Microviridae

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Microviridae
Systematik
Klassifikation: Viren
Realm: Monodnaviria[1][2]
Reich: Sangervirae[1]
Phylum: Phixviricota[1]
Klasse: Malgrandaviricetes[1]
Ordnung: Petitvirales[1]
Familie: Microviridae
Taxonomische Merkmale
Genom: (+)ssDNA zirkulär
Baltimore: Gruppe 2
Symmetrie: ikosaedrisch
Hülle: keine
Wissenschaftlicher Name
Microviridae
Links

Die Microviridae (von griechisch μικρόςmikrós: klein) sind eine Familie von Viren, die als Bakteriophagen verschiedene Bakterien infizieren, darunter Vertreter der Enterobacteriaceae und intrazelluläre parasitäre Bakterien sowie Spiroplasma.[3][4] Aufgrund ihres Wirtsspektrums sind die Microviridae ubiquitär in Abwässern, Erde oder Fäkalien präsent. Die erste und am besten charakterisierte Spezies der Familie ist Enterobakteriophage PhiX174 (früher auch als Coliphage φX174 bezeichnet). Die Microviridae sind derzeit (Stand Januar 2021) die einzige Familie im Reich Sangervirae (monotypisch).[1]

Morphologie

Die Virionen (Viruspartikel) der Microviridae bestehen aus einem einfachen, ikosaedrischen Kapsid (T=1), das aus drei oder vier verschiedenen Kapsidproteinen aufgebaut sind. Die unbehüllten Kapside haben einen Durchmesser von 25 bis 27 Nanometer. Die reifen Virionen gehen aus intrazellulären Vorläuferkapsiden (Prokapside) hervor, bei denen ein oder zwei Strukturproteine (scaffolding proteins, „Gerüst-Proteine“) durch ein grobes, vorläufiges Gerüst die Bindung der DNA und den Zusammenbau der Kapsomere ermöglichen.[5] Diese Gerüstproteine werden bei der Reifung des Kapsides wieder aus dem Verband gelöst, sobald die Hauptkapsidproteine eine ikosaedrische Anordnung eingenommen haben und das Kapsid geschlossen ist. Die Hauptkomponenten der Kapside bestehen aus einem Spike-Protein und einem Kapsidprotein (F oder Vp1), die sich zu großen fünfstrahligen (Pentamere) Kapsomeren zusammenlagern. Die 5,4 nm (bei Enterobakteriophagen PhiX174) weit nach außen ragenden Spike-Proteine vermitteln die spezifische Anheftung und Aufnahme in die Bakterienzelle.

Die Kapside der Gattungen Bdellomicrovirus und Chlamydiamicrovirus zeigen eine spezifische Dichte von 1,30 bis 1,31 g/cm³ in der Ultrazentrifugation mit Cäsiumchlorid, während die Vertreter der beiden anderen Gattungen alle eine signifikant höhere Dichte von etwa 1,40 g/cm³ aufweisen. Die Virionen sind sehr umweltstabil bei pH-Werten zwischen 6,0 und 9,0 und können mit Detergenzien, 2-Propanol oder Chloroform nicht inaktiviert werden.

Genom

Die Microviridae besitzen als Genom ein ringförmig geschlossenes (zirkuläres), einzelsträngiges (englisch single stranded) DNA-Molekül mit positiver Polarität. Es umfasst bei der Unterfamilie Bullavirinae zwischen 5.300 und 6.100 Nukleotide, die anderen Gattungen besitzen deutlich kleinere Genome mit 4.400 bis 4.900 Nukleotiden. Die Anordnung der vier größten offenen Leserahmen (ORF) ist innerhalb der Familie gleichförmig; sie sind meist von kurzen, nichtcodierenden Abschnitten voneinander getrennt. Zusätzlich existieren verschiedene ORFs, die mit anderen Leserastern in die großen Leserahmen eingebettet sind. Die Replikation des Genoms verläuft bei den Microviridae über eine doppelsträngige DNA-Zwischenstufe, im Detail ist die Replikation zwischen den Gattungen jedoch sehr unterschiedlich. Bei den Microviridae ist ein Horizontaler Gentransfer beschrieben, der eine größere Variabilität der Genome innerhalb der Virusfamilie hervorgebracht hat und der in wesentlich höherem Umfang als bei doppelsträngigen DNA-Bakteriophagen vorkommt.[6] Das Chromosom des Enterobakteriophagen PhiX174 war das erste DNA-Molekül, das man noch vor dem Simian-Virus 40 (SV40 bzw. MmPV1) und dem Plasmid pBR322 vollständig sequenzierte.[7]

Biologische Bedeutung

Viren der Unterfamilie Bullavirinae infizieren Enterobakterien, zu denen auch Escherichia coli und Salmonella enterica gehören, Spezies der Gattung Bdellomicrovirus haben Bakterien der Gattung Bdellovibrio als Wirtszellen. Dieses Wirtsspektrum umfasst also bei beiden Gattungen gramnegative, aerobe Bakterien. Die beiden anderen Gattungen infizieren verschiedene Gruppen von intrazellulär sich vermehrende Bakterien: Vertreter der Gattung Clamydiamicrovirus parasitieren in Chlamydien, jene der Gattung Spiromicrovirus in der Bakteriengattung Spiroplasma aus der Klasse der zellwandlosen Mollicutes (Ordnung Entomoplasmatales), die ihrerseits in Kleinsäugern und Insekten parasitieren.

Systematik

Die Familie Microviridae wird nach

mit Stand Juni 2021 in zwei Unterfamilien unterteilt, wobei sich die Unterfamilie Bullavirinae (hochgestufte frühere Gattung Microvirus) von der anderen Unterfamilie Gokushovirinae in ihren Wirten und ihrer Genomorganisation deutlich unterscheidet. Viren der Unterfamilie Bullavirinae infizieren Enterobakterien, Gokushoviren infizieren dagegen intrazelluläre Parasiten. Der Name Bullavirinae kommt vom lateinischen Wort bulla (Chef, Knopf, Stift),[8] der Name Gokushovirinae leitet sich aus dem Japanischen für ‚sehr klein‘ ab (Kanji:

極小

Hiragana:

ごくしょうの

mikroskopisch, winzig, minimal).

Als mögliche dritte Unterfamilie wurde „Alpavirinae“ vorgeschlagen, deren Viren die Ordnung Bacteroidales infizieren.[9] Die Bezeichnung kommt vom Sanskrit-Wort अल्प (álpa) für klein, mini. Dies ist eine Gruppe von Viren, die bisher nur als Prophagen bekannt sind, und weitere Untersuchungen an diesen Viren sind nötig, bevor der Status als Unterfamilie vom ICTV gewährt werden kann.

Als möglich vierte Unterfamilie wurde „Pichovirinae“ vorgeschlagen.[10] Die Mitglieder dieser Gruppe haben eine Genomorganisation, die sich von den anderen in der Familie Microviridae. Der Name leitet sich vom okzitanischen Wort ‚picho‘ für ‚klein‘ ab.

Ein weiteres Virus (Microphage ΦCA82) wurde aus dem Darm von Truthühnern isoliert[11][12] und inzwischen in die Nähe von Spiroplasma virus SpV4 verortet.[13]

Die Systematik nach ICTV mit Stand Juni 2021, ergänzt um die obigen Vorschläge und einige Kandidaten nach NCBI, ist damit wie folgt:[2]

  • Familie Microviridae
    • Unterfamilie Bullavirinae (hochgestufte frühere Gattung Microvirus)
      • Gattung Alphatrevirus (veraltet Alpha3microvirus)
        • Spezies Escherichia virus Alpha3 (alias Enterobakteriophage Alpha3, Coliphage Alpha3)
        • Spezies Escherichia virus ID21
        • Spezies Escherichia virus ID32
        • Spezies Escherichia virus ID62
        • Spezies Escherichia virus NC28
        • Spezies Escherichia virus NC29
        • Spezies Escherichia virus NC35
        • Spezies Enterobacteria phage phiK (alias Enterobacteria phage φK)[14]
        • Spezies Escherichia virus St1 (alias Enterobacteria phage St-1)[14]
        • Spezies Escherichia virus WA45
        • Spezies „Enterobacteria phage WA13“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Escherichia phage Lilleven“ (Vorschlag, NCBI)
      • Gattung Gequatrovirus (veraltet G4microvirus)
        • Spezies Escherichiavirus G4 (alias Enterobakteriophage G4)
        • Spezies Escherichia virus ID52
        • Spezies „Escherichia phage EMCL318“ (Vorschlag, NCBI)
      • Gattung Sinsheimervirus (veraltet Phix174microvirus)
        • Spezies Escherichia virus PhiX174 (alias Enterobakteriophage phiX174)[15]
        • Spezies „Salmonella phage alphaalpha“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Shigella phage SGF3“ (Vorschlag, NCBI)
      • ohne Gattungszuweisung
        • Spezies „Escherichia phage Lilledu“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Escherichia phage Lilleen“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Escherichia phage lillemer“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Escherichia phage Lilleput“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Escherichia phage Lilleto“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Escherichia phage SECphi17“ (Vorschlag, NCBI)
    • Unterfamilie Gokushovirinae
      • Gattung Bdellomicrovirus
        • Spezies Bdellovibrio virus MAC1 (alias Bdellovibrio phage MAC 1)
        • Spezies Bdellovibrio virus MH2K (alias Bdellovibrio phage phiMH2K)
      • Gattung Chlamydiamicrovirus
        • Spezies Chlamydia virus Chp1 (alias Chlamydia phage 1)
        • Spezies Chlamydia virus Chp2 (alias Chlamydia phage 2)
        • Spezies Chlamydia virus CPAR39 (alias Chlamydia pneumoniae phage CPAR39)
        • Spezies Chlamydia virus CPG1 (alias Guinea pig Chlamydia phage, Chlamydiaphage φCPG1)[17]
        • Spezies „Chlamydia phage 4“ (Vorschlag, NCBI)
      • Gattung Enterogokushovirus
        • Spezies Enterogokushovirus EC6098
      • Gattung Spiromicrovirus
        • Spezies Spiroplasma virus SpV4 (alias Spiroplasma phage 4)[18]
        • Spezies „Microphage ΦCA82“ (alias „Microviridae phi-CA82“, „Microvirus CA82“, vorgeschlagen)[13][12]
      • ohne Gattungszuweisung
        • Spezies „Escherichia phage EC6098“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Gokushovirinae Bog1183_53“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Gokushovirinae Bog5712_52“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Gokushovirinae Bog8989_22“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Gokushovirinae Fen672_31“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Gokushovirinae Fen7875_21“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Gokushovirinae GAIR4“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Gokushovirinae GNX3R“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Gokushovirus MK-2017“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Gokushovirus NL-1994“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Gokushovirus WZ-2015a“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Human gokushovirus“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Human gut gokushovirus“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Jodiemicrovirus-1“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Kummerowia striata gokushovirus“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Marine gokushovirus“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Trichosanthes kirilowii gokushovirus“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Gokushovirinae sp. SC_3_H2_2017“ (Vorschlag, NCBI)
        • Spezies „Gokushovirinae sp. SC_5_H2H4_2017“ (Vorschlag, NCBI)
    • Unterfamilie „Alpavirinae“ (vorgeschlagen)[9][19]
        • Spezies „Prevotella bucalis prophage BMV5“ (Vorschlag/Kandidat)[10]
    • Unterfamilie „Pichovirinae“ (vorgeschlagen)[10][19] mit Pavin_279[10]
    • Unterfamilie „Stokavirinae“ (vorgeschlagen)[19]
    • Unterfamilie „Aravirinae“ (vorgeschlagen)[19]

Literatur

  • B. Fane: Family Microviridae. In: C. M. Fauquet, M. A. Mayo et al.: Eighth Report of the International Committee on Taxonomy of Viruses. London / San Diego 2005 S. 289ff ISBN 0-12-249951-4
  • G. N. Godson: The other isometric phages. In: D. T. Denhardt, D. Dressler, D. S. Ray (Hrsg.): The single-stranded DNA phages. Cold Spring Harbor Laboratory Press, Cold Spring Harbor NY 1978, S. 103–112

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d e f ICTV: ICTV Taxonomy history: Escherichia virus phiX174, EC 51, Berlin, Germany, July 2019; Email ratification March 2020 (MSL #35)
  2. a b ICTV: ICTV Master Species List 2020.v1, New MSL including all taxa updates since the 2019 release, March 2021 (MSL #36)
  3. Viral Zone. ExPASy. Abgerufen am 15. Dezember 2018.
  4. ICTV: Virus Taxonomy. Abgerufen am 15. Dezember 2018.
  5. T. Dokland et al.: Structure of a viral procapsid with molecular scaffolding. Nature (1997) 389(6648): S. 308–313 PMID 9305849
  6. D. R. Rokyta, C. L. Burch, S. B. Caudle, H. A. Wichman: Horizontal Gene Transfer and the Evolution of Microvirid Coliphage Genomes. In: Journal of Bacteriology, 2006, 188 (3), S. 1134–1142, PMID 16428417, PMC 1347346 (freier Volltext)
  7. F. Sanger, G. M. Air, B. G. Barrell, N. L. Brown, A. R. Coulson, C. A. Fiddes, C. A. Hutchison, P. M. Slocombe, M. Smith: Nucleotide sequence of bacteriophage phi X174 DNA. In: Nature. Band 265, Nummer 5596, Februar 1977, S. 687–695, PMID 870828.
  8. Approved Proposals > Bacterial and Archaeal Viruses: Bullavirinae, ICTV online 2015.026a-rB.A.v3
  9. a b M. Krupovic, P. Forterre: Microviridae goes temperate: microvirus-related proviruses reside in the genomes of Bacteroidetes. In: PLoS ONE. 6, Nr. 5, 2011, S. e19893. doi:10.1371/journal.pone.0019893. PMID 21572966. PMC 3091885 (freier Volltext).
  10. a b c d Roux S, Krupovic M, Poulet A, Debroas D, Enault F: Evolution and diversity of the Microviridae viral family through a collection of 81 new complete genomes assembled from virome reads. In: PLoS ONE. 7, Nr. 7, 2012, S. e40418. doi:10.1371/journal.pone.0040418. PMID 22808158. PMC 3394797 (freier Volltext).
  11. NCBI: Microviridae phi-CA82, alias Microvirus CA82 (species)
  12. a b L. Zsak, J. M. Day, B. B. Oakley, B. S. Seal: The complete genome sequence and genetic analysis of ΦCA82 a novel uncultured microphage from the turkey gastrointestinal system. In: Virol J, 8, 2011, S. 331, doi:10.1186/1743-422X-8-331, PMID 21714899
  13. a b Lianghua Guo, Xiuguo Hua, Wen Zhang, Shixing Yang, Quan Shen, Haibing Hu, Jingjiao Li, Zhijian Liu, Xiaochun Wang, Hua Wang, Chenglin Zhou, Li Cui: Viral metagenomics analysis of feces from coronary heart disease patients reveals the genetic diversity of the “Microviridae”. In: Virologica Sinica, 17. April 2017, doi:10.1007/s12250-016-3896-0
  14. a b c Simon J. Labrie, Marie-Ève Dupuis, Denise M. Tremblay, Pier-Luc Plante, Jacques Corbeil, Sylvain Moineau: A New Microviridae Phage Isolated from a Failed Biotechnological Process Driven by Escherichia coli (PDF) in: Journals ASM: Applied and Environmental Microbiology (AEM) Band 80, Nr. 22, November 2014, S. 6992–7000
  15. Coliphage phi-X174, complete genomeNCBI Reference Sequence: NC_001422.1, NCBI
  16. NCBI: Enterobacteria phage MED1 (no rank)
  17. Roger G. Rank, Anne K. Bowlin, Stefania Cané, Huizhong Shou, Zhi Liu, Uma M. Nagarajan, Patrik M. Bavoil: Effect of Chlamydiaphage φCPG1 on the Course of Conjunctival Infection with Chlamydia caviae in Guinea Pigs. (PDF) In: Infection And Immunity, März 2009, S. 1216–1221
  18. Karyna Rosario, Anisha Dayaram, Milen Marinov, Jessica Ware, Simona Kraberger, Daisy Stainton, Mya Breitbart, Arvind Varsani: Diverse circular ssDNA viruses discovered in dragonflies (Odonata: Epiprocta), in: Journal of General Virology Band 93, Nr. 12, 1. Dezember 2012, doi:10.1099/vir.0.045948-0
  19. a b c d Dann Turner, Andrew M. Kropinski, Evelien M. Adriaenssens: A Roadmap for Genome-Based Phage Taxonomy, in: MDPI Viruses Band 13, Nr. 3, Section Bacterial Viruses, 18. März 2021, 506, doi:10.3390/v13030506