Standardmodell der Teilchenphysik

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Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik (SM) fasst die wesentlichen Erkenntnisse der Teilchenphysik nach heutigem Stand zusammen.[1] Es beschreibt alle bekannten Elementarteilchen und die wichtigen Wechselwirkungen zwischen ihnen: die starke Wechselwirkung, beschrieben durch die Quantenchromodynamik, die schwache Wechselwirkung und die elektromagnetische Wechselwirkung, vereinheitlicht beschrieben durch die Elektroschwache Wechselwirkung. Nur die (vergleichsweise sehr schwache) Gravitation wird nicht berücksichtigt.

In theoretischer Hinsicht ist das Standardmodell eine Quantenfeldtheorie. Ihre fundamentalen Objekte sind Felder, die nur in diskreten Paketen verändert werden; die diskreten Pakete entsprechen in einer passenden Darstellung den beobachteten Teilchen. Das Standardmodell ist so gebaut, dass die von ihm beschriebenen Teilchen und Felder die Gesetze der speziellen Relativitätstheorie erfüllen. Gleichzeitig enthält es die Aussagen der Quantenmechanik.

Viele Voraussagen des Standardmodells wurden durch Experimente der Teilchenphysik bestätigt. Insbesondere ist die Existenz auch derjenigen Elementarteilchen des Modells nachgewiesen, die erst von der Theorie vorhergesagt wurden. Die gemessenen quantitativen Eigenschaften der Teilchen stimmen sehr gut mit den Vorhersagen des Standardmodells überein. Ein besonders deutliches Beispiel dafür ist der g-Faktor des Elektrons.

Es gibt dennoch Gründe für die Annahme, dass das Standardmodell nur ein Aspekt einer noch umfassenderen Theorie ist. Dunkle Materie und Dunkle Energie werden vom Standardmodell nicht beschrieben. Seine Aussagen führen bei hohen Energien, wie sie beim Urknall auftraten, zu Widersprüchen mit der allgemeinen Relativitätstheorie. Außerdem müssen 18 Parameter, deren Werte nicht aus der Theorie hervorgehen, anhand von experimentellen Ergebnissen festgelegt werden. Es wird dadurch recht „biegsam“ und kann sich in einem gewissen Rahmen den tatsächlich gemachten Beobachtungen anpassen. Es gibt auch zahlreiche Bemühungen, das Standardmodell zu erweitern oder abzulösen.

Das Standardmodell allein reicht in der Physik für die theoretische Beschreibung in der Praxis meist nicht aus, um die Phänomene zu beschreiben, vielmehr gibt es für jede Größenskala (in Raumzeit und Energie-Impuls, wobei diese aufgrund der Quantenmechanik gekoppelt sind) und für das gerade interessierende physikalische Umfeld eigene sog. effektive Theorien – zum Beispiel bei der Beschreibung von Sternen, Flüssigkeiten, Festkörpern, Atomen, Atomkernen – und für Übergänge zwischen Skalen die Renormierungsgruppe. In der Elementarteilchenphysik wird dieser Übergang zwischen unterschiedlichen Skalen – die auch in der im frühen Universums nach der Urknalltheorie durchlaufen werden – durch Phasenübergänge und „gleitende“ Kopplungskonstanten gekennzeichnet.

Wechselwirkungen

Im Standardmodell wird die Wechselwirkung der Materiefelder durch abstrakte (mathematische) Eichsymmetrien beschrieben, wodurch das Standardmodell auch eine Eichtheorie ist. Die Eichgruppen des SMs sind , und . Die jeweiligen Ladungen dieser Symmetrien sind die (schwache) Hyperladung, der (schwache) Isospin und die Farbladung. Die drei üblicherweise als Wechselwirkungen des SMs aufgezählten Wechselwirkungen (die elektromagnetische Wechselwirkung, die schwache Wechselwirkung und die starke Wechselwirkung) ergeben sich aus diesen Eichgruppen:

  • Der Higgs-Mechanismus führt zur elektroschwachen Symmetriebrechung. Dabei entstehen durch die Gruppen und in der Teilchendarstellung drei effektive Austauschteilchen: Das Photon, das Z-Boson und das W-Boson. Das masselose Photon ist das Austauschteilchen der elektromagnetischen Wechselwirkung, das Z- und das W-Boson sind die massiven Austauschteilchen der schwachen Wechselwirkung.
  • Die lokale Eichgruppe erzwingt die Existenz der Gluon-Felder, welche die Farbwechselwirkung zwischen den Quarks und untereinander vermitteln. Die Farbwechselwirkung ermöglicht den Austausch gebundener Quark-Antiquark-Zustände (Pionen) zwischen den Bausteinen eines Atomkerns (Nukleonen). Je nach Nomenklatur wird der Begriff starke Wechselwirkung folgendermaßen verwendet: Entweder man versteht darunter die durch Pionaustausch beschreibbare effektive Wechselwirkung zwischen den Nukleonen, oder die Farbwechselwirkung selbst wird direkt als starke Wechselwirkung bezeichnet.

Elementarteilchen

Elementarteilchen des Standardmodells
! Quarks ! Austauschteilchen
! Leptonen ! Higgs-Boson

Fermionen: Materie-Teilchen

Die Fermionen des Standardmodells und nichtelementare Teilchen, die aus ihnen aufgebaut sind, sind per Konvention die Teilchen, die als „Materie“ bezeichnet werden. Fermionen, die der Farbwechselwirkung unterliegen, werden „Quarks“ genannt; die anderen Fermionen sind „Leptonen“ (leichte Teilchen). Sowohl Leptonen als auch Quarks werden aus praktischen Gründen in drei „Generationen“ mit je einem Paar Teilchen unterteilt. Die Teilchen eines Paares unterscheiden sich in ihrem Verhalten bezüglich der -Eichgruppe und damit in ihrer elektroschwachen Wechselwirkung – besonders nennenswert ist dabei ihre unterschiedliche elektrische Ladung. Äquivalente Teilchen verschiedener Generationen haben nahezu identische Eigenschaften, der deutlichste Unterschied ist die mit der Generation zunehmende Masse.

Vektorbosonen: Wechselwirkungs-Teilchen

Die bosonischen Elementarteilchen des Standardmodells unterscheiden sich in ihrem Spin; die Vektorbosonen (Photon, W, Z, Gluon) haben die Spinquantenzahl 1, das Higgs-Boson die Spinquantenzahl 0. Die Existenz der Vektorbosonen ist mathematisch eine notwendige Folge der Eichsymmetrien des Standardmodells. Sie vermitteln die Wechselwirkungen zwischen Teilchen, können aber prinzipiell auch als eigenständige Teilchen auftreten (insbesondere das Photon, das als Elementarteilchen eine „Quantengröße“ elektromagnetischer Wellen darstellt).

Die Gluonen sind Eichbosonen und repräsentieren direkt die Freiheitsgrade der Eichgruppe der starken Kraft. Die W- und Z-Bosonen und die Photonen hingegen repräsentieren nicht direkt die Freiheitsgrade der übrigen Eichgruppe , werden aber gelegentlich trotzdem als Eichbosonen bezeichnet. Die Vektorbosonen des Standardmodells werden auch „Botenteilchen“ oder „Austauschteilchen“ genannt.

Im Sektor der Eichfeldtheorien des Standardmodells, die bis auf die U(1) Komponenten nicht-abelsche Eichfeldtheorien sind, bei denen die geladenen Eichbosonen miteinander wechselwirken und die deshalb auf nichtlineare, störungstheoretisch nur in Grenzfällen behandelbare Feldgleichungen führen, spielen topologische Feldanregungen eine Rolle. Sie spielen zum Beispiel als Sphaleron im elektroschwachen Sektor bei der Erklärung der Baryogenese eine Rolle und als Instantonen in der QCD in der Beschreibung des Bereichs, der nicht der Eigenschaft der asymptotischen Freiheit unterliegt. Letzterer tritt in Hochenergiestreuexperimenten auf, das theoretisch ungelöste und schwierig zu behandelnde Problem des Confinement in der QCD (der Tatsache, dass in der gegenwärtigen Phase des Universums nur farbneutrale freie Hadronen vorkommen) liegt aber im nichtstörungstheoretischen Bereich, der entweder mit Simulation über Gittereichtheorien behandelt wird oder analytisch auf Basis von nichtlinearen, störungstheoretisch nicht beschreibbaren Anregungen des Feldes. Deshalb spielen im Standardmodell nicht nur die Elementarteilchen selbst eine Rolle, sondern auch nichtlineare Feldanregungen.

Higgs-Boson

Das Higgs-Boson ist keine direkte Folge einer Eichsymmetrie, vermittelt daher keine Wechselwirkung im Sinne des Standardmodells und wird daher auch nicht als Austauschteilchen angesehen. Das Higgs-Boson wird jedoch „benötigt“, um die elektroschwache -Symmetrie zu brechen und so sowohl dem Z- als auch den W-Bosonen Masse zu verleihen. Am 4. Juli 2012 wurde in einem Seminar am CERN bekanntgegeben, dass durch Experimente am Large Hadron Collider ein Boson nachgewiesen wurde, das in allen bisher untersuchten Eigenschaften mit dem Higgs-Boson übereinstimmt,[2] was weitere Messungen bestätigen konnten.[3]

Physikmodelle neben dem Standardmodell

Das Standardmodell der Teilchenphysik kann nahezu alle bisher beobachteten teilchenphysikalischen Beobachtungen erklären. Allerdings ist es unvollständig, da es die gravitative Wechselwirkung gar nicht beschreibt. Außerdem gibt es auch innerhalb der Teilchenphysik einige offene Fragen, die das Standardmodell nicht lösen kann, wie z. B. das Hierarchieproblem und die Vereinigung der drei Grundkräfte. Auch die inzwischen bestätigte, von Null verschiedene Masse der Neutrinos führt über die Theorie des Standardmodells hinaus.

Es existiert eine Vielzahl alternativer Modelle, aufgrund derer das etablierte Standardmodell lediglich um weitere Ansätze erweitert wird, um einige Probleme besser beschreiben zu können, ohne sein Fundament zu verändern. Die bekanntesten Ansätze für neue Modelle sind Versuche zur Vereinigung der drei im Standardmodell vorkommenden Wechselwirkungen in einer Großen vereinheitlichten Theorie (GUT). Solche Modelle beinhalten häufig auch Supersymmetrie, eine Symmetrie zwischen Bosonen und Fermionen. Diese Theorien postulieren zu jedem Teilchen des Standardmodells Partnerteilchen mit vom Originalteilchen unterschiedlichen Spin, von denen bisher jedoch noch keines nachgewiesen werden konnte. Ein anderer Ansatz zur Erweiterung des Standardmodells ergibt Theorien der Quantengravitation. Solche Ansätze beinhalten beispielsweise die Stringtheorien, die auch GUT-Modelle enthalten, sowie die Schleifenquantengravitation.

Die konkreten Modelle von Erweiterungen des Standardmodells sollten trotz des Namens nicht mit dem Fachbegriff Standardmodellerweiterung (Standard-Model Extension, SME) verwechselt werden. Die Standardmodellerweiterung beschreibt ein allgemeines Schema zur Bewertung von etwaigen Verletzungen von Symmetrien, die für das Standardmodell grundlegend sind, wie CPT und Lorentz-Invarianz.


Fundamentale Wechselwirkungen und ihre Beschreibungen
(Theorien in frühem Stadium der Entwicklung sind grau hinterlegt.)
Starke Wechselwirkung Elektromagnetische Wechselwirkung Schwache Wechselwirkung Gravitation
klassisch Elektrostatik Magnetostatik Newtonsches Gravitationsgesetz
Elektrodynamik Allgemeine Relativitätstheorie
quanten-
theoretisch
Quanten­chromodynamik
(Standardmodell)
Quanten­elektrodynamik Fermi-Theorie Quanten­gravitation (?)
Elektroschwache Wechselwirkung
(Standardmodell)
Große vereinheitlichte Theorie (?)
Weltformel („Theorie von Allem“) (?)

Zusammenfassend gibt es noch folgende offene Fragen im Standardmodell:

  • Hat das gefundene Higgs-Boson die vorhergesagten Eigenschaften und gibt es weitere Higgs-Bosonen?
  • Warum haben die fundamentalen Wechselwirkungen so unterschiedliche Kopplungsstärken und was ist mit der Gravitation?
  • Die CP-Verletzung allein kann die beobachtete Materie-Antimaterie-Asymmetrie im Universum nicht erklären.
  • Warum gibt es gerade drei Generationen (mit je zwei Flavours) von fundamentalen Fermionen?
  • Das Standardmodell beinhaltet mindestens 18 freie Parameter, die man bisher durch Messung bestimmen muss. Lassen diese sich aus einer allgemeineren Theorie vorhersagen?
  • Woraus besteht Dunkle Materie ?

2021 verdichteten sich Hinweise auf Abweichungen vom Standardmodell in Präzisionsexperimenten sowohl am Muon g-2 Experiment des Fermilab (g-Faktor des Muons) als auch bei der Leptonenuniversalität in B-Meson-Zerfällen am LHCb-Experiment am CERN.

Literatur

  • John F. Donoghue: Dynamics of the Standard Model. Neue Auflage. Cambridge University Press, 1994, ISBN 978-0-521-47652-2.
  • Gernot Münster: Von der Quantenfeldtheorie zum Standardmodell. Neue Auflage. de Gruyter, 2019, ISBN 978-3-11-063853-0.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Brockhaus Enzyklopädie, 21. Auflage, 2006.
  2. CERN experiments observe particle consistent with long-sought Higgs boson. Abgerufen am 12. November 2016. Pressemitteilung von CERN vom 4. Juli 2012.
  3. New results indicate that particle discovered at CERN is a Higgs boson. Abgerufen am 12. November 2016. Pressemitteilung von CERN vom 14. März 2013.