zum Gebrauch des Niederdeutschen in der Uckermark – Symposium des Prenzlauer Kulturvereins e. V. mit dem Projekt Sprache und Literatur in der Uckermark am 10.9.1994 in Prenzlau. Sonderheft des Kulturvereins 1995, 346–348
  16. W. Hartung, H. Schönfeld (Hrsg.): Kommunikation und Sprachvariation (Vol. 17). Akademie-Verlag, Berlin 1981, S. 154 f. Zitiert nach Rolf Bock, Helmut Langner: Zur Geschichte, Gliederung und zu wichtigen Merkmalen der märkischen Dialekte. In: WZ PH Potsdam. H. 2. Potsdam 1989, S. 234. Dort wird eine Karte reproduziert.
  17. Brandenburgische Sprachlandschaft - brandenburgikon.de. Abgerufen am 17. Juni 2022.
  18. Eberhard Krienke (1996), Uns Uckermark. Sprache und mundartliche Literatur einer Region. Schibri-Verlag. Milow, S. 32.
  19. a b c d e f g h i j k l m n o p q Teuchert, H. (1907). Die Mundart von Warthe (Uckermark). Jahr-buch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung, 33, 27.
  20. a b H. Pfaff, Die Vocale d. mittelpomm. Dialects, Labes 1898
  21. a b c d e f g h i j k l m n o p q r E. Mackel, Mundart der Prignitz, NdJb, 31 (1905) 65–164; 32 (1906) 1–54; 33 (1907) 73–105. Sofern keine spezifischen Hinweise auf monophthongischen und diphthongischen Gebrauch gegeben werden, werden von Mackel zitierte Formen aus der Grammatik werden hier immer in der monophthongischen (nmk.) Variante angegeben, d.h., oo statt ou, öö statt öy, ee statt ei, ei statt ai, er zitiert zwar meist die diphthongische Variante, erklärt die Alternation aber als systematisch. Wo er Ost- und Westprignitzisch unterscheidet, wird das Ostprignitzische als nmk. angegeben, da dort das Dipthongierungsgebiet nur einen sehr geringen Anteil hat.
  22. Archiv für Gesprochenes Deutsch. Abgerufen am 16. August 2022.
  23. Thilo Weber (2014), Zum Verbalkomplex im Märkisch-Brandenburgischen, in: Schönenberger, Manuela/Engerer, Volkmar/Öhl, Peter/Brogyanyi, Bela (Hrsg.): Dialekte, Konzepte, Kontakte. Ergebnisse des Arbeitstreffens der Gesellschaft für Sprache und Sprachen, GeSuS e.V., 31. Mai-1. Juni 2013 in Freiburg/Breisgau (Sonderheft Sprache & Sprachen 2014). - Wuppertal: GeSuS e.V., 2014. S. 1–17.
  24. Wilhelm Bornemann: Gedichte in plattdeutscher Mundart. Decker, 1843 (google.de [abgerufen am 12. September 2022]).
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  26. Jan Goossens (1983, Hg.), Niederdeutsch. Sprache und Literatur, Eine Einführung, Band 1: Sprache; 2. verbesserte und um einen bibliographischen Nachtrag erweiterte Auflage 1983
  27. a b Eberhard Krienke (1996), Uns Uckermark. Sprache und mundartliche Literatur einer Region. Schibri-Verlag. Milow, S. 41
  28. Platt in Brandenburg - Aktuelles. Abgerufen am 16. Juni 2022.
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