Urdbrunnen

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Urdbrunnen, auch Urdsbrunnen[1] (altnordisch urðarbrunnr „Quelle der Urd“ oder „Schicksalsquelle“), bezeichnet in der nordischen Mythologie eine Quelle. Der Name wird in der Skaldik ab dem 10. Jahrhundert, sowie in der eddischen Literatur verwendet. Nähere Aussagen zum Urdbrunnen finden sich jedoch nur in den Eddatexten, insbesondere in der Prosa-Edda von Snorri Sturluson.[2]

Die Quelle entspringt danach unter den Wurzeln des Weltenbaums Yggdrasil. Von ihr stammen die drei Nornen, die als ihre Hüterinnen gelten, insbesondere Urd.[3][4] Die drei werfen jeden Tag den feuchten Quellsand über die Weltesche, um sie zu schützen. Das Wasser ist so heilig, dass alles, was damit in Berührung kommt, weiß wird. In der Quelle schwimmen zwei Vögel namens „Schwäne“, von denen alle Tiere dieses Namens abstammen.[5] An der Quelle befindet sich die Gerichtsstätte der Götter und der Sitz des Thuls,[6] das ist ein Dichter oder Redner, vielleicht hier als Bezeichnung für Odin.[7] In der eddischen Literatur werden noch zwei weitere Quellen genannt, die nach Snorri Sturluson ebenso an Yggdrasils Wurzeln liegen, nämlich Hvergelmir und Mimirs Brunnen.[8]

In der Forschung wird überwiegend die Ansicht vertreten, dass urðarbrunnr ursprünglich nicht „Quelle der Urd“ bedeutete, sondern für „Schicksalsquelle“ stand, so dass der Name erst in hochmittelalterlicher Zeit auf die Norne Urd überging.[9] Als Schicksalquelle weist sie jedoch lediglich der Umstand aus, dass die drei Nornen die Schicksalsfrauen sind und Urds Name wörtlich „Schicksal“ bedeutet.[2]

Es ist davon auszugehen, dass die drei Quellen am Fuße Yggdrasils lediglich unterschiedliche Ausprägungen derselben mythischen Quelle am Weltenbaum sind, die vielfach in eurasischen Mythologien bezeugt ist.[10]

Literatur

  • Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie (= Kröners Taschenausgabe. Band 368). 3., völlig überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2006, ISBN 3-520-36803-X.
  • Jan de Vries: Altgermanische Religionsgeschichte. 2 Bände (1956–57). 2., überarbeitete Auflage. Verlag Walter de Gruyter, Berlin.

Einzelnachweise

  1. Vergleiche Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie (= Kröners Taschenausgabe. Band 368). 3., völlig überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2006, ISBN 3-520-36803-X, S. 452, der nicht wie herkömmlich Urdbrunnen, sondern grammatikalisch wohl korrekter mit Genitiv-Fugen-s Urdsbrunnen schreibt.
  2. a b Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie (= Kröners Taschenausgabe. Band 368). 3., völlig überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2006, ISBN 3-520-36803-X, S. 452.
  3. Lieder-Edda: Völuspá. Strophe 19 (Zitation der Lieder-Edda nach Arnulf Krause: Die Götter- und Heldenlieder der Älteren Edda. Philipp Reclam jun. Verlag, Stuttgart 2004, ISBN 3-15-050047-8)
  4. Snorri Sturluson: Prosa-Edda, Gylfaginning. Kapitel 15 (Zitation der Prosa-Edda nach Arnulf Krause: Die Edda des Snorri Sturluson. Philipp Reclam jun. Verlag, Stuttgart 1997, ISBN 3-15-000782-8)
  5. Snorri Sturluson: Prosa-Edda, Gylfaginning. Kapitel 16
  6. Lieder-Edda: Hávamál. Strophe 111 (im Nominativ: Thulr)
  7. Jan de Vries: Altgermanische Religionsgeschichte. 2. Auflage. 1957, § 585
  8. Snorri Sturluson: Prosa-Edda. Gylfaginning. Kapitel 15
  9. Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie (= Kröners Taschenausgabe. Band 368). 3., völlig überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2006, ISBN 3-520-36803-X, S. 307; Bernhard Maier: Die Religion der Germanen – Götter, Mythen, Weltbild. Verlag C. H. Beck, München 2003, S. 62; Gerd Wolfgang Weber: Wyrd – Studien zum Schicksalsbegriff der altenglischen und altnordischen Natur. Verlag Gehlen, Bad Homburg / Berlin / Zürich 1969, S. 151 f.
  10. René L. M. Derolez: Götter und Mythen der Germanen. Verlag Suchier & Englisch, Wiesbaden 1974 (übersetzt von Julie von Wattenwyl, Titel der Originalausgabe: De Godsdienst der Germanen. Verlag J. J. Romen & Zonen, Roermond 1959), S. 271; Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie (= Kröners Taschenausgabe. Band 368). 3., völlig überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2006, ISBN 3-520-36803-X, S. 211; vergleiche auch Jan de Vries: Altgermanische Religionsgeschichte. 2. Auflage. 1957, § 585; kritisch: Francois Xaver Dillmann: Mimir. In: Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer (Hrsg.): Reallexikon der germanischen Altertumskunde. Band 20. Verlag Walter de Gruyter, Berlin / New York 2001, ISBN 3-11-017163-5, S. 40 f.