Táin Bó Cuailnge

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Die Táin Bó Cúailnge (irisch [t̪ˠaːnʲ boː ˈkuəlʲɲə], Rinderraub von Cooley, oft kurz Táin genannt) ist die zentrale Sage des Ulster-Zyklus, eines der vier großen Zyklen der mittelalterlichen irischen Literatur, als deren wichtigste Erzählung die Táin gilt. Niedergeschrieben wurde das Heldenepos auf Alt- und Mittelirisch. Es ist größtenteils in Prosa gehalten, enthält aber auch einige Versszenen.

Die Táin schildert den Krieg zwischen den irischen Ländern Connacht und Ulster. Dabei wollen die Connachter den namensgebenden Braunen Bullen von Cooley (Donn Cuailnge) stehlen, wobei ihnen der jugendliche Held Cú Chulainn entgegentritt.

Der Text

Heute sind noch vier unterschiedliche Textfassungen der Táin Bó Cúailnge erhalten, am bedeutendsten sind die beiden älteren. Die erste ist in zwei Teilen überliefert: Der eine ist ein unvollständiger Text in der Lebor na hUidre („Buch der Dunkelfarbigen Kuh“), einem Manuskript aus dem späten 11. oder frühen 12. Jahrhundert, das im Kloster von Clonmacnoise zusammengestellt wurde. Der andere Teil ist ein ebenfalls unvollständiger Text in einem Manuskript aus dem 14. Jahrhundert, dem Leabhar Buidhe Lecain („Gelbes Buch von Lecan“). Diese zwei Quellen überschneiden sich, ein vollständiger Text kann durch Kombination der beiden Teile rekonstruiert werden. Der Text selbst ist eine Sammlung von zwei oder mehr früheren Versionen, was durch die Zahl der duplizierten Versionen und Referenzen zu anderen Versionen deutlich wird. Viele der Episoden sind gut, geschrieben in der für die altirische Literatur charakteristischen knappen Prosa, das Ganze bleibt jedoch eher zusammenhanglos. Teile dieser Textfassung, vor allem die Verse, können mit Hilfe linguistischer Beweisführung auf das 8. Jahrhundert datiert werden, außerdem wird angenommen, dass die Táin schon vor der Niederschrift eine ansehnliche mündliche Tradition hatte.

Die zweite Textfassung wurde im Lebor Laignech („Buch von Leinster“) gefunden, das aus dem 12. Jahrhundert stammt. Es scheint eine synkretistische Übung eines Autors gewesen zu sein, der die Lebor na hUidre und unbekannte Quellen, die auch für das Gelbe Buch von Lecan benutzt worden waren, zusammenfügte, um eine stimmige Version der Sage zu schaffen. Während das Resultat inhaltlich ein zufriedenstellendes erzählerisches Ganzes ist, wurde die Sprache zu einem sehr viel farbenfroheren Stil modernisiert, wobei die Magerkeit des Ausdrucks der früheren Textfassung verloren ging. Diese Fassung endet mit einem Schlusswort auf Latein:

„Aber ich, der diese Geschichte aufgeschrieben hat, oder besser diese Legende, gebe gewisse Dinge in dieser Geschichte oder Legende zu bedenken. Denn einige Dinge in ihr sind das Blendwerk der Dämonen; einige sind poetische Erfindungen; einige erscheinen wahr, einige nicht; und einige sind erfunden, um die Dummen zu erfreuen.“[1][2]

Eine weitere, unvollständige Fassung (Stowe-Fassung), ist nur in Fragmenten aus späteren Manuskripten erhalten.

Inhalt

Die Táin erzählt die Geschichte eines Krieges zwischen den irischen Ländern Connacht und Ulster. Hauptcharaktere der Sage sind auf Connachter Seite das Königspaar Ailill mac Máta und Medb sowie der Held Fergus mac Róich, der aus Ulster stammt, aber in Connacht im Exil lebt, und auf Seiten Ulsters der 17-jährige Held Cú Chulainn. Cú Chulainn ist der Ziehsohn von Fergus und ihm daher tief verbunden. Am Anfang der eigentlichen Sage steht die Mobilisierung der Truppen von Connacht in der Hauptstadt Cruachan auf Befehl Königin Medbs. Sie beginnt – unterstützt durch die verbündeten Länder Mide, Leinster und Munster – einen Angriffskrieg gegen Ulster, obwohl Fedelm davon abrät. Ziel ist, Donn Cuailnge, einen legendären Bullen, in ihren Besitz zu bringen. Auf Ulster liegt der Fluch, dass seine Krieger in Zeiten äußerster Gefahr für das Land von einer Krankheit kampfunfähig gemacht werden (siehe Noínden Ulad, „Die Schwäche der Ulter“). Nur Cú Chulainn ist von diesem Fluch nicht betroffen, und so verteidigt er Ulster zunächst allein.

In der ersten Fassung der Táin wird der Sinn von Connachts Angriff als selbstverständlich vorausgesetzt und nicht weiter erläutert. Die zweite Fassung enthält jedoch noch einen zusätzlichen Prolog, in dem Ailill und Medb den Wert ihrer jeweiligen Besitztümer vergleichen und herausfinden, dass die einzige Sache, in der sie sich unterscheiden, Ailills Besitz des übernatürlich fruchtbaren Bullen Findbennach ist. Dieser wurde als Teil von Medbs Herde geboren, wollte jedoch nicht von einer Frau besessen werden und entschied, dass er von nun an Ailill gehöre. Um mit ihrem Ehemann gleichzuziehen, will Medb den gleich starken Stier Donn Cuailgne haben – dieser befindet sich jedoch im Besitz von Ulster. Nach einem erfolglosen Versuch durch ihren Boten Mac Roth, den Stier auszuleihen, beginnt der Krieg.

Während des Feldzuges haben Fergus und Medb ein Verhältnis, das Ailill aus strategischen Gründen toleriert. Auch bietet die Königin jedem Helfer im Kampfe ihre Tochter Findabair als Preis an. Zu Beginn des Angriffs ist Cú Chulainn, der große Held von Ulster, auf einer Verabredung, obwohl er eigentlich die Grenze bewachen sollte. So kann Medb den Bullen erobern, Cú Chulainn schafft es aber, sie daran zu hindern, ihn mit zurück nach Connacht zu nehmen, indem er das Recht auf Einzelkämpfe an Furten beschwört. So besiegt er einzeln die Connachter Helden, die Kämpfe dauern monatelang an (siehe auch Keltischer Kopfkult). Als ihm schließlich Fergus, sein Ziehvater, gegenübergestellt wird, ergibt Cú Chulainn sich unter der Bedingung, dass sich bei ihrem nächsten Zusammentreffen Fergus ergeben möge. Schließlich findet ein aufreibender, drei Tage lang andauernder Kampf zwischen Cú Chulainn und seinem Ziehbruder und besten Freund Fer Diad statt, bei dem Cú Chulainn dank seines Speeres Gae Bolga schließlich siegt.

Am Ende erholen sich die Krieger von Ulster von dem Fluch, zuerst einzeln, schließlich alle, und der finale Kampf entbrennt. Er endet, als Fergus sein Versprechen einlöst und mit seiner Armee das Schlachtfeld verlässt. Auch Connachts Verbündete fliehen, und Medb ist zur Aufgabe gezwungen. Trotzdem schafft sie es, Donn Cuailgne zurück nach Connacht zu bringen, wo er gegen Findbennach kämpft und ihn schließlich tötet. Nach dem Kampf zieht der mächtige Bulle durch Irland, wobei er einer Reihe von Orten ihren Namen gibt, schließlich stirbt er vor Erschöpfung.

Die Táin hat einige Vorgängersagen, wie die Táin Bó Flidhais („Das Wegtreiben von Flidais' Rindern“), die weitere Hintergründe zu den Hauptcharakteren enthalten. Diese erklären die Anwesenheit führender Ulster-Leute im Lager der Connachter, den Fluch, der auf den Verteidigern Ulsters liegt, sowie den magischen Ursprung der Stiere Donn Cuailgne und Findbennach.

Hintergrund

Die Welt der Táin ist eine Art vorchristliches Heldenzeitalter, in dem alte keltische Traditionen eine große Rolle spielen. In Irland war Viehbesitz bis in die frühe Neuzeit hinein oft weitaus bedeutender als Landbesitz, der Viehraub (táin [taːnʴ]) blieb bis ins 16. Jahrhundert hinein die normale Kriegsform. Auch die politische Feindschaft zwischen Ulster und den anderen irischen Provinzen ist historisch.

Die Táin enthält viele in der altirischen Literatur und speziell im Ulster-Zyklus oft auftauchende Motive. Das für die altirische Literatur typische Ideal des Gleichgewichts aus ungestümem Heldentum auf der einen und vorsichtiger Klugheit auf der anderen Seite wird in der Táin durch das Königspaar Ailill (Vorsicht) und Medb (Heldentum) verkörpert. Auch die Dreiecksbeziehung – hier zwischen Medb, Fergus und Ailill – ist in einigen anderen irischen Texten wie der Longas mac nUislenn („Die Verbannung der Söhne Uislius“) anzutreffen.

Auch in der Benutzung von sogenannten dindsenchas steht die Táin innerhalb der altirischen Literatur nicht alleine da. Unter dinnshenchas ist hier die Gewohnheit zu verstehen, Orte nach Ereignissen der Sage zu benennen, so dass der Name später Einblick in die Ortsgeschichte geben kann. Dies fungiert auch als Hilfe für den Leser, der sich über den Namen die vorangegangenen Ereignisse ins Gedächtnis rufen kann. Der Schluss der Sage, in der der Braune Stier durch Irland zieht und durch seine Taten Ortsnamen entstehen, ist in diesem Zusammenhang zu sehen.

Moderne Rezeption

Übersetzungen und Editionen

Die am einfachsten zugängliche Übersetzungsvariante ist die des Dichters Thomas Kinsella (The Tain; deutsch: Der Rinderraub, übers. von Susanne Scharp) aus dem Jahr 1969, die hauptsächlich auf der ersten Textfassung beruht. Auch Cecile O'Rahilly hat mehrere akademische Editionen und Übersetzungen beider Textfassungen veröffentlicht (Táin Bó Cúailgne from the Book of Leinster, 1967; Táin Bó Cúailnge Recension 1, 1976). Winifred Faradays The Cattle-Raid of Cualnge (1904) übersetzt die erste Textfassung, Joseph Dunns The Ancient Irish Epic Tale Táin Bó Cúailnge (1914) die zweite, mit einigen ergänzenden Passagen aus der ersten Textfassung und der Stowe-Variante.

Populärkultur

Die irische Folkband Horslips nannte eines ihrer Konzeptalben The Táin (1973). Auch eine Single der Indie-Band The Decemberists aus dem Jahr 2004 heißt The Táin. Terry Rileys Chanting the Light of Foresight ist eine programmatische Darstellung der Sage. Ebenso gibt es eine irische Tanzmusikgruppe (Céilíband) namens "Táin Céilí Band"

Siehe auch

Literatur

  • Doris Edel: Keltische Literatur. In: Stefan Zimmer (Hrsg.): Die Kelten. Mythos und Wirklichkeit. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2004, ISBN 3-8062-1908-7, S. 122–160.
  • J. P. Mallory (Hrsg.): Aspects of the Táin. December Publications, Belfast 1992, ISBN 0-9517068-2-9.
  • J. P. Mallory, Gerard Stockman (Hrsg.): Ulidia. December Publications, Belfast 1994, ISBN 0-9517068-6-1.
  • Hildegard L. C. Tristram (Hrsg.): Studien zur Táin bó Cuailnge (= ScriptOralia. Band 52). Narr, Tübingen 1993, ISBN 3-8233-4267-3.

Weblinks

Textfassungen im Internet

Online-Übersetzungen

Anmerkungen

  1. Lateinischer Originaltext: „Sed ego qui scripsi hanc historiam aut uerius fabulam, quibusdam fidem in hac historia aut fabula non accommodo. Quaedam enim ibi sunt praestrigia demonum, quaedam autem figmenta poetica, quaedam similia uéro, quaedam non, quaedam ad delectationem stultorum.“ (Zitiert nach Joseph Dunns Online-Edition ([1])). Dunn übersetzt die Passage auf Englisch: „I, however, who have copied this history, or more truly legend, give no credence to various incidents narrated in this history or legend. For, some things herein are the feats of jugglery of demons, sundry others poetic figments, a few are probable, others improbable, and even more invented for the delectation of fools.“
  2. Barry Cunliffe: Die Kelten und ihre Geschichte. 7. Auflage, Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 2000, S. 178.