Olga Dmitrijewna Forsch

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Olga Forsch)

Olga Dmitrijewna Forsch, auch Forsh und Forš geschrieben (russisch О́льга Дми́триевна Форш; * 16. Maijul. / 28. Mai 1873greg. in der Festung Gunib, Dagestan; † 17. Juli 1961 in Leningrad), war eine russische Schriftstellerin und Kommunistin. Ihre Romane kreisen vorwiegend um revolutionäre Figuren aus der zaristischen Zeit (vor 1917). Dem sowjetischen Staat und dessen Oberhaupt Stalin gegenüber verhielt sie sich loyal.

Leben

Die Tochter eines Generals der russischen Besatzungsarmee (in Dagestan) verlor schon früh ihre Mutter. Als 1881 auch ihr Vater starb, wurde sie in ein Mädchenpensionat gegeben. In den 1890er Jahren studierte sie Kunst in Kiew, Odessa und Sankt Petersburg, dem späteren Leningrad. 1895 heiratete sie Boris Eduardowitsch Forsch, der ebenfalls aus einer Offiziersfamilie stammte. 1904 quittierte dieser seinen Dienst bei der Armee, weil er sich weigerte, an der Hinrichtung politischer Gefangener mitzuwirken. Die Familie (mit zwei Kindern) ging in die Ukraine, um einen Bauernhof zu bewirtschaften. Forsch befasste sich mit den Gedanken Tolstois, der Theosophen und des Buddhismus. Das Los der Landbevölkerung ging in ihre literarischen Versuche ein; erste Erzählungen erschienen um 1908 in verschiedenen Zeitschriften. 1910/11 war sie als Kunsterzieherin in Zarskoje Selo bei Petersburg tätig, doch ihr Hauptaugenmerk galt hinfort der Literatur. Sowohl Forsch wie ihr Mann wendeten sich zunehmend sozialistischen Idealen zu. In ästhetischen Fragen war sie zunächst vom Symbolismus beeinflusst.[1] Kurz nach der Oktoberrevolution ging sie nach Moskau, um sich an der Umgestaltung des Schulwesens zu beteiligen. Ihr Mann diente in der Roten Armee, starb allerdings 1920 (in Kiew) an Typhus. In den frühen 1920er Jahren kehrte Forsch nach Petersburg zurück, wo sie sich dem Genre des historischen Romans zuwendete, mit dem sie ihre entscheidenden Erfolge hatte. Wie Wladimir Lidin, Marina Zwetajewa, Ilja Ehrenburg und andere besuchte sie Berlin, wo damals viele russische Emigranten lebten.[2] 1934 war sie an der Vorbereitung des 1. Schriftstellerkongresses der SU beteiligt.[3] Sie erlangte eine führende Rolle im sowjetischen Literaturbetrieb und erhielt mehrere Auszeichnungen. Noch auf dem 2. Schriftstellerkongress, der ein Jahr nach Stalins Tod (1953) in Moskau tagte, verkündete sie als Eröffnungsrednerin, „die Stärke unserer Literatur“ liege darin, „die Hoffnungen und Erwartungen des großen Lenin, den Willen der kommunistischen Partei“ auszudrücken.[4] Sie starb mit 88 in Leningrad.[5]

Werke

  • Moskovskie rasskazy (Moskauer Erzählungen), 1925
  • Odety kamnem, Roman, 1925, deutsch In Stein gehüllt, Leipzig 1926 und Lebendig begraben, Ostberlin 1957[6]
  • Sovremenniki (Zeitgenossen), Roman, 1926[7]
  • Gorjacij zech (Heiße Werkstatt), Roman, 1927
  • Pjatyj zver (Das fünfte Tier), Erzählungen, 1928
  • (Der Hilfslehrer), Theaterstück, 1930
  • Sumassedsij korabl (Das Narrenschiff), Roman, 1930[8]
  • Simvolisty (Die Symbolisten), Roman, 1932[9]
  • Pod kupolom (Unter der Kuppel), Erzählungen, 1933
  • Radiscev, Romantrilogie, 1934–39, deutsch Die Kaiserin und der Rebell, Ostberlin 1957 (10. Auflage 1976!)[10]
  • Michailovskij zamok (Schloß Michailowsk), Roman, 1946
  • Pervency svobody (Die Erstgeborenen der Freiheit), Roman, 1953, deutsch 1825: Roman einer Verschwörung, Ostberlin 1966[11]
  • (Autobiographie) 1958 ?
  • Wtschera i sewodnja (Gestern und heute), Erzählungen, 1959
  • Russisches Narrenschiff Roman. (Aus dem Russischen, mit Anmerkungen und Nachwort von Christiane Pöhlmann.) Die Andere Bibliothek, Berlin 2020.

Literatur

  • R. D. Messer: Olga Forsch, Leningrad 1955
  • S. M. Petrov: Sovetskij istoričeskij roman, Moskau 1958
  • Gleb Struve: Geschichte der Sowjetliteratur, München 1958
  • J. A. Andreev: Russkij sovetskiy istoričeskij roman, Moskau 1962, Seite 9–18
  • Anna V. Tamarčenko,:Olga Forš: žizn', ličnost', tvorčestvo, Moskau 1966
  • Russkie sovetskie pisateli. Prozaiki, Band 5, 1968, Seite 467–490 (Bibliographie)
  • R. A. Skaldina: Olga Forsch: Očerk tvorčesta 20 – 30ch godov, Riga 1974
  • G. E. Tamarčenko (Hrsg.): Olga Forsch v vospominanijach sovremennikov, Leningrad 1974
  • Marc Slonim: Soviet Russian Literature, London 1977, Seite 272–275
  • N. P. Lugovcov: Sražajuščajasja muza: literatur-kritičeskie očerki, Leningrad 1985
  • Svetlana Timina: Olga Forsch i sovremennost, in: Zvezda 10, 1988, Seite 197–204
  • Dictionary of Russian Women Writers, Greenwood Publishing Group, 1994
  • Catriona Kelly: An Anthology oft Russian Women's Writing, Oxford University Press, 1994, Wiederauflage 2011[12]
  • Monika Rzeczycka: Z dziejów ezoterycznej prozy Srebrnego Wieku. Teozoficzny debiut literacki Olgi Forsz, Studia Wschodniosłowiańskie, Białystok, Band 9, 2009, Seite 57–68

Einzelnachweise

  1. Kindlers Neues Literaturlexikon, Ausgabe München 1988
  2. Juri Elperin (PDF; 119 kB), abgerufen am 25. Juli 2010
  3. Schulz / Urban / Lebed: Who Was Who in the USSR, Metuchen 1972
  4. dradio, abgerufen am 25. Juli 2011
  5. Für Wolfgang Kasack, Lexikon der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts, München 1992, erfreute sich Forsch nur einer eingeschränkten Akzeptanz seitens der Tugendwächter des Literaturbetriebes, da Forschens „historische Schau von der offiziellen Interpretation in verschiedenen Graden“ abgewichen sei. Die beiden Romane 1930/32 (über die Künstlerszene) seien sogar scharf kritisiert und nach der Erstveröffentlichung auf Eis gelegt worden. Mit Marc Slonim bescheinigt Kasack Forsch ein durchweg „gutes literarisches Niveau“ ihres „lebendigen und farbenfrohen“ Werkes, in dem sich fesselnde Handlungen mit „solidem historischem Hintergrund“ verbänden.
  6. Laut N. Ludwig, Handbuch der Sowjetliteratur, Leipzig 1975, „der erste sowjetische historische Roman“. Er behandele die 1860er Jahre.
  7. Der historische Roman, 1848 in Italien angesiedelt, kreist um den Maler Aleksandr A. Ivanov und den Widerspruch zwischen Kunst und Wirklichkeit. Auch die Schriftsteller Herzen und Gogol treten auf. Kindlers bescheinigt Forsch, den historischen Vorwurf mit „eigenwilliger Souveränität“ behandelt zu haben. Der Roman sei „in einer kunstvollen Sprache geschrieben, was vor allem im Gebrauch einer reichen, prätentiösen Lexik und einem mitunter manierierten Satzbau“ zum Ausdruck komme.
  8. Ein hervorragendes Zeugnis stellt diesem Künstlerroman Temira Pachmuss aus: „lebhafte Phantasie … entzückender Witz … kühner Stil … Sinn für Groteskes … moralische und geistige Solidität und Ehrlichkeit …“ (in: The Slavic and East European Journal, Vol. 11, No. 2, Sommer 1967, Seite 225–226)
  9. Auch unter dem Titel Woron (Der Rabe) erschienen. Die beiden Romane 1930/32 behandeln die Petersburger linke Künstlerszene vor und nach der Oktoberrevolution. Unter anderem treten Alexander Blok und Maxim Gorki auf.
  10. Im Mittelpunkt dieses „Hauptwerkes“ (Brockhaus Enzyklopädie der 19. Auflage, Band 7 von 1988) steht der Dichter Alexander Nikolajewitsch Radischtschew, Gegner der Leibeigenschaft und damit der Zarin Katharina II.
  11. Das Werk behandelt den antizaristischen Petersburger Aufstand der Dekabristen
  12. Dieselbe Autorin ist mit einem Forsh-Artikel vertreten in: Ledkovsky / Rosenthal / Zirin (Hrsg.): Dictionary of Russian Women Writers, Westport, London 1994. Der Artikel geht auch auf Forschs „uneasy attitude to female identity“ ein.

Weblinks