Primärtherapie

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Primärtherapie (engl. primal therapy) ist die deutschsprachige Bezeichnung für eine von dem US-amerikanischen Psychologen Arthur Janov entwickelte psychotherapeutische Behandlungsmethode. Sie beruht auf der von ihm entwickelten Primärtheorie („Primal Theory“), deren Grundlagen er in seinem Erstlingswerk „Der Urschrei“ (amerik. Originalausgabe „The Primal Scream: Primal Therapy, The Cure For Neurosis“), bzw. einer überarbeiteten Version mit dem Titel „Der neue Urschrei: Fortschritte in der Primärtherapie“ (amerik. Originalausgabe „The New Primal Scream: Primal Therapy Twenty Years On“) beschrieben hat. Die Primärtherapie basiert auf der Annahme, dass frühkindliche schmerzhafte und katastrophale (traumatische) psychobiologische Erfahrungen und Erlebnisse die gesamte Entwicklung und das spätere Leben von Menschen nachhaltig negativ beeinflussen können und dass durch Wiedererleben dieser Erfahrungen und Erlebnisse ihre negativen Auswirkungen gemildert und verringert werden können. Sie ist wissenschaftlich nicht anerkannt.

Urschmerz

Janov nennt diese frühkindlichen Schmerzerfahrungen „Primal Pain“ (dtsch. „Urschmerz“). Laut seiner Theorie stören solche Schmerzerfahrungen (siehe auch Reizüberflutung) in der frühen Kindheit massiv die natürliche Entwicklung von wachsenden und sich entwickelnden menschlichen Gehirnen.

Mit seinem primärtheoretischen Modell stellt Janov für individuelle psychische und physische Gesundheitsstörungen sowie soziale Schwierigkeiten von Menschen eine alternative Sichtweise sogenannter Krankheiten dar und entwickelt darin unter anderem eine neue Definition von Neurosen.

Seiner Ansicht nach sind beispielsweise der Missbrauch von Alkohol und anderen Drogen sowie sonstige zwanghafte Verhaltensweisen von Menschen („Exhibitionismus“, „Fressanfälle“, „Internetabhängigkeit“, „Kaufrausch“ und so weiter) Resultat eines natürlichen Prozesses, der den Betroffenen dazu dient, Erinnerungen an schmerzhafte, traumatische Erfahrungen und Erlebnisse aus ihrer bewussten Wahrnehmung zu verdrängen.

In seinen Büchern behauptet Janov, dass durch die von ihm entwickelte Primärtherapie bei Patienten weitreichende psychologische und physiologische Veränderungen wie zum Beispiel die Heilung von Neurosen und Psychosen, Minderung epileptischer Anfälle sowie Senkung oder Steigerung des Blutdrucks möglich sind.

Therapie

Primärtherapeuten versuchen, den Urschmerz und die vermuteten Traumatisierungen ins Bewusstsein zu bringen. Ähnlich wie in der klassischen Psychoanalyse sollen dabei psychische Abwehrmechanismen zu überwinden sein. Zu Anfang wurden Methoden wie Isolation, Tabak- und Drogenverbot und Atemkontrolle benutzt, heute auch sanftere Interventionen und Behandlungen mit Medikamenten. Im Verlauf einer Primärtherapie wird versucht, Patienten in rückwärts gerichteter chronologischer Reihenfolge verdrängte traumatische Erlebnisse wieder bewusst zu machen. Während eines so genannten Urerlebnisses durchlebt der Patient vor allem auf körperlicher Ebene sein Trauma. Das körperliche Wiedererleben führt zu verschiedenen Effekten. Zum einen werden frühe Erinnerungen unabhängig vom körperlichen Erleben wieder wachgerufen. Zum anderen soll es dem Patienten so möglich werden, „Verbindungen“ zu Tics, Süchten, und psychosomatischen Erkrankungen zu erkennen.

Die Ausbildung zum Primärtherapeuten ist nicht staatlich geregelt, die Bezeichnung Primärtherapeut ist nicht geschützt. Das von Janov in Los Angeles gegründete Therapiezentrum bildet Therapeuten aus und zertifiziert sie. Die Basisbehandlung, die vier Wochen in Anspruch nimmt, kostet in den USA etwa 12.000 US-Dollar (Stand: 2000); die Gesamtdauer einer Primärtherapie beträgt zwei bis vier Jahre. In Deutschland haben sich einige Anwender in der Gesellschaft für integrative Primärtherapie e. V. zusammengeschlossen. Als Krankenbehandlung darf sie nur von zugelassenen Ärzten, Heilpraktikern und Psychotherapeuten angewendet werden.

Janov stellte mit zunehmender Erfahrung in der Primärtherapie und seiner Theorie fest, dass es bei Patienten zu massiven Reizüberflutungen kommen kann, die zur Verstärkung von Blockaden führen können. Auch wenn dies meist dann geschah, wenn Patienten sich nicht an die Vorgaben der Therapie hielten (z. B. durch Drogenmissbrauch während der Therapie und in der Folge Suizidversuche oder psychotische Schübe), wandelte Janov seine Therapie dahingehend ab, dass psychische Blockaden heute nicht mehr radikal in einer Intensivphase, sondern in langsamen Schritten aufgelöst werden.

Nach anfänglich breiter Popularität verlor die Primärtherapie wieder an Bedeutung. Universitäre Ausbildungsgänge und Lehrstühle gibt es nicht. Die Urschreitherapie[1] nach Janov hat keine wissenschaftliche Anerkennung gefunden und die Kosten der Therapie werden daher nicht von den gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland übernommen.

Siehe auch

Literatur

  • T. S. Alexander: Facing the Wolf: Inside the Process of Deep Feeling Therapy. New American Library Verlag, April 1997. ISBN 0-452-27521-0. (engl.)
  • Ben-Alexander Bohnke, Werner Gross: Der heilende Schmerz. Herder Verlag, Freiburg 1988. ISBN 3-451-08523-2.
  • Hansjörg Hemminger: Flucht in die Innenwelt. Primärtherapie als Meditation der Kindheit. Ullstein Verlag GmbH, 1983. ISBN 3-550-07683-5.
  • H. Munk: Arthur Janov. In: Personenlexikon der Psychotherapie. G. Stumm et al. (Hrsg.). Springer Verlag, Wien/New York 2005. ISBN 3-211-83818-X.
  • H. Munk: Primärtherapie. In: Wörterbuch der Psychotherapie. G. Stumm und A. Pritz (Hrsg.). Springer Verlag, Wien/New York, 2000. ISBN 3-211-83248-3.
  • Wolfgang Erlend Rosenberg: Theoretische Grundlagen einer Weiterentwicklung der Primärtherapie nach Arthur Janov. Dissertation, TU München 1987.
  • Thomas Videgard: The Success and Failure of Primal Therapy. Almqvist & Wiksell Internat. 1985. ISBN 91-22-00698-2.
  • Beatrix Vogel. Fühlen ist eine Wissensform. Die Primärtherapie Arthur Janovs als Schlüssel für ein neues wissenschaftliches Grundlagenparadigma. Verlag Karl Alber (Verlag Herder GmbH), Freiburg/München 2016. ISBN 978-3-495-48821-8.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. "Primärtherapie besteht nicht einfach darin, Leute schreien zu lassen. Das war der Titel eines Buches. Es war niemals eine »Urschrei-Therapie«. Wer das Buch gelesen hat, weiß, daß Schreien das ist, was manche Leute tun, wenn sie leiden. Andere schluchzen oder weinen einfach. Es war der Schmerz, hinter dem wir her waren, keine mechanischen Übungen wie das Schlagen gegen Wände und das Brüllen von »Mama«." Arthur Janov in Der neue Urschrei. Fortschritte in der Primärtherapie. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1993. ISBN 3-596-11554-X. S. 387.