Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?

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Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? ist ein Essay des Philosophen Immanuel Kant aus dem Jahr 1784. In diesem in der Dezember-Nummer der Berlinischen Monatsschrift veröffentlichten Beitrag ging Immanuel Kant auf die Frage des Pfarrers Johann Friedrich Zöllner „Was ist Aufklärung?“ ein, die ein Jahr zuvor in derselben Zeitung erschien. Kant lieferte in diesem Aufsatz seine bis heute klassische Definition der Aufklärung.

Die Fassung von 1799

Hintergrund

In der Dezemberausgabe der Zeitschrift Berlinische Monatsschrift von 1783 veröffentlichte der Berliner Pfarrer Johann Friedrich Zöllner den Artikel: Ist es rathsam, das Ehebündniß nicht ferner durch die Religion zu sanciren? In einer Fußnote stellte er die provozierende Frage: „Was ist Aufklärung?“[1] Zöllner spielte mit der Frage auf die Tatsache an, dass es noch keine eindeutige Definition der Bewegung gab, obwohl diese schon seit Jahrzehnten bestand. Diese Frage des protestantischen Berliner Pfarrers, versteckt in einer Fußnote, war als Replik gedacht auf den anonym mit „E. v. K.“ gezeichneten und erschienenen Beitrag des Mitherausgebers der Berlinischen Monatsschrift Johann Erich Biester im Septemberstück 1783, mit dem als ketzerisch empfundenen Titel Vorschlag, die Geistlichen nicht mehr bei Vollziehung der Ehen zu bemühen.[2] Damit wurde die so genannte Aufklärungsdebatte eröffnet, die sich als äußerst folgenreich und fruchtbar für die Geschichte der Philosophie, besonders in Preußen, erwies. In der Septemberausgabe der Berlinischen Monatsschrift von 1784 veröffentlichte der Philosoph Moses Mendelssohn als Antwort einen Aufsatz mit dem Titel Ueber die Frage: was heißt aufklären?.[3] Zwei Monate später erschien in der Dezemberausgabe dann der Aufsatz von Immanuel Kant Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? mit der Definition der Aufklärung:[4]

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“

In einer später hinzugefügten Anmerkung am Schluss schreibt Kant, dass ihm der Aufsatz von Moses Mendelssohn noch nicht bekannt war und er ansonsten den seinigen zurückgehalten hätte.

Der Essay im Einzelnen

Kant beginnt seinen Aufsatz unmittelbar mit einer Definition. Nach ihm ist Aufklärung der „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ In den folgenden zwei Sätzen werden diese Begriffe erläutert. Unmündigkeit sei das „Unvermögen sich seines Verstandes ohne die Leitung eines anderen zu bedienen“. Diese Unmündigkeit sei selbstverschuldet, wenn ihr Grund nicht ein Mangel an Verstand sei, sondern die Angst davor, sich seines eigenen Verstandes ohne die Anleitung eines anderen zu bedienen. Daraufhin fügt Kant den Wahlspruch der Aufklärung ein: „Sapere aude!“, was etwa bedeutet „Wage zu wissen!“ und von Kant mit „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ erläutert wird. Später lieferte Kant an anderer Stelle auch noch eine einfachere Definition der Aufklärung: „[D]ie Maxime, jederzeit selbst zu denken, ist die Aufklärung.“[5]

In dem nun folgenden Absatz erklärt Kant, warum ein großer Teil der Menschen, obwohl sie längst erwachsen sind und fähig wären, selbst zu denken, zeit ihres Lebens unmündig bleiben und dies auch noch gerne sind. Der Grund dafür sei „Faulheit und Feigheit“. Denn es sei bequem, unmündig zu sein. Das „verdrießliche Geschäft“ des eigenständigen Denkens könne leicht auf andere übertragen werden. Wer einen Arzt habe, müsse seine Diät nicht selbst beurteilen; anstatt sich selbst Wissen anzueignen, könne man sich auch einfach Bücher kaufen; wer sich einen „Seelsorger“ leisten könne, brauche selbst kein Gewissen. Somit sei es nicht nötig, selbst zu denken, und der Großteil der Menschen (darunter das „ganze schöne Geschlecht“) mache von dieser Möglichkeit Gebrauch. So werde es für andere leicht, sich zu den „Vormündern“ dieser Menschen aufzuschwingen. Diese Vormünder sorgten auch dafür, dass die „unmündigen“ Menschen „den Schritt zu Mündigkeit“ außer für beschwerlich auch noch für gefährlich hielten. Kant vergleicht hier die unaufgeklärten Menschen drastisch mit „Hausvieh“, das dumm gemacht worden sei. Sie würden eingesperrt in einen „Gängelwagen“, dies war im 18. Jahrhundert ein Korbgestell auf Rädern, mit dem Kinder das Laufen lernten. Diesen „Eingesperrten“ würden von ihren Vormündern stets die Gefahren gezeigt, die ihnen drohten, wenn sie versuchten, selbstständig zu handeln. So werde es für jeden einzelnen Menschen schwer, sich allein aus der Unmündigkeit zu befreien – zum einen, weil er sie „liebgewonnen“ habe, weil sie bequem sei, und zum anderen, weil er inzwischen größtenteils wirklich unfähig sei, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, weil man ihn nie den Versuch dazu habe machen lassen und ihn davon abgeschreckt habe.

Daraufhin behandelt Kant die Aufklärung des Einzelnen im Vergleich zur Gesamtöffentlichkeit. Wegen der vorher beschriebenen Zustände habe der einzelne Mensch nur geringe Möglichkeiten, sich selbst aufzuklären. Wahrscheinlicher sei es, dass sich ein „Publikum“ aufkläre, also im Gegensatz zum Individuum die gesamte Gesellschaft eines Staates oder große Teile davon. Denn unter der Vielzahl der unmündigen Bürger fänden sich immer ein paar „Selbstdenkende“. Als Vorbedingung fordert Kant Freiheit. Unter dieser Voraussetzung scheint ihm die Aufklärung der Öffentlichkeit „beinahe unausbleiblich“. Diese durch eine Revolution durchzusetzen, lehnt Kant ab. Eine Revolution werde nie eine „wahre Reform der Denkungsart“ ermöglichen. Er setzt also auf Reform statt Revolution.

Die von Kant als notwendige Voraussetzung der Aufklärung geforderte Freiheit ist das Recht, von seiner Vernunft in allen Bereichen „öffentlichen Gebrauch zu machen“. Der öffentliche Gebrauch der Vernunft sei derjenige, den jemand als Privatmann mache, also z. B. als Gelehrter vor seinem Lesepublikum. Im Gegensatz dazu steht der „Privatgebrauch“ der Vernunft. Dies sei derjenige Gebrauch von der Vernunft, den jemand als Inhaber eines öffentlichen Amtes mache, z. B. als Offizier oder als Beamter. Der öffentliche Gebrauch der Vernunft beinhaltet also die Redefreiheit, das Recht der freien Meinungsäußerung in Rede und Schrift. Er muss, so Kant, „jederzeit frei sein“. Dagegen könne (und müsse auch teilweise) der Privatgebrauch der Vernunft „öfters sehr enge eingeschränkt sein“. Dies sei der Aufklärung nicht weiter hinderlich. Zur Erklärung führt Kant folgendes Beispiel an: Wenn ein Offizier im Kriegsdienst von seinen Vorgesetzten einen Befehl erhalte, dürfe er nicht im Dienst über die Zweckmäßigkeit oder Nützlichkeit dieses Befehls räsonieren, sondern müsse gehorchen. Allerdings könne ihm später nicht verwehrt werden, über die Fehler im Kriegsdienst zu schreiben und dies dann seinem Lesepublikum zur Bewertung vorzulegen.

Amtsträger, aber auch die einzelnen Bürger, sind demnach im Bereich ihres Amtes bzw. ihrer staatsbürgerlichen Pflichten, z. B. beim Zahlen von Abgaben, zu Gehorsam verpflichtet, um die Ordnung und die Sicherheit des Staates und seiner Institutionen zu gewährleisten. Dadurch aber, dass sie als Gelehrte öffentlich von ihrer Vernunft Gebrauch machen können, ergibt sich die Möglichkeit der öffentlichen wissenschaftlichen Diskussion der Verhältnisse im Staat. Auf diesem Weg kann der Monarch zur Einsicht und zur Änderung der Verhältnisse bewegt werden. So können also nach Kant Reformen erreicht werden.

Die Frage „Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter?“ verneint Kant, aber man lebe jetzt in einem Zeitalter der Aufklärung. Besonders in „Religionsdingen“ seien die meisten Menschen noch sehr weit davon entfernt, sich selbst ihres Verstandes ohne fremde Leitung zu bedienen. Allerdings gebe es doch auch deutliche Anzeichen dafür, dass die allgemeine Aufklärung voranschreite.

Zitat

„Daß der bei weitem größte Teil der Menschen (darunter das ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außer dem daß er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben.“ – Immanuel Kant

Literatur

  • Immanuel Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Berlinische Monatsschrift, 1784, H. 12, S. 481–494. (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv)
  • Ehrhard Bahr (Hrsg.): Was ist Aufklärung? Thesen und Definitionen. Kant, Erhard, Hamann, Herder, Lessing, Mendelssohn, Riem, Schiller, Wieland. ISBN 3-15-009714-2.
  • Otfried Höffe: Immanuel Kant. 6., überarbeitete Auflage. C.H. Beck, München 2004.
  • Immanuel Kant: Was ist Aufklärung? Ausgewählte kleine Schriften. In: Horst D. Brandt (Hrsg.): Philosophische Bibliothek (Bd.512). Hamburg 1999, ISBN 3-7873-1357-5.

Weblinks

Anmerkungen

  1. Johann Friedrich Zöllner: Ist es rathsam, das Ehebündniß nicht ferner durch die Religion zu sanciren? In: Berlinische Monatsschrift 2 (1783), S. 508–516, hier S. 516, Anm.: „Was ist Aufklärung? Diese Frage, die beinahe so wichtig ist, als: was ist Wahrheit, sollte doch wol beantwortet werden, ehe man aufzuklären anfange! Und noch habe ich sie nirgends beantwortet gefunden!“
  2. Johann Erich Biester: Vorschlag, die Geistlichen nicht mehr bei Vollziehung der Ehen zu bemühen. In: Berlinische Monatsschrift 2 (1783), S. 265–276.
  3. Moses Mendelssohn: Ueber die Frage: was heißt aufklären? In: Berlinische Monatsschrift 4 (1784), S. 193–200.
  4. Immanuel Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Berlinische Monatsschrift 4 (1784), S. 481–494.
  5. Immanuel Kant: Was heißt: Sich im Denken orientiren? AA VIII, S. 146.