Scheingenauigkeit

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Pseudogenauigkeit)

Unter Scheingenauigkeit oder Pseudogenauigkeit versteht man in Statistik und Naturwissenschaften die Erfassung oder Darstellung von Daten oder Ergebnissen mit einer Auflösung, die die zugrundeliegenden Messungen oder Daten gar nicht hergeben.

Ursachen und Konsequenzen

Mit Scheingenauigkeit erfasster Ölverbrauch pro Tag nach Erdteilen

Ursachen für Scheingenauigkeit können sein:

  • Die signifikanten Stellen werden nicht richtig berücksichtigt; am häufigsten geschieht das, wenn zwei Messwerte miteinander verrechnet werden, die unterschiedliche Genauigkeiten aufweisen. Hierbei muss zur Ergebnisbestimmung so gerundet werden, dass die Genauigkeit des weniger genauen Wertes zum Tragen kommt, ansonsten suggeriert das Ergebnis eine Genauigkeit, die es nicht haben kann.
    Beispiel: wenn die zwei Messwerte 24,76 cm und 34,1234 cm miteinander verrechnet werden, z. B. durch Addition, so darf das Endergebnis nicht 58,8834 cm lauten, sondern lediglich 58,88 cm. Der Grund hierfür ist, dass es grundsätzlich immer Messungenauigkeiten gibt, und wenn nichts anderes angegeben wird, gilt die letzte Stelle als gerundet, Demnach bei 24,76 ist eine Genauigkeit von ±0,05 anzunehmen. Ein Endergebnis von 58,8834 würde aber eine Genauigkeit von ±0,0005 implizieren. Wenn die Genauigkeit wirklich so gut ist, schreibt man entsprechend viele Stellen, z. B. 24,7600.
    siehe auch: Schreibweise von Zahlen#Gerundete Zahlen
  • Auf dem Computer berechnete Ergebnisse werden manchmal in Publikationen übernommen, ohne dass Angaben zur Genauigkeit gemacht werden.
    Beispiel: Wenn für einen Fußball ein Durchmesser von 22 cm angegeben ist, erhält man den Umfang durch Multiplikation mit der Kreiszahl π, die auf viele (derzeit 62 Billionen) Dezimalstellen genau bekannt ist. Es wäre aber unsinnig, das Ergebnis mit vielen Stellen anzugeben.
  • Die Scheingenauigkeit wird von Messungen benutzt, um bewusst Daten und Statistiken zu manipulieren. Denn in der Regel hält man Statistiken für umso genauer und glaubwürdiger, je mehr Stellen sie uns präsentieren.

Die Weiterverarbeitung dieser Daten führt zu Problemen, da viele statistische Verfahren nicht auf den Originaldaten basieren, sondern auf Rangfolgen derselben. Aufgrund der Scheingenauigkeit der Daten kann jetzt jedem Datum ein eindeutiger Rang zugeordnet werden, wo früher der Mittelwert der Ränge mehrerer Daten als Rang zugeordnet wurde. Dies kann zu Verfälschungen in den verwendeten statistischen Verfahren führen.

Beispiele

Robert Edwin Peary

Im Tagebuch des Polarforschers Peary war notiert, dass er am 6. April 1909 die Position 89°57'11" nördlicher Breite erreicht hat. Damit war er nur noch knapp 5 km vom Nordpol entfernt und hat ihn faktisch erreicht.

Die Positionsangabe impliziert, dass Peary seine Position auf eine Bogensekunde genau bestimmen konnte. Das entspricht einer Genauigkeit von ca. 30 m. Doch selbst mit dem satellitengestützten Global Positioning System wurde im Jahr 2000 nur eine Genauigkeit von 15 m erreicht. Wie konnte Peary also mit seinen Instrumenten eine solche Genauigkeit erreichen?

Antwort: Er konnte seine Position gar nicht so genau angeben. Man geht heute davon aus, dass die Genauigkeit seiner Instrumente bei ca. 15' lag, d. h., er konnte seine Position nur auf ca. 30 km genau bestimmen. In Verbindung mit anderen Ungereimtheiten in seinen Angaben ergeben sich erhebliche Zweifel daran, ob Peary wirklich dem Nordpol nahe war.

Todesfallstatistik

Todesursachengruppen in Deutschland im Jahr 2012 aus dem Deutschen Krebsatlas

Laut Statistischem Bundesamt waren im Jahr 2012 340.217 der insgesamt 869.582 Todesfälle auf Krankheiten des Kreislaufsystems zurückzuführen.[1] Aufgrund der Ungenauigkeit der Todesursachenstatistik, z. B. auf Grund nur geringer Autopsiezahlen, halten Kritiker bestenfalls die erste oder die ersten beiden Ziffern für realistisch.

Blutdruckmessung

Automatische Blutdruckmessgeräte geben den ermittelten Messwert in der Regel auf 1 mmHg genau an. Bei der Lagerung des Patienten oder Bewegungen während des Messvorgangs können allerdings leicht Abweichungen von mehreren mmHg entstehen. Diese Auflösung ist diagnostisch allerdings nicht bedeutsam und würde die Lesbarkeit auf den ersten Blick erschweren, daher wird in der klinischen Praxis der Messwert für die Notation in der Pflegedokumentation auf die nächste Zehnerstelle gerundet.

Weblinks

  • Scheingenauigkeit. Bissantz & Company GmbH, 13. April 2007, abgerufen am 29. August 2021.

Literatur

  • Markus Neuhäuser, Graeme D. Ruxton: Round your numbers in rank tests: exact and asymptotic inference and ties. In: Behavioral Ecology and Sociobiology. Band 64, Nr. 2. Springer, Berlin / Heidelberg 2009, S. 297–303, doi:10.1007/s00265-009-0843-1.
  • Walter E. Krämer: So lügt man mit Statistik. 12. Auflage. Piper, 2000, ISBN 3-492-23038-5.

Einzelnachweise

  1. Deutsches Krebsforschungszentrum: Krebsatlas. (PDF) Abgerufen am 26. November 2016.