Thanatologie
Der Ausdruck Thanatologie (altgriechisch θανατολογία, von
und -logie) bezeichnet die Wissenschaft vom Tod, vom Sterben (als Sterbeforschung) und der Bestattung.
Thanatologie ist ein interdisziplinäres Arbeitsgebiet, zu dem Philosophie, Ethnologie, Psychologie, Soziologie, Geschichtswissenschaft, Archäologie, Biologie, Medizin, Pflegewissenschaft und andere wissenschaftliche Disziplinen wichtige Beiträge leisten. Auch die Theologie betrachtet dieses Gebiet als Teil ihrer Disziplin.[1] Thanatosoziologie und Thanatopsychologie[2] sind Subdisziplinen dieser Wissenschaft. Vorläufer finden sich bereits in der Erbauungsliteratur seit dem späten Mittelalter (vgl. Ars moriendi).
Inzwischen kann man Thanatologie, vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Weiterbildungen studieren.
Entwicklung der Sterbeforschung
Mit der Thanatologie beschäftigte sich im 18. Jahrhundert etwa der Theologe und Schriftsteller Joachim Hacker.[3] Als erster moderner Thanatologe gilt der Soziologe und Ethnologe Robert Hertz mit seiner Studie zur kollektiven Repräsentation des Todes (1907). In den 1950er und 1960er Jahren öffneten Soziologen den Weg zu einer sozialpsychologischen Betrachtungsweise des Todesphänomens. Sie schufen mit der Erforschung soziologischer Aspekte des Todes Grundlagen zur Erstellung von Betreuungs- und Therapieprogrammen, die bei der Bewältigung von Verlust durch Tod hilfreich sein würden. Besonders das Buch Tod und Sterben (1969) der in der Schweiz geborenen Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross leistete Aufklärungsarbeit und verschaffte dem Thema Todesbewältigung in der modernen Gesellschaft eine breite Öffentlichkeit.
Forschungsprojekte in Deutschland
Neue Impulse erfuhr die interdisziplinäre thanatologische Forschung u. a. durch die von der Volkswagen-Stiftung finanzierten fachübergreifenden Forschungsprojekte „Tod und toter Körper“ (2008–2012) und „Transmortalität“ (2012–2014), die von dem Soziologen und Religionswissenschaftler Hubert Knoblauch, dem Medizinethiker und -historiker Dominik Groß, der Philosophin Andrea Marlen Esser und der Rechtswissenschaftlerin und -philosophin Brigitte Tag geleitet wurden bzw. werden. Die vorgenannten Thanatologen fungieren zugleich als Herausgeber der vielbeachteten transdisziplinären Campus-Buchreihe „Todesbilder“, in der seit 2009 sieben Buchbände erschienen. In jüngster Zeit wurde im Zuge des „narrative turn“ auch verstärkt nach der Eigenlogik der narrativen Darstellung des Sterbens gefragt („Sterbenarrative“[4]).
Bekannte Sterbeforscher und Thanatologen
Deutschland
- Thorsten Benkel
- Klaus Feldmann
- Werner Fuchs-Heinritz
- Dominik Groß
- Alois Hahn
- Bernard Jakoby
- Hubert Knoblauch
- Walter van Laack
- Matthias Meitzler
- Markolf Niemz
- Joachim Wittkowski
International
- Elisabeth Kübler-Ross, Schweiz, Vereinigte Staaten
- Raymond A. Moody, Vereinigte Staaten
- Stanislav Grof, Tschechien
- Pim van Lommel, Niederlande
- Sam Parnia, Großbritannien/Vereinigte Staaten
- Bruce Greyson, Vereinigte Staaten
- Maurice S. Rawlings, Vereinigte Staaten
- Allan Kellehear, Australien/Großbritannien/Kanada
- Robert J. Kastenbaum, Vereinigte Staaten
- Louis-Vincent Thomas, Begründer der Thanatologie in Frankreich
- Alfons Deeken, Japan
Praktische Thanatologie
Eine Anwendung thanatologischer Erkenntnisse ist die Thanatopraxie, die auch als „praktische Thanatologie“ bezeichnet wird.
Literatur
- Michael Anderheiden, Wolfgang U. Eckart (Hrsg.): Handbuch Sterben und Menschenwürde. 3 Bände, De Gruyter, Berlin 2012, ISBN 978-3-11-024645-2.
- Franz-Josef Bormann, Gian Domenico Borasio (Hrsg.): Sterben. Dimensionen eines anthropologischen Grundphänomens. De Gruyter, Berlin 2012, ISBN 978-3-11-025734-2.
- Klaus Feldmann: Tod und Gesellschaft. Sozialwissenschaftliche Thanatologie im Überblick. 2. Auflage. VS, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-531-17350-4.
- Jürgen Howe, Randolph Ochsmann (Hrsg.): Tod – Sterben – Trauer. Bericht über die 1. Tagung zur Thanato-Psychologie vom 4.–6. November 1982 in Vechta. Fachbuchhandlung für Psychologie, Frankfurt am Main 1984.
- Elisabeth Kübler-Ross (Hrsg.): Reif werden zum Tode (= Maßstäbe des Menschlichen. Band 9). 6. Auflage. Kreuz, Stuttgart 1983, ISBN 3-7831-0485-8.
- Andreas Mauz, Simon Peng-Keller (Hrsg.): Sterbenarrative. Hermeneutische Erkundungen des Erzählens am und vom Lebensende (= Studies in Spiritual Care. Band 4). de Gruyter, Berlin 2018, ISBN 978-3-11-060024-7.
- Matthias Meitzler: Soziologie der Vergänglichkeit. Zeit, Altern, Tod und Erinnern im gesellschaftlichen Kontext. Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2011, ISBN 978-3-8300-5455-9.
- Randolph Ochsmann: Angst vor Tod und Sterben. Beiträge zur Thanato-Psychologie. Hogrefe, Göttingen u. a. 1993, ISBN 3-8017-0330-4, (Zugleich: Osnabrück, Univ., Habil.-Schr., 1986: Reaktionen auf Tod und Sterben).
- Michael Rosentreter, Dominik Groß, Stephanie Kaiser (Hrsg.): Sterbeprozesse. Annäherungen an den Tod (= Studien des Aachener Kompetenzzentrums für Wissenschaftsgeschichte. Band 9). Kassel University Press, Kassel 2010, ISBN 978-3-89958-960-3.
- Johann-Christoph Student (Hrsg.): Sterben, Tod und Trauer. Handbuch für Begleitende. 3. Auflage. Herder, Freiburg (Breisgau) u. a. 2008, ISBN 978-3-451-28343-7.
- Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hrsg.): Handbuch Sterben und Tod. Metzler, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-476-02230-1.
- Joachim Wittkowski: Psychologie des Todes (= WB-Forum. Band 56). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1990, ISBN 3-534-80128-8.
Weblinks
- Allgemeine Informationen zur Thanatologie
- Campus-Buchreihe „Todesbilder“
Einzelnachweise
- ↑ Vgl. bes. die Theologieprofessoren Hans Küng („Ewiges Leben?“, 1982, S. 15–38), Hans Schwarz (z. B. „Wir werden weiterleben“, 1984, S. 35–50), Werner Thiede (z. B. „Die mit dem Tod spielen“, 1994, S. 80–106) und Edzard Popkes („Erfahrungen göttlicher Liebe: Nahtoderfahrungen als Zugänge zum Platonismus und zum frühen Christentum“, 2018).
- ↑ Joachim Wittkowski: Tod und Sterben. Ergebnisse der Thanatopsychologie. Heidelberg 1978 (= Uni-Taschenbücher, 766).
- ↑ Joachim B. N. Hacker: Thanatologie oder Denkwürdigkeiten aus dem Gebiete der Gräber. Ein unterhaltendes Lesebuch für Kranke und Sterbende. 4 Bände, W. Rein, Leipzig 1796–1799.
- ↑ Andreas Mauz; Simon Peng-Keller (Hrsg.): Sterbenarrative. Hermeneutische Erkundungen des Erzählens am und vom Lebensende. de Gruyter, Berlin 2018, ISBN 978-3-11-060024-7.