Russki Mir
Russki Mir (dt. Russische Welt) ist eine Ideologie der kulturellen Totalität des Russischen. Das Konzept ist von zentraler Bedeutung für die gegenwärtige Außenpolitik Russlands. Von Wladimir Putin wurde der Begriff ab 2001 öffentlich verwendet und bildet heute einen Baustein des Putinismus. Hieraus leitet er ideologische, politische, identitäre und geopolitische Standpunkte ab, die explizit auch Russen in der Diaspora, vor allem dem Nahen Ausland, aber auch deren Nachkommen sowie ganz allgemein Russischsprecher einschließen. Die Russische Welt ist hiernach die russische Einflusssphäre und umfasst alle Gebiete, in denen das Russische präsent ist.[1]
Verwendung in der Außenpolitik
Die Idee der Russki Mir unterscheidet sich vom rein geopolitischen Konzept des Neo-Eurasismus von Alexander Dugin. Russki Mir propagiert die Einheit alles Russischen, inklusive Belorusslands und der Ukraine, sowie anderer Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Ukrainern und Belorussen wird eine Eigenständigkeit gegenüber der Kultur Russlands abgesprochen. Bereits im Zusammenhang mit dem Kaukasuskrieg 2008 fand der Begriff wiederholt Verwendung. Spätestens seit dem Krieg im Donbas und der Annexion der Krim im Jahr 2014 setzte der russische Präsident das Konzept gezielt ein, um seine aggressive Außenpolitik gegenüber dem ukrainischen Brudervolk zu rechtfertigen.[2] In der Präambel der Verfassung der Volksrepublik Donezk taucht der Begriff Russki Mir allein viermal auf.[3] Die russische Regierung bezeichnete die Ukraine als „künstlichen Staat“ und integralen Bestandteil der Russischen Welt.[4]
Begriffsgeschichte
Seine ursprüngliche Bedeutung hatte der Begriff Russische Welt im Sinne eines Zivilisationsraumes (vgl. Griechische Welt, Römische Welt). Erstmals findet er sich im 11. Jahrhundert in einem Brief von Großfürst Isjaslaw I. an Papst Clemens II. Der russische Politiker und Literaturwissenschaftler Sergei Uwarow verwendete den Ausdruck im 19. Jahrhundert. Ähnliche Begriffe sind der Russische Geist (Alexei Chomjakow), die Russische Idee (Wladimir Solowjow und Nikolai Berdjajew) und die Russische Seele.[5]
Im Dezember 1997 veröffentlichten Georgi Schchedrowitski und Efim Ostrovsky ein „Manifest für eine neue Generation“, das sich mit „Russlands Welt“ befasste. Sie definierten darin Russland nicht als Herkunftsort, sondern als Schicksal. Zwei Jahre später führten die Autoren in einem weiteren Artikel („Ein Adler spreizt seine Flügel“) aus, dass das Land nach dem Untergang der Sowjetunion eine Marke brauche. Die russische Diaspora habe ein globalisiertes Russland erschaffen. Die Russische Welt sei Teil einer friedlichen Welt, mit der Russland im Austausch stehe. Schchedrowitski selbst schrieb den Begriff Russki Mir später Sergei Tschernischew and Gleb Pawlovski vom Russia Institute zu. Zu dieser Zeit deckte der Begriff noch drei Themen ab: die russische Politik innerhalb der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, die russische Haltung gegenüber der Diaspora und die Marke Russland.
In den frühen 1990er-Jahren entstand der Kongress Russischer Kommunen (KRK), ein Zusammenschluss zahlreicher politischer Köpfe verschiedener Strömungen, der sich für die Rechte russischer Gemeinschaften außerhalb der neuen russischen Grenzen einsetzte. Der KRK strebte nach Möglichkeit auch die Verschiebung der russischen Grenzen an, um Belarus, Transnistrien und zumindest Teile der Ukraine sowie Nord-Kasachstans zu integrieren. Der KRK strebte außerdem die Wiederherstellung des „historischen Territoriums“ und die „Wiedergeburt des mächtigen Vaterlandes“ an. Während diese Bestrebungen von Boris Jelzin noch abgelehnt wurden, änderte sich die Politik unter Putin. Er wandte sich aktiv an Emigranten, um sie an die Heimat zu binden. Ein Landsmann zu sein, so Putin, sei ein Akt spiritueller Selbstidentifikation. Je mehr Menschen und Staaten der russischen Einflusssphäre zugerechnet werden konnten, desto größer würde der Einfluss der russischen Welt.[6] Im Jahr 2001 verwendete Wladimir Putin den Begriff erstmals beim „Weltkongress der im Ausland lebenden Landsleute“.[5]
Im Jahr 2006 forderte Putin gegenüber russischen Kulturschaffenden, den Ausdruck so oft wie möglich zu verwenden. Mit der Gründung der Stiftung Russki Mir im Jahr 2007 wurde der Begriff schließlich gesellschaftlich verankert.[7] Der Vorsitzende der Stiftung, Wjatscheslaw Nikonow sagte in einem Interview, es gehe um das Überleben der russischen Nation.[8] Die Russisch-Orthodoxe Kirche spielt eine zentrale Rolle bei der Verbreitung des Konzeptes, auch wenn Patriarch Kyrill I. das Konzept des Heiligen Rus vorzieht.[9] Immer wieder werden eigene „geistig-moralische Werte“ beschworen, die sich angeblich grundlegend von den Idealen eines als feindlich wahrgenommenen Westens unterscheiden. Inhaltlich ist die Ideologie der Russki Mir heute aber weitgehend unbestimmt.[10][11] Thomas Bremer, Professor für Ostkirchenkunde an der Universität Münster, bezeichnete das Konzept als eine „diffuse mentale Landkarte“.[12]
Weblinks
- Butscha und Dostojewski, oder: Kann die russische Kultur töten? NZZ, 6. Juli 2022.
Einzelnachweise
- ↑ Wilfired Hilge: Zusammenfassung einer Expertenrunde Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, 3. Mai 2016.
- ↑ Wladimir Putin: ”On the Historical Unity of Russians and Ukrainians“
- ↑ Zabirko, Oleksandr (2015): „Russkij Mir“: Literatrische Genealogie eines folgenreichen Konzepts, in: Russland-Analysen Nr. 289.
- ↑ Ishaan Tharoor: Analysis: How Russia’s invasion strengthened Ukrainian identity Washington Post, 14. August 2022.
- ↑ Hochspringen nach: a b Marlene Laruelle: The “Russian World” Center of Global Interests, Mai 2015.
- ↑ Русский мир и транснациональное русское archipelag.ru, 2000.
- ↑ Ulrich Schmid: Russki Mir, Dekoder, 20. Mai 2016.
- ↑ Влиять по-русски itogi.ru, abgerufen im Internet Archive am 28. August 2022.
- ↑ Orthodoxie-Expertin: Russische Kirche hat Mitschuld an Ukrainekrieg kath.ch, 3. März 2022.
- ↑ Eltchaninoff, Michel (2016): In Putins Kopf: Die Philosophie eines lupenreinen Demokraten, Stuttgart, S. 7.
- ↑ The 12th Assembly of the Russian World mospart.ru, 3. November 2018.
- ↑ Thomas Bremer: »Diffuses Konzept. Die Russische Orthodoxe Kirche und die ›Russische Welt‹«, in: Osteuropa, 66 (2016) 3, S. 3–18 (4).