Reaktive Sauerstoffspezies

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Reaktive Sauerstoffspezies (englisch reactive oxygen species, ROS) – auch vereinfachend als „Sauerstoffradikale“ bezeichnet – sind Sauerstoff-enthaltende Moleküle.

Chemie

Zu den ROS gehören zum einen Radikale wie das Hyperoxid-Anion (alte Bezeichnung: Superoxid-Anion) O2·, das hochreaktive Hydroxyl-Radikal OH·, das Peroxylradikal ROO· und das Alkoxylradikal RO· von Lipiden, zum anderen stabile molekulare Oxidantien wie Wasserstoffperoxid H2O2, Hydroperoxid ROOH, Ozon O3 und das Hypochlorit-Anion OCl sowie angeregte Sauerstoffmoleküle (Singulett-Sauerstoff 1O2). In Nachgang an die Oxidation entstehen Reaktive elektrophile Spezies.

Die ROS in einer Übersicht:

Formelzeichen Bezeichnung Anmerkung
O2· Hyperoxid-Anion freies Radikal, sekundärer Botenstoff,[1] alte Bezeichnung: Superoxid-Anion
HO· Hydroxyl-Radikal freies Radikal, hochreaktiv
HOO· Hydroperoxyl-Radikal freies Radikal
ROO· Peroxylradikal freies Radikal, Zwischenstufe bei der sensibilisierten Photooxidation,[2] siehe auch Autoxidation
RO· Alkoxylradikal freies Radikal, bei Lipiden
H2O2 Wasserstoffperoxid Edukt zur Bildung anderer ROS, sekundärer Botenstoff[1]
ROOH Hydroperoxid
O3 Ozon
OCl Hypochlorit-Anion
1O2 Singulett-Sauerstoff angeregtes Sauerstoffmolekül

Biologie

Im Organismus entstehen reaktive Sauerstoffspezies in den Mitochondrien als Nebenprodukt der Zellatmung (durch Monoaminooxidasen und im Rahmen der Atmungskette an Komplex I und an Komplex III), aber auch durch Entzündungszellen, um so Viren und Bakterien zu schädigen[3][4]. ROS (vor allem Wasserstoffperoxid und Stickstoffmonoxid) kommen auch bei der pflanzlichen Abwehr von Pathogenen zum Einsatz. Umweltgifte und Zigarettenrauch sind weitere bedeutende Quellen für reaktive Sauerstoffspezies.

Durch die Reaktion des Hyperoxid-Anions O2· mit Stickstoffmonoxid NO· entsteht zudem Peroxinitrit ONOO, das mit Stickstoffmonoxid zusammen als reaktive Stickstoffspezies (RNS) bezeichnet wird und eine ebenfalls hochreaktive Verbindung darstellt (allerdings kein freies Radikal ist). ROS und RNS sind somit wichtige Oxidantien, denen im Körper die Antioxidantien entgegenwirken.

ROS sind im biologischen Kontext für den Organismus wichtige Signalmoleküle,[5][6][7] haben aber in hoher Konzentration schädliche Auswirkungen, indem sie zu oxidativem Stress führen können.

Während ROS mit verschiedensten Erkrankungen wie z. B. Krebs, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen,[8] assoziiert worden sind, ist die ursächliche Beteiligung von ROS daran diskussionswürdig: So wurde im Widerspruch zum Vorstehenden gezeigt, dass ROS die Lebenserwartung von Modellorganismen steigern, also Altern verhindern.[9][10] Weiter ist bekannt, dass Antioxidantien der Diabetes-vorbeugenden Wirkung von Sport im Menschen entgegenwirken bzw. diese vollkommen verhindern, indem Antioxidantien der Bildung von ROS entgegenwirken.[11][12][13][14][15]

Nach heutiger Auffassung sind ROS in niedriger, d. h. physiologischer Konzentration gesundheitsfördernd, während sie in hoher, d. h. pathologischer Konzentration zur Entstehung von Krankheiten beitragen sollen. Diese nicht-lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung (d. h. niedrigdosiert = gesund, aber hochdosiert = krankmachend) wird als „Mitohormesis“ bezeichnet.[16][17][18][19] Nachfolgende Studien schreiben ROS wie dem Hyperoxid und dem Wasserstoffperoxid neben der Generierung oxidativen Stresses eine wichtige Signalfunktion, z. B. im Gehirn bei der Signalübertragung, der synaptischen Plastizität und der Gedächtnisbildung zu. Sie wirken dort zudem stark vasodilatierend (gefäßerweiternd) und scheinen daher wichtig für die Steigerung des zerebralen Blutflusses und des zerebrovaskulären Tonus zu sein.[20] Des Weiteren beeinflussen sie über den Wnt-Signalweg Wachstum und Teilung von Zellen bei der Regeneration abgetrennter Schwänze von Kaulquappen und Echsen.[21]

Bei einem typischen Raumklima, mit einer mittlerer Luftfeuchte von 50 Prozent und Temperaturen um die 20 Grad, wird in Anwesenheit von Feinstaub die höchste Konzentration von dem besonders schädlichen ROS gebildet. ROS kann die Zellen der Lunge schädigen und Lungenentzündungen, Asthma und diverse andere Atemwegserkrankungen verursachen. Selbst die Desoxyribonukleinsäure (DNA) kann durch ROS geschädigt werden.[22]

Einzelnachweise

  1. a b S. G. Rhee: Redox signaling: hydrogen peroxide as intracellular messenger. In: Exp Mol Med. 31(2), 1999, S. 53–59.
  2. A. Gilbert, J. Baggott: Essentials of molecular Photochemistry. Blackwell Scientific, 1991, ISBN 0-632-02428-3, S. 503.
  3. Marc Herb, Michael Schramm: Functions of ROS in Macrophages and Antimicrobial Immunity. In: Antioxidants. Band 10, Nr. 2, 19. Februar 2021, ISSN 2076-3921, S. 313, doi:10.3390/antiox10020313 (mdpi.com [abgerufen am 24. Februar 2021]).
  4. Alexander Gluschko, Marc Herb, Katja Wiegmann, Oleg Krut, Wolfram F. Neiss: The β2 Integrin Mac-1 Induces Protective LC3-Associated Phagocytosis of Listeria monocytogenes. In: Cell Host & Microbe. Band 23, Nr. 3, März 2018, S. 324–337.e5, doi:10.1016/j.chom.2018.01.018 (elsevier.com [abgerufen am 24. Februar 2021]).
  5. Marc Herb, Alexander Gluschko, Katja Wiegmann, Alina Farid, Anne Wolf: Mitochondrial reactive oxygen species enable proinflammatory signaling through disulfide linkage of NEMO. In: Science Signaling. Band 12, Nr. 568, 12. Februar 2019, ISSN 1945-0877, S. eaar5926, doi:10.1126/scisignal.aar5926 (sciencemag.org [abgerufen am 24. Februar 2021]).
  6. M. Ristow: Unraveling the truth about antioxidants: mitohormesis explains ROS-induced health benefits. In: Nature Medicine. 20, 2014, S. 709–711. PMID 24999941
  7. G. S. Shadel, T. L. Horvath: Mitochondrial ROS signaling in organismal homeostasis. In: Cell. 163, 2015, S. 560–569. PMID 26496603
  8. N. Panth, K. R. Paudel, K. Parajuli: Reactive Oxygen Species: A Key Hallmark of Cardiovascular Disease. In: Advances in medicine. Band 2016, S. 9152732, doi:10.1155/2016/9152732. PMID 27774507, PMC 5059509 (freier Volltext).
  9. T. J. Schulz u. a.: Glucose restriction extends Caenorhabditis elegans life span by inducing mitochondrial respiration and increasing oxidative stress. In: Cell Metabolism. 6(4), 2007, S. 280–293. PMID 17908557
  10. A. Sanz: Mitochondrial reactive oxygen species: Do they extend or shorten animal lifespan? In: Biochimica et Biophysica Acta. Band 1857, Nummer 8, August 2016, S. 1116–1126, doi:10.1016/j.bbabio.2016.03.018. PMID 26997500.
  11. M. Ristow u. a.: Antioxidants prevent health-promoting effects of physical exercise in humans. In: Proc Natl Acad Sci. 106, 2009, S. 8865–8870. PMID 19433800
  12. Vitamins Found to Curb Exercise Benefits. In: The New York Times.
  13. Vitamins "undo exercise efforts". In: BBC.
  14. Vitaminpillen bremsen positive Wirkung von Sport. In: Der Spiegel.
  15. Warum Sport nur ohne Vitamine die Gesundheit fördert. In: Deutsches Ärzteblatt.
  16. T. J. Schulz u. a.: Glucose restriction extends Caenorhabditis elegans life span by inducing mitochondrial respiration and increasing oxidative stress. In: Cell Metabolism. 6(4), 2007, S. 280–293. PMID 17908557
  17. J. Yun, T. Finkel: Mitohormesis. In: Cell Metabolism. 19, 2014, S. 757–766. PMID 24561260
  18. M. Ristow: Unraveling the truth about antioxidants: mitohormesis explains ROS-induced health benefits. In: Nature Medicine. 20, 2014, S. 709–711. PMID 24999941
  19. G. S. Shadel, T. L. Horvath: Mitochondrial ROS signaling in organismal homeostasis. In: Cell. 163, 2015, S. 560–569. PMID 26496603
  20. K. T. Kishida, E. Klann: Sources and targets of reactive oxygen species in synaptic plasticity and memory. In: Antioxid Redox Signal. 9, 2007, S. 233–244. PMID 17115936.
  21. Forscher wollen von Kaulquappen lernen. In: Spiegel online. 14. Januar 2013.
  22. Feinstaub ist gefährlicher als gedacht. Paul Scherrer Institut, 19. März 2021, abgerufen am 20. März 2021.