Reizüberflutung

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Reizüberflutung ist in umgangssprachlichem Gebrauch eine Metapher für einen angenommenen Zustand des Körpers, in dem dieser durch die Sinne so viele Reize gleichzeitig aufnimmt, dass sie nicht mehr verarbeitet werden können und beim Betroffenen zu einer psychischen Überforderung führen. Im medizinischen Kontext ist auch oft von einem Overload die Rede.[1]

Diese Überforderung des (menschlichen) Organismus bzw. Nervensystems durch Sinneseindrücke betrifft die Sinne (Hören, Sehen, Riechen, Schmecken und Tasten) einzeln, in Kombination, für einen kurzen Zeitraum und auch langfristig.

Ursachen

Im Vordergrund der Untersuchungen zur Situation des Menschen in der modernen Welt stehen vor allem die akustische und visuelle Wahrnehmung als Auslöser einer Reizüberflutung.[2]

Beispiele für mögliche Auslöser sind:

  • Gehör: Lärm, mehrere gleichzeitige akustische Quellen (z. B. Gerede inmitten einer Menschenmenge)
  • Augen: Vielzahl von Farben, blinkende Lichter, schnelle Bewegungen
  • Geruchs- und Geschmackssinn: Reizüberflutung kann auch bei einem bunt gemischten Essen auftreten, das die Geschmacksrichtungen süß, sauer, bitter, salzig und umami zugleich enthält, sodass die Geschmacksrichtungen nicht mehr einzeln empfunden und zugeordnet werden können.
  • Drogen aus der Gruppe der Psychedelika und Dissoziativa

Folgen

Reizüberflutung führt kurzfristig zu Stress, Hektik, aggressiven Reaktionen und schneller Erschöpfung. Vor allem Schizophrene, aber auch Hochsensible Persönlichkeiten (HSP) sowie von Autismus und Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) Betroffene reagieren dabei besonders stark. Anhaltende Reizüberflutung kann dauerhafte Konzentrationsschwierigkeiten, Realitätsverlust oder Hyperaktivität bewirken und stellt eine mögliche Ursache für Lernschwächen dar.[2][3] Moderne Lebensweisen, insbesondere die allgegenwärtige Nutzung des Internets und anderer moderner Medien, bringen nach Ansicht mancher eine chronische Reizüberflutung mit sich und führen bei vielen Menschen zu den typischen Störungsbildern.[4]

Folgen bei Autismus-Spektrum-Störung (ASS)

Ein Overload ist ein häufiges Symptom bei einer ASS. Betroffene reagieren meist – wenn nichts gegen den Overload unternommen wird – mit einem Meltdown, der in einen Shutdown münden kann.[1]

Bei einem Meltdown kommt es zu einer Affekthandlung, meist in Form eines starken Wutausbruchs, welcher wenige Sekunden bis einige Minuten andauern kann und für Außenstehende irrational wirken könnte. Vor allem jüngere Menschen haben eher einen Meltdown als einen Shutdown; Symptome sind lautes Schreien, bis hin zu körperlicher Gewalt.[5]

Ein Shutdown tritt entweder als Folge eines Meltdowns auf, oder ist die direkte Folge eines Overload; letzteres ist vor allem bei Erwachsenen der Fall, die schon länger ASS diagnostiziert haben. Der Körper des Betroffenen versucht die Reize auszugleichen, was zu einer vorübergehenden Minderung oder sogar einem völligen Verlust bestimmter Sinne führt. Meist sind das Sehen (verschwommene Sicht) und Sprechen (vollständiger Mutismus) betroffen. In der Regel versuchen sich Betroffene bei einem Shutdown abzuschotten; sie kneifen die Augen zusammen, halten sich die Ohren zu, legen sich in Embryonalhaltung auf den Boden, oder wippen im Sitzen nervös herum. Ein Shutdown hält mehrere Minuten an, kann aber auch bestehen bleiben, bis der Zustand des Overload beendet ist.[6]

Begriffsverwendung in der philosophischen Anthropologie

In der philosophischen Anthropologie Arnold Gehlens bezeichnet „Reizüberflutung“ eine spezifische Eigenschaft des Menschen, den Gehlen als „Mängelwesen“ beschreibt: Anders als Tieren ermangle dem Menschen insbesondere ein angeborener Mechanismus, um äußere und innere Reize zu filtern und zu verarbeiten und die Weltsicht zu vereindeutigen. Die Folge ist eine „Reizüberflutung“ und gleichzeitig, durch das Fehlen eines angeborenen Automatismus der Bedürfnisbefriedigung, ein „Antriebsüberschuss“. Beides führe zu einer „konstitutionellen Riskiertheit des Menschen“[7] An die Stelle angeborener Mechanismen trete insbesondere zum Lebensanfang die soziale Kulturwelt.

Sonstiges

In der Verhaltenstherapie wird im Rahmen konfrontativer Verfahren eine gezielte Reizüberflutung (Flooding) als psychotherapeutisches Mittel eingesetzt, um beispielsweise phobische Störungen zu behandeln. Hierbei wird der Klient nach Vorbereitung starken angstauslösenden Reizen ausgesetzt. Er lernt hierbei, die beängstigende Situation auszuhalten.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b DocCheck Medical Services GmbH: Overload. Abgerufen am 9. April 2022.
  2. a b Reizüberflutung und Lernschwächen bei ncsr.de Lernen fürs Leben.
  3. Reizüberflutung: Wie Kinder zum Zappelphilipp werden in: Der Spiegel vom 3. August 2009.
  4. Alex Rühle: Reizüberflutung: Verblöden wir? (Memento vom 6. April 2010 im Internet Archive) in: Süddeutsche Zeitung vom 23. Juli 2008.
  5. DocCheck Medical Services GmbH: Meltdown. Abgerufen am 9. April 2022.
  6. DocCheck Medical Services GmbH: Shutdown. Abgerufen am 9. April 2022.
  7. Vgl. Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. 13. Auflage. Wiesbaden 1986, 60.