Ursula von Gersdorff
Ursula von Gersdorff (geb. Waetzoldt; auch: Gräfin Vitzthum von Eckstädt; * 2. Oktober 1910 in Hamburg; † 6. August 1983 in Kampen) war eine deutsche Militärhistorikerin, die als Schriftleiterin am Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) wirkte.
Leben
Ursula Waetzoldt wurde 1910 als Tochter des Kunsthistorikers Wilhelm Waetzoldt,[1] Generaldirektor der Preußischen Staatlichen Museen, geboren. Sie war ab 1937 mit dem Diplom-Landwirt Wolfgang Graf Vitzthum von Eckstädt (1902–1941), Sohn des sächsischen Staatsministers Christoph Johann Friedrich Vitzthum von Eckstädt, verheiratet. Aus der Ehe gingen Christoph (* 1939), Stephan (1940–2003) und Wolfgang (* 1941) hervor.[2]
Sie studierte u. a. beim Militärhistoriker Walter Elze[1] in Berlin und wurde 1937 an der Georg-August-Universität Göttingen mit der Dissertation Preußische Offiziere im geistigen Leben des 18. Jahrhunderts zum Dr. phil. promoviert. Danach war sie als Referentin im Reichskriegsministerium in Berlin tätig und gemeinsam mit dem Wehrpsychologen beim Oberkommando der Wehrmacht, Felix Scherke, Autorin des Werkes Bibliographie der geistigen Kriegsführung (Propaganda).[3]
1941 war sie Erbin des Vitzthum-von-Eckstädt-Schlosses in Tiefhartmannsdorf. 1947 wurde sie aus ihrer schlesischen Heimat vertrieben. Nachdem ihr erster Mann an der Ostfront gefallen war, heiratete sie 1949 Rudolf von Gersdorff (1895–1962), vormals Landesältester und Stiftsamtmann des Stiftes Fischbeck. Aus der zweiten Ehe gingen Ulrike (* 1950) und Annette (* 1951) hervor.[4]
Von 1958 bis 1977 war von Gersdorff als Historikerin und Schriftleiterin am Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) in Freiburg im Breisgau tätig.[1][5] Ihre organisationsgeschichtlichen[6] Forschungen zu Frauen im Kriegsdienst gelten als wegbereitend und sehr umfassend; sie fanden größere Beachtung in Publizistik und Geschichtswissenschaft.[7][8][9][10][11] Die Historikerin Nicole Kramer strich heraus, dass von Gersdorffs „Pionierstudie“ (Frauen im Kriegsdienst, 1914–1945) noch vor dem Einsetzen der Frauen- und Geschlechterforschung erschien.[12] Sie wird bisweilen als Standardwerk bezeichnet.[13] Auch ihr Sammelband Geschichte und Militärgeschichte. Wege der Forschung, an dem u. a. Johann Christoph Allmayer-Beck, Werner Hahlweg, Andreas Hillgruber, Hans-Ulrich Wehler und Rainer Wohlfeil beteiligt waren, wurde positiv zur Kenntnis genommen.[14][15][16][17] Sie war Mitherausgeberin der Schriftenreihe Bibliotheca Rerum Militarium und veröffentlichte darüber hinaus Beiträge in Serien bzw. Fachzeitschriften wie Militärgeschichtliche Mitteilungen, Wehrwissenschaftliche Rundschau, Francia und Jahresbibliographie der Bibliothek für Zeitgeschichte.
Von Gersdorff wurde auf dem Friedhof Keitum auf der Insel Sylt im Kreis Nordfriesland beigesetzt. Nach dem Politikwissenschaftler und Clausewitz-Forscher Andreas Herberg-Rothe hatte sie sich beim MGFA „intensiv um die Grundlegung einer ‘modernen’ Militärgeschichtswissenschaft bzw. deren Orientierung an der allgemeinen Geschichtswissenschaft bemüht“.[18]
Schriften (Auswahl)
- Preußische Offiziere im geistigen Leben des 18. Jahrhunderts (= Deutsche Heimat. Wissenschaftliche Schriftenreihe für Geschichte und Volkstum. Band 4). Akademischer Verlag, Halle 1937 (zugl. Dissertation, Universität Göttingen, 1937).
- (mit Felix Scherke): Bibliographie der geistigen Kriegsführung. Mit einem Geleitwort von Friedrich von Cochenhausen, Bernhard & Graefe, Berlin 1938.
- (Bearb. mit Manfred Messerschmidt): Hans Meier-Welcker (Hrsg.): Offiziere im Bild von Dokumenten aus drei Jahrhunderten (= Beiträge zur Militär- und Kriegsgeschichte. Band 6). DVA, Stuttgart 1964.
- (Hrsg. mit Wolfgang von Groote): Entscheidung 1866. Der Krieg zwischen Österreich und Preußen. Militärgeschichtliches Forschungsamt, DVA, Stuttgart 1966.
- (Einl.): Stellenbesetzung im Reichsheer. Vom 16. Mai 1920, 1. Okt. 1920, 1. Okt. 1921 (= Bibliotheca rerum militarium. Band 15). Biblio-Verlag, Osnabrück 1968.
- (Einl.): Walter Elze: Das deutsche Heer von 1914 (= Bibliotheca rerum militarium. Band 16). Biblio-Verlag, Osnabrück 1968 (Neudruck der 2. Ausgabe 1939: Der strategische Aufbau des Weltkrieges 1914–1918).
- Frauen im Kriegsdienst, 1914–1945 (= Beiträge zur Militär- und Kriegsgeschichte. Band 11). DVA, Stuttgart 1969.
- (Einf.): Max Jähns: Militärgeschichtliche Aufsätze. Neudruck der Veröffentlichungen von 1816–1903 Walter Elze zum 29. Aug. 1971 (= Bibliotheca rerum militarium. Band 7). Biblio-Verlag, Osnabrück 1970, ISBN 3-7648-0160-3.
- (Hrsg. mit Wolfgang von Groote): Entscheidung 1870. Der deutsch-französische Krieg. Militärgeschichtliches Forschungsamt, DVA, Stuttgart 1970.
- (Übertr./Einf.) Gerhard von Scharnhorst: Nutzen der militärischen Geschichte. Ursache ihres Mangels. Ein Fragment aus dem Scharnhorst-Nachlass (= Bibliotheca rerum militarium. Band 44). Faksmile der Handschrift, Biblio-Verlag, Osnabrück 1973, ISBN 3-7648-0933-7.
- (Hrsg.): Geschichte und Militärgeschichte. Wege der Forschung. Mit Unterstützung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, Bernard & Graefe, Frankfurt am Main 1974, ISBN 3-7637-5131-9.
- (Hrsg./Einf.): Gerhard von Scharnhorst: Ausgewählte Schriften (= Bibliotheca rerum militarium. Band 49). Biblio-Verlag, Osnabrück 1983, ISBN 3-7648-1273-7.
Weblinks
- Literatur von und über Ursula von Gersdorff im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Ursula von Gersdorff in der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Suche nach „Ursula von Gersdorff“ im Online-Katalog der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (Achtung: Die Datenbasis hat sich geändert; bitte Ergebnis überprüfen und
SBB=1
setzen)
Einzelnachweise
- ↑ a b c Wolfgang Graf Vitzthum: Preuße im George-Kreis: Walter Elze. In: Volker Caspari (Hrsg.): Theorie und Geschichte der Wirtschaft. Festschrift für Bertram Schefold. Metropolis-Verlag, Marburg 2009, ISBN 978-3-89518-715-5, S. 332.
- ↑ GHdA, GA, 10, 1981, 77, S. 470.
- ↑ Jürgen Förster: Geistige Kriegführung in Deutschland 1919 bis 1945. In: Jörg Echternkamp (Hrsg.): Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Band 9: Die Deutsche Kriegsgesellschaft 1939 bis 1945. Halbband 1: Politisierung, Vernichtung, Überleben. DVA, München 2004, ISBN 3-421-06236-6, S. 495.
- ↑ GHdA, AA, 3, 1957, 15, S. 213.
- ↑ Historisches, von Gersdorff e.V., abgerufen am 18. April 2015.
- ↑ Birgit Beck-Heppner: Frauen im Dienst der Wehrmacht. Individuelle oder kollektive Kriegserfahrung?. In: Christian Hartmann: Von Feldherren und Gefreiten. Zur biographischen Dimension des Zweiten Weltkriegs (= Zeitgeschichte im Gespräch. Band 2). Oldenbourg, München 2008, ISBN 978-3-486-58144-7, S. 104.
- ↑ Gisela Stelly: Frauen standen ihren Mann. In: Die Zeit. 10. Oktober 1969, Nr. 41 (Rezension, zeit.de).
- ↑ Kamerad Frau (Rez.). In: Der Spiegel 9/1970.
- ↑ Iselin Gundermann: Frauen im Kriegsdienst 1914–1945. In: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 60, 1973, 1, S. 116–117 (Rezension).
- ↑ Andreas Hillgruber: Frauen im Kriegsdienst 1914–1945. In: Historische Zeitschrift 212, 1971, 1, S. 191–193 (Rezension).
- ↑ Harold L. Poor: Frauen im Kriegsdienst 1914–1945. In: The American Historical Review 75, 1970, 7, S. 2088–2089 (Rezension).
- ↑ Nicole Kramer: Volksgenossinnen an der Heimatfront. Mobilisierung, Verhalten, Erinnerung (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Band 82). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen u. a. 2011, ISBN 978-3-525-36075-0, S. 21.
- ↑ Birthe Kundrus: Nur die halbe Geschichte. Frauen im Umfeld der Wehrmachtzwischen 1939 und 1945 – Ein Forschungsbericht. In: Rolf-Dieter Müller, Hans-Erich Volkmann (Hrsg.): Die Wehrmacht. Mythos und Realität. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, Oldenbourg, München 1999, ISBN 3-486-56383-1, S. 720.
- ↑ Dennis E. Showalter: Geschichte und Militargeschichte. Weg der Forschung (Rez.). In: Military Affairs 39, 1975, 4, S. 215.
- ↑ Michael Geyer: Geschichte und Militärgeschichte. Wege der Forschung by Ursula Von Gersdorff. In: Historische Zeitschrift 222, 1976, 2, S. 394–395.
- ↑ Kurt Hesse: Gersdorff, Ursula von: Geschichte und Militärgeschichte (Rez.). In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. September 1974, S. 10.
- ↑ Ruedi Steiger: Moderne Militärgeschichte (Rez.). In: Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 141, 1975, 7–8, S. 273–274.
- ↑ Andreas Herberg-Rothe: Militärgeschichte als Friedensforschung! Einführung in die Dialektik der Wissenschaft von Krieg und Frieden (= Studienreihe Militärgeschichte, Friedensforschung, Militärpolitik. Band 1). R. G. Fischer, Frankfurt am Main 1981, ISBN 3-88323-260-2, S. 54.
Personendaten | |
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NAME | Gersdorff, Ursula von |
ALTERNATIVNAMEN | Waetzoldt, Ursula (Geburtsname); Gräfin Vitzthum von Eckstädt, Ursula (erster Ehename) |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche Militärhistorikerin |
GEBURTSDATUM | 2. Oktober 1910 |
GEBURTSORT | Hamburg |
STERBEDATUM | 6. August 1983 |
STERBEORT | Kampen |