Islamisches Finanzwesen

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Islamisches Finanzwesen (englisch Islamic finance) sind im Finanzwesen alle Geschäfte, die in Einklang mit den religiösen Regeln des Islam, den Rechtsquellen der Fiqh und der Sunna sowie der Schari'a stehen.

Allgemeines

Das internationale Finanzwesen besteht aus Kreditinstituten, Versicherungen, Wertpapierdienstleistungsunternehmen, Finanzdienstleistungsinstituten und allen übrigen privatrechtlich organisierten Unternehmensarten, für die der Betriebszweck ganz oder überwiegend Finanzdienstleistungen beinhaltet. Das Attribut „islamisch“ weist auf die religionsbedingten Besonderheiten dieses Dienstleistungssektors hin.

Der internationale Kreditverkehr, internationale Zahlungsverkehr und der Interbankenhandel sind von Kapitalverkehrsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit und Vertragsfreiheit geprägt. Diesen Prinzipien widersprechen alle Finanzkontrakte, die den islamischen Regeln des allgemeinen Zinsverbots (arabisch), des Verbots der Spekulation (arabisch) und des Verbots des Glücksspiels (arabisch) unterliegen. Das allgemeine Zinsverbot verbietet es islamischen Kreditinstituten, zinstragende Bankgeschäfte zu betreiben, die jedoch Grundlage für das marktübliche Kredit- oder Einlagengeschäft von nicht-islamischen Banken darstellen. Um dennoch derartige zinstragenden Geschäfte mit islamischen Geschäftspartnern durchführen zu können, wurden von den Marktteilnehmern neue Finanzierungsinstrumente auf Grundlage von Sachdarlehensverträgen entwickelt, die aufgrund von Rechtsgutachten (arabisch) Schari'a-konform sind. Shar’ia-konformes Handeln bedeutet, Finanzierungen, Versicherungen, Konsum und Investitionen strikt nach den islamischen Glaubensregeln zu gestalten.[1] Für die islamischen Finanzinstitute legen der Koran und die Sunna die religiösen und rechtlichen Rahmenbedingungen fest und bilden auch das soziale und ethische Fundament für das gesamte islamische Finanzwesen.[2]

Geschichte

Im islamischen Kulturkreis entwickelte sich ab dem 6. Jahrhundert nach Christus – also noch in vorislamischer Zeit – bei den Arabern die stille Gesellschaft (arabisch), bei der ein fremder Kapitalgeber das Kapital bereitstellt und der Unternehmer die Arbeitsleistung erbringt. Im christlich geprägten Europa galt die Kommenda (lateinisch commendare ‚anvertrauen‘) als ihr mittelalterliches Pendant. Die italienischen Kommenda tauchte erstmals im Mai 1072 in Venedig auf.[3] Zwar durfte der Kapitalgeber nicht gleichzeitig Gesellschafter sein, doch galt sein Fremdkapital trotzdem als am Gewinn oder Verlust teilnehmende Kapitalbeteiligung. Im 1299 beginnenden Osmanischen Reich gab es trotz islamischen Zinsverbots ein zinsorientiertes Bankensystem, um die hohen Staatsausgaben finanzieren zu können.[4] Während des Mittelalters herrschte zeitgleich auch im Christentum weitgehend das Zinsverbot (nur nicht für Juden), Juden unter sich mussten das Zinsverbot (hebräisch neshek, „Abbiss“) jedoch beachten. Während sich das christliche Zinsverbot allmählich lockerte und innerhalb der katholischen Kirche von Papst Pius VIII. in einem Schreiben vom 18. August 1830 an den Bischof von Rennes formal aufgehoben wurde, trat im Islam eine Gegenbewegung ein.

Die erste pakistanische Verfassung vom März 1956 legte die Grundlagen für ein islamisches Finanzwesen, deren Umsetzung jedoch bis 1983 andauerte.[5] Eine Konferenz der islamischen Außenminister im Februar 1972 in Kairo bereitete alternative Vorschläge zur Behandlung von Finanzangelegenheiten vor.[6] Pakistan begann 1977 mit ersten Vorstößen zur Islamisierung seiner Bankenwelt. Im Jahre 1979 verankerte der Iran das Zinsverbot in seiner Verfassung, deren gesetzliche Umsetzung erst 1983 erfolgte. Er verstaatliche im Juni 1979 sein Bankensystem, seit März 1985 basieren hier alle Bankgeschäfte auf islamischem Recht. Im September 1983 setzte der Sudan die Shari’a-Gesetze in Kraft, so dass alle Banken vom Zinsverbot erfasst wurden.

Als erste Bank, die das islamische Zinsverbot bei allen Bankgeschäften berücksichtigte, gilt die 1971 gegründete und im Staatsvermögen befindliche Nasser Social Bank in Kairo, es folgte die Islamische Entwicklungsbank (Islamic Development Bank; Oktober 1975), die Dubai Islamic Bank (1975), die Faisal Islamic Bank of Egypt (1977), das Kuwait Finance House (1977) oder die Bahrain Islamic Bank (1979).[7] Mit dem Islamic Banking System International Holdings entstand 1978 in Luxemburg die erste europäische islamische Bank. In der Schweiz öffnete die Dar al-Mal al-Islami 1981 ihre Pforten.[8] Der Zusatz „Islamic Bank“ weist seitdem darauf hin, dass eine Bank Schari'a-konforme Bankgeschäfte betreibt und von einem Schari'a-Board überwacht wird. In Kuwait bestimmt Artikel 547 des 1980 in Kraft getretenen Civil Code, dass Darlehen zinslos sein müssen. Im Jahre 1992 sah das pakistanische Bundes-Schariagericht in allen Formen des Zinsennehmens einen Verstoß gegen die Scharia.[9] Im August 2004 entstand mit der Islamic Bank Of Britain die erste Retail-Bank Großbritanniens.[10] In Deutschland ist seit März 2015 die KT Bank AG die erste und bislang einzige Bank nach deutschem Recht, die nach islamischen Regeln Finanzprodukte und -dienstleistungen anbietet.

Arten von Finanzkontrakten

Bei der Finanzierung von Investitionen, Konsumgütern, dem Import von Rohstoffen oder der Baufinanzierung aus nicht-islamischen Staaten kennt die Außenhandelsfinanzierung folgende islamische Finanzierungsinstrumente:[11][12]

Diese Finanzierungsinstrumente besitzen zahlreiche Unterarten. Ein wesentlicher Teil dieser Finanzkontrakte wird im islamischen Bankwesen angewandt. Die Standardisierung dieser Verträge, die Prüfung ihrer Konformität zur Shari’a und die Rechnungslegung überwacht die im Februar 1990 in Bahrein gegründete Accounting and Auditing Organisation for Islamic Institutions (AAOIFI). Im Jahre 2016 veröffentlichte die AAOIFI 48 Shari’a-Standards, 26 Rechnungslegungsstandards und 5 Wirtschaftsprüfungsstandards.

Dokumentation

Aus Sicht der internationalen Großbanken handelt es sich bei den Fremdfinanzierungen um Kreditgeschäfte. Die nicht-islamischen Kreditinstitute stufen diese Fremdfinanzierungen als Kredite ein, die islamischen Geschäftspartner als Kreditnehmer und die Transaktion als Kreditgeschäft mit Kreditrisiko. Die islamischen Geschäftspartner werden mit einem Rating versehen. Den Kreditverträgen werden die Standardverträge der Loan Market Association unter Beteiligung internationaler Anwaltskanzleien zugrunde gelegt. Die Konformität mit dem islamischen Recht wird einerseits durch die AAOFI und andererseits durch islamische Rechtsgutachten (arabisch) von Rechtsgelehrten (arabisch) sichergestellt. Die nach IFRS bilanzierenden internationalen Großbanken dürfen diese Geschäfte nach dem Bilanzierungsgrundsatz vom Vorrang des Inhaltes über die Form (englisch substance over form, wirtschaftliche Betrachtungsweise; etwa IFRS 9, 10) wie verzinsliche Kredite verbuchen.

Literatur

  • Daniel K. Bergmann: Islamic Banking. BoD, 2008, ISBN 978-3-8334-8974-7.
  • Hatem Imran: Das islamische Wirtschaftsrecht. Normen und Prinzipien eines alternativen Wirtschaftssystems. Salzwasser Verlag, 2008, ISBN 978-3-86741-092-2.
  • Michael Gassner, Philipp Wackerbeck: Islamic Finance. Bank-Verlag Medien, 2010, ISBN 978-3-86556-211-1.
  • Zaid El-Mogaddedi: Wachstumsmarkt Sukuk (PDF).
  • Michael Mahlknecht: Islamic Finance: Einführung in Theorie und Praxis. Wiley, Weinheim 2009, 325 Seiten, ISBN 978-3-527-50389-6.
  • Michael Mahlknecht: Islamic Capital Markets and Risk Management. Risk Books, London 2009, ISBN 978-1-906348-17-5.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Katrin Geilfuß: Islamic Banking in Deutschland. 2009, S. 6
  2. Sven Gußmann: Islamic Finance – Welche Herausforderungen bestehen für den Finanzplatz Europa? 2014, S. 1
  3. Hans Hattenhauer: Europäische Rechtsgeschichte. 1999, S. 268 f.
  4. Amr Mohamed El Tiby Ahmed: Islamic Banking: How to Manage Risk and Improve Profitability. 2011, S. 3
  5. Steffen Jörg: Das Zinsverbot in der islamischen Wirtschaftsordnung. 2015, S. 63.
  6. Abdullah Saeed: Islamic Banking and Interest. 1999, S. 13 (books.google.de).
  7. Abdullah Saeed: Islamic Banking and Interest. 1999, S. 15
  8. Michael Mahlknecht: Islamic Finance. 2008, S. 69 (books.google.de).
  9. Mahmood-ur-Rahman Faisal vs. Government of Pakistan, 44 P. L. D., 1992, 1
  10. Michael Mahlknecht: Islamic Finance. 2008, S. 86
  11. Michael Gassner, Philipp Wackerbeck: Islamic Finance: Islam-gerechte Finanzanlagen und Finanzierungen. 2007, S. 52.
  12. Angelo M. Venardos: Current Issues in Islamic Banking and Finance. 2010, S. 248 ff. (books.google.de).
  13. Uni press, Ausgaben 132-139. 2007, S. 21.
  14. Michael Gassner, Philipp Wackerbeck: Islamic Finance: Islam-gerechte Finanzanlagen und Finanzierungen, 2007, S. 61
  15. Michael Gassner, Philipp Wackerbeck: Islamic Finance: Islam-gerechte Finanzanlagen und Finanzierungen. 2007, S. 84 ff.
  16. Daniel K. Bergmann: Islamic Banking: Ein Studienhandbuch, 2008, S. 100
  17. Fred Wagner: Gabler Versicherungslexikon. 2017, S. 900 (books.google.de).